Efeu - Die Kulturrundschau

Mädchen mit einem Baum auf dem Kopf

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10.04.2021. Die SZ stapft in Frankfurt durch die leuchtenden kanadischen Wälder der Emily Carr und trifft auf Astronauten. In der Welt blickt der französische Journalist Antoine Vitkine auf den schmutzigen Deal mit dem "Salvator Mundi". Am Donnerstag hatte die Zeit dem Dokumentarfilmer Marcel Wiese Verfehlungen vorgeworfen. Offenbar ist sie Fehlinformationen eines ehemaligen Wiese-Mitarbeiters aufgesessen, berichtet der MDR. Im Monopol-Interview erklärt der Theatermachter Arne Vogelsang, weshalb QAnon gerade bei deutschen Verschwörungstheoretikern so gut ankommt. Und in der SZ träumt Jean-Michel Jarre von ewigem Urheberrecht.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.04.2021 finden Sie hier

Kunst

Bild: Emily Carr, Blunden Harbour, ca. 1930, Öl auf Leinwand. National Gallery of Canada, Ottawa, Foto: NGC

Es ist höchste Zeit, die kanadische Malerin Emily Carr auch hierzulande zu entdecken, meint SZ-Kritikerin Catrin Lorch und empfiehlt - sobald diese wieder geöffnet ist - einen Besuch in der Ausstellung "Magnetic North" in der Frankfurter Schirn. Die Künstlerin, die mit Klee Wyck signierte, brachte ihre Hingabe zur indigenen Kultur mit Landschaftsmalerei zusammen, so Lorch: "Carrs konzentrierte Kompositionen können Wälder in grün leuchtende Kathedralen verwandeln - und die alten, hölzernen Totempfähle, die am Rand einer Anlegestelle Fremde mit wilden Gesichtern begrüßen, so aus ihrer Umgebung isolieren, dass sie dastehen wie Außerirdische: Glatt, hoch aufragend, im kalten, blauen Licht eines kristallklaren Himmels könnten sie auch eine Gruppe von Astronauten sein oder Geisterwesen."

Bild: Nima Nabavi. Tinte auf Papier. Courtesy of the Artist an The Third Line, Dubai

Die ganze Palette abstrakter Kunst betrachtet Linda Buchholz (Tagesspiegel) in der Ausstellung "Ways of Seeing Abstraction" im Berliner Palais Populaire, die 47 KünstlerInnen aus vier Kontinenten von der 1960er bis in die Gegenwart versammelt: "Nicht zu übersehen und trotzdem gut für einen Augentäuschereffekt sind die Werke der französisch-kanadischen Künstlerin Kapwani Kiwanga, die derzeit im Münchener Haus der Kunst eine Einzelausstellung hat. Ihre großformatigen Hochglanz-C-Prints mixen Fotoästhetik und abstrakte Farbraumkomposition. Aus Jalousien, Kugellampen und Lichtkanten lässt sie unauslotbare, imaginäre Räume entstehen."

Für 450 Millionen Dollar hatte der saudi-arabische Kronprinz Mohammed Bin Salman 2017 den "Salvator Mundi" im New Yorker Auktionshaus Christie's anonym ersteigert, laut einer Analyse der Wissenschaftler des Louvre stammt das Bild aber nicht von Leonardo, sondern aus dessen Werkstatt. Um Bin Salman nicht zu "brüskieren" und Verträge mit Saudi-Arabien nicht zu verlieren, wurde das Ergebnis der Analyse nicht veröffentlicht, erfährt Martina Meister im Welt-Gespräch mit dem französischen Journalisten Antoine Vitkine über dessen Doku 'Salvator for Sale': "Es ging darum, sein Gesicht zu bewahren und damit auch die eigenen Interessen. Schließlich stand für Frankreich viel auf dem Spiel. Paris hatte gerade einen Kooperationsvertrag unterschrieben, bei dem es nur im kulturellen Sektor um 15 Milliarden Dollar ging. Dieses Geld wird wahrscheinlich nie fließen, aber es war in Aussicht gestellt worden. Als der Louvre seinen Ruf nicht aufs Spiel setzen wollte, haben sie vermutlich einen Deal gemacht und versprochen, einfach zu schweigen."

