9punkt - Die Debattenrundschau

Augenmaß und auch etwas Mut

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.01.2024. In der FAZ erinnert Alexander Estis Masha Gessen, Deborah Feldman und Susan Neiman daran, dass Gedenkkultur in erster Linie den Toten gilt und nicht der Erziehung der Lebenden. Die SZ freut sich über die Anti-AfD-Demos, auch der Soziologe Nils C. Kumkar, der die AfD darauf festnageln willl, dass man nicht ein bisschen rechtsextrem sein kann. Auch links tut sich was: Der Wokeismus hat seinen Peak überschritten, glaubt die Zeit. Weniger Antidiskriminierungsklauseln und mehr Mut zur Auseinandersetzung fordern der Tagesspiegel und die Philosophie-Professorin Maria-Sibylla Lotter im Interview mit der Zeit.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.01.2024 finden Sie hier

Ideen

Mehr Denkkultur wünscht sich in der FAZ der Schweizer Publizist Alexander Estis anlässlich der widersprüchlichen Argumentation von Masha Gessen und Deborah Feldman, die in den größten Talksshows und Medien dieses Landes verkünden, sie würden zensiert. Andrej Reisin habe dafür den schönen Begriff "omnipräsent gecancelt" geprägt. Feldman, Gessen und Susan Neiman implizieren, dass eine "museal versteinerte Erinnerungspraxis" in Deutschland jede Israelkritik unterbinde. Doch schon die damit verbundene Vorstellung, dass Gedenkkultur einem politischen Zweck dienen müsse, findet Estis fragwürdig: "Zweck der Erinnerungskultur bleibt in der Hauptsache nichts anderes als die Erinnerung selbst. Wenn ich an meine Vorfahren denke, die der Judenvernichtung zum Opfer gefallen sind, dann nicht in dem Wunsch, gegenwärtiges Geschehen besser verstehen oder eine Lehre aus der Geschichte schöpfen zu können. ... Die Vergegenwärtigung der Opfer fungiert nicht als Metaphernrepertoire, sondern ist ein absolutes Humanum - und erst als solches, frei von Vereinnahmung, wird sie fähig, Menschlichkeit, Wert und Würde des Lebens ins Bewusstsein zu heben."

Die israelkritische Fraktion hat eine seltsame Marotte, die zunächst in der Debatte um A. Dirk Moses zu Bewusstsein gelangte: In einer Art magischem Denken macht sie die wahrlich nicht perfekte deutsche Vergangenheitsbewältigung dafür verantwortlich, dass die "Realität der Gegenwart" verleugnet werde. Ernst Piper antwortet im Freitag auf einen Text von Susan Neiman, in dem sie vom Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung sprach, ohne auf die Pogrome der Hamas einzugehen: "Susan Neiman hat gewiss keine Sympathien für die Hamas. Sie verachtet auch Israel nicht. Aber sie verwehrt den Bewohnern Israels jegliche Empathie. In dem eingangs angeführten Zitat werden sie nicht einmal erwähnt. Auch von dem präzedenzlosen Massaker, das die Hamas am 7. Oktober 2023 angerichtet hat, spricht Neiman nicht. Am 1. Dezember 2023 sagte sie in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: 'Neulich sagte mir ein Kollege, dass er, wenn nach einem Statement gefragt, zunächst die Schutzweste anziehe, indem er den Hamas-Terror scharf verurteile. Eine Schutzweste brauche ich nicht.' Neiman beklagt den Tod von Kindern im Gazastreifen, will aber nicht von dem sprechen, was ihm vorausging."
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Gesellschaft

In der SZ freut sich Georg Mascolo über die zahlreichen Demos gegen die AfD und den Rechtsextremismus in deutschen Städten. Zumal er ein Verbot der AfD für aussichtslos hält. Die Verteidigung der Demokratie ist eben manchmal unbequem, meint er. "Stabilität hängt nicht nur davon ab, wer die Demokratie angreift, sondern auch davon, wer bereit ist, sie dann auch sichtbar zu verteidigen. Genau deshalb sind die jetzt stattfindenden Proteste ein Zeichen zur richtigen Zeit. Denn die bisherigen Versuche, mit dem Erfolg dieser AfD umzugehen, sind gescheitert."

