Magazinrundschau - Archiv

The New Republic

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Magazinrundschau vom 20.11.2012 - New Republic

Andrew J. Nathan liest Aryeh Neiers in der Princeton University Press erschienene Geschichte der Menschenrechtsbewegung. Der Autor gehört zu den Gründern von Human Rights Watch und arbeitete lange für George Soros' Open Society Institute und kennt sich nach Nathan bestens aus: "Nicht Verträge ändern das Verhalten von Staaten, sondern der Gebrauch, den eine agile, opportunistische und manchmal skrupellose Bewegung davon macht. Darum stellt Neiers Überblick eher die Bewegung als die Gesetze in den Vordergrund. Zugleich aber hätte die globale Bewegung ihre Ziele nicht ohne internationale Menschenrechtsgesetze erreicht, die es ihr erlaubten, ihre Ziele in Angriff zu nehmen. Obwohl Staaten in den letzten Jahrzehnten weiterhin Menschenrechte verletzten, gingen ihnen die Begründungen aus, die international als akzeptabel gelten konnten. Menschenrechte und humanitäre Gesetze sind zu dem geworden, was Ronald Dworkin 'Trumpfkarten' nannte."

Magazinrundschau vom 30.10.2012 - New Republic

Für seinen neuen Roman "Rue Darwin" wurde dem algerischen Schriftsteller Boualem Sansal der diesjährige Prix du roman arabe zuerkannt, doch die Preisverleihung im Juni wurde abgesagt, das Preisgeld nicht ausgezahlt. Olivier Poivre D'Arvor, Direktor von France Culture, trat daraufhin aus der Jury zurück und schilderte die Vorgänge in einem offenen Brief in der Libération. Paul Berman berichtet in The New Republic von der Affaire und sieht die Verbindung von Literatur und Politik von vornherein zum Scheitern verurteilt: "Es war löblich von der Jury, Boualem Sansal den Preis zuzuerkennen. Und die Botschafter der Arabischen Liga blamierten sich, indem sie die Verleihung verhinderten. Die Aufgabe eines Romanciers besteht darin, Wahrheit als Lüge - oder Fiktion - zu tarnen; die Aufgabe von Diplomaten ist es, Lügen als Wahrheit zu tarnen. Es war wohl eine törichte Vorstellung, dass sich Diplomaten und Romanciers zusammentun und gegenseitig Ehrungen und Komplimente spenden könnten."

Magazinrundschau vom 02.10.2012 - New Republic

Samuel Helfont kann wenig anfangen mit Tariq Ramadans Buch über den "Islam and the Arab Awakening": "Ramadans gewundene Argumente und antiimperialistischen Platitüden sind nicht nur unglücklich, weil sie zu falschen Analysen führen, sondern auch, weil sie manchmal wichtige Ideen, die eine Debatte wert wären, vernebeln. Wenn man ein Hauptargument aus seinen widersprüchlichen Ideen herausfischen müsste, dann wäre es die Überlegung, dass das Wort Säkularismus zu umstritten ist, um noch hilfreich zu sein. Er zieht das Konzept des 'Zivilstaates' vor - dessen Notwendigkeit könnten seiner Ansicht nach Islamisten ebenso akzeptieren wie Liberale. (…) Das ist ein interessantes Argument. Ein großer Teil der arabischen Welt verbindet den Säkularismus mit Unglauben. Indem man also den Begriff vermeidet und gleichzeitig sicher stellt, dass alle Bürger das gleiche Recht haben, am öffentlichen und politischen Leben teilzunehmen, könnte dies die Köpfe für eine säkulare Regierung öffnen. Allein Ramadans Idee ist unvollständig. Denn der Begriff 'Zivilstaat' überdeckt nur die Unterschiede zwischen einem säkularen und einem islamischen Staat. Liberale und Islamisten würden auch unter diesem Begriff immer noch nicht darin übereinstimmen, ob ein Christ diesen Staat regieren darf. Ramadan benutzt den Begriff 'Zivilstaat', um solche notwendigen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Tatsächlich findet er Debatten über Säkularismus 'sinnlos, contraproduktiv und leer'."

Magazinrundschau vom 25.09.2012 - New Republic

Die New Republic hat im Moment einen hervorragenden Lauf. Fast in jeder Ausgabe gibt es tolle Essays und fast alle stehen online. So auch in dieser. Allerdings muss man in zwei Texten erfahren, dass das Kino so gut wie tot ist.

