Bewegt kommt Jörg Häntzschel (
SZ) aus der neuen Dauerausstellung im
Pariser Museum der Geschichte der Einwanderung - dem ehemaligen Pariser Kolonialmuseum, die ihm weniger von Migrationsproblemen als allgemein von
Frankreichs Bevölkerungspolitik erzählt und daran erinnert, dass Einwanderung einst als Instrument eingesetzt wurde, "um das Land durch Blütezeiten und Durststrecken zu steuern. Als Ende des 19. Jahrhunderts im Norden Arbeiter in den Bergwerken fehlten, heuerte man sie in Polen an. Bald darauf kamen Zehntausende von Italienern und Portugiesen aus ihrer noch bäuerlichen Heimat nach Frankreich und machten den märchenhaften Aufstieg der Industrienation erst möglich." Die Einwanderer der späteren Generationen fanden aber schon andere Verhältnisse vor: "Nach dem Ende des Booms der Zwanzigerjahre werden sie ... immer öfter angefeindet und
rassistisch diskriminiert. Bis zu ihrer wirklichen Ankunft durch die Einbürgerung oder der, wie es so vielsagend heißt, '
Naturalisierung', vergingen oft halbe Leben. Zwei staatliche Interessen kollidierten bei dieser ewig umkämpften Frage des Einbürgerungsrechts. Einerseits wollte man den Einwanderern die Staatsbürgerschaft so lange wie möglich verwehren, andererseits brauchte man sie zum Kriegsdienst, was deren Einbürgerung voraussetzte. Frauen waren übrigens erheblich schlechter gestellt als Männer, und nicht nur die eingewanderten Frauen:
Heiratete eine Französin einen Nichtfranzosen, verlor sie bis 1927 ihre französische Staatsangehörigkeit."
Der Osteuropahistoriker
Fabian Baumann hat diese Woche sein Buch
"Dynasty Divided. A Family History of Russian and Ukrainian Nationalism" veröffentlicht, in dem er am Beispiel der Kiewer Intellektuellendynastie der
Schulgins und Schulhins zeigt, wie der
Aufstieg des Nationalismus im 19. Jahrhundert die gebildeten Eliten der Ukraine spaltete. Schulhin und Schulgin ist zweimal derselbe Name, einmal ukrainisch, einmal russisch ausgesprochen,
erklärt er heute in der
NZZ. Die einen verstanden sich als
national orientierte Ukrainer, die anderen als
zaristische Russen: "Die Entscheidung für Russland oder für die Ukraine hatte Konsequenzen. Während der Staat den ukrainischen Nationalismus rücksichtslos unterdrückte, standen russischen Nationalisten alle Möglichkeiten offen. Dies galt auch für die folgende Generation. Da alle Nationalisten die Nation als ein Kontinuum in der Zeit betrachteten, war die Weitergabe der Nationalkultur an ihre Kinder eine ihrer wichtigsten Aufgaben."
"Wieso hat
Israel keine Verfassung, die in den meisten Demokratien die Macht einhegt und austariert sowie die Minderheit vor der Mehrheit schützt?",
fragt Josef Joffe ebenfalls in der
NZZ: "Den
israelischen Sündenfall darf man ausgerechnet dem Gründervater
David Ben-
Gurion ankreiden - einem braven Sozialdemokraten. Gegen Ende des Unabhängigkeitskrieges 1949 dozierte er weitschweifig, warum er keineswegs eine Verfassung wolle. In seiner Notlage - Krieg, Masseneinwanderung, Armut - könne Israel sich keine Verfassung leisten, welche den Gewalten wie in Amerika 'checks and balances' aufzwinge. Man möge sich vorstellen, so der erste Ministerpräsident, dass 'sieben Richter verbieten, was die Nation will'. Mehrheit ist Mehrheit: 'Wenn sie ein schlechtes Gesetz verabschiedet, ist das immer noch besser als die Herrschaft der Minderheit.' Eine
brutale Polemik, welche den Schwächeren ein angebliches Machtmonopol zuschanzt."