Magazinrundschau - Archiv

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123 Presseschau-Absätze - Seite 5 von 13

Magazinrundschau vom 27.07.2010 - Polityka

Nichtreligiöse Kinder haben es schwer auf polnischen Schulen. Das könnte sich jetzt ändern, berichtet Joanna Podgorska (hier auf Deutsch). Ein polnisches Elternpaar hat vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Diskriminierung geklagt, weil ihrem Sohn an der Schule nicht Ethikunterricht als Ausweichfach angeboten wird und Recht bekommen: "'Jahrelang hat der Gerichtshof sich bemüht, nicht in die delikate Angelegenheit des Verhältnisses von Staat und Kirche einzugreifen', erklärt Dr. Adam Bodnar, Sekretär der Helsinki-Föderation für Menschenrechte, die die Grzelaks in Straßburg unterstützt hat. 'In letzter Zeit hat sich jedoch die Situation verändert. Die Richter sind der Meinung, dass die Rechte und Bedürfnisse konfessionsloser Menschen nicht länger ignoriert werden dürfen. Ein Durchbruch war der Fall eines Kruzifixes, das in einer italienischen Schule angebracht war.' Der Fall der Grzelaks zog sich acht Jahre hin, doch das Urteil des Gerichtshofes ist eindeutig. Der Strich auf dem Zeugnis in der Rubrik Religion/Ethik ist eine Form der Diskriminierung."

Magazinrundschau vom 13.07.2010 - Polityka

Was ist ein wahrer Pole? Auch während des Präsidentschaftswahlkampfs war das mal wieder kräftig umstritten. Adam Szostkiewicz überlegt (hier auf Deutsch), was es hier und heute bedeutet, Pole zu sein. "Verbinden sich damit Pflichten und wenn ja, welche? Völker, die immer frei waren oder ihre Unabhängigkeit nur für kurze Zeit verloren haben, diskutieren solche Dinge selten. Es ist wesentlich einfacher, verbissene Diskussionen über das eine oder andere '-tum' in Völkern mit Traumata zu finden, oder noch leichter bei verhältnismäßig jungen Völkern wie den Litauern, oder solchen, die zum ersten Mal in der Geschichte ihren eigenen, gänzlich unabhängigen Staat genießen können wie die Ukrainer. Bezeichnend ist, dass unsere Nachbarn ein Problem mit dem Polentum haben. Sie verstehen es als Bedrohung ihrer eigenen Identität. Als hätten sie die alte historische und kulturelle Gemeinschaft vergessen, als - nennen wir es einmal so - die polnische Zivilisation wie ein Magnet die Eliten angezogen hat."

Magazinrundschau vom 06.07.2010 - Polityka

Zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl in Polen, bei der Jaroslaw Kaczynski verlor, bilanziert (hier auf Deutsch) der Soziologe Pawel Spiewak, was von der Vierten Republik der Kaczynskis geblieben ist. Nicht viel, meint er. Leider. Denn eine Abkehr von der Dritten Republik (der Transformationszeit), in der sich altlinkes Establishment mit neulinkem Geld unheilvoll verbunden hatte, war völlig richtig: "Am besten illustriert ihre Regierung das Schicksal des Lustrationsgesetzes. Anfangs von der entschiedenen Mehrheit (darunter der PO) im Parlament verabschiedet, wurde es von den Beamten und den Abgeordneten des Herrn Präsidenten so ausgebessert, dass es sich nur noch für den Papierkorb eignete. Es war nicht nur schlecht, sondern auch verwerflich. Die Lustration, um derentwillen die Rechte sich die Kehlen heiser geredet hatte, wurde von ihr selbst auf eigenen Wunsch zunichte gemacht. Denn so war es nun mal mit ihnen: Die PiS-Führer schadeten sich unablässig selbst, sehen es aber bis heute stur nicht ein. Sie redeten von einer neuen Öffnung in der polnischen Politik, von der Vierten Republik, blieben aber in Intrigen, Streitereien und einer primitiven Version des politischen Realismus stecken."

Magazinrundschau vom 29.06.2010 - Polityka

Vor zwei Wochen erklärte der Schriftsteller Andrzej Stasiuk in Przekroj, warum ihn der Präsidentschaftswahlkampf in Polen nicht die Bohne interessiert (Salon hat das Interview inzwischen ins Englische übersetzt). Er schüttelte sogar noch den Kopf über seine Mutter, die sich plötzlich für Politik interessiere. Die meisten Polen sehen es wohl wie Madame Stasiuk, berichtet Janina Paradowska (hier auf Deutsch): "Obwohl vorher Stimmen laut geworden waren, dies sei ein uninteressanter und langweiliger Wahlkampf, sind die Polen an die Wahlurnen gegangen, für polnische Verhältnisse beinahe massenweise. Eine Wahlbeteiligung von 55 Prozent in der ersten Runde ist praktisch noch nie vorgekommen. Dies ist eine der größeren Überraschungen bei dieser Wahl, und gleichzeitig ein Beweis für den Instinkt der Bürger dafür, dass diese Wahlen sehr wichtig sind, vielleicht die wichtigsten seit Jahren, dass - auch wenn sich die Kandidaten vor der ersten Runde vielleicht allzu sehr angeähnelt haben - sie dennoch für prinzipiell unterschiedliche politische Lager stehen."

