Magazinrundschau - Archiv

Gazeta Wyborcza

171 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 18

Magazinrundschau vom 24.03.2009 - Gazeta Wyborcza

Nicht nur in Polen wird über die Geschichte gestritten. Der ukrainische Publizist Wolodymyr Pawliw setzt sich kritisch mit dem Kult um die Partisanenorganisation UPA auseinander, dem militärischen Arm der "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die UPA kämpfte gegen deutsche und sowjetische Besatzer und wird beschuldigt, Massaker an der polnischen Bevölkerung begangen zu haben, erklärt Pawliw und plädiert nachhaltig für eine differenzierte Wahrheitsfindung, nicht nur der Schuld und Fehler des ukrainischen Volkes, sondern auch ihrer Leiden: "Im 18. Jahr der Unabhängigkeit sollten wir uns laut folgende zwei Wahrheiten bewusst machen: die heroische und die schmerzhafte. Märchen sind wichtig für Kinder, aber Erwachsene brauchen die Wahrheit. Eine Wahrheit, die uns befreien sollte von der lügnerischen Rhetorik politischer Hochstapler, die sich gern in der Rolle der nationalen Anführer sehen würden."

Adam Krzeminski ist enttäuscht über die deutsche Aufarbeitung der RAF-Vergangenheit: Weder der Roman "Das Wochenende" von Bernhard Schlink noch der vor kurzem in Polen herausgekommene Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" konnten Krzeminski überzeugen. Dabei hatte er sich so viel von dem Film versprochen, unter anderem eine Antwort auf die Frage, warum die deutsche Version von Bonnie und Clyde noch heute von den Medien als Helden gefeiert würde. Was wirklich in den Köpfen der beiden und überhaupt in der Seele der Deutschen vor sich ging, davon erfahre man im Film nichts: "Diesen Film kann man sich anschauen und nichts folgt daraus. Das ist ein genauso platter Actionstreifen wie 'Operation Walküre' und eine weitere Comicgeschichte mit gut bebilderten und gespielten Episoden, die die grundlegenden Fragen nicht beantwortet." Für Krzeminski viel Action also, wenige Hintergründe.

Magazinrundschau vom 17.02.2009 - Gazeta Wyborcza

Im Interview spricht der polnische Schriftsteller Stefan Chwin über das bei Grabungsarbeiten entdeckte Massengrab in Malbork (dem früheren Marienburg), in dem möglicherweise mehr als 2.000 Deutsche verscharrt wurden, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs getötet wurden (über die verschiedenen Spekulationen zu diesem Zeitpunkt mehr hier und hier). Was Chwin den Stadtoberen von Malbork raten würde, die die Sache gern runterkochen würden? "Ich würde raten, diese Angelegenheit sofort in die Hände von Archäologen, Historikern und Anthropologen zu übergeben, und dann diese gefundenen Gebeine zu bestatten. Und ich finde, dies sollte kein Massengrab sein, also eine einzige riesige Grube, in die man alle menschlichen Überreste schüttet. Ich weiß, dass es schwer ist, zeitintensiv und arbeitsaufwändig, aber man hat auch nach den furchtbaren Gemetzeln auf den Balkan, sogar in Srebrenica, versucht die sterblichen Überreste irgendwie zu identifizieren."

Tadeusz Sobolewski erwartete sich von Andrzej Wajdas Film "Tatarak" einen Gegenakzent zur überpolitischen Berlinale: "Der Premiere wurde mit großen Hoffnungen entgegen geblickt, zumal 'Tatarak' sich gegen die programmatische Tendenz des Festivals stellt, welche dieses Jahr keine guten Filme hervorbrachte. Wajda, der hier eine Legende ist, beschäftigt sich weder mit der Krise, noch mit der Globalisierung. Er öffnet sich vor dem Publikum als Künstler."

Außerdem: Zu lesen ist Volker Schlöndorffs Rede im Rahmen der "Berliner Lektionen"; gelobt wird die Biografie des Regisseurs Kazimierz Kutz, dem Adam Michnik zudem im Namen all seiner Verehrer zum Achtzigsten gratuliert: "Schwer zu glauben, dass Schlesiens schwarze Erde einen so bunten und wunderschönen Vogel hervorgebracht hat".