Im Standard ergänzt Stefan Brändle: Bin Salman wollte dem Louvre den "Salvator Mundi" für eine Ausstellung leihen, verlangte allerdings eine hundertprozentige Echtheitsgarantie: "Außenminister Jean-Yves Le Drian und Kulturminister Franck Riester wollten auf die Forderung aus Riad eingehen; auch Louvre-Direktor Jean-Louis Martinez zeigte sich empfänglich für die saudische Lobbyisten, die zu dem Zweck ganze Delegationen nach Paris schickten. Macron blieb aber bis zuletzt hart."

Weiteres: In der NYTimes ärgert sich Warhol-Biograf Blake Gopnik über das Urteil eines New Yorker Gerichts, das entschied, dass Andy Warhol das Urheberrecht eines Fotografen verletzt habe, indem er dessen Bild von Prince für einen Siebdruck verwendete. In der NZZ blickt der Literaturwissenschaftler Edi Zollinger in den Spiegel von Diego Velazquez "Venus vor dem Spiegel" und erklärt die Vermutung, dass sich Velazquez hier auf den "Schlafenden Hermaphroditen" bezieht. Für die taz hat Thomas Mausch einen virtuellen Rundgang durch die Online-Version der Schau "Dekadenz und dunkle Träume. Der belgische Symbolismus" in der Alten Nationalgalerie unternommen. Besprochen wird der Fotoband "About us" mit zeitgenössischer Fotografie aus China (Tagesspiegel) und die Ausstellung "Americana" von Benjamin Heisenberg in der Berliner Galerie Ebensperger (Filmdienst).
Archiv: Kunst

Film

Am Donnerstag brachte Katja Nicodemus in der Zeit eine Recherche zu dem Film "Die Unbeugsamen" des Dokumentarfilmers Marc Wiese, dem sie krasse Verfehlungen vorwarf (unser Resümee mit Aktualisierung). Offenbar ist Nicodemus den Fehlinformationen eines ehemaligen Wiese-Mitarbeiters aufgesessen,der seit Wochen verschiedene Medien auf die Geschichte anzusetzen versucht. So berichtet es René Martens in der MDR-Kolumne "Altpapier". Wiese erhebt rechtliche Schritte gegen den Zeit-Artikel, sein Anwalt Johannes Eisenberg verlangt Unterlassungserklärungen in verschiedenen Punkten. "Wiese kritisiert nicht zuletzt, dass Die Zeit ihm am Ostermontag, also einem Feiertag, eine knappe Anfrage geschickt habe - mit einer Fristsetzung von 24 Stunden", schreibt Martens. "Anfragen an Feiertagen oder Wochenenden zu verschicken und dann nur kurze Fristen zu setzen, hat im Journalismus oft eher Alibicharakter. Heißt: Man stellt die Anfrage pro forma, spekuliert dann aber darauf, dass der Angeschriebene nicht rechtzeitig reagiert."

Für Artechock sortiert Rüdiger Suchsland die Lage in der Kontroverse um "Lovemobil": Dass sich deren Regisseurin Elke Lehrenkrauss falsch verhalten und den Charakter ihres Films nicht offengelegt, sondern auch bei Gesprächen verschleiert hat, sei zwar klar ihr Fehler gewesen, schreibt er. Die Kinnlade klappt ihm aber runter, wie Anja Reschke, die beim NDR den Dokumentarfilmebereich leitet, kürzlich bei Zapp mit dem Thema umgegangen ist und dabei Vorwürfe, die Regisseurin habe aus finanziellem Druck heraus so gearbeitet wie sie gearbeitet hat, souverän abgebügelt habe: "So legte Anja Reschke die Hauptprobleme des öffentlichen Fernsehens unfreiwillig bloß: Es sind allzu oft Banausen und Kulturfeinde, die hier an den Schaltstellen sitzen. Dies sind die Hauptprobleme. Hier wird deutlich, warum das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich als Kulturkraft selber abschafft. Und hier sieht man, warum das Kino dringend aus dem Klammergriff dieser Sender befreit werden muss."

Weitere Artikel: Andreas Busche hat für den Tagesspiegel in Senta Bergers Autobiografie von 2006 nachgeblättert: Sämtliche sexuellen Übergriffe, die jetzt nach einem großen Zeit-Interview von vielen Medien via Schlagzeile ausgerufen werden, waren hier bereits dokumentiert - damals herrschte aber Stillschweigen, dabei hätte ihr Buch "schon damals für einen MeToo-Skandal reichen müssen". Isabella Caldart denkt in 54books über die Funktion von Vergewaltigungen in Serien nach. Eine bislang weitgehend unbekannte, gegen Ende der Sowjetunion entstandene TV-Verfilmung von "Der Herr der Ringe" ist jetzt auf Youtube aufgetaucht und entzückt die Tolkien-Fans, meldet Andrey Arnold in der Presse.



