Magazinrundschau
Die wahre Seele der Revolution
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
04.12.2018. Wer sah zuletzt hundert Blauwale auf einmal, steckte in einem Dorschschwarm fest oder sah sein Kanu von Lachsen überschwemmt? Wir verlieren nicht nur ganze Arten, sondern auch das Leben in seiner schieren Menge, fürchtet die New York Times. Warum heiraten geniale Frauen Heroinjunkies - oder Lehrer, fragt sich die London Review. Der Merkur rechnet mit der Machtfigur des Theaterregisseurs ab. Im Believer erklärt Regisseur Barry Jenkins, warum dunkle Haut im Film plötzlich sichtbar ist.
New York Times (USA), 02.12.2018

Magyar Narancs (Ungarn), 03.12.2018

London Review of Books (UK), 06.12.2018

Weitere Artikel: James Meek liest Alan Rusbridgers Rückblick auf den Journalismus und dessen Niedergang. Vor allem eine Lehre entnimmt er "Breaking news": "Das Internet hat nicht unbedingt das Verhältnis der Menschen zu den Nachrichten verändert, sondern ihr Selbstbewusstsein beim Lesen. Zuvor waren wir isolierte Empfänger, jetzt wissen wir, dass wir Mitglieder einer Gruppe sind, die in gemeinsamer Weise auf eine Nachricht reagieren. Das erleichtert erfreulicherweise die Solidarität mit Unterdrückten, Aktivisten, Minderheiten. Aber auch die Paranoiden, Misstrauischen, Fremdenfeindlichen und Verschwörungstheoretiker wissen jetzt, dass sie nicht allein sind."
Merkur (Deutschland), 01.12.2018

Wir müssen reden? Von wegen! Mündliche Kommunikation wird völlig überschätzt, findet Kathrin Passig, oft von Psychologen, aber auch von Leuten mit fiesen Privilegien: "Naturgemäß kommt die Verteidigung der Mündlichkeit vor allem aus Gruppen, die durch physische Anwesenheit Vorteile genießen, also von Personen mit unproblematischen Körpern, die redegeübt und sozialkompetent sind und es sich leisten können, zur richtigen Zeit lange genug am richtigen Ort zu sein."
Eurozine (Österreich), 29.11.2018

Believer (USA), 30.11.2018

Ein vergnügliches Gespräch hat Gina Telaroli mit John Waters geführt, dem "Pope of Trash", der einige der bizarrsten Filme der Filmgeschichte gedreht hat. Den Anlass dafür bot eine Retrospektive in Waters' Heimatstadt Baltimore, die vor allem seine Kunst - nicht so sehr seine Filme - feierte. Auch wenn Film seine Kunst informiert - etwa in den aufwändigen Fotocollagen, für die er Filmsequenzen klassischer Hollywoodfilme von alten Röhrenfernsehern abfotografiert. Insbesondere die Schauspielerin Dorothy Malone - und ihre Performance im Melodram "Susan Slade", in dem unfassbarerweise ein Baby in Flammen aufgeht - stellt dabei ein besonderes Interessensgebiet dar, weil sie in allen Filmen ihren Kragen aufgerichtet trägt: "Dieser Kragen war ihre Kennzeichen. Als ich 'Dorothy Malone's Collar' erstellte, ging ich also all ihre Filme durch und achtete dabei nur auf ihren Kragen. Das nenne ich mal ein obskures flüchtiges Detail einer Filmkarriere. ... Meine Kunst ist High-Concept. So, als würde man einen Film bewerben oder wie ich möchte, dass man sich an einen Film erinnert. Niemand erinnert sich bei Douglas Sirks 'In den Wind geschrieben' an Dorothy Malones Kragen. Für mich stellt dies aber das allerwichtigste Detail dar. Das möchte ich zelebrieren und in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Weshalb ich immer sage, dass ich ein gescheiterter Publizist bin. Keines der Movie Stills meiner Ausstellungen sollte jemals dasjenige Bild sein, mit dem der Film beworben wird. Weil es nie um jenen Aspekt geht, der einen Film tatsächlich ans Publikum verkauft."

Novinky.cz (Tschechien), 30.11.2018

Reuters (USA), 29.11.2018

La vie des idees (Frankreich), 23.11.2018

New Yorker (USA), 10.12.2018

Anand Gopal berichtet aus dem syrischen Saraqib, wo der 35-jährige Hussein Regime wie religiösen Fundamentalisten trotzt und demokratische Wahlen organisiert. Keine Kleinigkeit für einen Mann, der nur mit der Staatspresse aufwuchs und riesigen Propaganda-Billboards, von denen Assad auf die Straße hinabblickte, während der Text verkündete: "SYRIEN WIRD VON GOTT BESCHÜTZT": "Syrien zeige, wie töricht es ist, in einer von Religion und Ethnie geprägten Region an die Möglichkeit einer besseren Welt zu glauben, heißt es. Irgendwie hat Saraqib dieses Schicksal vermieden. Es bietet eine alternative Geschichte für den gesamten syrischen Konflikt - und, so Hossein, seine Bürger verkörpern die wahre Seele der Revolution. An diesem Abend stellt er sich vor, dass andere winzige Demokratien in ganz Syrien blühen und der Rest der Welt endlich begreift, dass sein Land mehr zu bieten hat als Blutvergießen und Tragödie."
Außerdem: Zoe Heller erkundet unseren Schlaf und die Frage, warum er manchmal partout nicht kommen will. Anthony Lane sah im Kino Brady Corbets "Vox Lux" mit Natalie Portman. Joan Acocella erinnert an den Schriftsteller Edward Gorey. Und Louis Menand denkt über geschwindelte Autorenbiografien nach.
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