Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Bühne

3093 Presseschau-Absätze - Seite 3 von 310

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.04.2024 - Bühne

Badisches Staatstheater Karlsruhe - Tannhäuser. Michael Weinius, Dorothea Spilger, Ks. Armin Kolarczyk, Foto: Felix Grünschloß

Mutig inszeniert Vera Nemirova Richard Wagners "Tannhäuser", lobt Jan Bachmann in der FAZ. Und zwar, weil sie in ihrer Arbeit fürs Badische Staatstheater Karlsruhe nicht vor christlichem Pathos zurückschreckt. Auch musikalisch weiß die Aufführung zu überzeugen: Georg "Fritzsch dirigiert den 1845 uraufgeführten 'Tannhäuser' wirklich aus dem Geist des deutschen Vormärz heraus. Der Orchesterklang ist scharf gezeichnet und schlank, die Tempi sind durchweg zügig, wenn auch stets aufmerksam mit den Singenden geatmet wird. (...) Alle Chöre drängen nach vorn. Wilhelminische Üppigkeit ist durchweg vermieden. Die Bühne von Paul Zoller mit ihrer demolierten Decke eines alten Konzerthauses und den zerborstenen Musikinstrumenten verweist auf eine brüchig gewordene Kunst, die zwischen Sexindustrie und Unterhaltungswettbewerb nicht mehr viel gilt. Doch gerade sie macht Nemirova zum utopischen Ort, an dem Lust und Geist zueinanderfinden und wieder Sinn ergeben."

Berthold Seliger ist auf Medium begeistert von Florian Lutz' "Carmen"-Inszenierung am Staatstheater Kassel. Das Publikum wird hier nicht nur unterhalten, sondern regelrecht agitiert, und die Protagonistin erscheint in einem neuen, dabei durchaus dem Geist des Originals verpflichteten Licht, so Seliger: "Für einmal wird diese Carmen nicht als zur Femme fatale degradierte exotische Männerfantasie interpretiert, sondern als selbstbewusste Rebellin, die sich ihr Freiheitsrecht nicht nehmen lässt und gegen bürgerliche Normen agiert und agitiert. Und die dennoch voller Widersprüche ist - wie für viele ihrer Mitstreiterinnen ist auch für sie Liebe nur wenig mehr als 'fumée', also heiße Luft; 'L'amour est un oiseau rebelle', sie ist wie ein wilder Vogel. Dennoch ist Carmen eine radikal Liebende, allerdings ohne ihr Selbstbewusstsein zu verlieren."

Sophie Klieeisen berichtet in der FAZ über die desolaten Arbeitsbedingungen an deutschen Stadttheatern. Die Löhne zum Beispiel für Regisseure sind zu niedrig, das weiß jeder, daran ändern wird sich bis auf Weiteres nichts, auch nicht durch eine vom Bundeswirtschaftsministerium und der Kulturstaatsministerin in Auftrag gegebene Studie, glaubt sie. "Aus der gedachten Ästhetisierung der Welt ist längst eine Ökonomie der Ästhetik geworden. '50 Prozent weniger Beschäftigte machen 50 Prozent mehr Arbeit zu 50 Prozent weniger Honorar im Vergleich zur Zeit vor 30 Jahren', dieser Merksatz ist ein offenes Geheimnis. Für die Theater bedeutet das: Multiplizierung der Formate, Verkürzung der Produktionszeiten, Steigerung der Produktionszahlen, des Drucks, der Belastung. Für viele Junge Anlass, das ganze System infrage zu stellen. Das Frustlevel insbesondere junger Regisseurinnen ist hoch."

Weitere Artikel: Bernd Noack unternimmt in der NZZ einen Streifzug durch die Geschichte des Wiener Theater in der Josefstadt. Für die taz Nord unterhält sich Nina Christof mit Jule Martenson, die das im Kaisersaal des Hamburger Rathauses aufgeführte Stück "PubliCum Ex. Prädikat: Rechtstreu" dramaturgisch betreut. Michael Wolf sorgt sich auf nachtkritik um die Originalität in der Gegenwartdramatik. Manuel Brug resümiert in der Welt die jüngste Opernfestspielsaison.

