Nur nicht provozieren, dann passiert mir auch nichts. Gestern, als Hamed Abdel-Samad noch verschwunden war, hieß es im SZ-Bericht: "Seiner Ansicht nach hätten die Muslimbrüder den Zeitgeist nicht verstanden. Provokationen wie diese könnten zur Entführung des deutsch-ägyptischen Schriftsteller Hamed Abdel-Samad geführt haben." Gerd Buurmann schreibt dazu ganz richtig in seinem Blog: "Als Provokation bezeichnet man das gezielte Hervorrufen eines Verhaltens oder einer Reaktion bei anderen Personen." Genau das ist es, was die SZ meinte: Hamed Abdel-Samad hat die Islamisten provoziert. Logisch, dass die ihn abmurksen wollen.

Ein SZ-Journalist würde so etwas niemals tun!

Schon SZ-Kulturchef Andrian Kreye hatte einst den Karikaturisten Kurt Westergaard dahingehend informiert: Westergaard hatte Mohammed als nicht so netten Mann gezeichnet. Ja ist es denn da ein Wunder, dass einer kommt und ihn mit der Axt erschlagen will? "Wer beleidigt, muss auch zugestehen, dass der Beleidigte beleidigt ist", dozierte Kreye.

So etwas wie eine journalistische Solidarität – und sei sie bloß korporatisch gefärbt – kennen die SZ-Feuilletonisten nicht. Warum auch? Die Mohammed-Karikaturen waren ja "albern", hatte Kreyes Kollege Thomas Steinfeld schon messerscharf diagnostiziert (mehr hier und hier). Das lohnt die Verteidigung durch einen so hoch stehenden Geist, wie es der Steinfelds ist, selbstverständlich nicht. Steinfeld nennt auch Demokraten, die die universellen Werte gegen die totalitären Tendenzen einer Religion verteidigen, "Hassprediger".

Also: Desolidarisierung. Nur nicht für die Ideen einstehen, für die Qualitätsjournalismus angeblich Artenschutz braucht.

Nun ist Abdel-Samad wieder frei. Und die SZ-Feuilletonistin und jetzige Kairo-Korrespondentin Sonja Zekri schreibt: "Abdel-Samad ist der Fall eines Konvertiten, der das, wofür er einst sterben wollte, nun mit demselben heiligen Furor bekämpft."

Die Formel von den Konvertiten, die ihren Furor gegen ihren einstigen Glauben wenden, kennt man noch von Linksintellektuellen, die in ihren behaglichen Redaktionsstuben ihren ganzen Ekel vor den Dissidenten im Osten in Worte zu fassen suchten. Leute, die an etwas glaubten? Zauselbärte, die noch nicht verstanden hatten, dass wir im posthistoire angekommen waren.

Denn das steckt hinter dieser Formel: Ein tiefes Unverständnis darüber, dass man an etwas glaubt, aber ein noch viel sehr tieferes Unverständnis – bis hin zum Hass – dafür, dass man vom Glauben abfallen und für eine Ethik des Zweifels und der Skepsis einstehen könnte. Das ist das, was Abdel-Samad meint, wenn er "vom Himmel Abschied" nimmt.

Eigentlich sagt der pseudokluge Konvertitenvorwurf nur etwas über die laue Moral derjenigen aus, die ihn erheben: Man braucht gar keine Überzeugung, denn jeder glaubt irgendwie an was. Der eine glaubt, dass man Ungläubige umbringen muss. Der andere glaubt an die Freiheit Andersdenkender. Die Wahrheit wird wie immer in der Mitte liegen.

Was soll's also? Seinen lieben Frieden kann man auch ganz ohne Überzeugungen haben.

Thierry Chervel