Putin konnte
Alexej Nawalny umbringen, aber nicht brechen. Nach der Mitteilung der russischen Gefängnisbehörde FSIN, dass Nawalny beim Freigang von einem Blutgerinsel getötet worden sei, bringt das russische Oppositionsmagazin
Meduza auf Twitter einen Ausschnitt aus David Rohers Film "Navalny", der sich wie ein Vermächtnis anhört:
"Selbst hinter Gittern war Nawalny eine
reale Bedrohung für Putin, denn er war der lebende Beweis, dass Mut möglich ist und
Wahrheit existiert",
schreibt Anne Applebaum in
Atlantic und erinnert an das
zweistündige Video, das Nawalny nach seiner Vergiftung durch Putin auf Youtube präsentierte: "Putin's Palace: The Story of the World's Largest Bribe". Nawalny wies dort nach, dass sich Putin am Schwarzen Meer einen obszönen Palast hatte bauen lassen. "Aber die Kraft des Films lag nicht nur in den Bildern oder gar in den Beschreibungen des verschwendeten Geldes. Die Kraft lag im Stil,
im Humor und in der Professionalität des Films auf Hollywood-Niveau, die zum großen Teil von Nawalny selbst vermittelt wurde. Das war seine außergewöhnliche Gabe: Er konnte die trockenen Fakten der Kleptokratie - die Zahlen und Statistiken, die normalerweise selbst die besten Finanzjournalisten zum Erliegen bringen -
unterhaltsam aufbereiten. Auf dem Bildschirm war er ein ganz normaler Russe, manchmal schockiert über das Ausmaß der Bestechung, manchmal spottete er über den schlechten Geschmack. Für andere gewöhnliche Russen wirkte er real, und er erzählte Geschichten, die für ihr Leben relevant waren. Ihr habt schlechte Straßen und eine schlechte Gesundheitsversorgung, sagte er den Russen, weil sie Eishockeystadien und Wasserpfeifenbars haben."
taz-Korrespondentin Inna Hartwich
konstatiert bitter: "Einen Monat vor Russlands 'Wahl' am 17. März, vor Putins fünfter Wiederbestätigung als Präsident, hat ihn
die Staatsmacht ins Grab gebracht, weil sie ihn all die Jahre mit einem absurden Prozess nach dem nächsten und mit immer härteren Haftbedingungen von der Gesellschaft
isolierte,
malträtierte,
folterte."
"Was auch immer die russischen Behörden als Ursache für den Tod Alexej Nawalnyjs angeben", kommentiert Reinhard Veser in der
FAZ, es bleibt kein Zweifel daran, dass es sich um einen "
politischen Mord" handelt: "Die Bedingungen, in denen er in den vergangenen drei Jahren in Haft gehalten wurde, waren darauf angelegt, ihn körperlich und geistig zu brechen. Da Nawalnyj unbeugsam blieb, wurden die Haftbedingungen immer weiter verschärft, bis er ihnen nun erlegen ist. Russlands Machthaber Wladimir Putin und seine Schergen
haben Nawalnyj getötet."
In einem weiteren Artikel zeichnen Reinhard Veser und Friedrich Schmidt den
Verlauf von Nawalnys Kampf gegen den Kreml nach: "Angriffslust und Führungsanspruch sind unter den Regimegegnern in Russland keine Alleinstellungsmerkmale. Was Nawalny heraushob, waren Ausdauer, die Fähigkeit, junge Leute für sich zu gewinnen, und das Talent, das Internet für seine Zwecke zu nutzen. In späteren Jahren war dies vor allem die Videoplattform Youtube, auf der Nawalnyjs Auftritte zur wichtigsten Gegenöffentlichkeit in Russland wurden. Nawalny beließ es nicht bei allgemeinen Behauptungen über die Korruption der Mächtigen, sondern sorgte
mit skrupulös recherchierten Enthüllungen über prominente Vertreter der Elite für Aufsehen." Eine Zeit vor dem russichen Angriff auf die Ukraine habe er einer befreundeten Journalistin aus der Haft geschrieben: "'Alles wird gut. Und sogar wenn es das nicht wird, trösten wir uns damit,
dass wir ehrliche Menschen waren.'"
Schon das 2020 auf Nawalny verübte
Attentat mit Nowitschok machte klar, dass der Kreml-Herrscher es auf den Tod seines Gegners abgesehen hatte, schreibt auch Konrad Schuller in der
FAS. Als Nawalny nach seiner Genesung nach Russland zurückkehrte, wo er sofort verhaftet wurde, müsse ihm klar gewesen sein, was passieren würde: "Aber es war auch offensichtlich, dass er sein Ziel, Putins Diktatur zu beenden, aus dem Exil kaum erreichen konnte. Er hat das Risiko deshalb in Kauf genommen und jetzt mit seinem Leben dafür bezahlt."
Kaum jemand wurde der Putin-Partei, die Nawalny stets als die "Partei der Gauner und Diebe" bezeichnete,
so gefährlich wie er, schreiben Silke Bigalke und Frank Nienhuysen auf der Seite 3 der
SZ: "Denn er stand für etwas, was der Kreml besonders fürchtete: für eine gut organisierte, gut vernetzte, bis tief in die russischen Regionen hineinreichende Opposition. Nawalny konnte bis zuletzt
Menschenmassen bewegen wie kein anderer Kremlkritiker in Russland. Gezeigt hat sich das sogar dann noch, als er im Januar 2021 festgenommen wurde, Zehntausende gingen in den Wochen danach für ihn auf die Straße. Seitdem hat es nicht mehr auch nur annähernd ähnlich große Proteste in Russland gegeben, weder bei Kriegsbeginn noch während der Mobilmachung."
Auf der
Sicherheitskonferenz in München, auf der auch Nawalnys Frau zu gegen war, löste die Nachricht schockierte Reaktionen aus. Maxim Kireev, Holger Stark und Hauke Friederichs schildern auf
Zeit Online das Geschehen: "Spontan trat
Julija Nawalnaja am Nachmittag auf die Bühne, als die russische Todesmeldung bereits seit mehreren Stunden publik war. Sie wirkt aufgebracht und nervös. Ob sie den Meldungen glauben soll, wisse sie noch nicht. Ihr erster Gedanke sei natürlich gewesen, direkt zu den Kindern zu fliegen, sagt sie zu Beginn ihrer kurzen Rede. 'Aber dann habe ich mich gefragt, was Alexej Nawalny tun würde. Und er wollte jetzt mit Sicherheit hier sein', fährt sie fort."
"Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie", so Cathrin Kalweit in der
SZ, "dass Alexej Nawalny, der bekannteste Oppositionspolitiker und Regimekritiker Russlands, mutmaßlich an dem Tag gestorben ist, an dem in München auf der Sicherheitskonferenz so besorgt wie nie über die Wehrhaftigkeit des Westens und das Überleben westlicher Demokratien
angesichts der russischen Bedrohung beraten wird. Es ist, als wollte Wladimir Putin zeigen: Ich bin allmächtig. Und als wollte Nawalny, noch im Tod, beweisen:
Dieser Mann schreckt vor nichts zurück."
Weitere Analysen und Nachrufe unter anderem auf
Zeit Online, in
FR,
Welt,
Tagesspiegel und
NZZ.