Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Literatur

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.03.2024 - Literatur

Oliver Jungen berichtet in der FAZ vom Auftakt der Lit.Cologne, der ganz im Angesicht eines wiedererstarkenden Antisemitismus stattfand. Auf der Bühne sprachen Michel Friedman, Robert Habeck und Nele Pollatschek. Es "wurde erstaunlich ungeschützt gesprochen, mal tastend, mal fordernd. Nele Pollatschek machte deutlich, wie alleingelassen sich Juden nach dem Anschlag gefühlt haben, weil die sonst übliche Welle der Solidarität mit ihnen ausblieb und stattdessen die Anfeindungen zunahmen. Hunderttausende trieb erst das Potsdamer Geheimtreffen zur 'Remigration' auf die Straße, ergänzte Friedman, nicht der Umstand, dass wieder 'Tod den Juden' gerufen worden sei. Seinen Zorn hielt er nicht zurück. Gebrochen worden sei das Wehret-den-Anfängen-Versprechen dieses Landes, auf das er trotz aller Anfeindungen lange gebaut habe." Für die taz berichtet Dorothea Marcus.

Außerdem: In der FAZ wirft Tilman Spreckelsen einen Blick auf Theodor Fontanes Antisemitismus. Besprochen werden unter anderem Werner Herzogs Essay "Die Zukunft der Wahrheit" (Standard), Joy Williams' "In der Gnade" (FR), Lize Spits "Der ehrliche Finder" (NZZ), Ulrich Chaussys Biografie über Arthur Eichengrün (online nachgereicht von der FAZ) und Didier Eribons "Eine Arbeiterin" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.03.2024 - Literatur

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Heute erscheint mit "Wir sehen uns im August" knapp 20 Jahre nach seinem Tod ein Nachlassroman von Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez - und Paul Ingendaay von der FAZ war beim Lesen spürbar in den Bann gezogen: Hier "blitzen Sätze auf, die nur García Márquez schreibt, weil nur er sich das traut. 'Den Wunsch, auf der Insel begraben zu werden, hatte ihre Mutter drei Tage vor ihrem Tod geäußert' steht da. 'Ana Magdalena wollte zur Beerdigung fahren, doch das hielt niemand für vernünftig, da nicht einmal sie selbst glaubte, den Schmerz überleben zu können.' ... Wer soll denn das glauben? Aber dann liest man weiter und glaubt es ihm. Schmerz und Begehren - hier ausnahmsweise weibliches Begehren! - haben bei García Márquez die Macht von Wirbelstürmen. Diese Weltsicht wirkt ansteckend, sie könnte den eigentlichen Zauber seiner Bücher ausmachen. Man wird davongetragen, aber ohne billige Tricks. Man glaubt dieser Stimme die markigen Aussagen und immer wieder verblüffenden Verallgemeinerungen und denkt: Tolstoi hat sich das auch getraut. Und: Schade, dass jetzt wirklich nichts mehr von ihm kommt."

Der Kulturbetrieb ist seit dem Hamas-Massaker polarisiert, Verlage geraten unter Druck. Felix Stephan spricht für die SZ mit Oliver Vogel vom S. Fischer Verlag über die letzten Monate, in denen es um sein Haus gleich von beiden Seiten der aktuellen Kontroversen aus Turbulenzen gab. "Wir müssen in der Buchbranche aufpassen, dass wir uns die Logiken der politischen und ideologischen Auseinandersetzung nicht aufzwingen lassen", glaubt Vogel. "Unsere Verantwortung ist es, Ausschlüsse zu verhindern, um stattdessen Stimmen hörbar zu machen, die unseren Denkraum erweitern, die etwas beitragen zu den aktuellen Diskursen. Dass Verlage langsam sind, ist dabei ein Vorteil, und den sollten wir nutzen. Wir sollten zuhören und Gelegenheit geben, nachzudenken und zu korrigieren. Die demokratische Gesellschaft ist gerade eine etwas unbequeme Realität. Es ist nicht die Zeit für Hasenfüße."

