Bücherbrief

Selten schön

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
03.01.2008. Das Bücherjahr beginnt mit unserer Kernkompetenz: gutgeschriebenen Feuilletons, und zwar von Detlef Kuhlbrodt. Außerdem polnische Wunder, israelische Lakonie, russische Demokratie und englische Terroristen. Und "Lange Weile", aber nur als selten schöner Essay von Andrea Köhler.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen Bücherbrief
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"

Die Besten der Besten finden Sie in den aktuellen Büchern der Saison.


Buch des Monats

Detlef Kuhlbrodt
Morgens leicht, später laut
Singles



Die 160 hier versammelten Feuilletons sind seit 2001 in der taz als "Berliner Szenen" erschienen. Ob er nun als Weiser aus der Tonne spricht oder Mann mit dem bösen Blick, die Zeit hält Detlef Kuhlbrodt für einen Meister des Genres. Selbst- und Alltagsbeobachtung gehen nahtlos ineinander über, lobt die FAZ, der besonders gefällt, dass Kuhlbrodt aus Berlin schreibt, ohne je die todeshippe Mitte zu erwähnen. Stillleben aus der Hauptstadt sind das, wunderbar meinungsfrei, ergänzt die FR angetan. Kuhlbrodt schreibt Feuilletons, wie sie sein sollten, finden alle.


Literatur


Cees Nooteboom
Roter Regen
Leichte Geschichten



Ceees Nooteboom hat seinen Lesern zum 75. Geburtstag ein großartiges Geschenk gemacht, schwärmt die Zeit. Strenggenommen ist es erst im Juli soweit. Aber die Zeit kann nicht warten und rät das auch niemand anderem. Erinnerungen an Orte, Freunde und Vergangenes: Nicht nur wegen Nootebooms bekannt verwegener Neugier, sondern auch wegen der Schonungslosigkeit sich selbst gegenüber eine glatte Empfehlung. So liest der niederländische Schriftsteller etwa das Tagebuch wieder, das er als nach eigener Auskunft völlig talentfreier Jugendlicher geführt hat. Davon kann die Zeit nun nichts mehr entdecken.

Dietmar Dath
Waffenwetter
Roman



Schon als Dietmar Dath noch beim FAZ-Feuilleton angestellt war, hat er die Leserschaft gespalten. Einige fanden ihn genial, andere eher enervierend. Bei Daths Roman über eine neunzehnjährige Abiturientin, die mit ihrem kommunistisch-kapitalistischen Großvater zu einer hochgeheimen Antennenanlage am Nordpol aufbricht, ist es ähnlich. Es gibt die Fans wie die FR, die Daths Sprache sexy, witzig und originell findet. Oder die NZZ, die hier Slang und Hochliterarisches überzeugend vermengt sieht und Dath zu einem der raffiniertesten deutschen Gegenwartsautoren kürt. Daths früherer Arbeitgeber vergleicht ihn gar mit Döblin. Die SZ behauptet ebenso vehement das genaue Gegenteil: Sie klagt über Kalauer, Bildungsgeprotze und aufgesetzte Rebellionsromantik.

Tuvia Rübner
Wer hält diese Eile aus
Gedichte



"Morgens stehst Du auf, dein Körper / mehr oder weniger beisammen / und um 11.30 wirst Du beim Einkaufszentrum / in Stücke gerissen." So lakonisch dichtet Tuvia Rübner. Und zwar auf Deutsch. Der israelische Lyriker ist nach fünfzig Jahren zu seiner Muttersprache zurückgekehrt, staunt die FR. Stellt aber immer noch so viele Fragen wie ehedem. Ohne auch nur eine Antwort anzubieten. Die FR liebt es.


Sachbuch
Andrea Köhler
Lange Weile
Über das Warten



Jeder hat es schon einmal getan, aber nur wenige haben aus dem Warten so viele Funken geschlagen wie Andrea Köhler in ihrem anmutigen Essay, behauptet die SZ. Jede der kleinen Szenen trage das Potenzial eines weiteren Textes in sich, und auch wenn das Warten als Vorahnung des Todes beschrieben wird, fühlt sie sich höchst angeregt. Die NZZ entdeckt im Buch ihrer Gelegenheitsautorin ein Werk von hoher Intelligenz und seltener Schönheit.

Margareta Mommsen, Angelika Nußberger
Das System Putin
Gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland



Aufbauend ist sie nicht, diese eingehende Darstellung des gegenwärtigen Russlands, aber sehr erhellend, wie die SZ konstatiert, Nicht nur die Funktionsweise von Putins gelenkter Demokratie, sondern auch die Rolle der Handlanger in der Justiz wird gründlich ausgeleuchtet. Die FAZ kann nur zustimmen: Die Autoren kennen sich sowohl in der Politik wie auch der Justiz Russlands bestens aus, stellt sie anerkennend fest.

Stefanie Peter (Hrsg.)
Das Alphabet der polnischen Wunder

Ein Wörterbuch



Foksal ist kein polnischer Volkstanz, sondern eine berühmte Galerie in Warschau, und Helmuty heißt nicht der Staatsgründer, sondern die Straßenbahn in Krakau. Das alles und mehr lernt man aus den 130 Artikeln des Lexikons, das Stefanie Peter zusammengestellt hat. Die taz lässt damit spielend leicht die üblichen Klischees hinter sich und fühlt sich durch die lebendige Komposition aus Anekdoten, Informationen und Imaginationen präzise über die polnische Gegenwart informiert.

Thomas Gsella
Der kleine Berufsberater


"Der Journalist hat nichts gelernt / Und muss darüber schreiben. / So ist er weit davon entfernt, / Mucksmäuschenstill zu bleiben." Trotz derartiger Häresie wird Thomas Gsella von der FAZ in den Himmel gejubelt. Die gereimten Berufsporträts vom Bauern bis zum Zugchef sind offenbar zu witzig. Noch eine Kostprobe: ""Der Zahnarzt ist nicht arm wie du. Er ist ein reicher Räuber. Drum wählt er gern die CDU und wo er kann den Stoiber."


Hörbuch


Joseph Conrad
Der Geheimagent
6 CDs



Joseph Conrad ist geradezu prädestiniert für lange Winterabende, an denen es schon nachmittags stockdunkel ist. Die FAZ empfiehlt passend dazu "Das Herz der Finsternis" ungekürzt gelesen von Christian Brückner, der Synchronstimme von Captain Willard in Francis Ford Coppolas Conrad-Hommage "Apocalypse Now". Aber auch "Der Geheimagent", gelesen von Charles Brauer, ist hinreichend düster, um als Januarlektüre durchzugehen. Und in Hinsicht auf das Innenleben eines Terroristen sehr aufschlussreich, wie die FAZ feststellt. Nicht umsonst konnte der Unabomber das Buch auswendig.


Bildband


Anita Albus
Das botanische Schauspiel
Vierundzwanzig Blumen nach dem Leben gemalt und beschrieben




Nach ihrem Band über die Vögel widmet sich die Zeichnerin Anita Albus nun 24 Pflanzen, die sie mit feinem Pinselstrich zeichnet und mit Informationen zu ihren Entdeckern, Geschichte und Pflege ausstattet. Die FAZ hält den prunkvollen und altmeisterlichen Stil nicht für veraltet, sondern für meisterhaft. Ihr ist mit den Bildern die Tür zu einer anderen Welt aufgestoßen worden. An die Originale aus Renaissance und Mittelalter kommt wohl kein lebender Zeichner heran, gesteht die SZ ein. Aber so nah dran wie Albus war schon lange keiner mehr.