Magazinrundschau
Das Buch aller Versuchungen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.04.2009. Dank Google Street View versteht die London Review jetzt endlich Stendhals Beschreibung des realistischen Romans. Le Monde diplomatique übersetzt Roger Darntons instruktiven Essay über das Urheberrecht. Der Figaro liest Ciorans Jugendschriften. Babelia beobachtet die Geschiedenen im Teatro Colon. Vanity Fair schleicht sich in den Bohemian Club.
London Review of Books (UK), 09.04.2009
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Außerdem in einer sehr interessanten Ausgabe: Der Pakistan-Korrespondent Graham Usher berichtet über den wachsenden Einfluss Indiens in den USA - und die hoch problematischen Auswirkungen auf die Entwicklung in Afghanistan. Michael Wood hat im Kino Tom Tykwers Film "The International" gesehen und mag als einer der ganz wenigen Kritiker die Schießerei im Guggenheim-Museum gar nicht - deutlich besser gefällt ihm Tony Gilroys "Duplicity". Der Historiker Christopher Clark bespricht Fabrice d'Almeidas Buch über "Die High Society im Dritten Reich".
Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 03.04.2009
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Tygodnik Powszechny (Polen), 05.04.2009
Der Literaturhistoriker Henryk Markiewicz ist überfordert: Niemand komme mit dem Lesen und Rezipieren der Fachpublikationen hinterher, US-amerikanische Moden in der Methodologie kommen und gehen, bevor sich jemand mit ihnen eingehend beschäftigen könne, und die Öffentlichkeit scheine es sowieso nicht zu interessieren: "In den letzten Jahrzehnten ging die Rolle des Buchs und der literarischen Kultur für das soziale Prestige zurück. Wenige glauben wissen zu müssen, welche wichtige Neuerscheinungen es gibt, und es gibt seit längerem keine, die die Aufmerksamkeit der Polonistik, geschweige denn der ganzen Geisteswissenschaften, auf sich ziehen würden."
Kaum zu glauben, dass die Aufnahmestation für Immigranten auf Ellis Island noch mit keiner polnischen Publikation gewürdigt wurde - beginnt Michal Olszewskis Besprechung. Die Reporterin und Schriftstellerin Malgorzata Szejnert hat dem Nadelöhr, durch das auch ungefähr 2,5 Millionen Polen gegangen sind, das Buch "Wyspa klucz" (Insel der Schlüssel) gewidmet. (Einen Auszug druckte letzte Woche die Gazeta Wyborcza ab). "Die Exklusivität der USA wird von der Autorin offen angesprochen, und man kann diese Bilder der Erniedrigung mit späteren europäischen Methoden der Eugenik und Rassenhygiene in Verbindung bringen - die Teilung in Menschen und Untermenschen ist auf Ellis Island deutlich. Gibt es aber überhaupt gerechte Methoden der Selektion von Einwanderern? (...) Die neuzeitliche Geschichte kennt keine Länder, die ihre Tore weit öffnen würden. Überall gibt es Beamte, die die Schlüssel in der Hand halten. Von der Insel mit Blick auf Manhattan zum polnisch-ukrainischen Grenzübergang in Medyka ist es nicht so weit."
Kaum zu glauben, dass die Aufnahmestation für Immigranten auf Ellis Island noch mit keiner polnischen Publikation gewürdigt wurde - beginnt Michal Olszewskis Besprechung. Die Reporterin und Schriftstellerin Malgorzata Szejnert hat dem Nadelöhr, durch das auch ungefähr 2,5 Millionen Polen gegangen sind, das Buch "Wyspa klucz" (Insel der Schlüssel) gewidmet. (Einen Auszug druckte letzte Woche die Gazeta Wyborcza ab). "Die Exklusivität der USA wird von der Autorin offen angesprochen, und man kann diese Bilder der Erniedrigung mit späteren europäischen Methoden der Eugenik und Rassenhygiene in Verbindung bringen - die Teilung in Menschen und Untermenschen ist auf Ellis Island deutlich. Gibt es aber überhaupt gerechte Methoden der Selektion von Einwanderern? (...) Die neuzeitliche Geschichte kennt keine Länder, die ihre Tore weit öffnen würden. Überall gibt es Beamte, die die Schlüssel in der Hand halten. Von der Insel mit Blick auf Manhattan zum polnisch-ukrainischen Grenzübergang in Medyka ist es nicht so weit."
Economist (UK), 03.04.2009
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In weiteren Artikeln geht es um Online-Spiele in China und die Kämpfe um die Zukunft des Cloud-Computing. Besprochen werden unter anderem Jonathan Bates Buch "Biografie eines Geistes" (Website) über die Welt des William Shakespeare und Neal Bascombes Schilderung der Jagd auf Adolf Eichmann.