Außerdem: Für den Standard spricht Ronald Pohl mit dem Schriftsteller und Musiker Sven Regener über Kafka. In der Kafka-Reihe der SZ erzählt die Schriftstellerin Marion Poschmann von ihrem Leid, dass sie grundsätzlich nicht zusehen kann, wenn Bücher aussortiert werden - weshalb sich Kafkas Werk bei ihr zuhause mittlerweile in zahlreichen Ausgaben stapelt. Alexander Menden berichtet vom Auftakt der Lit.Cologne mit Michel Friedman und Robert Habeck. Besprochen werden unter anderem Nicole Seiferts "'Einige Herren sagten etwas dazu'. Die Frauen der Gruppe 47" (Jungle World), Sanaka Hiiragis "Die Erinnerungsfotografen" (online nachgereicht von der FAZ) und Odile Kennels Gedichtband "Irgendetwas dazwischen" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.03.2024 - Literatur

Markus Bauer resümiert in der FAZ ein Festival zur rumänischen Gegenwartsliteratur. Besprochen werden unter anderem Roberto Savianos "Falcone" (FAZ), Alia Trabucco Zeráns "Mein Name ist Estela" (online nachgereicht aus der WamS), Romane von Lea Singer und Jan Koneffke über Joseph Roth (NZZ), Michela Murgias "Drei Schalen" (taz) und Volha Hapeyevas "Samota" (SZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.03.2024 - Literatur

In Russland kursiert eine Liste mit etwa 300 Titeln, die aus den Buchläden lieber entfernt werden sollten, berichtet Anna Narinskaya in der FAZ. Dabei handelt es sich um Bücher, darunter "zahlreiche wegweisende Texte der Weltkultur", die sich in irgendeiner Form mit Homosexualität befassen. "Ein besonderer Zynismus der aktuellen Situation besteht darin, dass die Liste der zur Verbreitung verbotenen Bücher nicht 'von oben' kommt, sondern 'von unten' vorgeschlagen wurde. Es handelt sich also vermutlich nicht um eine strenge Anweisung der Regierung, sondern um eine Eigeninitiative der Mitarbeiter der Buchindustrie, die die Traditionen und Gesetze des heutigen Russlands respektieren. Tatsächlich fürchten die Verleger und Buchhändler, wegen des Vorhandenseins von 'Propagierung nicht traditioneller Beziehungen' in den ihnen unterstellten Betrieben mit Strafzahlungen belegt oder gar gerichtlich belangt zu werden, und versuchen sich irgendwie abzusichern."

Außerdem: In der taz stellt Harff-Peter Schönherr die aus bibliophilen Kleinoden bestehende Buchreihe "European Essays on Nature and Landscapes" im KJM Buchverlag vor. Die schwedische Comiczeichnerin Anneli Furmark beantwortet den Tagesspiegel-Fragebogen zu ihrer Arbeit. Ronald Pohl eröffnet die Standard-Artikelreihe zum Karl-Kraus-Jubiläumsjahr. Eva Karnofsky führt im Literaturfeature für den Dlf Kultur durch die Literatur der Niederlande und Flanderns, die in diesem Jahr auf der Leipziger Buchmesse zu Gast sind.

Besprochen werden unter anderem Nicole Hennebergs Biografie über Gabriele Tergit (Standard), Jürgen Theobaldys Band "Nun wird es hell und du gehst raus" mit ausgewählten Gedichten (FR), Jacqueline Kornmüllers "Das Haus verlassen" (Standard), Michael Lentz' "Heimwärts" (NZZ) und neue Krimis, darunter Fabio Stassis "Die Seele aller Zufälle" (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Mathias Mayer über Christian Morgensterns "Denkmalswunsch":

"Setze mir ein Denkmal, cher,
ganz aus Zucker, tief im Meer ..."

