9punkt - Die Debattenrundschau
Ohne einen Schatten von Zweifel
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Geschichte
Nun wird Karl Marx endlich 200 - kleiner Schwerpunkt
Und die Zeitungen bemühen sich, mit Sonderseiten Interesse zu erzeugen. In Trier wird heute das von Chinesen gespendete Denkmal eingeweiht. Und die Stadt bereitet sich vor, berichtet Waltraud Schwab in der taz: "Alle wollen am Samstag, dem 5. Mai, dem Enthüllungstag, Marx' Geburtstag, demonstrieren. Die AfD gegen ihn; DKP und andere sozialistische Gruppen werden ihn verteidigen. Die NPD, fürchten manche, werde sich an die AfD hängen oder sonst wie ihre Verachtung zeigen; GegendemonstrantInnen stehen bereit. Und auch die Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft protestieren gegen den bronzenen Marx, der derweil rund um die Uhr bewacht wird."
Ein nicht ganz so idyllisches Bild von Marx zeichnet in politico.eu der Germanist Russell A. Berman, der Marx' gnadenlose Selbstgewissheit und Häme als Wegweiser in den Gulag sieht. Marx behauptete , er habe "direkten Zugang zur Wahrheit mit großem W und beendete sein Kommunistisches Manifest mit einer Serie vernichtender Urteile über konkurrierende radikale Bewegungen, die er ohne einen Schatten von Zweifel denunzierte und verdammte. Marx' bolschewistische Erben nutzten diese Sicherheit im Verurteilen später als Begründung, um ihre Opponenten in den Tod zu schicken. In der langen Liste der Opfer des Marxismus stehen die linken Konkurrenten an vorderster Stelle."
Außerdem unterhält sich Thomas Winkler mit der Autorin Louise Meier, die Marx mit Feminismus und Queerness verschneiden will (taz). Und taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann erklärt, "wie Marx sein Denken veränderte, als die Revolution scheiterte". Auf Seite 1 der NZZ empfiehlt René Scheu Marx' "Kommunistisches Manifest" zu einer zweiten Lektüre. In der Berliner Zeitung interviewt ein namenloser Autor den Marx-Biografen Uwe Wittstock. Im Leitartikel auf Seite 1 der FAZ behauptet Dietmar Dath, dass uns der "berühmteste politische Denker Deutschlands uns noch einiges zu sagen" habe.
Und im Tagesspiegel schreibt gar Frank-Walter Steinmeier höchstpersönlich, der Marx überraschend deutlich und mit ähnlichen Argumenten wie Berman kritisiert: "Wie weit ist er, der Weg von der Wortgewalt zur tätlichen Gewalt, vom glühenden Gedanken zum fanatischen Handeln? Wir wären schlecht beraten, denen das Feld der Deutung zu überlassen, die ihn ideologisch vereinnahmen oder absichtsvoll missverstehen."
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Dass es auch vor dem 20. Jahrhundert schon brillante Wissenschaftlerinnen gegeben hat, erzählt Jean-Pierre Jenny in der NZZ am Beispiel dreier Wissenschaftlerinnen aus dem 18. Jahrhundert - der Mathematikerin Gaetana Agnesi, der Medizinerin Anna Morandi und der Physikerin Laura Bassi - die alle drei von Papst Benedikt XIV. gefördert wurden: "Mit Frauenförderung hatte dies nichts zu tun, es ging um Publicity: Die altehrwürdige Universität hatte sich nämlich erst seit kurzem dank einer radikalen Reform in Lehre und Forschung von einem gravierenden Rückgang der Studentenzahlen erholt. Jetzt sollten hochbegabte Frauen auf Lehrstühlen sich als Publikumsmagneten erweisen und so eine neue Blütezeit der Universität einleiten."
Internet
Religion
Gesellschaft
Ideen
In der NZZ nimmt mit Daniel Dettling endlich mal jemand das angsterfüllte Gejammer der Deutschen über die digitale Revolution aufs Korn und ermuntert zu mehr Mut beim Blick in die Zukunft: "Wie Digitalisierung gelingen kann, zeigt Japan. Das Land, das zu den drei führenden Ländern auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz gehört, spricht nicht von 'Industrie 4.0', sondern treibt längst die 'Gesellschaft 5.0' voran. Die übergreifende Vision: die Stärkung der Individuen, mehr Sicherheit und Komfort und eine Innovationskultur, in der jeder teilhaben soll. Die digitale Revolution ist im Kern eine soziale. Ihre Themen sind eine Willkommenskultur für Innovationen und eine Politik der Zukunftsintelligenz. Ihre Prinzipien heißen Personalität und Subsidiarität. Ihr Versprechen ist ein besseres, sinnvolleres und nachhaltigeres Leben."
Herfried Münkler holt ebenfalls in der NZZ buchstäblich bis Adam und Eva aus um Menschheitsutopien der "Sorgenbegrenzung" darzustellen, die nun aber aus irgendwelchen Gründen seit den neunziger Jahren nicht mehr verfingen: "Das begann mit der linken Globalisierungskritik in den neunziger Jahren und manifestiert sich zurzeit in den Forderungen besorgter Bürger nach Schließung von Grenzen oder im Aufstieg nationalprotektionistischer Parteien, die sich um die einheimische Wirtschaft sorgen; weiterhin in der Besorgnis um die Sicherheit des für das Alter angesparten Geldes; in Ängsten vor dem eigenen Abstieg innerhalb der Gesellschaft oder der ganzen Gesellschaft gegenüber anderen Nationen; in der Sorge um die Erhaltung der nationalen Identität."