Besprochen werden Richard Strauss' "Elektra" in Baden-Baden ("blitzschnell, aufbrausend, mal zusammenkauernd, mal lauernd, intelligent, elegant, schnurrend, hackend oder würgend, heimtückisch, schmeichelnd, Erotik, Blutrausch", lobt Reinhard J. Brembeck die Aufführung mit Kirill Petrenko am Pult), Davor Vinczes Kammeroper "Freedom Collective" am Theater Bremen ("unvorteilhafte Kostüme und saudumme Regiekonzepte", ärgert sich Benno Schirrmeister in der taz) und Amilcare Ponchiellis Oper "La Giaconda" bei den Salzburger Osterfestspielen (van).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.04.2024 - Bühne

Markus Francke, Opern- und Extrachor des Theaters Ulm | Foto: Kerstin Schomburg 

Auf einem richtigen "Höhenflug" befindet sich das Stadttheater Ulm, freut sich Stephan Mösch in der FAZ. Dass man hier nun Wagners "Parsifal" auf die Bühne gebracht hat, könnte vermessen wirken, meint der Kritiker, aber es funktioniert wunderbar: "Felix Bender ist ein Motor des Abends: Der Ulmer Musikchef versteht Wagners Spätwerk keineswegs als weihevollen Gottesdienst. Er schlägt schnelle Tempi an, kümmert sich aber auch bis ins Detail um die Finessen der Instrumentation. Wagners klangliche Experimente und harmonische Schroffheiten kommen plastisch heraus. Gleichzeitig sind die großen architektonischen Blöcke mit Ohren zu greifen. Was sich über alle stilistische Idiomatik hinaus vermittelt, ist der innermusikalische Spannungszustand, den Wagner im 'Parsifal' besonders raffiniert anlegt. Das Philharmonische Orchester spielt mit einer Dringlichkeit und Entdeckerfreude, die in der Wagner-Routine mancher Staatstheater verloren gegangen ist."

Besprochen werden außerdem Fritzi Wartenbergs Inszenierung von "Malina" am Berliner Ensemble und "hildensaga. ein königinnendrama" in der Inszenierung von Markus Bothe am Deutschen Theater in Berlin (Doppelbesprechung in der taz),  die Oper "Die Insel" vom Kollektiv [in]Operabilities im Radialsystem in Berlin (taz), Alexander Müller-Elmaus Inszenierung von Wagners "Götterdämmerung" im Coburger GLOBE (nmz),  Michael Schulz' Inszenierung der Strauss-Oper "Rosenkavalier" an der Oper Leipzig (nmz),  Georg Qanders Inszenierung von Christoph Willibald Glucks Oper "Iphigenie in Aulis" bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg (tsp) und  David Hermanns Inszenierung von Wagners "Parsifal", diesmal am Staatstheater Nürnberg (nmz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.03.2024 - Bühne

Achim Freyer bei der Verleihung des Nestroy-Theaterpreises 2015. Foto: Manfred Werner - Tsui unter CC-Lizenz.
Der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildners Achim Freyer wird 90 Jahre alt. Es gratulieren Peter von Becker im Tagesspiegel, Ingeborg Ruthe in der FR und Wolfgang Schreiber in der SZ. Im Interview mit der FAZ erinnert sich Freyer an die Zeit, als Kunst noch keine Ware war, im Untergrund der DDR: "Eine sehr gute, aber harte Zeit, als Kunst öffentlich unterdrückt wurde, sehr sublim. Man sprach von 'Kunst', meinte damit aber nur eine bestimmte: eine dienende für die Gesellschaft. Da die Partei immer alles wusste, wie etwas aussehen muss und was Kunst ist, gab es keine Chance, dass öffentlich etwas ausgestellt würde, was nicht sofort verstehbar ist. Genau dort aber fängt Kunst an. Wir wollen auf unserer Suche, unserer Forschungsreise das Nicht-Aussprechliche aussprechen."

Weitere Artikel: Manuel Brug besucht für die Welt die lettische Mezzosopranistin Elina Garanca in Wien bei Proben zu "Parsifal". In der FAZ gratuliert Andreas Rossmann dem "letzten Prinzipal des deutschsprachigen Theaters", Roberto Ciulli, zum Neunzigsten.

