Magazinrundschau
Wer zuerst das Ziel erreicht
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
16.08.2022. Atlantic-Autorin Anne Applebaum zeigt am Beispiel Odessas, wie der Krieg endgültig eine ukrainische Identität schmiedet. Tablet besucht die Retrospektive Shirley Jaffes, der letzten amerikanischen Nachkriegskünstlerin in Paris. Der New Yorker lernt in Ruanda, wie wichtig ein funktionierender Kühlkreislauf für unsere Lebensmittel ist. Unherd fürchtet: Die Fatwa war nur der Anfang.
Unherd (UK), 15.08.2022
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New Yorker (USA), 22.08.2022
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Wie wichtig ein funktionierender Kühlkreislauf für unsere Lebensmittel ist, das lernt man aus Nicola Twilleys Reportage über fehlende Kältetechnik in Ruanda. Die Ausfälle durch verdorbene Lebensmittel im subsaharischen Afrika werden auf immerhin Hunderte von Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Der Erfindungsreichtum und Unternehmergeist, mit dem die Ruander diesem Problem begegnen, ist beeindruckend, aber es gibt noch einiges zu tun: Kühlung, wenn sie funktioniert, nützt vor allem großen Farmen, die für den Export pflanzen. Sie ist ein Klimakiller (an der Energieeffizienz arbeiten derzeit britische und ruandische Forscher). Und schließlich - etwas unerwartet - wollen viele Ruander keine gekühlten Lebensmittel: "Wie mir Alice Mukamugema, eine Analystin im ruandischen Landwirtschaftsministerium, erklärte, glauben die Verbraucher in Ruanda, dass gekühlte Lebensmittel nicht frisch sind. (Amerikaner im frühen 20. Jahrhundert äußerten ähnliche Befürchtungen.) 'Händler, die die Abfälle aus dem Eishaus des National Agricultural Export Development Board auf dem lokalen Markt verkaufen, müssen sie sogar eine Zeit lang in die Sonne legen, damit sie sich nicht kalt anfühlen', sagte sie."
Nach Jane Mayer letzte Woche (unser Resümee) blickt heute Louis Menand auf das Wahlsystem der USA und stellt fest, wie undemokratisch es ist. Und das, obwohl in den USA mehr Menschen zur Wahl gehen als je zuvor. Gerrymandering (das Menand ganz gut erklärt), Wahlmännerkollegium und Filibuster - diese drei Eigenheiten führen inzwischen dazu, dass eine kleine Minderheit über die Mehrheit herrscht. 1789 mag es für einige Regeln gute Gründe gegeben haben, die heute obsolet sind. Warum ist es aber so schwer, die Verfassung zu ändern? Der Glaube daran hat etwas Religiöses, meint Menand: "Wir leben in einem Land, das unter einem schweren Fall von Ahnenkult leidet (ein Symptom für Unsicherheit und Angst vor der Zukunft), der durch eine absurde, undurchführbare und manipulierbare Doktrin namens Originalismus noch verschärft wird. Etwas, das Alexander Hamilton in einer Zeitungskolumne geschrieben hat - die 'Federalist Papers' sind im Grunde eine Sammlung von Meinungsäußerungen -, wird wie eine Passage aus dem Talmud behandelt: Wenn wir sie richtig interpretieren könnten, würde sie uns den Weg weisen."
Weiteres: Adam Entous erzählt die unbekannte Geschichte der Familie Biden. Rebecca Mead schreibt über den finanziell ungeheuer erfolgreichen Künstler Anish Kapoor. Und Rachel Syme denkt über das Vermächtnis von Nora Ephron nach.
The Atlantic (USA), 15.08.2022
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Was mit "Twin Peaks" begann, ist spätestens seit "Lost" Gymnastik für Serienjunkies: Der fieberhafte Austausch über mögliche kommende Plot-Twists, verrätselte Erzählstrukturen und die eigentliche Beschaffenheit eines Erzählszenarios - die Welt der Fan-Theorien, die heute in Foren im Netz und dort insbesondere auf Reddit schillernde Blüten an der Grenze zur Forensik treiben (was genau steht in dem Zauberbuch, das im Bildhintergrund von "Harry Potter" aufgeschlagen herumliegt?). Für die Kreativen hinter den Kulissen kann das Segen (Werbung) und Fluch sein (ein schon frühzeitig richtig enttarnter Plot-Twist), schreibt Shirley Li. "Die Folge: Geschichtenerzähler müssen mehr leisten, als befriedigendes Garn zu spinnen; sie müssen sich gegenüber Fans behaupten, die so involviert sind, dass sie mit ihnen quasi im Wettlauf sind, wer zuerst das Ziel erreicht. Insbesondere bei Fernsehserien sind die leidenschaftlichen Zuschauer Teil des Writers Room geworden - nicht in tatsächlicher Anwesenheit natürlich, aber als dräuende Präsenz im Bewusstsein zumindest alljener, die staffelwerten Plot schmieden. ... Einige Serien fordern ihre Fans aber auch zum detektivischen Blick heraus. So verriet mir Chris Miller, der kreative Kopf hinter dem AppleTV-Whodunnit 'The Afterparty', dass das Autorenteam in jeder Episode 'kleine Geschenkkörbe' platziert - Ostereier, die den Adlerblick der Zuschauer mit Hinweisen auf die Identität des Mörders belohnen. 'Es ist aufregend in unserer Welt von heute zu leben, wo die Leute schauen, nochmal schauen und ständig das Bild pausieren können', sagte er mit. In 'Only Murders in the Building', dem ähnlich komödiantischen Krimi von Hulu, liefert der Vorspann jeder Episode einen Hinweis auf die folgende Geschichte."
Tablet (USA), 15.08.2022
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Eurozine (Österreich), 15.08.2022
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Himal (Nepal), 12.08.2022
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HVG (Ungarn), 11.08.2022
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London Review of Books (UK), 18.08.2022
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Geoff Mann liest Bücher zum Post-Wachstum von Per Espen Stoknes, Jason Hickel, Tim Jackson und Giorgos Kallis, die allesamt gegen das Credo anschreiben, mehr sei fast so gut wie besser: "John Stuart Mill erklärte wie viele andere auch, dass Menschen am besten in einer Gesellschaft lebten, in der 'keiner arm sei, niemand reicher zu werden verlangt oder befürchten muss, zurückgeworfen zu werden von denen, die vorwärts drängen'. Die Ökonomie des Wachstums wird, das ist der Vorwurf, verwechselt mit einer qualitativen Entwicklung. Dabei wissen wir heute, dass Länder, deren BIP pro Kopf zu den höchsten gehört oder am schnellsten wächst, nicht unbedingt friedlicher oder demokratischer sind, auch leben ihre Bürger nicht unbedingt länger, gesünder oder glücklicher. Trotzdem bleibt das BIP das Standardmaß für all nationale Wirtschaftsaktivitäten, zum Leidwesen der Verfechter von Alternativen wie dem Human Development Index oder dem Genuine Progress Indication, die immerhin versuchen, menschliches Wohlbefinden messen."
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