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.03.2024 - Literatur

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Für die FAS spricht Thomas David mit Teju Cole, der mit "Tremor" seinen ersten Roman seit "Open City" von 2011 vorgelegt hat. Der Roman spielt unmittelbar vor der Corona-Pandemie, verrät er, einer Zeit, die dem Vergessen anheim zu fallen droht: "So wie 'Open City' 2006 im Schatten der Anschläge vom 11. September spielte, spielt 'Tremor' im Schatten der Ereignisse, von denen wir noch nichts wissen." Hinter dem Titel "verbirgt sich der philosophische Gedanke, dass wir nicht nur in den Nachwehen, sondern immer auch im Vorfeld bedeutender Ereignisse leben. Dass wir also ständig auf dem Vulkan tanzen, ohne es zu merken. Der Roman spielt von September 2019 bis Januar 2020 und endet mit der Ermordung des iranischen Generals Qassem Soleimani. Die Stimmung damals war: 'Oh, wird es jetzt Krieg geben? Ist dies der Beginn des Dritten Weltkriegs?' Es stellte sich heraus, dass dem nicht so war, aber wenn man heute Leute fragt, was Anfang 2020 geschah, kratzen sie sich am Kopf und haben die Ermordung Soleimanis vergessen, weil die Geschichte seitdem so schnell vorangeschritten ist. Aber ich denke nicht nur an dieses globale Gefühl, sondern auch an das Innere unseres eigenen Lebens, das 'aus einem Büschel Zeit hier und einem Büschel Zeit dort' besteht, wie eine meiner Figuren sagt."

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Für ihren neuen Roman "Bannmeilen" ist Anne Weber auf Spaziergängen mit einem Freund knapp 600 Kilometer durch das wegen seiner Armut und hohen Kriminalitätsrate berüchtigte Département Seine-Saint-Denis vor den Toren von Paris gegangen, erzählt Lena Bopp, die die Schriftstellerin für das "Literarische Leben" der FAZ in der französischen Hauptstadt besucht hat. Webers Spaziergang-Partner heißt im Buch "Thierry und dreht einen Dokumentarfilm über die Olympia-Baustellen. Seine familiären Wurzeln reichen nach Algerien, er selbst ist im neuf-trois geboren, lebt noch immer dort und nimmt die Insider-Perspektive ein. Er sieht, was sie nicht sehen kann. ... Auf manche ihrer Entdeckungen reagiert er amüsiert, auf andere mit Sarkasmus. Einmal geraten die beiden in einen Streit, bei dem es nicht zufällig um die Frage geht, wie man Kolonialgeschichte schreibt und liest. ... Thierry ärgert sich über Webers vermeintliche Naivität und empfindet sie offenbar stellvertretend für ein allgemeines Desinteresse 'weißer' Franzosen als demütigend. Dabei zeichnet Anne Weber auch ihn selbst als eine Figur voll innerer Widersprüche."

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Mit "Falcone" hat der nach wie vor unter Polizeischutz lebende Roberto Saviano einen Roman über den berühmtesten italienischen Mafiajäger geschrieben. Karen Krüger ist für die FAS zu ihm unter dem schützenden Blick der Carabinieri in den Wagen gestiegen und ihn unter anderem gefragt, warum er von der Mafia, das sein Privatleben de facto zerstört hat, nicht mehr loskommt. "Es ist eine Obsession, und ja, mein Verhältnis zur Mafia hat etwas Manisches. Es gibt drei Dinge, die mich immer wieder hineinziehen. Erstens, die Eskorte erinnert täglich daran, dass man mir nach dem Leben trachtet. Das ruft, zweitens, Kampfgeist wach, man will gewinnen, was aber ein Fehler ist, weil man die Situation dadurch nur alimentiert. Drittens, ich kenne mich mittlerweile so gut aus, dass ich Dynamiken, Machtspiele und Allianzen erkenne. Es ist sehr schwer, sich unter solchen Umständen etwas anderem zuzuwenden."

Außerdem: In der FAS findet Mark Siemons die ersten Gehversuche der neuen Online-Literaturzeitschrift Berlin Review "vielversprechend in ihrer Themenauswahl". Judith von Sternburg gratuliert in der FR der Literaturzeitschrift Sinn und Form zum 75-jährigen Bestehen. Die "Bilder und Zeiten"-Beilage der FAZ dokumentiert Alexander Estis' Dankesrede zur Auszeichnung mit dem Kurt-Tucholsky-Preis. Außerdem kürt die Welt die besten Sachbücher des Monats. Auf Platz Eins: Uwe Wittstocks (heute auch groß in der Literarischen Welt besprochene) Studie "Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur".