Besprochen werden Ronny Jakubaschks Adaption von Gabriele Tergits Roman "Effingers" am Staatstheater Karlsruhe (nachtkritik), Ferdinand Schmalz' "hildensaga" am Deutschen Theater Berlin (nachtkritik, Tsp), Wagners "Parsifal" in der Inszenierung von Kirill Serebrennikov mit Elīna Garanča als Kundry (Standard) und Strauss' "Elektra" mit Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern im Festspielhaus Baden-Baden (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.03.2024 - Bühne

In einem langen Gespräch, das Christine Dössel mit Roberto Ciulli kurz vor dessen 90. Geburtstag für die SZ geführt hat, spricht der Regisseur und Gründer des Mülheimer Theaters an der Ruhr über die Aufgaben des Theaters heute und die Frage, weshalb er in letzter Zeit immer wieder Antonin Artaud auf die Bühne bringt: "Artaud wusste unfassbar viel. Er versuchte, eine neue Sprache zu finden. Und er warnte, es sind die 1930er-Jahre, vor der kommenden Katastrophe. Artaud wird als verrückt interniert, und Hitler wird zur selben Zeit gewählt von Millionen Menschen. Das nur als kleiner Hinweis, warum Artaud so aktuell ist. Wir sind heute wieder so weit. Ich bin Jahrgang 1934. Ich kann mich noch erinnern an den Krieg. Ich sehe die Gefahr. In Italien haben wir bereits eine faschistische Regierung."

Weiteres: Michael Stallknecht (SZ) ist ins schweizerische Dornach gereist, ins Goetheanum, den Stammsitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, die mit viel Eurythmie, aber mit Starbesetzung und in klarer Personenregie von Jasmin Solfaghari Wagners "Parsifal" inszeniert hat. Die Symbiose aus Richard Wagner und Rudolf Steiner funktioniert, erklärt Stallknecht.  Im Tagesspiegel blickt Sandra Luzina in die Spielzeit 2024/25 des Staatsballetts Berlin unter Intendant Christian Spuck. Besprochen wird Oliver Maers Inszenierung der Ponchielli-Oper "La Gioconda" mit Anna Netrebko bei den Osterfestspielen in Salzburg (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.03.2024 - Bühne

Die Baden-Badener Opernfestspiele eröffnen mit einem Opernspektakel erster Güte, wenn man Zeit-Autor Thomas E. Schmidt glauben darf. Gegeben wird Richard Strauss' und Hugo von Hofmannsthals "Elektra". Die von Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn verantwortete Inszenierung scheut die großen Gesten keineswegs: "Das ist reiner Gefühlsexzess, Schreien und Blutrausch, musikalischer Über-Expressionismus, ein starkes Stück für alle Beteiligten, für sorglose Hörerinnen und Hörer zumal, von Klimax zu Klimax getrieben von einem Orchester mit allein 40 Bläsern. Die Bühne hier: nichts als gigantische, sich verschiebende Betonstufen, unter denen das Geschehen - vielleicht am Fuß eines Tempels menschenfeindlicher Gottheiten - sich verdichtet, bis es ganz zweidimensional und deswegen noch krasser wirkt. Es ist die Opernhölle, und man ist hinterher glücklich, sie mit anderen durchlaufen zu haben." Alexander Camann wiederum bespricht, ebenfalls in der Zeit und ebenfalls euphorisch ("schlichtweg epochal"), Christian Thielemanns Inszenierung einer weiteren Strauss/Hofmannsthal-Oper - "Frau ohne Schatten" - an der Semperoper Dresden.

Giulio Cesare in Egitto - Lawrence Zazzo © Monika Rittershaus

Hoch her geht es auch an der Oper Frankfurt, wo Georg Friedrich Händels "Giulio Cesare in Egitto" gegeben wird. Und zwar, freut sich Jan Brachmann in der FAZ, ohne die Barockoper zur Farce zu degradieren. Stattdessen darf man sich an "Blut, Tränen und Erbrochenem" erfreuen, und an den Sangeskünsten unter anderem Nils Wanderers und Lawrence Zazzos: "Wanderer gestaltet seine Doppelnatur als effeminierter Lüstling und pure Bestie auch vokal, wenn er bei den Koloraturen immer wieder aus der brillanten Farbe des Countertenors ins brünstige Röhren seines natürlichen Baritons abstürzt. Zazzo erreicht den gestalterischen Gipfel seines Singens, als er im zweiten Akt, auf dem Rücken liegend, bebend, atemlos zitternd vor Begehren, dem verführerischen Gesang Cleopatras antwortet." Noch besser als die Hauptrollen sind laut Brachmann, das soll nicht verschwiegen werden, allerdings die Nebenrollen besetzt, und zwar mit "Cláudia Ribas als Cornelia, Bianca Andrew als Sesto und Iurii Iushkevich als Nireno. Alle drei singen timbral verführerisch, technisch beeindruckend sicher und zugleich hoch infektiös, was die Kraft der Affekte angeht."

