Magazinrundschau
Kein Gehörnter, tut mir leid
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.07.2009. Das TLS liest, wie Sartre und Beauvoir sich jeder ein Schoßhündchen Lanzmann zulegten. Le Monde erzählt die Geschichte des ersten Terroristen in Europa. Im New Statesman erklärt der Historiker A. N. Wilson, warum Großbritannien die Monarchie nicht mehr braucht. Al Ahram kommentiert die deutschen Reaktionen auf den Fall Marwa al-Sherbini. In Le Point erinnert BHL an den Fall Ilan Halimi. NZZ Folio entdeckt im Meer einen neuen Kontinent aus Abfall. In Le Monde diplomatique singt John Berger ein Loblied auf zwei Museumswächter.
Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 11.07.2009

Sharareh Omidvar erklärt die innenpolitische Gemenge- und Konfliktlage im Iran: "Eine der Stärken des iranischen Regimes war seit jeher die Koexistenz verschiedener Strömungen. Keiner Strömung ist es in den letzten dreißig Jahren gelungen, die anderen zu isolieren; vielmehr führte jeder Versuch einer Fraktion, die Macht zu monopolisieren, zu internen, wenn auch bisher verdeckten Konflikten. Auch heute steht hinter dem Konflikt zwischen Ahmadinedschad und seinen Widersachern der Versuch einer Fraktion, rivalisierende Gruppen auszuschalten."
Times Literary Supplement (UK), 09.07.2009
Gefesselt hat Frederic Raphael "Le Lievre de Patagonie" , die Erinnerungen Claude Lanzmanns an seine vielen Leben und nicht weniger Lieben gelesen. "Der gruseligste Moment der Erzählung beschreibt, wie Lanzmanns Schwester Evelyne ihr Bühnendebüt gab. Simone de Beauvoir und Lanzmann, zu dem Zeitpunkt offiziell als Liebespaar von Sartre gutgeheißen, gingen ins Theater, um sie in Sartres Stück 'Geschlossene Gesellschaft' ('Die Hölle, das sind die anderen') zu sehe. Lanzmann spürte sofort, dass Sartre sich darauf vorbereitete, die Rolle des Teufels zu übernehmen. Je mehr er Evelyne Auftritt lobte, so sicherer war Lanzmann, dass Sartre vorhatte, sie (im üblichen Appartement in der rue Jacob) zu seiner Geliebten zu machen: Er und Le Castor würden dann jeder ein Schoßhündchen Lanzmann haben."
Outlook India (Indien), 20.07.2009

Außerdem freut sich Chander Suta Dogra über die Wiedereröffnung des 122 Jahre alten Gaiety Theatre in Bombay. Und Namrata Joshi schmäht Sabbir Khans neue Bollywood-Komödie "Kambakkht Ishq" als plump und sexistisch.
Le Monde (Frankreich), 09.07.2009
In Le Monde des livres liest Jean Birnbaum ein Buch (Auszug auf englisch) des amerikanischen Historikers John Merriman über einen der ersten Terroristen Europas, den Anarchisten Emile Henry, der 1894 in Paris ein belebtes Cafe in die Luft jagte: "Emile hatte eine Zigarre und ein Bier bestellt. Nicht ohne seine Rechnung zu bezahlen, beschloss er dann, dass der Moment gekommen sei. Seine Tat ist eine Wegmarke in der Geschichte der politischen Gewalt: Zum ersten Mal entscheidet sich ein Anarchist in Europa, nicht einen Repräsentanten des Staates anzugreifen, sondern eine anonyme, per Zufall zu tötende Masse."
New Statesman (UK), 13.07.2009

Außerdem: Michael Hodges stellt sich vor, es wäre das Jahr 2020 und die Briten würden ihren ersten König wählen. Und eine Reihe von Künstlern, Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern - darunter AS Byatt, Eric Hobsbawm, Will Self und Roger Scruton - erklärt ihre Ansicht zur Monarchie.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 09.07.2009

Die islamische Welt sollte sich ein Beispiel an den jungen Muslime in Indien nehmen, die ihre Bildungschancen nutzen, ermuntert Aijaz Zaka Syed. "In diesem Jahr haben mehr als 30.000 muslimische Studenten aus Hyderabad und nahegelegenen Distrikten in Andhra Pradesh das 'Eamcet' bestanden, die Prüfung des Staates für die Zulassung zu Medizin- und Ingenieurscolleges. Tatsächlich hat ein muslimischer Student, der junge Alauddin, als bester abgeschnitten. In einem anderen herzerwärmenden Beispiel hat ein verheiratetes muslimisches Mädchen als beste bei 'Edcet' abgeschnitten, der Prüfung für Pädagogen-Colleges. ... Dies sind keine Einzelfälle. Eine stille Revolution findet gerade unter indischen Muslimen statt, der größten religiösen Minderheit und vielleicht der größten muslimischen Gruppe überhaupt in der Welt. Muslimische Studenten erbringen nicht nur ungewöhnliche und brillante Leistungen und konkurrieren mit den besten der besten auf Gebieten, auf die sie sich bisher selten gewagt haben, sie überstrahlen ihre Konkurrenten." Und das, so Aijaz Zaka Syed, ist der "einzige Weg vorwärts".
Außerdem: Yahia Lababidi schreibt den Nachruf auf Michael Jackson. Und Walid Aouni schreibt den Nachruf auf Pina Bausch.
Point (Frankreich), 09.07.2009