Besprochen werden unter anderem eine Kafka-Fotoaustellung im Stabi Kulturwerk in Berlin (Tsp, FAZ), Christoph Ransmayrs "Als ich noch unsterblich war" (Presse), Ralph Dutlis Lyrikband "Alba" (FR), Jamaica Kincaids "Talk Stories" mit ihren Kolumnen aus dem New Yorker (SZ), Markus Berges' "Irre Wolken" (taz) sowie Joseph Conrads und Ford Madox Fords gemeinsamer Kurzroman "Die Natur eines Verbrechens" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 01.03.2024 - Literatur

Die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse stehen fest: Hoffnungen im Bereich Belletristik können sich Anke Feuchtenberger (für ihren Comic "Genossin Kuckuck"), Wolf Haas (für "Eigentum"), Inga Machel (für "Auf den Gleisen"), Barbi Marković (für "Minihorror") und Dana Vowinckel (für "Gewässer im Ziplock") machen. Die Nominierten im Bereich Sachbuch und Übersetzungen finden sich hier auf der Website der Veranstaltung. Marc Reichwein lobt in der Welt die geglückte Vielfalt, "und zwar gerade nicht im Sinne identitätspolitisch modischer Diversität". Gerrit Bartels vom Tagesspiegel ist "ein wenig ratlos und überrascht": Lediglich Wolf Haas sticht als seit langer Zeit etablierter Autor heraus, ansonsten setzt sich die Shortlist aus literarischem Nachwuchs und eher unbekannten Autoren zusammen: "Verzwergung eines Preises? Verfeinerung? Oder die alljährliche Entdeckung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur-Vielfalt? Die Jury-Vorsitzende Insa Wilke nennt es lieber anders. Für sie bildet sich bei den diesjährigen Nominierungen 'eine verstärkte Auseinandersetzung mit Fragen des politischen und historischen Bewusstseins ab'."

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Damit hat es sich die "Jury einerseits leicht gemacht, indem sie so ziemlich alle naheliegenden Titel aussonderte, und andererseits schwer aus demselben Grund", kommentiert Andreas Platthaus online bei der FAZ: "Denn nun werden sich Stimmen erheben, die für Daniel Kehlmann und die ganze sonstige unberücksichtigte Prominenz und Bestsellerherrlichkeit streiten." Dass erstmals ein Comic in der Kategorie Belletristik nominiert ist, freut Platthaus sehr: "Genossin Kuckuck" ist "die in Buchform geronnene Summe eines der beeindruckendsten Lebenswerke, die nicht nur der deutsche, sondern auch der internationale Comic kennt. Autobiografisch, surreal, ausschweifend, hochkünstlerisch - der Band wäre der natürliche Gewinner, gäbe es nicht das Monitum, dass noch jede Literaturpreisjury (darunter einige, denen der Verfasser dieses Textes als erklärter Comicliebhaber angehört hat) vor der letzten Entscheidung zugunsten des gezeichneten Wortes zurückgeschreckt ist." Im Freitag führt Björn Hayer Feuchtenbergers Comic und Barbi Markovićs "Minihorror" miteinander eng: "Bezieht man die beiden Werke auf unsere prekäre Gegenwart, so versinnbildlicht deren gemeinsames Bestiarium sämtliche mal abstrakteren, mal konkreteren Bedrohungen unseres heutigen Zusammenlebens. Seine Repräsentationen sind die furchterregenden Nachrichten, die Aufnahmen von Verletzten und Getöteten wie gleichsam alle Zeugnisse von sintflutartigen Überschwemmungen und Verwüstungen durch den Klimawandel."

Kerstin Holm berichtet vom Internationalen Literaturfestival Odessa, das im Exil in Rumänien stattfand. Naturgemäß stand der anhaltenden Krieg in der Ukraine im Mittelpunkt der vorgestellten literarischen Werke und der Debatten darum. "Der ukrainische Autor Vasyl Makhno, der seit 2000 in New York lebt, liest sein geschichtsphilosophisches Gedicht 'Krieg', das Russlands jetzigen Großangriff mit dem Ansturm der Bolschewiken nach der kurzen ukrainischen Unabhängigkeit 1918 vergleicht. Wieder werde die Ukraine von russischer Literatur eingekesselt und von dunklen Völkerschaften aus der Tiefe des Landes angegriffen. Makhno sieht den russischen Staat in Zyklen expandieren. Anlässlich des russischen Großangriffs auf sein Herkunftsland schrieb er einen Aufsatz über die Eroberung der Kiewer Rus durch die Mongolen 1240. Das Mongolenreich war strikt zentralistisch-militärisch organisiert, es wuchs durch Angriffskriege, heißt es darin. Ihre Grausamkeit und Hartnäckigkeit waren legendär, Soldaten, die sich ohne Befehl vom Schlachtfeld entfernten, wurden mit dem Tod bestraft. Russland sei Erbe und Adept des Mongolenreiches, weiß Makhno."