Okay, es war ja nur ein Spiel, auch wenn über achthundert angesehene Filmkritiker daran teilnahmen. Aber David Thomson ist doch ein bisschen deprimiert über das Ergebnis. Hitchcocks "Vertigo", ein über fünfzig Jahre alter Film wurde in der Kritikerumfrage der britischen Zeitschrift Sight & Sound zum besten Film aller Zeiten gewählt, es folgt ein noch älterer Film, "Citizen Kane": "Unter den besten zehn Filmen aller Zeiten war Stanley Kubricks '2001' von 1968 der jüngste. In den Top Fünfzig gab es nur zwei Filme aus 'unserem' Jahrhundert, Wong Kar-Wais 'In the Mood for Love' (2000) and David Lynchs 'Mulholland Drive' (2001). Die Umfrage wurde mit den besten Absichten veranstaltet. Das Interesse für Kino sollte neu belebt werden, man wollte zeigen, dass wir nicht tot sind, und Sight & Sound sollte beworben werden. Es war so überzeugend wie Konfetti bei einer Beerdigung."

Ebenso deprimiert David Denby, der in einem Rückblick auf zwanzig Jahre Blockbuster feststellt, dass es so gut wie keine Filme mehr gibt, die Geschichten erzählen - jedenfalls nicht als Hauptprodukte der großen Studios: Allenfalls "am Ende des Jahres, wenn die Oscars locken, vertreiben sie einige nicht Action-zentrierte, aber intelligent geschriebene und gespielte Filme wie 'The Fighter', die aber völlig außerhalb der Studios produziert wurden. Wieder und wieder holen diese seriösen Filme viele Preise, aber größtenteils wollen die Studios außer in ihrer Funktion als Verleiher nichts damit zu tun haben. Und warum nicht? Weil ihr Erfolg von der 'Ausführung abhängt', sie sind 'execution dependent' - das heißt, um Erfolg zu haben, müssen sie gut gemacht sein. So weit ist es also gekommen: Ein Kinostudio kann es sich nicht länger erlauben, gute Filme zu machen."

Außerdem in dieser Nummer der TNR: Der pakistanische Schriftsteller Mohammed Hanif erklärt, wie es ist, in Karachi zu leben, einer der gefährlichsten Städte der Welt - und warum er dort lieber lebt als irgendwo sonst in Pakistan (zum Beispiel weil man da an Bier herankommt). Paul Berman schreibt einen Nachruf auf die Ideologie der Baath-Parteien in der arabischen Welt. Ruth Franklin rezensiert ausführlich Zadie Smiths neuen Roman "NW". Und David Thomson meint über Paul Thomas Andersons Film "The Master": "Wenigstens ist er prätentiös, das ist immerhin etwas in einer Zeit, in der die meisten Filme nicht einmal das versuchen."

Magazinrundschau vom 04.09.2012 - New Republic

Die New Republic bringt drei amüsante und informative Artikel im Vorfeld des amerikanischen Wahlkampfs. Michael Wolff, Autor einer viel beachteten Rupert-Murdoch-Biografie, erzählt, warum Murdoch mit Mitt Romney so gar nichts anfangen kann: Der Mann ist ein Finanzier, und kein Unternehmer. Er trägt gut geschneiderte Anzüge, nicht billige Stangenware. Und er ist Mormone, was Murdoch regelmäßig mit Scientology zu verwechseln scheint. Alles in allem ist er ihm einfach zu glatt und geleckt. Und dann noch dies: "Murdoch bewegt sich weg von seiner rechten Hardcore Periode. Zwar ist er immer noch sehr marktliberal (gegen Regulierung, Steuer, Defizit), aber er ist auch für Einwanderung, für Waffenkontrolle, für das Recht auf Abtreibung, für eine Verbesserung des Bildungssystems und offen in den meisten gesellschaftlichen Fragen. Eigentlich ist er die Art Republikaner, die Mitt Romney wäre, wenn er glaubte, als der wirkliche Mitt Romney gewählt werden zu können - das heißt, wie Murdoch murmeln würde, falls es diesen wirklichen Mitt Romney tatsächlich gibt."

Wenn man als Suche "tnr buzzfeed" bei Google eingibt, findet man als erstes nicht Marc Tracys Artikel über Buzzfeed, sondern den Tweet von Buzzfeed über diesen Artikel, und das ist in etwa das, was Tracy meint, wenn er sagt, dass Buzzfeed wohl das twitterangemessenste neue Medium ist. Berühmt wurde Buzzfeed mit Bilderstrecken wie "Basset Hounds Running". Aber nun gibt es auch einen Politikteil, der Millionen Unique Visitors erreicht - mit den allerneuesten Techniken des über Twitter gestreuten Boulevardjournalismus. Erfunden wurde Buzzfeed von Jonah Peretti, einem der Väter der Huffington Post. Und er engagierte den Politico-Blogger Ben Smith als Politikchef, einen fast schon pathologischen News-Junkie: "Und so begannen die beiden ihr Experiment und kombinierten die Gier des einen nach dem neuesten politischen Stoff mit dem dogmatischen Populismus des anderen, für den die Viralität eines Artikels Gradmesser seiner Perfektion ist."

