Der Verleger Hubert Burda bezeichnete gestern in der FAZ die Presse als "vierte Gewalt" und behauptete, sie sei unverzichtbar für die Demokratie. Das ist Unsinn. In Sachen Berichterstattung über das Internet ist die Presse weithin keine vierte Gewalt mehr, sondern ein Lobbyist, der sich unter dem Deckmantel des Journalismus dem Staat andient.

Burdas Text in der FAZ, in dem er Leistungsschutzrechte und noch eine ganze Menge anderer Rechte für die Zeitungsverlage verlangte, ist völlig unverständlich, wenn man nicht die Rede kennt, die Kulturstaatsminister Bernd Neumann vor zwei Wochen auf der Jahreskonferenz der "Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft" hielt.

Neumann versprach kleine Geschenke für verschiedene Kreative: so sollen die Schutzfristen ausübender Künstler von 50 auf 70 Jahre verlängert werden und die Mitarbeiter bei Film und Fernsehen leichter Zugang zu Arbeitslosengeld I erhalten.

Aber die fettesten Versprechungen machte er den Zeitungsverlagen. Zum Beispiel: "In der nächsten Legislaturperiode muss das Thema Leistungsschutzrecht für Presseverlage auf die Agenda. Sie sind bislang mangels ausreichender Rechte an ihren Presseerzeugnissen in weiten Teilen der Verwertungskette nicht in der Lage, ihre Rechtsposition angemessen zu schützen. Das wollen wir ändern."

Zwei Wochen später findet Hubert Burda das in der FAZ noch nicht ganz ausreichend. Er möchte kein einfaches Leistungschutzrecht, sondern ein erweitertes. "Nun kann man sagen, dass jede Branche in dieser Zeit großer wirtschaftlicher Veränderungen zu kämpfen hat und sich anpassen muss. Diese Anpassung besteht insbesondere auch in der Einführung eines weiten Leistungsschutzrechtes, verbunden mit der Transparenz des Internets."

Um das zu begründen, wird er kurz ein bisschen weinerlich. Der Schnittmusterverleger nennt seine Produkte ein Kulturgut. Sie seien unerlässlich für die Demokratie. Habermas habe das gesagt, ja, Miriam Meckel habe das gesagt. Ohne Presse keine Demokratie, sagt er. Aber eigentlich droht er den Politikern im Wahlkampf: Ohne gute Presse keine Wiederwahl.

Burda will ein "weites Leistungsschutzrecht" und "Transparenz des Internets". Was ist damit gemeint? Dem Leser wird das an keiner Stelle seines Artikels an einem konkreten Beispiel aufgeschlüsselt.


Leistungschutzrecht

Ein Leistungsschutzrecht für Verlage bedeutet, dass Verlage künftig auch ohne Einverständnis ihrer Autoren - ja sogar gegen den Willen ihrer Autoren - Zitate aus Artikeln in ihren Zeitungen schützen und damit kostenpflichtig machen können. Die Financial Times Deutschland hat das kürzlich in einem zustimmenden Artikel genauer beschrieben: Gegründet werden soll eine "Verwertungsgesellschaft der Verlage. Eine Gema für Onlinetexte, die im Netz nach illegaler Nutzung fahndet - und fällige Gebühren eintreibt". Nicht für die Verbreitung ganzer Texte, das ist heute schon illegal, sondern für Zitate!

Für den Leser bedeutet das zweierlei: Presseschauen wie die Feuilletonrundschau des Perlentauchers werden künftig kostenpflichtig. Der Jurist Jan Hegemann hatte im April in der FAZ angedeutet, wie weit das erträumte "Recht" gehen soll - bis hin zu "Snippets - also die mit "großem redaktionellen Aufwand erstellten Kurzzusammenfassungen der Artikel". Google dürfte keine Überschriften mehr zitieren ohne zu bezahlen. Und Leser - oder ihre Kinder - die im Netz zum Beispiel in Kommentaren aus Zeitungsartikeln zitieren, werden künftig ebenfalls von den Verlagen zur Kasse gebeten. Ob zu Recht, kann man dann vor Gericht mit den Anwälten der FAZ ausfechten. Gegen den Perlentaucher führen FAZ und SZ seit Jahren einen Prozess wegen seiner Berichterstattung über ihre Berichterstattung.


Transparenz des Internets


Aber wie, fragen Sie sich vielleicht, soll die Zeitung herausfinden, wer ein Nutzer ist? Mittels "Transparenz des Internets", wie Hubert Burda das nennt. Kulturstaatssekretär Neumann war da etwas deutlicher: "Wir brauchen Kooperationsvereinbarungen zwischen Providern, Rechteinhabern und Verbrauchern."