Besprochen werden unter anderem Sharon Stones Memoiren (SZ), John Turturros "Jesus Rolls" (Standard), die Serien "Die Schlange" (Presse, NZZ), "Amend - The Fight for America" (FR), "Thunder Force" (Presse) sowie "The One" und "Soulmates" (Freitag)
Archiv: Film

Literatur

Rainer Moritz stößt in Regionen von Büchern vor, in die sich sonst freiwillig kein Mensch verirrt: Davon erzürnt zurückgekehrt, fordert er nun In der Welt die Abschaffung der Danksagung - diese "ist zu einem Stück devoter Prosa geworden, das einem die Freude am zuvor Gelesenen vergällen kann". Denn "die aktuell so aufgeblähten Danksagungen haben jede edle Anmutung verloren und triefen vor Selbstbeweihräucherung und Anbiederung. Auf drei, vier Seiten oft wird da ausgebreitet, wer und was dem Autor nach Verlassen der Kita half, das vorliegende Werk zu vollenden. Ohne Legionen von Unterstützern hätte es - so der neue Topos - selbstredend nie geschrieben werden können."

Außerdem: Eva-Lena Lörzer porträtiert für die taz die Berliner Lyrikerin Elisa Aseva. Für die taz führt Eva-Christina Meier durch Frühlingsprogramm der Kinder- und Jugendbuchverlage. Ulrich Rüdenauer erinnert in der FR an den Tod Ödön von Horváths. In der FAZ spricht Christoph Ransmayr über seinen neuen Roman "Der Fallmeister". Im Literaturfeature von Dlf Kultur befassen sich Sigrid Brinkmann und Clarisse Cossais mit Ausnahmezuständen in der französischen Literatur.

Besprochen werden unter anderem Juli Zehs "Über Menschen" (Zeit), die von Simon Heffer herausgegeben Tagebücher von Henry 'Chips' Channon (taz), Jörg Magenaus "Die kanadische Nacht" (ZeitOnline), Eva Schmidts "Die Welt gegenüber" (taz), Stefan Matuscheks "Der gedichtete Himmel" (FR), Ulrike Kolbs "Erinnerungen so nah" (Literarische Welt), Jakob Noltes "Kurzes Buch über Tobias" (SZ) und Andreas Maiers "Die Städte" (FAZ).
Archiv: Literatur

Bühne

Foto: Robert Schittko

Etwas überfordert resümieren die TheaterkritikerInnen die analog geplante und jetzt im Rahmen der Frankfurter Positionen digital uraufgeführte Sciene-Fiction-Groteske "Eine posthumane Geschichte" des Hongkonger Autors Pat To Yan, die Jessica Glause für das Schauspiel Frankfurt inszeniert hat. Nach dem Mix aus Cyberkrieg, kantonesischen Mythen, Kindern mit KI-Po und "Mädchen mit einem Baum auf dem Kopf", ächzt Nachtkritiker Rainer Nolden: "Die Fülle von Themen, Motiven und Anspielungen, die der Autor in diese neunzig Minuten packt, ergießt sich freilich wie ein Informations-Tsunami über den Betrachter: Es geht um künstliche Intelligenz, um Ethik und Moral, um die Perfektionierung der militärischen Tötungsmaschinerie, um die Unterdrückung Andersdenkender, um die Frage, inwieweit Robotik und Künstliche Intelligenz in die menschliche Existenz eingreifen (oder längst eingegriffen haben)." FAZ-Kritiker Kevin Hanschke lernt in dem Stück: "Künstliche Intelligenz wird unser Leben prägen, es ist nur die Frage, wie ethisch damit umgegangen werden kann. Yans Parabel macht vor allem eins deutlich: Das chinesische Modell, die Verknüpfung von Autoritarismus und technischer Entmenschlichung, ist ein denkbar schlechter Weg." Für FR die bespricht Judith von Sternburg den Film.