Babelia (Spanien), 14.07.2009
"Es war einmal: die Revolution." Der chilenische Schriftsteller Rafael Gumucio grübelt über die Aufgaben und Möglichkeiten des aktuellen Romans: "Die Revolution war bislang der geheime Held fast aller südamerikanischen Romane. Wie aber soll man von einer traurigen Revolution erzählen? Was, wenn wie in Chile die neoliberale Revolution gewonnen hat? Wie soll man Diktatoren in Anzug und Krawatte beschreiben, Militärs, die süchtig nach Wahlen sind, Che Guevaras, die mit Drogen handeln, Bankmanager, die in ihrer Jugend eben die Banken überfielen, die sie heute leiten? Das große Werk der Meister des 'Booms' der lateinamerikanischen Literatur scheint im Vergleich dazu ein Kinderspiel: Wer daran glaubte, dass die Welt sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, konnte an der Rolle des Erzählers zweifeln, damit spielen; wir dagegen können uns bloß auf uns selbst verlassen. Uns stellt sich die Herausforderung, vom Wandel ohne Revolution zu erzählen. Also nicht mehr erzählen, was den Schrecken der Nordamerikaner oder Europäer erregt, sondern das, was uns schon lange nicht mehr wundert."
Spectator (UK), 11.07.2009

Plus - Minus (Polen), 11.07.2009
"Trotz aller Kassandrarufe, die die Ära Gutenbergs für beendet erklären, kann man als Schriftsteller immer noch Karriere machen, und dazu noch eine schillernde", schreibt im Magazin der polnischen Rzeczpospolita Krzysztof Maslon. Gleichzeitig würden jedoch erfolgreiche Autoren wie Joanne K. Rowling, Stephen King oder Ken Follett zu Sklaven des Marktes: die Verlage verlangen immer neue Bestseller, die Medien wollen berichten und das Publikum am Leben ihrer Stars teilhaben. Leider sei dieser Status heutzutage nur englischsprachigen Literaten ohne allzu große intellektuelle Ambitionen vorbehalten. In Polen war wohl der letzte Schriftsteller, der Karriere machte und literarische Anerkennung fand (Nobelpreis)... Henryk Sienkiewicz! "Er war ein wahrhaft moderner Autor: er kam gut mit Medien und Agenten zurecht, mit Übersetzungen und der damaligen politischen Korrektheit", führt Maslon aus.
Weiteres: Sichtlich beeindruckt bespricht der konservative Publizist Rafal A. Ziemkiewicz eine als "Autobiografie" übertitelte Sammlung von Texten des vor fünf Jahren gestorbenen Dissidenten und politischen Aktivisten Jacek Kuron. Und Leszek Madzik sah eine Ausstellung in Kielce, wo zeitgenössische Künstler sich von Bruno Schulz inspririeren ließen.
Weiteres: Sichtlich beeindruckt bespricht der konservative Publizist Rafal A. Ziemkiewicz eine als "Autobiografie" übertitelte Sammlung von Texten des vor fünf Jahren gestorbenen Dissidenten und politischen Aktivisten Jacek Kuron. Und Leszek Madzik sah eine Ausstellung in Kielce, wo zeitgenössische Künstler sich von Bruno Schulz inspririeren ließen.
Folio (Schweiz), 06.07.2009

Außerdem in dieser dem Abfall gewidmeten Ausgabe: Reto U. Schneider erzählt, wie die Amerikaner spätere Generation daran hindern wollen, versehentlich unseren radioaktiven Abfall auszugraben: Mit einem 3 Kilometer langen Erdwall, 48 Monolithen und in Stein gemeißelten Comics. Thomas Schenk erklärt, wie Recycling funktioniert. Und Florian Leu stellt den Astronomen Thomas Schildknecht vor, der seit zehn Jahren den Weltraumschrott katalogisiert.
Wenn Luca Turin Musik- und Parfümakkorde vergleicht, dann klingt das so: "Wenn Egberto Gismonti und Mauro Senise auf dem Klavier und der Flöte in exaktem Gleichklang eine schnelle Melodie wie 'Loro' spielen, klingt das wie ein unerhört neues Instrument - ein aus Baccarat-Kristall hergestellter Konzertflügel. Hören Sie sich die ersten dreißig Sekunden davon auf iTunes an - kein Computer würde die korrekte Lösung herausfinden. Parfumakkorde sind nicht anders: Der Bergamotte-Cistus-Eichenmoos-Akkord des Chypre ist uns, seit seiner Erfindung, ebenso evident und geläufig wie das perspektivische Zeichnen. Es ist, als bildeten Citrus, Süß und Bitter die orthogonalen Achsen eines unsichtbaren Raums, in dem man, kaum hatten diese Achsen sich in Selbstverständlichkeit aufgelöst, auch schon Wände einziehen, Bilder aufhängen und eine Party feiern konnte. "
Espresso (Italien), 10.07.2009

Economist (UK), 10.07.2009

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