Magazinrundschau vom 27.01.2009 - Gazeta Wyborcza

In der polnischen Tageszeitung werden zwei kontrovers diskutierte historische Filmen aus den USA vorgestellt. Während Adam Krzeminski die deutschen Debatten über "Operation Walküre" mit Tom Cruise reflektiert, und schon auf die polnischen gespannt ist (Kinostart am 13. Februar), nimmt Piotr Gluchowski die hierzulande unbekannte Diskussion über "Defiance" auf. Der Film stieß schon im Vorfeld auf kontroverse Reaktionen in Polen. Es geht um eine jüdische Partisanengruppe im Zweiten Weltkrieg, die von Tewje Bielski (Daniel Craig) angeführt wird. In der Öffentlichkeit wurde der Vorwurf laut, die Geschichte dieser Gruppe sei von ihren "dunklen Kapiteln", vor allem einem Massaker an der Zivilbevölkerung 1943, weißgewaschen worden. Das werfe ein falsches Licht auf die Ereignisse im besetzten Ostpolen in den Kriegsjahren. "Ein vor einem Monat noch völlig unbekannter ostpolnischer Partisan jüdischer Herkunft wird zum Mittelpunkt eines alten Streits über das polnisch-jüdische Verhältnis im Zweiten Weltkrieg", schreibt Gluchowski. In einem anderen, englischsprachiger Artikel beschreibt er seine Recherchen, die die Beteiligung der jüdischen Partisanen an dem Massaker widerlegen.

Magazinrundschau vom 06.01.2009 - Gazeta Wyborcza

"Vor zwanzig Jahren haben wir davon geträumt, dass Slowenien, befreit von der ideologischen Starre Jugoslawiens, zu einem europäischen, weltoffenen Land wird. Heute interessieren sich die Leute nur für sich selbst", bedauert der Schriftsteller Drago Jancar. Nach dem Fall der Berliner Mauer hatten viele Slowenen auf einen freien Fluss von Menschen, Idee und Waren gehofft. "Aber je weiter die Zeit kühner Veränderungen und Hoffnungen zurückliegt, desto deutlicher wird, dass im ganzen früheren Osteuropa wir uns nur für uns selbst interessieren. Unsere kollektiven Frustrationen und kulturelle Selbstgenügsamkeit wurden zum Inhalt des öffentlichen Lebens. Unsere Realität ist immer mehr vom Gift provinzieller Intoleranz erfüllt."

Trotz des Kaukasus-Krieges gibt es zwischen Georgien und Russland mehr als nur Konflikte, freut sich Marcin Wojciechowski. Im Dezember präsentierte die Moskauer Gallerie "Prone" Werke des Künstlers Niko Pirosmani (dazu eine schöne Webseite mit Bildern). Er wurde zusammen mit Werken russischer Futuristen ausgestellt, die ihn Anfang des 20. Jahrhunderts erst entdeckt und berühmt gemacht hatten. "In seiner Malerei und Biografie sieht man, wie georgische und russische Kunst verwoben waren. Gut, dass es trotz des Krieges und des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu einer solchen Ausstellung in Russland kommen konnte." Außer den Ähnlichkeiten mit dem Primitivisten Nikifor Krynicki faszinierte Wojciechowski an den Bildern Pirosmanis die Atmosphäre von Tiflis jener Zeit - die gleiche, in die Josif Dschugaschwili nach seinem Rauswurf aus dem Priesterseminar abtauchte.

Magazinrundschau vom 16.12.2008 - Gazeta Wyborcza

Zig oder hundert Milliarden von Dollar hat Russland durch die aktuelle Finanzkrise verloren, doch Viktor Jerofiejew geht das nicht weit genug! "Die Angst, dass etwas passieren könnte, liegt in der Luft. Man weiß nur nicht, was kommen mag und wie stark es sein wird. Es kann zu sozialen Unruhen kommen, denn die Unternehmen entlassen Mitarbeiter, aber ob die kritische Masse erreicht wird, um Veränderungen herbeizuführen, ist unklar. Bisher haben unsere Eliten nur erkannt, dass es besser ist, das Kapital außer Landes zu bringen. Man kann sagen, Russland wartet auf seinen Tsunami", sagt der russische Schriftsteller im Interview.
Stichwörter: Tsunami