Wer glaubt, die Gesellschaft werde immer polarisierter, hält sich zu viel in den sozialen Medien auf, außerhalb geht es viel friedlicher zu, versichert im Interview mit dem Tagesspiegel die Soziologin Céline Teney, die an einem Forschungsprojekt zum Thema beteiligt war. Auch den Erfolg der AfD will sie nicht überbewerten und nimmt als Beispiel das Thema Migration: "Die Einstellungen zur Migration der meisten Menschen bleiben über die Zeit stabil. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung nimmt allerdings Migration als ein wichtiges Problem wahr und wünscht sich dabei mehr politische Steuerung. Dadurch dass die AfD Migration als Hauptthema auf ihre Agenda aufgenommen hat, zieht sie immer mehr potenzielle Wähler an. ... Aber die gute Nachricht ist: Es sind eben nicht alle, die die AfD wählen, tatsächlich stramm gegen Einwanderung. Laut der letzten Umfrage der European Social Survey, will nur 16 Prozent der AfD-Wähler gar keinen Zuwanderer nach Deutschland erlauben, während der Rest der AfD-Wählerschaft wenige oder einige Zuwanderer erlauben will. Die Mehrheit der AfD Wähler will also, dass die Migration besser begrenzt und gesteuert wird - nicht, dass Zuwanderung komplett verboten wird." Wenn auch andere Parteien sich diesem Problem widmen würden, könnte die AfD wieder Wähler verlieren, glaubt Teney.

Der Soziologe Nils C. Kumkar ist da im Interview mit der SZ deutlich skeptischer: "Wenn Mitte-rechts-Parteien die Rhetorik von rechtspopulistischen Parteien übernehmen, geht das für sie mittelfristig nicht gut aus; andererseits sind große Teile der Unionsparteien nun mal auch für eine repressive Migrationspolitik. Sie verbinden diese aber nicht mit einer nationalen Erneuerungs- und Umsturzfantasie, wie es die AfD tut." Im Spagat zwischen marginalem Rechtsextremismus und behaupteter Volkspartei ist die AfD, wie rechte Parteien in anderen Ländern, inzwischen geübt, meint Kumkar. "Von Trump bis Meloni bis nach Österreich: Viele Wähler scheint dieser Widerspruch trotz aller Skandale nicht zu interessieren. Ja, diese Parteien leben offenbar gerade davon, beides gleichzeitig zu sein - deswegen ist es ja überhaupt bedrohlich für die AfD, sie darauf festzunageln, dass sie nicht beides zugleich sein kann, dass man eben nicht ein bisschen rechtsextrem sein kann."

Am Freitag will die Ampelkoalition mit einem Beschluss die Mehrstaatigkeit generell erlauben. In der Welt findet Daniel Thym die Begründung dafür etwas widersprüchlich. "Nun ist nachvollziehbar, dass sich die meisten Menschen, die neu einreisen, zuerst einmal zwei Ländern zugehörig fühlen. Spätestens bei den Kindern und Enkeln begeben sich die Befürworter des Doppelpasses jedoch in einen Widerspruch, wenn sie das deutsche Selbstbild offen definieren und gleichzeitig für die Herkunftsländer an einem ethno-kulturellen Volksverständnis festhalten."

Mit dem 7. Oktober hat der Wokeismus seinen Peak überschritten, glaubt Ijoma Mangold im Aufmacher des Zeit-Feuilletons, er hat die "woke-postkoloniale Community vollkommen zerbröselt". Aber es gab schon vorher Ermüdungsanzeichen: "San Francisco verkörpert den Niedergang der woken Leitkultur beispielhaft: Nirgends war man progressiver und zugleich plutokratischer. Die Mieten explodierten, die Obdachlosigkeit schoss in die Höhe, gleichzeitig herrschte in der Innenstadt Gesetzlosigkeit, weil Ladendiebstähle unter 950 Dollar strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden, während die Schulbehörde der Stadt damit beschäftigt war, Schulen, die die Namen von Thomas Jefferson oder Abraham Lincoln trugen, im Sinne des fortschrittlichen Zeitgeists umzubenennen. ... Wokeness war schon immer ein Eliteprojekt. Kein Latino aus der Hood hat sich je Latinx genannt, das machten nur Ibram X. Kendi und Alexandria Ocasio-Cortez. Im selben Zeitraum, in dem sich die woke Weltanschauung an den amerikanischen Universitäten flächendeckend durchsetzte, erreichten deren Studiengebühren neue Rekordhöhen. Wie in San Francisco gab es hier einen Zusammenhang zwischen Geld und progressiver Moral."
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Europa

Was, wenn Donald Trump am 5. November tatsächlich die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnen würde? Angenommen, er ließe die Ukraine wie angekündigt fallen. Angenommen, er würde den Austritt der USA aus der Nato verkünden? Gibt es dafür Notfallpläne in Deutschland, in Europa, fragen Anna Sauerbrey und Heinrich Wefing in der Zeit. So richtig offenbar nicht. Dabei wäre das für Europa "ein Schock. Europäische Staaten müssten ihre Verteidigungsbudgets massiv erhöhen - auf weit mehr als die vereinbarten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, die Deutschland und viele andere europäische Nato-Staaten schon heute nicht leisten. Vermutlich wäre eine Wiedereinführung der Wehrpflicht unausweichlich. Ob sich dafür politische Mehrheiten finden ließen? Ebenso unabsehbar wäre, ob es den europäischen Partnern dann gelingen könnte, ihre Sicherheit gemeinsam zu organisieren. Oder würden Interessengegensätze aufbrechen, würde jedes Land allein versuchen, seine Sicherheit durch bilaterale Abkommen zu organisieren? Mit Washington? Oder durch eine Annäherung an Moskau? Die bedrohlichste Frage von allen aber ist: die Atomfrage."
Archiv: Europa
Stichwörter: Trump, Donald, Nato

