Magazinrundschau
So kann man nicht bloggen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
29.01.2008. Die New York Review of Books fasziniert die Sprache der Blogger. Der Independent feiert den offenen Markt der Ideen im Internet. In ADN cultura beobachten wir die Entstehung eines literarischen Kanons. In Nepszabadsag grübelt Csaba Gombar über dog-whistle politics. In Outlook India stellt sich Arundhati Roy vor, sie hätte den Sarg Hrant Dinks begleitet. In Odra fröstelt Ludwik Tomialojc beim Gedanken an ein AKW in Polen. Im Espresso lässt sich Umberto Eco die Funktion einer Opposition erklären. Der Economist sieht Murdoch in China scheitern.
New York Review of Books (USA), 14.02.2008

Ehud Olmert mag nicht Israels stärkster Premier sein, aber er ist seit langem der erste, der ernsthaft Frieden mit den Palästinensern sucht, meint der israelische Schriftsteller Amos Elon in einer großen Analyse der gegenwärtigen Lage: "Olmert hat keine biblischen Visionen. Seine Idee von Israel ist die eines säkularen modernen Staates mit einer florierenden Wirtschaft, integriert in den globalen Handel und eng verbunden mit Europa. Nicht ganz das, was Gott und Abraham in der Bronzezeit diskutiert haben. Sharon sprach noch von einem langen und schwierigen Kampf. Olmert sagt, die Israelis seien des Krieges müde, müde, ewig Sieger zu sein. Die Hardliner bringt er immer wieder auf die Palme, wenn er von zwei Staaten spricht, was er oft tut. Olmert ist vielleicht der pragmatischste israelische Führer seit 1967. Es ist zu hoffen, dass er nicht zu spät kommt."
Die Historikerin Anne Applebaum erklärt, warum Andrzej Wajdas Film "Katyn" über die Ermordung von 20.000 polnischen Offizieren durch den sowjetischen NKWD so wichtig sei: "In Polen evoziert das Wort Katyn nicht nur den Mord, sondern so viele sowjetische Falschheiten in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und die sowjetische Invasion Polens von 1939. Katyn war nicht ein einzelnes Kriegsereignis, sonder eine Reihe von Lügen und Verzerrungen, die über Jahrzehnte verbreitet wurden und die Warheit über die sowjetische Nachkriegsbesatzung und Polens Verlust seiner Eigenständigkeit verschleiern sollten."
Außerdem: Frank Rich warnt die amerikanischen Demokraten davor, ihre eigene Stärke zu überschätzen. Besprochen werden David Rieffs Erinnerungen an seine Mutter Susan Sontag "Swimming in a Sea of Death", die Gustave-Courbet-Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum. Und schließlich ist auch Tony Judts Rede zur Entgegennahme des Hannah-Arendt-Preises in Bremen zu lesen.
Independent (UK), 28.01.2008
Johann Hari malt fasziniert die möglichen Auswirkungen des Internet auf unser Leben und unser Hirn aus. Gefährdet sieht er diese - nicht durch Leser oder Blogs, sondern durch die Kabelbetreiber, die in den USA und Europa mächtig dafür Lobby machen, eine zweispurige Datenautobahn anbieten zu dürfen: Eine Spur für gut zahlende Kunden wie Microsoft oder Nike (oder Tageszeitungen), deren Seiten im Web dann blitzschnell aufgehen, und eine Standardspur, die billiger, aber auch bedeutend langsamer ist. "Mit diesem neuen Modell würden wir nicht länger auf einem offenen Markt der Ideen konkurrieren; Diskussionen würden noch gröber von den Reichen beeinflusst. Während das Internet unseren Verstand und unsere Seele in einer Weise verändert, die wir gerade erst anfangen zu verstehen, müssen wir darum kämpfen, dass es für jeden gleich offen bleibt. Anderenfalls wird die Welt von morgen von Unternehmen kontrolliert werden. Die Kabel, die uns alle verbinden, werden Ungleichheit transportieren."
ADN cultura (Argentinien), 26.01.2008
Wie ein Kanon entsteht, hat sich der Schriftsteller und Journalist Tomas Eloy Martinez von dem Chilenen Luis Harss erklären lassen, der vor vierzig Jahren als junger Journalist durch einen Band mit zehn Schriftstellerporträts fast im Alleingang den weltweiten "Boom" der lateinamerikanischen Literatur ausgelöst hatte: "Es gab eine 'Mafia', wie Carlos Fuentes, Julio Cortazar und Mario Vargas Llosa selbst ihren Freundeskreis bezeichneten, eine Art Autoren-Netz, das über Mexiko City, Paris, Buenos Aires verteilt lebte. Sie lasen und bewunderten sich gegenseitig. Sie lebten weniger in einem bestimmten Land als innerhalb der spanischen Sprache ... Der Erste, den ich kennen lernte, war Julio Cortazar. Er sagte zu mir: 'Hier um die Ecke wohnt ein Typ, der heißt Mario Vargas Llosa. Er hat erst ein Buch veröffentlicht, kaum jemand kennt ihn, aber er ist ein großartiger Schriftsteller. Den empfehle ich dir.' Ich suchte ihn in seinem dunklen Kämmerchen auf und wir setzten uns zusammen vor mein Aufnahmegerät. Mit den anderen ging es genauso, ich rief sie an oder klingelte bei ihnen an der Tür und sagte: 'Man hat mir erzählt, dass du ein sehr gutes Buch veröffentlicht hast.' Manchmal mussten sie mir ihre Bücher erst einmal zum Lesen geben. So kam ich von einem zum anderen."
Derweil macht sich der Architekt und Stadtplaner Fabio Grementieri große Sorgen um den Erhalt der historischen Bausubstanz der wunderschönen Stadt Buenos Aires, "in der sich auf höchst subtile Weise der Aufstieg und die nur mit wenigem vergleichbare Raffinesse einer ganzen Gesellschaft widerspiegeln."
Derweil macht sich der Architekt und Stadtplaner Fabio Grementieri große Sorgen um den Erhalt der historischen Bausubstanz der wunderschönen Stadt Buenos Aires, "in der sich auf höchst subtile Weise der Aufstieg und die nur mit wenigem vergleichbare Raffinesse einer ganzen Gesellschaft widerspiegeln."
Nepszabadsag (Ungarn), 26.01.2008