Schwerwiegender als die beiden obigen Artikel ist Paul Starrs Besprechung dreier Bücher, die fragen, ob Amerika eine Oligarchie geworden sei (und diese Frage mehr oder weniger bejahen). Hinzuweisen ist außerdem auf Timothy Snyders Besprechung dreier Bücher, die sich mit Kriegsverbrecher- und stalinistischen Schauprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg befassen.

Magazinrundschau vom 07.08.2012 - New Republic

Nobelpreisträger Amartya Sen erklärt in einem großen Essay Europas Misere mit dem Grundfehler, die wirtschaftliche Vereinigung voranzutreiben, ohne Europa auch politisch zu integrieren. Mit der Folge, dass heute Banker und Finanzmanager ohne demokratische Legitimität über die Geschicke der Länder entscheiden: "Die Kosten einer gescheiterten Wirtschaftspolitik gehen weit über die Statistik der Arbeitslosenzahlen, Realeinkommen und Armut hinaus (so wichtig sie sind). Die große Vision einer EU mit einem tragenden Gefühl für Zusammengehörigkeit ist durch die Ereignisse auf ökonomischem Gebiet bedroht. Diejenigen, die eine Währungsunion als 'ersten Schritt' zu einem vereinten Europa propagierten, haben Europa tatsächlich in eine Richtung gestoßen, die dieser europäischen Einheit zuwiderläuft. Natürlich droht keine Rückkehr nach 1939, doch um W.H. Audens Analogie der Hunde Europas ("In the nightmare of the dark / All the dogs of Europe bark, / And the living nations wait, / Each sequestered in its hate.") zu benutzen: Das Bellen von einem abgesonderten regionalen Terrain des Ressentiment und der Verachtung schadet dem Ziel, europäische Freundschaft und Einheit zu pflegen, immens."

Als gefährlichen Demagogen brandmarkt der Historiker und Schriftsteller Enrique Krauze den linken Politiker Andrés Manuel López Obrador, der den Ausgang der mexikanischen Präsidentschaftswahlen nicht anerkennt und sich zum eigentlichen Wahlsieger erklärt hat: "Dass so viele junge Leute aufgebracht sind und so unwillig, den unbestrittenen Ausgang einer Wahl anzuerkennen - das zeigt die Kosten, die López Obrador der mexikanischen Demokratie bereits aufgebürdet hat."

Weiteres: Martin Amis stellt klar, dass er aus rein persönlichen Gründen in die USA gezogen ist, nicht aus irgendeinem antibritischen Furor, aber selbstverständlich hätten ihm die englischen Kritiker jede Menge Gründe geliefert.

Magazinrundschau vom 24.07.2012 - New Republic

Der Mormonismus treibt die amerikanischen Medien nach wie vor um. Walter Kirn schreibt einen sehr persönlichen Text darüber, was der Mormonismus für seine Familie und ihn bedeutete - und bedeutet. Er half seinem Vater, einem Rechtsanwalt, als er beruflich und familiär der Verzweiflung nahe war. Darauf gebracht hatte ihn ein Ehepaar, dem er auf Reisen begegnet war und das ihm von der Kirche erzählt hatte. "Am nächsten Morgen schreckte er zuhause aus einem Alptraum auf. Meine Mutter drohte ihm an, ihn zu verlassen. Sie hatte genug. Er dachte an das Ehepaar im Flugzeug, öffnete sein Telefonbuch, fand eine Nummer und sagte, dass er Hilfe brauche. Jetzt. Sofort. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage scheint auf solche Verzweiflungsanrufe vorbereitet zu sein. Sie schickte sofort Rettung: ein anderes Ehepaar, um die siebzig. Innerhalb einer Stunde waren sie bei meinem Vater."

David Bell erzählt die Geschichte von den Bibliotheken, die demnächst keine physischen Bücher mehr anzubieten brauchen, bis er auf ein kniffliges kleines Problem stößt: Ebook-Dateien gibt es von rechtefreien und von ganz neuen Büchern. Was ist aber mit den nicht mehr lieferbaren und sogenannten "verwaisten" Werken? "Millionen Bücher, die Google gescannt hat, können nur in 'preview'- oder 'snippet'-Form (oder gar nicht) angesehen werden. Google hat jahrelang mit der Authors Guild und anderen Organisationen verhandelt, um diese Bücher kommerziell zugänglich zu machen. Aber im März wurde die Vereinbarung durch den Richter Denny Chin für nichtig erklärt, und seitdem befinden sich diese Bücher im Schwebezustand." Auch Robert Darntons Projekt einer Digital Public Library of America, so Bell, hat noch keine Antwort auf dieses Problem.