Figaro (Frankreich), 03.04.2009
Einige wichtige Cioran-Neuerscheinungen haben den Figaro litteraire zu einem schönen Dossier inspiriert. Es erscheinen vor allem erstmals vollständig auf französisch Ciorans legendenumwobene Jugendschriften aus Rumänien, vor allem die "Verwandlung Rumäniens", in der es einige antisemitische und profaschistische Passagen gibt. Sebastien Lapaque beschreibt das Buch (Auszug) als das "hitzige Bekenntnis eines jungen Verzweifelten, der von Oswald Spenglers 'Untergang des Abendlands' geprägt ist... Die ' Verwandlung Rumäniens' ist das Buch aller Versuchungen: Versuchung des Faschismus, des Anarchismus, des Nihilismus, des Kollektivismus und der Verzweiflung." Mit diesen Versuchungen, so Lapaque, hatte Cioran aber lange vor Kriegsende schon gebrochen.
Zum Dossier gehört ein schönes Gespräch mit dem Cioran-Verehrer Alain Finkielkraut, der beschreibt, wie Cioran in der folgenden Trauerarbeit mit jeder Vorstellung von Zwangsläufigkeit in der Geschichte bricht: "Er kommt in seinen Tagebüchern auf diese Illusion zurück. 'Bitte verlangen Sie nicht von mir, an den Sinn der Geschichte und die Zukunft der Menschheit zu glauben. Der Mensch stolpert von Problem zu Problem, bis er dran krepiert.' Sein ganzes Werk ist eine kritische Meditation über den Rausch seiner Ursprünge."
Zum Dossier gehört ein schönes Gespräch mit dem Cioran-Verehrer Alain Finkielkraut, der beschreibt, wie Cioran in der folgenden Trauerarbeit mit jeder Vorstellung von Zwangsläufigkeit in der Geschichte bricht: "Er kommt in seinen Tagebüchern auf diese Illusion zurück. 'Bitte verlangen Sie nicht von mir, an den Sinn der Geschichte und die Zukunft der Menschheit zu glauben. Der Mensch stolpert von Problem zu Problem, bis er dran krepiert.' Sein ganzes Werk ist eine kritische Meditation über den Rausch seiner Ursprünge."
Babelia (Spanien), 04.04.2009
"Das Teatro Colon ist eine Metapher für Argentinien - dafür, was es einmal war, was wir nicht haben erhalten können, und was wir nun womöglich endgültig zerstören." Soledad Gallego-Diaz hat sich gründlich im Chaos der 2001 begonnenen Renovierungsarbeiten des mythischen Opernhauses von Buenos Aires umgesehen - es sieht nicht so aus, als ob der ohnehin schon verspätete Wiedereröffnungstermin 2010 zu den 200-Jahr-Feiern der argentinischen Unabhängigkeit eingehalten werden könnte: "In den letzten dreißig Jahren starben vier Generaldirektoren dieses Theaters an einem Herzinfarkt. Andere traten rechtzeitig von ihrem Amt zurück oder wurden entlassen - all das verwundert nicht angesichts der heillosen Interessenkonflikte rund um das Gebäude, das nicht nur die angeblich beste Akustik, sondern wohl auch den größten Personalbestand aller Opernhäuser der Welt haben dürfte: 1300 Personen - bei der Mailänder Scala sind es 910, im Londoner Covent Garden 915. Ein mit den Renovierungsarbeiten beauftragter Bauleiter entdeckte einmal verblüfft in einem Kellerraum eine um einen voll beladenen Tisch sitzende Gruppe von Männern: 'Wer ist das denn?' - 'Die Geschiedenen', hieß es: 'Sie gehören zur großen Familie der Beschäftigten des Colon. Sie sind geschieden und wohnen jetzt erst einmal hier. Da sie allein sind, feiern sie manchmal sonntags zusammen.'"
Spectator (UK), 04.04.2009
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Espresso (Italien), 03.04.2009
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New Yorker (USA), 13.04.2009
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Weiteres: George Packer attestiert der Regierung Obama nach knapp hundert Tagen eindeutig großen Aktivismus, die dahinter stehende Philosophie hat er aber noch nicht begriffen. Zum siebzigsten Jahrestag von Marian Andersons bewegendem Konzert vor dem Lincoln Memorial konstatiert Alex Ross, dass auch heute noch schwarze Sängerinnen und Sänger in der Klassik einen schweren Stand haben. Nicholas Lemann entnimmt einer Anzahl neuerer Biografien über Medienmogule, dass diese selten direkten Zugang zur Macht hatten.
Nouvel Observateur (Frankreich), 02.04.2009
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Outlook India (Indien), 14.04.2009
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Vanity Fair (USA), 01.05.2009
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