Im monopol-Interview mit Philipp Hindahl erklärt der Theatermacher Arne Vogelsang, der in seinem Videoessay "This is Not A Game" Geschichte und Hintergründe von QAnon analysiert, weshalb die QAnon-Verschwörungstheorie in Deutschland die größte Anhängerschaft außerhalb der englischsprachigen Welt hat: "Es gab in Deutschland gute Verbindungen zu den bestehenden Propagandanetzwerken von Reichsbürger*innen, deren Inhalte sich oft mit 'Q'-Inhalten decken. Diese wurden dann in all die Telegram- und anderen Gruppen eingespeist, die sich nach Beginn der Pandemie gebildet haben. Die Sorge um Kinder, auch Teil der 'Q'-Erzählung, wurde zur ideologischen Waffe in der Organisation von Corona-Protesten, denn Kinder sind in der Krise allemal Teil des politischen Kalküls. Mit Fragen nach Impfung und Gesundheit konnte man auch Impfgegner und Teile der Szene der 'alternativen Heilmethoden' erreichen. Wenn man fragt, warum gerade Deutschland, muss man aber auch sagen, dass antisemitische Verschwörungstheorien hier immer noch viel besser funktionieren als die meisten Leute wahrhaben wollen."

Der brasilianische Choreograf, Tänzer und Mitbegründer von ImPulsTanz, Ismael Ivo, ist im Alter von 66 Jahren an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Im Tagesspiegel erinnert Sandra Luzina: "Er hat in seinen Performances - lange vor der Black Lives Matter-Bewegung - das Bild des schwarzes Körpers in der westlichen Kultur reflektiert und Themen wie Postkolonialismus und Rassismus auf radikale Weise verhandelt. Und das hieß bei Ismael Ivo: Alle existentiellen Fragen wurden bei ihm auf den Körper bezogen." Weitere Nachrufe in SZ und Standard.

Weiteres: In der FAZ erzählt Intendant Dominic Meyer, wie er die Mailänder Scala sozialer und digitaler machen will. Besprochen wird Anna-Elisabeth Fricks Inszenierung "Alice" am Theater Kiel (nachtkritik).
Archiv: Bühne

Musik

Um markige Anmerkungen zum Thema Urheberrecht ist der französische Musiker Jean-Michel Jarre nie verlegen. Er wünscht sich "das Prinzip eines ewigen Copyrights, das auch nach dem Tod der Halter nie erlischt", erklärt er in der SZ. "Stellen Sie sich vor, die Tantiemenpflicht für ältere Werke würde nicht verschwinden, sondern das Geld würde stattdessen in einen nationalen Kulturfonds fließen. Der würde genutzt, um junge Künstlerinnen und Künstler zu fördern. So in der Art: Jedes Mal, wenn Beethovens Neunte als Europahymne läuft, würden Nachwuchskomponisten in der ganzen Union davon profitieren. Darauf könnten wir richtig stolz sein!" Warum er dann nicht gleich besser ausgestattete Fördertopfe fordert, statt ein einziges großes Zur-Kasse-Bitten zu imaginieren, bleibt schleierhaft.

Eher amüsiert nimmt Harald Hordych in der SZ zur Kenntnis, dass es in Liverpool jetzt einen Beatles-Studiengang gibt, hinter dessen Fassade sich allerdings vor allem eine Aussbildungsstätte für Stadtmarketing verbirgt. Kurios daran: Ihre Feuertaufe haben die Fab Four gar nicht in der englischen Hafenstadt gemacht, sondern in Hamburg: "Das hat der Guardian geschrieben, nicht der Spiegel. Diese kühne, aber wissenschaftlich belegbare Behauptung fußt darauf, dass die Fab Four ab 1960 auf St. Pauli ihre frühmusikalische Erziehung erhalten haben. Es zwei Jahre lang auszuhalten, für wenig Geld vor Besoffenen nachts in mehreren Schichten bis zu sechs Stunden zu spielen, stärkte die Fähigkeit, gegen alle Widerstände 'Yeah, yeah, yeah' zu rufen. 'Ich bin in Liverpool aufgewachsen, aber in Hamburg bin ich erwachsen geworden', hat Lennon dazu mal gesagt."

Weitere Artikel: Für die taz spricht Jens Uthoff mit der israelischen Popmusikerin Noga Erez. Im Tagesspiegel porträtiert Frederik Hanssen den Berliner Philharmoniker Albrecht Mayer.

Besprochen werden die Neueinspielung von Taylor Swifts Erstling "Fearless" (SZ), Max Clouths "Lucifer Drowning" (FR), das neue Album von Modeselektor (Berliner Zeitung) und das neue Album des Damon Locks Black Monument Ensembles (Freitag). Wir hören rein:

Archiv: Musik