9punkt - Die Debattenrundschau
Liebe zum Meister
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Europa
Gergely Marton, ehemals Redakteur bei der ungarischen Tageszeitung Nepszabadsag, die dann eingestellt wurde, heute bei HVG, kommentiert in der taz die Meldung vom Umzug der Open Society Stiftung von Budapest nach Berlin: "Folgen hat das Ganze vor allem für die beiden Städte. Die eine bekommt hochqualifizierte Fachkräfte, die für eine bessere Welt arbeiten, die andere verliert sie. Die eine Stadt baut ihre Position als freier und kreativer Treffpunkt einer neuen internationalen Elite aus, die andere droht endgültig zu einer Hauptstadt des Illiberalismus zu mutieren. Berlin ist zum Zufluchtsort geworden - nur so lässt sich dies in beiden Städten verstehen."
Seit bald 200 Jahren hatte man in Dänemark keinen Wolf gesehen. Nun sind die Wölfe zurückgekehrt, und neulich wurde ein Wolf von einem Lokalpolitiker in Ulfborg illegal abgeschossen. Der Wolf wird zu einem Thema für die Populisten, schreibt die dänische Autorin Dorthe Nors im Guardian: "Am folgenden Tag besuchten Reporter den Supermarkt von Ulfborg. Einige West-Jütländer erklärten, sie befürworteten den Vigilantismus nicht, aber der Wolf müsse gehen. Eine Gruppe älterer Frauen nahm kein Blatt vor den Mund: Der Schütze sei ein Held und die restlichen Wölfe sollten alle gefangen, auf einen Lastwagen geladen und nach Kopenhagen gebracht werden. Es geht hier um das Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum. Wenn der Wolf ein deutsches Tier gewesen wäre, hätte man ihn nach Berlin transportieren müssen, und ein Wolf, der kürzlich in Belgien gesichtet wurde, hätte bald in einem Wagon Richtung Brüssel gesteckt."
Politik
Richard Herzinger schildert in der Welt den politischen Hintergrund: "Die Aktionen der Radikalislamisten sind auch Symptom einer wachsenden Panik, die sie angesichts ihres rapide schwindenden Rückhalts in der arabischen Welt ergreift. Namentlich Saudi-Arabiens junger Kronprinz Mohammed bin Salman macht kaum mehr einen Hehl daraus, dass er die Geduld mit dem militanten Gebaren der Palästinenser verloren hat und einen raschen Friedensschluss mit Israel wünscht."
Medien
Es ist interessant zu sehen, wie die FAZ auf Michael Angeles Porträt über den ehemaligen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher reagiert. In der SZ gab's bereits einen forciert wirkenden Verriss. Und manches in dem Buch - etwa das Kapitel über Schirrmachers sehr aktive Rolle in der Wulff-Affäre - dürfte manchen in der FAZ-Redaktion nicht so genehm sein. Aber man reagiert elegant und druckt schlicht ein Kapitel vorab (Erscheinungstermin des Buches ist am Freitag). Das Kapitel erzählt von Schirrmachers früher Stefan-George-Begeisterung, die ihn zum Post-George-Kreis um Wolfgang Frommel in Amsterdam führte und ihn eine Zeitlang zu einem verzückten Jünger werden ließ: "Über Blicke wird in den Briefen, die Schirrmacher an Frommel schickt, geschwiegen. Immerhin, Schirrmacher ist von der ersten Begegnung mit Frommel so gebannt, dass er ein Gedicht im Stile Stefan Georges schreibt, es trägt den Titel 'Liebe zum Meister' und beschwört Täter und Geschick, Seelen und Sein."
Recep Tayyip Erdogan hasst die Medien seit Beginn seiner politischen Karriere, schreibt Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne. Nun kontrolliert er über 90 Prozent der Medien und lässt der Opposition im Wahlkampf keine Chance auf Berichterstattung: "Als kürzlich CHP-Kandidat Muharrem Ince eine seiner größten Kundgebungen abhielt, was glauben Sie, wurde da live auf CNN Türk, dem Kanal, der auf Regierungswunsch hin den Besitzer wechselte, gesendet? Irgendein Erdogan, den man gerade zu fassen bekam. Der Staatspräsident absolvierte gerade kein Programm, aber das von seinem Sohn Bilal Erdogan ausgerichtete Bogenschützen-Festival wurde live auf CNN Türk übertragen."
Kulturpolitik
Ideen
Religion
Gesellschaft
Das Einschießen auf große soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube hat auch Nachteile, erkennt die Extremismusforscherin Julia Ebner in der SZ. Extremistische kleine Netzwerke wachsen nach, um den Ausgesperrten eine Plattform zu bieten. Und sie sind viel weniger kooperationsbereit als Facebook: "Das Netzwerk Gab entfernte in der Vergangenheit weder antisemitische Verschwörungstheorien noch hetzerische Posts gegen Migranten oder Gewaltaufrufe gegen etablierte Medienhäuser. Hatreon hat sich als neonazistisches Pendant zu Crowdsourcing-Plattformen etabliert und sogar Dating-Apps gibt es mittlerweile für weiße Nationalisten: WASP Love zum Beispiel präsentiert sich als Tinder-Ersatz mit dem Motto 'Erhalte dein Erbe'. Die von Identitären entwickelte Applikation Patriot Peer zur internationalen Vernetzung von Patrioten steht kurz vor dem offiziellen Launch."