Außer Atem: Das Berlinale Blog

Eingefroren in der Zeit

Von Thekla Dannenberg
11.02.2016. Ausgerechnet im "Silent Green" diskutierten internationale Filmkritiker die Misere des deutschen Films. Ist er zu deutsch oder nicht deutsch genug? Ist er zu kalt und starr? Nein, er ist überfinanziert.
Neben der Berlinale startet heute auch die Woche der Kritik, die der Verband der deutsche Filmkritik zusammen mit der Heinrich Böll Stiftung als Gegenprogramm ausrichtet. Zum Auftakt luden die Veranstalter zur Diskussion "Kino Machen andere - Warum der deutsche Film nur unter sich feiert". Nicht nur die Repräsentanten des erstarrten und in endlosen Diskussionen erschöpften Betriebs sollten über die Misere des deutschen Kinos debattieren, sondern internationale Filmkritiker. Vor Bettina Reitz und Katrin Schlösser diskutierten Charles Tesson, Sergio Fant und Richard Brody. Schön passend fand das Ganze im "Silent Green" statt, dem zum Kulturort umgestalteten ehemaligen Krematorium Wedding.

Dass diese Diskussion in einem Jahr stattfindet, in dem der Wettbewerb nur einen deutschen Film aufweist, sei reiner Zufall, betonten die Veranstalter Frederic Jaeger und Christian Römer, es hätten genauso gut vier Filme auf der Berlinale laufen können. Aber wohlgemerkt nur in Berlin, denn international sei dem deutschen Kino die Perspektive verloren gegangen: In Cannes, Venedig und Locarno war 2015 kein einziger deutscher Film zu sehen.

Noch ernüchternder beschrieb es der französische Filmkritiker Charles Tesson, ehemaliger Chefredakteur der Cahier du cinéma und Leiter der Semaine de la Critique in Cannes, die der deutschen Woche der Kritik als Vorbild dient. (Mit einem gravierenden Unterschied allerdings: In Cannes steht sie einem Festival gegenüber, das mit 50 Filmen eine sehr dezidierte Auswahl trifft, in Berlin einem mit 400 Filmen.) Tesson jedenfalls fielen gerade mal eine Handvoll deutscher Filme ein, die es in die Semaine de la critique geschafft hatten, also noch weniger als ins Festival: Jean-Marie Straubs "Nicht versöhnt" und "Das Tagebuch der Anna Magdalena Bach", Tevfik Ba?ers "40 qm Deutschland" von 1985 und zuletzt vor acht Jahren Emily Atefs "Das Fremde in mir". Wenn man sich die Entdeckungen der Semaine de la Critique ansieht, erkennt man schon eine gewisse Signatur, Tesson jedoch blieb bei den Kriterien vage: Nicht nur gute Filme würden eingeladen, sondern vielversprechende Regisseure. Autoren sollen entdeckt werden oder, was kaum noch möglich ist, Filmländer. Das Problem mit dem deutschen Kino ist für Tesson: "Entweder ist es zu deutsch oder nicht deutsch genug." Entweder gehe es um Nazis oder die deutsche Identität erschöpfe sich in einem kargen Formalismus.


Kino machen andere. Hier gibt es Fernsehen: Abbildung auf der Einladung

Sergio Fant sitzt in der Auswahlkommission für das Festival in Locarno. Auch er stört sich am Minimalismus des deutschen Films, der nicht mehr Porträts von Menschen oder der Gesellschaft zeichne, sondern obsessiv an Form und Kadrierung ausgerichtet sei. Kalt, bewegungslos, eingefroren in der Zeit sei dieses Kino. Mit etlichen Anekdoten verschaffte Fant Einblick in einen Betrieb, der die Selbstkontrolle verloren habe und komplett vom Fernsehen aufgesogen wurde. In Locarno drängten bei Piazza-Vorführungen tatsächlich Filmförderer auf die Bühne, selbst die Einladung zur Veranstaltung zeige keine Film-, sondern eine Fernsehkamera.

Schließlich sprach Richard Brody, nicht als ausgewiesener Experte des deutschen Films, sondern als Filmkritiker des New Yorker, der die Film sieht, die in den amerikanischen Kinos oder auf Festivals laufen. Vielleicht habe er also nicht alle guten Filme gesehen, stellte er klar, aber doch viele der besten: Auch die guten Filme aus China oder dem Iran schafften es schließlich in die USA. Im deutschen Kino, meinte Brody, müsse heute alles versiert und ungeheuer professionell sein. Metier sei im Übermaß vorhanden, aber völlig unverbunden zum Stoff. Was er absolut vermisse, seien Regisseure, die ihm etwas aus dem Hier und Jetzt erzählen: "Hier bin ich. So leben wir."

Brody hält die Ökonomie für das große Problem des deutschen Films, genauer gesagt seine Überfinanzierung: "Junge Filmmacher gehen ein, wenn sie zu viel Geld haben." Was dem deutschen Film fehle, sei das Innovative. Das ergebe sich nicht unbedingt aus der Regie, sondern aus den Umständen der Produktion. Beispiel Fassbinder. In "Angst ist kälter als der Tod" entsprängen alle guten Ideen den Bedingungen einer mittellosen Produktion. Im Ergebnis sei der Film "wunderbar unprofessionell und brillant". In den USA, sagt Brody, starteten unabhängige Filmemacher zum Teil mit Produktionskosten im vierstelligen Bereich, Alex Ross Perry drehe immer noch ultra-low-budget. Und vor allem starteten die amerikanische Regisseure nicht mit 35 oder 40, sondern mit 23. "Deren Lernkurve ist extrem steil." In Deutschland habe der Betrieb die Kunst verdorben.

Dass mehr Geld die Dinge nur noch schlimmer machen würde, fürchtete auch Lars Henrik Gass, der Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen, der im Anschluss daran erinnert, dass die Diskussion - Kunst oder Kasse - schon seit fünfzig Jahre laufe. Die jetzt mit 100 Millionen ausgestattete Hochschule für Film und Fernsehen in München bezeichnete er da nur als das "Mausoleum des deutschen Films". Dominik Graf beschrieb gerade in der FAS, wie die Bürokratie den Autoren jeden Anflug von Brillanz austreibt. Vielleicht lässt sich ja aus der Sehnsucht nach einem sinnlichen, wilden, körperlichen Kino ein guter Film machen: Im Forum läuft zum Abschluss des Programms Grafs Dokumentation "Verfluchte Liebe deutscher Film".

Die Woche der Kritik findet vom 11. bis 18. Februar im Kino der Hackeschen Höfe statt.

Dominik Grafs "Verfluchte Liebe deutscher Film" läuft im Forum. Alle Termine.