Outlook India (Indien), 04.02.2008

Bhaichand Patel bemerkt außerdem, dass weiße Frauen in Indien immer häufiger Opfer sexueller Übergriffe werden. Rassistisch findet er das: Einmal, weil weiße Frauen unterstellt wird, sie würden mit jedem Lümmel ins Bett gehen und zum zweiten - hier nimmt sein Artikel eine kuriose Wendung - weil indischen Frauen so deutlich gezeigt werde, dass sie für den indischen Mann weniger sexy sind als weiße.
Odra (Polen), 28.01.2008

Spectator (UK), 25.01.2008

Espresso (Italien), 25.01.2008

Economist (UK), 26.01.2008

Ganz knapp besprochen werden zum selben Thema Ratgeber zum Wirtschaften in und mit China. Eine weitere Rezension stellt wenig überzeugt Tarun Khannas Studie zur glänzenden Zukunft chinesisch-indischer Wirtschaftszusammenarbeit vor.
Weitere Artikel: Eine Studie, über die der Economist informiert, hat herausgefunden, dass sich der Erfolg, den Manager haben, ziemlich genau aus ihrer Physiognomie vorhersagen lässt. Recht ausführlich vorgestellt wird Craig Venters erfolgreiches Projekt zur künstlichen Genom-Herstellung. Besprochen werden Andrzej Wajdas auch im Wettbewerb der kommenden Berlinale zu sehender Historienfilm "Katyn", die Parmigianino-Ausstellung in der New Yorker Frick Collection und A.L. Kennedys neuer Roman "Day".
Nouvel Observateur (Frankreich), 24.01.2008

Ebenfalls in einem Gespräch entschlüsselt der Soziologe Jean-Pierre Le Goff, der dieser Tage bei Gallimard seine Studie "La France morcelee" (die Zersplitterung der französischen Gesellschaft) veröffentlicht, den Sarkozysmus als hochriskante Entweihung des Präsidentenamts. "Man hat seine 'bonapartistischen' und 'populistischen' Aspekte betont, seinen Flirt mit bestimmten Gedanken des Front National... Tatsächlich sprengt Nicolas Sarkozy stets die Schublade, in die man ihn stecken will. Die Realität erscheint mir manchmal rüde, vielleicht fällt es uns deshalb so schwer, sie zu glauben: Man sucht nach einer Kohärenz, wo es keine gibt. Seine Persönlichkeit erklärt sich nicht aus einem homogenen Zusammenhang. Nicolas Sarkozy reichert seinen Ehrgeiz ohne Rücksicht auf den Zusammenhang mit Doktrinsplittern an und liebt es, wie Jean-Pierre Raffarin schrieb, 'im Zentrum einer Ideenschleuder' zu sein. Das zersplitterte Frankreich und ein solcher Patchwork-Präsident sind die Spiegelungen. Ein neues politisches Gemisch gruppiert sich um einen auf seine Person zentrierten Voluntarismus und einen Manager-Pragmatismus, der sich von jeglicher Ideologie befreien will."
New Yorker (USA), 04.02.2008

Weitere Artikel: Evan Osnos berichtet über den Aufstieg des unter Mao verbotenen Boxsports in China und dessen Hoffnungsträger Zou Shiming (1,70 Meter, 48 Kilo). Alex Ross porträtiert Jonny Greenwood, Gitarrist der britischen Band Radiohead, der eine Filmmusik und ein Orchesterwerk komponiert hat. David Denby sah im Kino das kanadische Step-Musical "How She Move" von Ian Iqbal Rashid und das Aids-Drama "Die Zeugen" von Andre Techine, das letztes Jahr im Wettbewerb der Berlinale lief. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Friendly Fire" von Tessa Hadley und Lyrik von Jean Valentine und Billy Collins.