Magazinrundschau vom 01.06.2010 - Polityka

Der polnische Filmkomponist ("A Single Man") Abel Korzeniowski sorgt sich um die Entwicklung der Filmmusik. "Seit einigen Jahren werden charakteristische Filmmelodien immer seltener. James Horner sagte mir, in einigen Fällen hätte der Regisseur offen erklärt, er wünsche keine", erklärt Korzeniowski im Interview. "Aber eine Titelmelodie beeinflusst doch die Identifizierung des Films - stellen wir uns mal 'Den Paten' ohne Nino Rota oder 'Star Wars' ohne John Williams vor! Diese Abkehr ist ein Phänomen, das zum einen von der populären Musikkultur, mit ihrer Vorliebe für wiederkehrende Rhythmen, beeinflusst wird, und zum anderen von einer Technik, dank derer man einfach und schnell etwas Musikähnliches produzieren kann: Man kauft einfach eine Loop-Bibliothek, stellt aus fertigen Material etwas zusammen, und erweckt den Eindruck, man hätte etwas Neues gemacht. Dieser Stil ist so allgegenwärtig, dass einige Produzenten ihn mögen."

Außerdem: Michal Slomorz erzählt (hier auf Deutsch) die Geschichte der oberschlesischen Wehrmachtsangehörigen.

Magazinrundschau vom 11.05.2010 - Polityka

Der Geschichtsdidaktiker Adam Suchonski untersucht die Art und Weise, wie ausländische Schulbücher die Geschichte Polens beschreiben: Nicht immer zufriedenstellend, meint er im Interview (hier auf Deutsch), aber daran seien die Polen zum Teil selbst schuld. "1992 verfassten zwölf europäische Historiker eine 'Geschichte Europas', die bis Ende 1990 reicht. Aus unserem Teil von Europa war unter ihnen nur ein tschechischer Historiker. Heute ist das ein Lehrbuch für fast 90 Millionen Schüler. Vor drei Jahren trafen sich in Istanbul die Bildungsminister der Mitgliedstaaten des Europarats, um die Arbeiten an einer neuen Version des europäischen Geschichtsbuchs zu koordinieren. Alle waren dafür, nur der damalige polnische Minister Roman Giertych sagte, dass uns ein gemeinsames Lehrbuch nicht interessiere, weil man eine gemeinsame Sicht der Geschichte der europäischen Staaten nicht untereinander ausmachen könne."
Stichwörter: Schulbücher, Europarat

Magazinrundschau vom 20.04.2010 - Polityka

Der Journalist und Mitbegründer der Gazeta Wyborcza Jacek Zakowski fand (hier auf Deutsch) Lech Kaczynski als Mensch eigentlich sehr sympathisch. Er passte gar nicht so recht in die PiS, meint er. "Seine menschliche Größe, seine Zurückhaltung und seine ideelle Identität unterschieden Lech Kaczynski von seiner politischen Basis. Aber sie konnten ihn vor dieser Basis nicht schützen. Erstens ermöglichte die Partei keine Zusammenarbeit mit vielen sehr kompetenten Personen, die für den Präsidenten akzeptable Ansichten hatten. Zweitens verführte der aus der Tradition Pilsudskis geborene Kult der politischen 'Härte' im Namen der Staatsraison diejenigen Personen aus der politischen Basis, denen es an Empathie und oft auch an Kompetenz fehlte, dazu, die verschiedensten Radikalismen zu entwickeln. Besonders in Fragen, in denen sich Kaczynski selbst nicht auskannte, sprich in Wirtschaftsfragen und internationalen Angelegenheiten."
Stichwörter: Empathie, Kaczynski, Lech, PiS

Magazinrundschau vom 13.04.2010 - Polityka

Marek Ostrowskis Kommentar zu den polnisch-russischen Gedenkfeiern wurde von dem tragischen Flugzeugabsturz zwar ziemlich eingeholt. Gültigkeit behält aber seine Forderung, dass die Russen mit ihrer Geschichte ins Reine kommen müssen. "Putin und Medwedew schreiten langsam voran, was die Abrechnung mit dem Stalinismus angeht", schreibt Ostrowski, denn "die Geschichte hat in Russland eine Surrogatfunktion gegenüber der Politik. Das Motto der Modernisierung und der Stärkung des Staates müssen danach eine autokratische Dimension haben, den 'heiligen' Charakter der Macht fördern... Die Geschichtspolitik des Landes kann angesichts des Mythos des siegreichen Großen Vaterländischen Krieges nicht richtig mit den 27 Millionen Opfern und den Vorwürfen von Verbrechen an eigenen Bürgern und Fremden, darunter Polen, umgehen. Das ist ein vielfaches Jedwabne".

