Außer Atem: Das Berlinale Blog

Kunstdiskurs und revolutionäre Praxis bei der Apfelernte: Julian Radlmaiers 'Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes' (Perspektive Deutsches Kino)

Von Thekla Dannenberg
17.02.2017.


Jungregisseur Julian steckt in der Krise: Kein Mensch will mehr ästhetisch-politisch radikale Filme sehen, aber seine Rückkehr zur Narration wird ihn auch nicht weiterbringen. Das verklickert ihm sehr deutlich Judith, die es inzwischen zur Kritikerin gebracht hat. Niemand will ihn fördern, also lebt er von Hartz IV und verbringt seine Tage damit, auf dem Kulturforum die hübschen Kunststudentinnen anzusehen. Im Hintergrund ragen die Hochhäuser vom Potsdamer Platz in den sonnigen Himmel Berlins. Julians größter Antrieb ist im Moment Camille, eine so hübsche wie idealistische Amerikanerin. Um ihr zu imponieren, geriert er sich als neo-kommunistischer Filmemacher. Dass er vom Arbeitsamt zur Apfelernte nach Brandenburg geschickt wird, verkauft er ihr und seinen hippen Akademiker-Freunden als Recherche zu den Arbeitsbedingungen im Spätkapitalismus. Professor Blotow, einst sehr radikal, jetzt erfolgreicher Dokumentarfilmer, winkt nur ab: Hat er schon vor vierzig Jahren erlebt, mit Arbeitern ist kein Staat zu machen, alles Faschisten.

Doch bürgerlicher Idealismus schlägt bürgerlichen Zynismus, und von Berlin aus macht sich eine kleine Internationale auf nach Brandenburg: Camille und Jungregisseur Julian, aber auch die beiden Museumswärter der Gemäldegalerie, Hong und Sancho, die nach ihrem Rauswurf vergeblich versuchten, als selbstständige Flaschensammler zu reüssieren. Auf der Oklahoma!-Apfelranch treffen sie auf einen postsowjetischen Ganoven, eine georgische Anarchistin, eine anarchistische Hedonistin aus Russland und einige von solchen Flausen total abgegessene Ostler, deren proletarischer Charme Camille vor Begeisterung jauchzen lässt: Echte Fassbinder-Figuren!

Doch das Arbeiten unter Weltmarktbedingungen ist nichts für diese Brigade der Hoffnung, erst versuchen sie es mit Streik, dann mit der Revolution, aber wahrscheinlich werden sie nach Italien weiterziehen müssen, um einen Kommunismus ohne Kommunisten zu finden. Der junge Künstler hält sich derweil alle Optionen offen: Vom Radikal Chic profitieren, ohne Chancen zu verspielen, die Schönheit der Fantasten genießen, ohne auf den Erfolg des Opportunismus zu verzichten. Wenn Camille seufzt, wie deprimierend das Warten doch sei, bis der Spätkapitalismus an seinen Widersprüchen zugrunde geht, dann antwortet der smarte Julian: "Deswegen brauchen wir die Kunst. Damit die Möglichkeit des Wandels als Form überleben kann."

Die "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" ist der dffb-Abschlussfilm Julian Radlmaier und natürlicher echter Absolventenstoff: Filmtheorie und revolutionäre Praxis, Hipstertum und Ironie, Betriebssatire und Selbstreflexion in schlichten und schönen Bildern. Sehr meta. Aber auch sehr doppelbödig, sehr intelligent und vor allem ungeheuer komisch. Ein sympathischer und passender Film am Ende der Berlinale. So viel Kritik am System Kunst wird bestimmt mit begeisterter Umarmung bestraft werden!

"Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes". Regie: Julian Radlmaier. Mit Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Kyung-Taek Lie und Beniamin Forti. Deutschland 2017. 99 Minuten
(Vorführtermine)