Magazinrundschau vom 09.12.2008 - Gazeta Wyborcza

Auch die Gazeta Wyborcza berichtet ausführlich über die Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Lech Walesa (hier gibt es die Fotos). Fast tausend Gäste waren eingeladen, darunter Nicolas Sarkozy und Jose Manuel Barroso, aber auch der Dalai Lama, was die chinesische Regierung wenig freute. "Gdansk wurde für einen Augenblick zur Hauptstadt Europas", schreibt dazu Jaroslaw Kurski. "Manchmal zweifle ich daran, ob wir unsere Geschichte verdienen. Sie ist sicherlich schöner als wir selbst. Das ist die positive Nachricht aus Gdansk. Bald kommt der 20. Jahrestag der Souveränität, eine Zeit, in der wir auf unsere Taten stolz sein können. Zeigen wir der Welt, dass hier in der Danziger Werft und am Runden Tisch das Ende des Kommunismus in Europa eingeläutet wurde. Der Fall der Berliner Mauer war nur dessen Konsequenz. Zeigen wir, dass die Zeit nicht vergeudet wurde, dass Polen weiterhin Anführer der Freiheit ist!"

Außerdem: Rafal Kalukin versucht dem Mythos Walesa mit Ironie beizukommen. "Jeder, der einige Jahre in Polen gelebt hat, musste sich mit dem Mythos Walesa auseinandersetzen und sich einen eigenen Walesa basteln. Seine komplexe Biografie hilft dabei, diese Bilder nach Gusto zusammenzustellen. Es gibt so viele Walesas, wie es Polen gibt. Der echte ist dabei weniger wichtig. Besser noch, er verschwindet ganz, um nicht zu stören." Interessant liest sich auch das Interview mit Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner, der zugibt, anfangs nicht geglaubt zu haben, dass ein Katholik eine Revolution machen könnte.

Magazinrundschau vom 25.11.2008 - Gazeta Wyborcza

Eine quasi gesamtjugoslawische Autorenschar hat die Gazeta Wyborcza zu einem Gespräch versammelt: Mileta Prodanovic, Bora Cosic, David Albahari, Dubravka Ugresic und Nenad Velickovic unterhalten sich über die Rolle der Schriftsteller und der Sprache in den Balkanländern. Dubravka Ugresic erklärt zum Beispiel, warum sie immer noch Serbokroatisch spricht - und nicht Kroatisch, Serbisch oder Bosnisch: "Schreiben wir in einer Sprache der Vergangenheit? Ich würde eher sagen, in einer Sprache der Zukunft. Die Idee einer reinen Sprache ist alt und verstaubt. Sie stammt wie das Konzept der Nation aus dem 19. Jahrhundert. Heute dagegen mischen sich die Sprachen. Zum Beispiel werden die Polen, denen ich im Flugzug nach Dublin begegnet bin, in Irland einige Wörter aufschnappen, die sie wiederum in ihre Sprache einbringen. Überall auf der Welt sprechen die jungen Leute in gemischten Sprachen. In Amerika ist es Spanglisch. Deswegen ist unser Serbokroatisch oder Kroatischserbisch nur scheinbar rückwärts gewandt, es ist eine durch und durch moderne Sprache."

Magazinrundschau vom 18.11.2008 - Gazeta Wyborcza

Der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch macht sich Sorgen. Die innenpolitischen Querelen in seinem Lande erleichtern nicht gerade die Westanbindung, und auch die Europäer bieten der Ukraine wenig an, zum Beispiel in Sachen Visaerleichterungen. Er kommt auch auf Russlands Einfluss zu sprechen: "Die Mehrheit der Ukrainer assoziiert den Nachbarn mit einem höheren Lebensniveau und einem großen Arbeitsmarkt. Dank Öl und Gas ist das BIP viel höher als bei uns. Wir leben auch in einer gemeinsamen medialen Welt mit Russland - trotz des formalen Verbots, russische Fernsehprogramme zu übertragen. Man kann sagen, die durchschnittliche ukrainische Familie lebt mit den Russen in einer gemeinsamen Wohnung. Zwar werden die Ukrainer, die mental in Russland leben, mit der Zeit immer weniger. Aber noch stellen sie über die Hälfte unserer Gesellschaft dar."