Politik

Die Regierung Netanjahu ist eine Katastrophe für Israel, findet der Historiker Saul Friedländer im Interview mit der Zeit. Das zeigte sich auch beim erfolgreichen Angriff der Hamas. In Amerika, wo er lebt, verstört ihn aber vor allem "der wachsende Antisemitismus vor meiner Haustür, etwa auf dem Campus meiner Universität, der UCLA. Das ist an vielen Unis ein Problem, und es sind nicht nur palästinensische Studentengruppen, die die Schwelle zum Antisemitismus überschreiten", mit ihren "kenntnisfreien Pauschalurteilen". Deshalb wünscht sich Friedländer, dass man sich "am 27. Januar in diesem Jahr daran erinnert, wozu der Staat Israel geschaffen wurde - als Zuflucht und nicht, wie es Israel in der Terminologie der postkolonialen Forschung vorgeworfen wird, als ein Projekt des Siedlerkolonialismus. Der Zionismus entstand im 19. Jahrhundert als Reaktion auf den Antisemitismus in Russland und anderen Ländern; Theodor Herzl schrieb sein Buch 'Der Judenstaat' unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre in Frankreich. Leider scheinen jene, die Israels Gründung als kolonialen Akt diffamieren, blind für diese Hintergründe zu sein. Und leider sitzen im Kabinett Netanjahu Männer wie Ben-Gvir, die tatsächlich Siedlerkolonialisten sind. Sie wollen ganz Eretz Israel, from the river to the sea, um die Formel einmal umzudrehen."

Warum ignoriert die Uno, die als Institution des Friedens nach zwei Weltkriegen gegründet wurde, die Massaker der Hamas, fragt sich der Unternehmer Pedro Jordão verzweifelt in der NZZ. Das weitere Ignorieren dieser Verbrechen könnte Folgen haben: "Die Unterlassungen und Fehlleistungen nach dem 7. Oktober gehen an die Substanz der Uno. Diese Uno muss radikal gegensteuern, wenn sie nicht den Rest ihrer Legitimation und Glaubwürdigkeit verlieren will. Wo offensichtlichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit kleingeredet, relativiert und ausgeblendet werden, dürfen sich Terrorgruppen in Asien, Afrika und Europa in ihren Schandtaten ermutigt und bestätigt fühlen. Für den jihadistischen Islamismus sind Nichtmuslime und gemäßigte Muslime gleichermaßen Ziele. Beide müssen sich zusammentun, um der von Iran orchestrierten, völkermörderischen Politik einer Auslöschung Israels Einhalt zu gebieten."
Archiv: Politik

Kulturpolitik

Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Berlins Kultursenator Joe Chialo über seine Projekte, aber vor allem auch über die Antidiskriminierungserklärung, die Künstler künftig unterschreiben sollen, wenn sie sich für öffentliche Gelder in Berlin bewerben. Antisemitismus wird darin mit der IHRA definiert. Den Vorwurf, dass diese Definition ernsthaft umstritten sei, weist er zurück: "Sie findet in etwa 40 Ländern international Anwendung, auf europäischer Ebene, im Bund und seit 2019 auch in Berlin! So umstritten ist sie also nicht. ... Es geht nicht um Gesinnungsprüfung. Ich weiß, es gibt Ängste, die da lauten: Können wir dann überhaupt noch Israels Politik kritisieren, solche Streitgespräche gehören ja auch zu einer Demokratie. Und ich sage: Ja, natürlich! Aber die rote Linie ist überschritten, wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird. Das ist unvereinbar mit der Geschichte dieses Landes und vor allem dieser Stadt. Die BDS-Bewegung mit ihrem Boykottaufruf gegen individuelle israelische und antisemitismuskritische Künstler und Wissenschaftler hat die Räume in Deutschland verengt."