Außerdem: Edward Saids "Culture and Imperialism" ist soeben auf Polnisch erschienen. Waldemar Kuligowski erinnert daran, dass man sich hierzulande zugute hält, nie Kolonien besessen zu haben und somit keine Schuld am europäischen Imperialismus zu tragen. Strukturell lassen sich die Befunde der "postcolonial studies" aber auf die polnischen Beschreibungen für die früheren Ostgebiete der alten Adelsrepublik (der sogenannten Kresy) übertragen, meint Kuligowski. "Würde Said 'Mit Feuer und Schwert' kennen, wäre seine Kritik noch schärfer ausgefallen". Henryk Sienkiewicz sei demnach der größte polnische Orientalist gewesen, was in seinen Beschreibungen der Kosaken, Tataren und Ruthenen sichtbar wird. Da seine Werke bis heute als Pflichtlektüre gelesen werden, wirke seine Überzeugung, Polen müsse westliche Zivilisation nach Osteuropa tragen, bis heute nach.

Magazinrundschau vom 02.03.2010 - Polityka

Zum Entsetzen der Polen scheint Artur Domoslawski mit seiner Biografie die Reporterlegende Ryszard Kapuscinski ein wenig entzaubert haben. Kapuscinski hat mindestens genauso gut gedichtet wie berichtet! Im Interview mit Daniel Passent beschreibt (hier auf Deutsch) Domoslawski das Vorgehen Kapuscinskis: "In 'König der Könige' beschreitet Kapuscinski eindeutig das Gebiet der Literatur. Die Hofschranzen sprechen dort in einer barocken Sprache, und ihre Äußerungen sind gewählt literarisch konstruiert. Um diese Geschichte - und in dieser Form - schreiben zu können, las er Barockliteratur. Einer seiner Literatenfreunde meint, 'König der Könige' sei der bedeutendste polnische Roman des 20. Jahrhunderts! Daran ist etwas Wahres. Deshalb bin ich skeptisch gegenüber der Kritik von engen Spezialisten. 'König der Könige' oder 'Schah-in-schah' wie Lehrbücher der Geschichte Äthiopiens und des Irans zu lesen, ist ein Irrtum. Kapuscinski präsentiert bestimmte intellektuelle Konstruktionen, er universalisiert menschliche Verhaltensweisen und die Mechanismen gesellschaftlicher Erschütterungen. Ich ziehe es vor, dieses Buch als ein Traktat über die Macht zu lesen und nicht als eine Geschichte über den Feudalherrscher Äthiopiens."

Magazinrundschau vom 23.02.2010 - Polityka

Dass man in der Volksrepublik Polen durchaus leben konnte, "ohne zum Schwein zu werden", thematisieren derzeit vor allem jüngere polnische Theaterregisseure, die sich in ihren Stücken vermehrt mit der Vergangenheit Polens auseinandersetzen. Wie Aneta Kyziol (hier auf Deutsch) berichtet, hat diese Beschäftigung jedoch oftmals einen nostalgisch verklärten Beigeschmack: "Die Volksrepublik funktioniert im Bewusstsein vieler Künstler bereits als Kostüm-Epoche. So wie in den VRP-Zeiten werden historische Requisiten genutzt, um Aktuelles nicht direkt ansprechen zu müssen, beispielsweise erzählen die Künstler von der heutigen Realität mithilfe von Spanplatten-Schrankwänden, Non-Iron-Hemden, Synthetik-Hosen mit Schlag, Pepitaanzügen, Relaks-Stiefeln, 'Teksasy' (VRP-Jeans), Koteletten und Schnurrbärten. Die Bezüge auf die VRP gestatten Distanz, bauen eine Art Metapher, und gleichzeitig decken sie das auf, was unverändert ist: die Mentalität, die nationalen Schwächen oder die vor Jahren geschaffenen und noch immer aktuellen Mechanismen des Karrieremachens. Und dabei unterhalten sie das Publikum mit dem VPR-Ramsch."
Stichwörter: Schwein, Hemd, Ramsch, Schweine, Stiefel