Besprochen werden unter anderem Michael Lentz' "Heimwärts" (FR), eine Kafka-Ausstellung in Berliner Staatsbibliothek (BLZ), Julia Josts "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht" (NZZ) und Teju Coles "Tremor" (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.02.2024 - Literatur

Der Schriftsteller Eshkol Nevo sammelt in einem Beitrag für die FAZ Realitätssplitter aus Israel nach dem 7. Oktober. Die Fiktion ist ihm suspekt geworden:  "Meinen Studentinnen sage ich immer: Die Realität ist guter Stoff. Nehmt euch von ihr, was ihr braucht. Aber lasst euch durch sie nicht begrenzen. Um ein Ereignis, das euch in eurem Leben geschehen ist, in eine Geschichte zu verwandeln, müsst ihr es radikal übertreiben. ... Aber was tut man im Krieg, wenn die Realität selbst eine Radikalisierung erfährt, ihre eigenen Grenzen sprengt und grenzenlos dramatisch wird? Seit dem 7. Oktober sammle ich Momente. Höre viel zu. Bin Zeuge. Und schreibe das erste Mal in meinem Leben über die Realität, wie sie ist."

Weitere Artikel: Die FAZ hat Lennart Laberenz' Porträt der finnischen Autorin Terhi Kokkonen online nachgereicht. Besprochen werden unter anderem Elena Malisowas und Katerina Silwanowas in Russland mittlerweile verbotener Roman "Du und ich und der Sommer" (Presse) und Aurora Venturinis "Wir, die Familie Caserta" (FAZ).
Stichwörter: Nevo, Eshkol, Israel, 7. Oktober

Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.02.2024 - Literatur

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Für den Standard unterhält sich Michael Wurmitzer mit Nicole Seifert, die mit ihrem aktuellen Buch "Einige Herren sagten etwas dazu" die (wenigen) Frauen in der Gruppe 47 aus dem Schatten ihrer kanonisierten männlichen Kollegen holt. Damit schließt sie an vorangegangene Studien an: "Für mich blieb nach 'Frauen Literatur' die Frage offen, wie die Abwertung, die letztlich zum Ausschluss von Autorinnen führt, genau stattfindet. ... Schon weil die Frauen zuallererst als Frauen, um nicht zu sagen als Körper, wahrgenommen wurden, wurden ihre Texte nicht groß ernsthaft diskutiert. Zudem verstanden die Männer diese Texte oft offenbar gar nicht. Denn während viele der Autoren im Krieg gewesen waren, hatten viele der Autorinnen studiert und andere ästhetische Voraussetzungen. Die konnten die Autoren oft nicht einordnen, reagierten ahnungslos, mit Abwehr. ...  Es gab nicht wenige Autorinnen wie Gisela Elsner und Gabriele Wohmann, die über den Zusammenhang von faschistischer und patriarchaler Gewalt in Beziehungen, Familien, Bildungseinrichtungen schrieben. Die aus dem Krieg heimgekehrten Männer wollten aber eine Stunde null."

In der FAZ erinnert sich Sabine Volk an ihren Großvater, den Schriftsteller Otfried Preußler, über den gerade wieder viel diskutiert wird, weil ein Gymnasium dessen Namen aus seinem Titel streichen möchte, da Preußler in Nazi-Deutschland Parteimitglied und Autor gewesen ist. Zuhause habe sich Preußler stets zu seiner Vergangenheit bekannt, hält Volk fest. Doch "dass er mir sein der Nazi-Ideologie entsprechendes Jugendwerk 'Erntelager Geyer', das er mit etwa siebzehn Jahren verfasste, verschwieg, nehme ich ihm übel." Sicher "stellt sich die Frage, ob mein Großvater als Vorbild für Schülerinnen und Schüler taugt, die heute in dem Alter sind, in dem er damals 'Erntelager Geyer' verfasst hat. Hätte sich mein Großvater selbst zu Lebzeiten mit diesem Jugendwerk und seinem Wirken in der NS-Zeit kritisch auseinandergesetzt, hätte das der aktuellen Diskussion von vornherein jeden Wind aus den Segeln genommen. Wer allerdings denkt, dass die inzwischen stark politisierte Diskussion um die Namenänderung des Gymnasium Pullach dem Werk und Wirken Otfried Preußlers Schaden zufügen könnte, liegt falsch."