In einem fast epischen Gespräch zwischen Adam Michnik und Vaclav Havel kommen alle wichtigen Fragen zur Sprache: vom Prager Frühling, über die gemeinsame Zeit in der antikommunistischen Opposition bis zu den Fehlern der Transformationszeit. Tschechiens Ex-Präsident entpuppt sich auch als Globalisierungskritiker: "Einerseits wird alles immer besser - jede Woche kommt eine neue Handygeneration auf den Markt. Aber um das Gerät zu bedienen, musst du genaue Betriebsanleitungen lesen. So liest du Anleitungen statt Bücher und zur Entspannung schaust du dir im Fernsehen an, wie ein braungebrannter junger Mensch neue Badehosen anpreist. Mit der Entwicklung dieser globalen Konsumzivilisation wächst die Zahl derer, die keine Werte schaffen. Sie sind nur Vermittler, Berater, PR-Agenten. Im Supermarkt hast du zwar eine große Auswahl, aber es ist eine falsche Vielfalt."

Magazinrundschau vom 11.11.2008 - Gazeta Wyborcza

Auch Tadeusz Sobolewski ist beeindruckt von "Po-lin": "Jolante Dylewska machte daraus einen Film über das Leben, nicht über die Vernichtung. Die Leere dieser Kleinstädte füllt sich auf wundersame Weise vor unseren Augen. Erst sprechen die Gegenstände zu uns - Türen, Fensterläden, Reliefs. Und dann kommen 'sie', die Vorkriegsbewohner. Sie kommen aus ihren Häusern, lächeln in die Kamera. Sie klagen niemanden an, sie wollen nichts von uns. Wir sind es, die sie brauchen." Sehr schade findet es Sobolewski aber, dass der Film in nur zwei (!) Kopien vertrieben wird.
Stichwörter: Relief

Magazinrundschau vom 23.09.2008 - Gazeta Wyborcza

Immer mal wieder wird in den Medien über den Zustand der polnischen "Inteligencja" diskutiert und regelmäßig wird dabei ihr Ende angekündigt. Der Historiker Jerzy Jedlicki erlaubt sich im Gespräch einen Pessimismus anderer Art: "Immer öfter glaube ich, dass es uns nicht mehr darum geht, irgendeinen Einfluss auf die Gesellschaft zu haben, sondern nur darum, für uns selbst und unsere Nachfolger das große Kulturerbe zu bewahren, das in den Medien lediglich im Nachtprogramm oder auf Sonderkanälen vorkommt. Dadurch entsteht ein Reservat, in dem man noch Bach hören, Kunst betrachten oder über die Welt diskutieren kann. In Amerika, dem Mutterland der Populärkultur, gibt es zwar großartige Campus, wo in großem Stile Wissenschaft betrieben wird, aber die Gesellschaft nimmt kaum Notiz davon. Ich denke, Europa bewegt sich in die gleiche Richtung."

Eine Resolution des US-Kongresses hat das schwierige Thema der Rückerstattung jüdischen Besitzes in Polen und anderen ostmitteleuropäischen Staaten wieder auf die Tagesordnung gebracht. Die polnische Regierung arbeitet an einem Gesetz zur allgemeinen Reprivatisierung, was kontroverse Reaktionen provoziert. Die Gazeta Wyborcza hat seit einiger Zeit ein Schwerpunktthema daraus gemacht, und berichtet diesmal von unterschiedlichen Gesprächen mit Vertretern jüdischer Organisationen in den USA. "Es war schwierig, direkt zu fragen: Wollt ihr zurück, was euren Vorfahren gehörte? Es schien unangebracht und unanständig, aber ich wusste, dass die Frage fallen musste. (...) Niemand will die positiven Entwicklungen im polnisch-jüdischen Dialog stören. Nur dass das ungelöste Problem jüdischen Besitzes diesen Dialog seit Jahren wie ein Stein im Schuh behindert", schreibt Pawel Smolenski.