Das Leben ein Traum - Jens Harzer. © Armin Smailovic

Ein Stück für unsere Gegenwart ist Caldérons Barockklassiker "Das Leben ein Traum" für Welt-Autor Jakob Hayner, da es von den Bedingungen der Freiheit angesichts eines Epochenumbruchs handelt. Das Hamburger Thalia-Theater zeigt das Stück nun in einer gelungenen Johan-Simons-Inszenierung: "Es ist ein Abend auf der Suche nach dem freien Rhythmus zwischen den Menschen. Deswegen läuft im Hintergrund Jazz, obwohl Sigismund zunächst gesteht, er möge lieber Marschmusik, also den streng vorgegebenen Takt. Die Drehbühne von Johannes Schütz mit einer schwebenden Kugel in der Mitte, um die ein Spiegel kreist, lässt an astronomische Konstellationen denken, immerhin ist Caldérons Stück zu der Zeit entstanden, als Galileo Galilei die Erde aus dem Zentrum der Planetenbewegungen riss und René Descartes den Zweifel an der Außenwelt zur Philosophie erhob." Deutlich weniger begeistert ist Till Briegleb in der SZ, für ihn hat die Aufführung "zu wenig Angst vor Kitsch und zu viel vor Hässlichkeit."

Außerdem: Peter Kümmel unterhält sich in der Zeit mit Thomas Ostermeier, einem Weltreisenden in Sachen Theater. Atif Mohammed Nour Hussein denkt auf nachtkritik darüber nach, was passiert, wenn bei Bühnenaufführungen kurzfristig eine Rolle umbesetzt werden muss.

Besprochen werden Sasha Waltz' Choreographie der Johannes-Passion bei den Salzburger Opernfestspielen (Welt, "ein höchst dekorativer, kontemplativer, wohlig anrührender Abend für den kulturafinen, bachgestreichelten Atheisten"), Nicolas Stemanns Inszenierung von Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" am Schauspielhaus Zürich (FAZ, "(...) bösartiges Spiel im Spiel und bei aller politischen Brisanz vor allem immer wieder eines: sehr lustig"), Glucks "Orpheus und Eurydike" an der Staatsoper Hannover (nmz, "Der Beifall kannte keine Grenzen") und Maria Theresia von Paradis' "Die Insel", inszeniert von der Kompanie [in]operabilities, zu sehen zunächst im Berliner Radialsystem (van, "eine neue auch ästhetische Landmarke im Musiktheater").

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.03.2024 - Bühne

"Orpheus steigt herab" am Burgtheater Wien. Foto: Matthias Horn.

Einen größeren Knall hätte sich FAZ-Kritiker Martin Lhotzky von der Abschiedsvorstellung des Burgtheater-Leiters Martin Kušej erwartet. Die Inszenierung von Tennessee Williams Südstaaten-Drama "Orpheus steigt herab" ist etwas "lau" geraten, findet er, die Möglichkeiten des Hauses und der Schauspieler wurden nicht voll ausgeschöpft. Trotzdem, die Themen, die hier verhandelt werden, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt im Universum beschränkten kleinbürgerlichen Denkens, sind zeitlos: "Wenn der Vorhang an diesem Premierenabend in die Höhe geht, ist es erst einmal dunkel. Doch lodern bereits die Flammen im Hintergrund, und die Drehbühne zeigt langsam die Ruine des Ladens, einige kleine, nicht gerade sauber wirkende Zimmer und wohl den Hinterhof, in dem ein ausgebranntes Autowrack neunzig Grad emporragt. In das Obergeschoss, wo Martin Reinke, bloß mit langen, schmuddeligen Unterhosen bekleidet, als Jabe die meiste Zeit dahinröchelt, wird noch kein Einblick gewährt. Das stimmig-kompakte Bühnenbild hat, wie schon oft, wenn Kušej inszeniert, Annette Murschetz entworfen."