Außerdem: Christian Schachinger freut sich im Standard über 70 Jahre Pixi-Bücher. Besprochen werden unter anderem Dana Grigorceas "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" (NZZ), Namwali Serpells "Die Furchen" (Zeit Online), Elizabeth Strouts "Am Meer" (FAZ) und Yandé Secks "Weiße Wolken" (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.02.2024 - Literatur

Leonie C. Wagner blickt für die NZZ auf die überarbeitete Fassung von Michael Endes "Jim Knopf"-Büchern und erinnert daran, dass der Autor selbst einige Jahre nach der Erstveröffentlichung in seinem Text aus dem klischiert exotisierten China das Fantasieland Mandala gemacht hat. Mladen Gladic tauscht sich in der Welt mit dem Medienwissenschaftler Heiko Christians über Ernst Jünger aus, über den Christians vor kurzem ein Buch veröffentlicht hat. Lennart Laberenz porträtiert für die FAZ die finnische Autorin Terhi Kokkonen.

Besprochen werden unter anderem Jon Fosses "Ein neuer Name. Heptalogie VI-VII" (NZZ), Barbara Kingsolvers "Demon Copperhead" (FR), Franz Doblers "Ein Sohn von zwei Müttern" (FR), Yosano Akikos Lyrikband "Wirres Haar" (FAZ) und Nicole Hennebergs Biografie über die Schriftstellerin Gabriele Tergit (SZ).
Stichwörter: Dobler, Franz

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.02.2024 - Literatur

Bei der Neufassung von Michael Endes "Jim Knopf"-Romanen wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, findet Andreas Platthaus in der FAZ: Heute als rassistisch erkannte Begriffe zu ersetzen, sei "bequem, auch wenn dabei Endes eigene Kritik an deren Gebrauch gleich mit getilgt wurde (so spricht nur der negativ charakterisierte 'Untertan' Herr Ärmel den kleinen Jim direkt als 'Neger' an)." Dass die Illustrationen überarbeitet werden, findet Platthaus zwar nachvollziehbar, denn die Kleinen "schenken solchen Darstellungen Glauben. Dass indes im Text harmlose Unterschiede wegredigiert werden (Chinesen dürfen zum Beispiel keine Mandelaugen mehr haben; 'Schlitzaugen' hatten sie bei Ende eh nie), das vermindert die Toleranzbotschaft von 'Jim Knopf'. Michael Endes Text wie Jims Mund pauschal auf Linie zu bringen ist Abwehrzauber, keine Aufklärung."

Außerdem: In der Jungle World verteidigt Magnus Klaue die Schriftstellerin Esther Kinsky vor der Zuordnung zum Nature Writing. Die Lyrikerin Katharina Tiwald denkt in einem Standard-Essay über das Russland ihrer Studienzeit nach, das es so nicht mehr gibt. Marc Reichwein ärgert sich in der Welt darüber, dass das Gymnasium in Pullach sich dazu entschieden hat, Otfried Preußler aus seinem Namen zu streichen.

Besprochen werden unter anderem Sofi Oksanens "Putins Krieg gegen die Frauen" (Standard), Comics über den Krieg in der Ukraine von Igort und Nora Krug (Standard), Gerbrand Bakkers "Der Sohn des Friseurs" (NZZ), Roberto Savianos Buch über den Mafiajäger Giovanni Falcone (vom TA online nachgereicht für die SZ) und neue Kinder- und Jugendbücher, darunter die deutsche Erstausgabe nach 60 Jahren von Tomi Ungerers "Herr Groß und Herr Klein" (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Tobias Bulang über Michael Buselmeiers "Wie in Banden":

"In alten Zeiten schlief ein dunkles Lied
in meinem Hirn vor meiner Stirn ein Wald ..."