Im Klartext: Wenn ein Verlag es fordert, soll der Internetprovider künftig Ihre Daten herausgeben müssen. Jeder soll im Internet identifiziert werden können. Das geht nur durch staatliche Kontrolle des Internets. Das meint Hubert Burda mit "Transparenz im Internet".


Erweitertes Leistungsschutzrecht

Was will Hubert Burda, wenn er ein "erweitertes Leistungsschutzrecht" fordert?

Burda fordert für Verlage: "das Recht, im Netz von den Suchmaschinen nach objektiven, nachvollziehbaren Kriterien gefunden zu werden. Das Recht, an den Erlösen der Suchmaschinen fair und zu überprüfbaren Konditionen zu partizipieren. Das Recht auf Neutralität der Plattformen. Und damit verbunden die Garantie, dass Inhalte unserer Transaktionsangebote von Suchmaschinen nicht für eigene Geschäftsmodelle genutzt werden. Denn genau dies ist zurzeit technisch immer noch möglich."

Er will, dass auch Suchmaschinen wie Google staatlich kontrolliert werden. Nur so kann man seine Forderung interpretieren, am Erlös der Google-Anzeigen beteiligt zu werden, denn freiwillig wird Google keinen Cent rausrücken.

Google ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Es ist nicht im Verlagswesen tätig, sondern in der Logistik. Es organisiert das Netz. Warum sollte es Verlage an den Erlösen aus dieser Leistung beteiligen? Das konnte auch Staatssekretär Neumann nicht erklären. Aber er war überzeugt: "Es kann nicht angehen, dass ein Privatunternehmen künftig ein Monopol auf diesen essenziellen Teil unserer Kultur hat! Die digitale Verfügungsgewalt muss in öffentlicher Verantwortung bleiben", also in Verantwortung des Staates. Die Vertreter der vierten Gewalt klatschten Beifall.

Hubert Burda behauptet, all diese Maßnahmen seien unumgänglich, um den "Qualitätsjournalismus" und damit die Demokratie zu schützen. Aber nicht der "Qualitätsjournalismus" ist wichtig für die Demokratie, sondern die Existenz einer freien Presse. Die Presse ist aber nur frei, wenn sie von staatlichen Einflüssen unabhängig bleibt. Doch genau das lehnen Zeitungsverleger jetzt ab: Sie rufen nach dem Staat.

Die Forderungen der Verlage umfassen inzwischen

- eine vom Staat anzuschiebende Zwangsgebühr namens Kulturflatrate,
- eine staatliche Beaufsichtigung der Suchmaschinen (denn auf nichts anderes läuft die Forderung Burdas hinaus),
- eine vom Staat zu erzwingende Umverteilung der Anzeigenerlöse der Suchmaschinen,
- ein vom Staat zu verabschiedendes Leistungsschutzrecht, das die Grundvoraussetzung für die Schaffung einer Gema für Onlinetexte wäre.
- eine staatliche Überwachung des Internets. Natürlich nur, um die Kulturindustrie vor Piraten zu schützen.

Dies alles wird gefordert nicht zugunsten einer freien Presse, sondern zum Schutz überkommener Geschäftsmodelle. Die Zeitungen werden schamlos für Lobbyarbeit in eigener Sache benutzt und sprechen schon damit jeder Form von Qualitätsjournalismus Hohn.

Politiker hören diesen Ruf der Verlage nach dem Staat gern. Überwachung ist eh ihr Konzept. In Sachen Internetsperren passte kein Blatt zwischen die großen Zeitungen und Ursula von der Leyen. Die Versuchung für Zeitungsjournalisten war unwiderstehlich, Kinderpornografie mit dem "Pfuhl Internet" (so die FAZ) gleichzusetzen und so ein missratenes Gesetz nicht kritisch zu überprüfen, sondern für eigene Zwecke umzumünzen. Die Verlage scheinen sich ganz sicher zu sein, dass die staatliche Überwachungsmaßnahmen, die sie zur Sicherung ihrer Profite fordern, nie sie selbst betreffen werden. Wie nah müssen sie sich der Regierung fühlen. In eigener Sache haben die einstigen Kontrolleure von Parlament, Verwaltung und Rechtsprechung ihren Anspruch aufgegeben, vierte Gewalt zu sein.

Die vierte Gewalt ist jetzt im Netz.