Ein weiterer Abschied und auch dieses Mal Unzufriedheit auf der Kritikerseite: Jakob Hayner kann sich in der Welt nicht damit anfreunden, dass die scheidenden Intendanten des Zürcher Schauspielhauses Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg mit Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" dem Zürcher Publikum einen Denkzettel verpassen wollten (Unser Resümee): "Nachdem das Bühnenbild demontiert und dekonstruiert ist, flirren Videoeinspieler über die Bühne. Die Feuerwehrleute tragen nun Anzug und verkünden im Stile einer Fernsehreportage, dass das Theater künftig in einem neu gebauten Parkhaus für SUVs untergebracht wird. Kurz darauf sieht man, wie der alte Bau in die Luft fliegt. Nun dürfte man auch in der letzten Reihe merken, dass hier in selbstgerechter Pose die Zerstörung des Schauspielhauses durch eine verlogene Stadtgesellschaft angeprangert wird."

Besprochen werden der zweite Teil des Musiktheaterzyklus' "Resurrection Games" von Elischa Kaminer im Mousonturm in Frankfurt (FR), Christian Stückls Inszenierung von Sybille Bergs Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" am Volkstheater in München (SZ), Oliver Mears Inszenierung von Amilcare Ponchiellis Oper "La Gioconda" bei den Osterfestspielen in Salzburg (FAZ), Martin Kušejs Inszenierung von Tennessee Williams Stück "Orpheus steigt herab" am Burgtheater Wien (FAZ), Stas Zhyrkovs Inszenierung von "Die Orestie. Nach dem Krieg" nach Aischylos am Schauspielhaus Düsseldorf (SZ), Nadja Loschkys Inszenierung von Georg Friedrich Händels "Giulio Cesare in Egitto" an der Oper Frankfurt (FR), Christian Stücks Inszenierung von Sybille Berg Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" am Münchner Volkstheater (nachtkritik) und David Böschs Inszenierung der Strauss-Oper "Die Frau ohne Schatten" an der Semperoper in Dresden (nmz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.03.2024 - Bühne

"Die Frau ohne Schatten" an der Semperoper Dresden. Foto: Ludwig Ohla.

Gewaltig ist David Böschs Inszenierung der Strauss-Oper "Die Frau ohne Schatten" an der Semperoper Dresden in jeder Hinsicht, findet Gerald Felber in der FAZ. Schon das monumentale Bühnenbild von Patrick Bannwarts (unter anderem "die Grauen erweckende wie Schutz verheißende Falkenskulptur mit beweglichen Riesenfittichen") haut den Kritiker um, "vor allem anderen aber wirkt die ungeheure, niederdrückende Wucht, zu der sich die Staatskapelle in XXL-Formation ... unter Christian Thielemanns Leitung steigern kann. Wobei der Dirigent den ersten Akt weithin fast kammermusikalisch führte und den Musikern auch später oft Raum für konzertreife Soli gab. Röntgenblick und bedachtsam-kluge Klangmodellierung kanalisierten aber selbst noch im Fortissimo den Gang der Linien und ihr energetisches Potential - am vernichtenden Ende des zweiten Aktes in einer Weise, dass man sich, wie bei einem Solarplexus-Schlag, direkt ins Nervenzentrum getroffen fühlte. Wunder der Behutsamkeit neben Stellen atembeengender Wucht: Nichts blieb in dieser Partitur mit ihren Lyrismen, Trauermarsch-Chorälen und überdrehten Scherzi, in die vielleicht sogar Fetzen von Strawinskys "Sacre"... eingegangen sind, randständig."

Von einem "Musiktraum" schwärmt auch Helmut Mauró in der SZ, auch wenn er sich vor dem gigantischen Falken gruselte: "Als dieser weiße Vogel im dritten Akt mit bühnenbreiten Schwingen herabschwebt, den toten Färber Barak in den Klauen, und das Orchester zu einem monströs schaurigen Klanggetöse anhebt - in der Semperoper spürt man das Schlagzeug über den Boden wirklich körperlich -, da kann einem schon bange werden."

Weitere Artikel: Es steht immer noch schlecht um die Staatliche Ballettschule Berlin, berichtet Wiebke Hüster in der FAZ. Wolfgang Kralicek resümiert in der SZ die Intendanz von Martin Kušej am Wiener Burgtheater. Ute Büsing besucht für den Tagesspiegel den Intendanten des bulgarischen Nationaltheaters Vasil Vasilev, der mit seinen kritischen politischen Positionen der Zorn der Regierung auf sich zieht.