Parolen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, findet auch Christiane Peitz im Tagesspiegel klar antisemitisch. Aber eine Verpflichtungserklärung für Künstler, solche Parolen bei öffentlich geförderten Projekten zu unterlassen, ist ihr unheimlich. Die Kulturinstitutionen müssen selbst einen moralischen Kompass für Antisemitismus entwickeln, meint sie. "Wir müssen also weiter streiten. Über Definitionen und Überzeugungen. Über Werke und ihre möglichen judenfeindliche Inhalte, wie bei den antisemitischen Bild-Stereotypen auf dem Documenta-Großbanner 'Peoples Justice' von Taring Padi. Auch über die Kulturschaffenden: Was sie als Künstler zu sagen haben und vielleicht als Privatpersonen auf Social Media verbreiten. Die Kontrahenten werden sich oft nicht einigen können. Aber das beste Mittel gegen Polarisierung und Spaltung ist immer noch der Dialog. Nicht die vehemente Gegenüberstellung von Positionen, sondern der leidenschaftliche Austausch von Argumenten, Erfahrungen, Geschichten, Geschichte. Raus aus der Bubble, und wenn es noch so anstrengend ist."
Archiv: Kulturpolitik

Wissenschaft

In der Theorie sind die Wissenschaften frei, in der Praxis ist das anders, da wollen Leitung, Kollegenschaft oder Studenten lieber die "unangenehme Situation vermeiden, mit anderen Positionen konfrontiert zu werden und sich moralisches Unbehagen zuzumuten", meint die Philosophie-Professorin Maria-Sibylla Lotter im Interview mit Zeit online. Auch mit Blick auf die Berliner Antidiskriminierungsklausel fodert sie mehr Courage zur Auseinandersetzung: "Rein theoretisch finde ich die Idee, Antisemitismus nicht mit öffentlichen Geldern zu fördern, richtig. Ich hoffe aber, dass diese Empfehlung in der Praxis vor Ort nicht zu schematisch umgesetzt wird, denn es ist wichtig, auch mit israelkritischen Intellektuellen und Künstlern im Gespräch zu bleiben. Hier ist vor Ort Augenmaß und auch etwas Mut gefragt. ... Wir dürfen das Problem aber nicht auf die Frage reduzieren, wer wo ausgeladen wird. Wichtiger ist die Frage, wie es gelingen kann, dass man an der Universität auch heikle Themen von vielen Seiten betrachten und ohne Feindseligkeit und moralische Überheblichkeit über sie diskutieren kann. Es kann sinnvoll sein, eine kontroverse Einladung zu ergänzen, indem man weitere Personen einlädt, die andere Positionen vertreten, aber intellektuell offen sind. Ich würde immer in Richtung der Vielstimmigkeit gehen."
Archiv: Wissenschaft

Geschichte

Vor 75. Jahren wurden Frauen und Männer im Grundgesetz gleichgestellt. Diesem Datum widmet die FR heute 4 Seiten, unter anderem ein Interview von Tatjana Coerschulte mit der Juristin Susanne Selbert, deren Großmutter Elisabeth Selbert maßgeblich für den Gleichstellungs-Artikel im Grundgesetz verantwortlich war: "Es gab auch noch eine alternative Formulierung der CDU, die lautete, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien und das Gesetz Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln könne. Diese Formulierung hätte Auslegungsmöglichkeiten zugelassen - man ahnt die Ungleichbehandlung aufgrund der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau, die hier gedroht hätte. Das war für meine Großmutter eine Formulierung, die sie keinesfalls mittragen konnte. Sie wollte eine Formulierung, die völlig klar und apodiktisch ist. 'Männer und Frauen sind gleichberechtigt' lässt keinen Interpretationsspielraum offen. Das war von großer Bedeutung."

Heute vor 100 Jahren starb Lenin, erinnert Ulrich M. Schmid in der NZZ. Nach seinem Tod fand innerhalb der westeuropäischen Linken nie eine wirkliche Verurteilung Lenins Verbrechen statt, stattdessen seien alle Übel der Sowjetunion später auf Stalin verlagert worden. "Man wiegte sich in der Illusion, dass Trotzki als Nachfolger Lenins das revolutionäre Projekt auf die richtige Bahn gebracht hätte. Allerdings verkennen solche Stimmen, dass sowohl Lenin als auch Trotzki mit äußerster Brutalität gegen wahre oder vermeintliche Klassenfeinde vorgegangen sind." Auch im heutigen Russland scheut man sich vor einer Aufarbeitung, so Schmid. "Die Angst, dass ein Schlussstrich unter das Kapitel Lenin die postsowjetische Gesellschaft spalten könnte, dauert weiter an. Auch Wladimir Putin verfolgt diese Linie. Paradoxerweise ist ausgerechnet Putin, dessen rücksichtsloser Regierungsstil durchaus 'leninistisch' genannt werden kann, zu einem der schärfsten Lenin-Kritiker geworden. Er verdammt den Revolutionsführer aber nicht wegen seiner Brutalität oder wegen der kommunistischen Utopie, sondern wegen des Sowjetföderalismus. Lenin habe das 'historische Russland' zerstört, indem er der Ukraine eine eigene Staatlichkeit gegeben habe."
Archiv: Geschichte