Außerdem erklärt Walter Laqueur in dieser Nummer, warum es gerechtfertigt ist, die Zukunft Europas in den trübsten Farben zu malen.

Magazinrundschau vom 10.07.2012 - New Republic

Mit Bauchgrimmen hat Adam Kirsch noch einmal John Updikes neuaufgelegte "Henry Bech"-Erzählungen gelesen. Henry Bech ist ein amerikanischer Schriftsteller, der, wie Updike schrieb, so "zwangsläufig" Jude ist wie "ein Teppichhändler Armenier". Unter all den Klischees, die der Ober-WASP Updike dabei benutzt, findet Kirsch am seltsamsten, dass Juden angeblich nicht Nein sagen können: "In einem Jahrhundert, dessen berühmtester jüdischer Autor Kafka war, ist die Idee, dass Juden nur Ja sagen können, bizarr; aber sie führt direkt zum Kern von Updikes Vorstellung über Amerika und die amerikanische Literatur. Für Updike, der seine intellektuelle Abstammung auf Dickinson, Melville und Hawthorne zurückführt, ist das, was Literatur amerikanisch macht, ein post-puritanisches, post-protestantisches Ringen mit der Abwesenheit des erlösenden Gottes. Juden, suggeriert er wie vor ihm schon so viele englische Professoren, haben diese amerikanische Erfahrung einfach nicht in ihren Knochen."

Das Cover der neuen Ausgabe zeigt auf subtile Art, "something's rotten" in Britannien.

Magazinrundschau vom 19.06.2012 - New Republic

An Kropotkins abenteuerliche Flucht aus der Peter-und-Paul-Festung fühlt sich Paul Berman durch den chinesischen Anwalt Cheng Guangcheng erinnert, der, blind und mit gebrochenem Fuß, seinem Hausarrest in der Provinz Shangdong entkam und sich in die amerikanische Botschaft in Peking rettete: "Es ist schön und atemberaubend zu beobachten, wie einem Heros der Menschenrechte die Flucht gelingt. Der Helden mag durch andere Wirren gehen, und am Ende könnten die dunklen Kräfte triumphieren. Aber noch nicht! Derweil erhaschen wir einen Blick von der Freiheit, diesem flüchtigen Wesen, wie sie um die Ecke schleicht. Und die Seele frohlockt."

In einem sehr hintergründigen Essay rekapituliert die Ökonomin Deirdre N. McCloskey die Versuche ihrer Kollegen seit dem Utilitarismus-Begründer Jeremy Bentham, das Glück der Menschheit zu messen. Leider verkaufen sie einem dabei meist Vergnügen oder Lust als Glück: "Lust ist ein zeitlich begrenzter Gehirnstrom, Glück ist eine gute Lebensgeschichte."

Magazinrundschau vom 05.06.2012 - New Republic

Gut, dass Joseph Brodsky mit 15 Jahren die Schule abbrach, lernt der Koestler- und Solschenizyn-Biograf Michael Scammell aus Lev Loseffs "erhellender, aber unausgeglichener" Brodsky-Biografie. "Es war laut Loseff das Beste, was der junge künftige Dichter tun konnte, denn es ersparte ihm die Oberflächlichkeit konventionellen Lernens und bewahrte ihn vor den Klischees der Literaturkurse und Dichterwerkstätten in der High School. 'Niemand bimste ihm je ein, dass die direkte Konfrontation von Dingen wie Leben und Tod schlechter Geschmack oder das Schreiben über historische oder kulturelle Themen irgendwie pretentiös war.' Obwohl er sich selbst erzogen und unterrichtet hatte, streifte Brodsky durch gieriges Lesen und stählerne Willenskraft den Provinzialismus ab. Sein Ohr für Poesie war eine Begabung, er grübelte über Fragen des Rhythmus, der Metrik, der Metaphorik mit einer Konzentration und Intensität, die alles in den Schatten stellte, was er in Lyrikseminaren hätte lernen können. Stück für Stück trug er sich seine Poesie selbst zusammen, wie Loseff brillant anhand seiner Gedichte und Kritiken zeigt. Unter den russischen Klassikern fühlte sich Brodsky eher hingezogen zu Derschawins neobarocken Oden oder Baratynskis Realismus als zu Puschkins oder Lermontows Romantizismus; unter den Modernen bevorzugte er Annensky and Zwetajewa vor Blok, Mandelstam und Achmatowa. (Die Verwandtschaft mit Achmatowa, Mandelstam und dem silbernen Zeitalter, die er sehr früh in seiner Laufbahn fühlte, war er eher spirituell als poetisch.)"
Stichwörter: Brodsky, Joseph, Intensität