Besprochen werden Marie Schleefs Inszenierung von "Die Möglichkeit des Bösen" nach einer Kurzgeschichte von Shirley Jackson an den Münchner Kammerspielen (nachtkritik), Anna Bergmanns Inszenierung von Ödön von Horváths Stück "Die Unbekannte aus der Seine" mit Texten nach Christine Lavant am Volkstheater Wien (nachtkritik), Martin Kušejs Inszenierung von Tennessee Williams Stück "Orpheus steigt herab" am Burgtheater Wien (nachtkritik), Stas Zhyrkovs Inszenierung von "Die Orestie. Nach dem Krieg" nach Aischylos am Schauspielhaus Düsseldorf (nachtkritik), Gregor Müllers und Philip Richerts Adaption von Daniel Kehlmanns Roman "Tyll" am Theater Lüneburg (nachtkritik), Johan Simons Inszenierung von Pedro Calderón de la Barcas Stück "Das Leben ein Traum" am Hamburger Thalia Theater (FAZ), Philipp Stölzls und Philipp M. Krenns Inszenierung der Strauss-Oper "Elektra" bei den Osterfestspielen Baden-Baden (FAZ),  Victoria Stevens' Inszenierung von Verdis "Otello" im Mainzer Staatstheater (FR), Dorothea Kirschbaums Inszenierung von Wolfgang Fortners Oper "In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa" an der Oper Frankfurt (FR), Rafael Sanchez Inszenierung von Tobias Ginsbergs Sachbuch "Die letzten Männer des Westens" am Schauspiel Köln (taz), Jürgen R. Webers Inszenierung von Wagners "Rheingold" am Theater Erfurt (nmz), Sasha Waltz' Ballett-Choreografie von Bachs "Johannes-Passion" bei den Salzburger Opernfestspielen (SZ), Oliver Mears Inszenierung von Amilcare Ponchiellis Oper "La Gioconda" ebenfalls in Salzburg (SZ, Standard), Marielle Sterras Inszenierung des Musiktheaterstücks "Stadt der Teufel" vom Kollektiv glanz&krawall im Heimathafen Neukölln in Berlin (tagesspiegel) und Michael Webers Inszenierung der Texte "Das Ereignis" und "Der junge Mann" von Annie Ernaux am Theater Willy Praml in Frankfurt (FR).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.03.2024 - Bühne

Szene aus "Biedermann und die Brandstifter". Foto: Philip Frowein

Zum Abschied hat der scheidende Intendant des Zürcher Schauspielhauses Nicolas Stemann gemeinsam mit Ko-Intendant Benjamin von Blomberg Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" inszeniert und das über allerlei Kalauer gröhlende Zürcher Publikum scheint nicht zu bemerken, dass es hier vorgeführt wird, notiert Roman Bucheli (NZZ), der sich von Stemann nur ungern zum "nützlichen Idioten degradieren" lässt. Per Videoeinspielung lässt Stemann das Schauspielhaus samt Publikum in die Luft gehen, das Publikum jubelt - und wird zu Biedermann und Brandstifter in einer Person, so Bucheli: "Nun können endlich, wie aus dem Foyer in einer Live-Schaltung mitgeteilt wird, über dreißigtausend unterirdische Parkplätze entstehen mit ein paar tausend extragroßen Parkfeldern für extragroße SUV-Fahrzeuge. Da hat Nicolas Stemann den Zürchern, diesen Theaterbanausen, die sein Theater nicht mochten, eine tüchtige Lektion in Kapitalismuskritik erteilt. Und das Publikum johlt." Die Pointe erscheint Egbert Tholl in der SZ "kindisch, beleidigt und … der Leistung dieser Intendanz nicht würdig", insgesamt aber treibt Stemann "Frisch ins Heute, es ist in den besten Momenten ein kunterbunter Totentanz der Demokratie, auch einer der Angst um die eigenen Besitzstände." "Ganz, ganz großes Theater" vor allem dank der fantastischen SchauspielerInnen sieht indes Nachtkritikerin Valeria Heintges.

Milo Rau, Chef der Wiener Festwochen, hat Annie Ernaux und Yanis Varoufakis zu Mitgliedern seines fiktiven "Rats der Republik" berufen, schnell wurde Kritik aufgrund der israelkritischen Äußerungen der beiden laut, auch der Antisemitismus-Vorwurf wurde erhoben. "Ich finde es äußerst bedenklich, dass der Begriff des Antisemitismus aktuell derart unvorsichtig benutzt, ja instrumentalisiert wird", sagt Rau im Standard-Gespräch, in dem er vor allem Ernaux in Schutz nimmt: "Ernaux ist nicht Mitglied von BDS. Aber es stimmt, Ernaux hat einige Petitionen unterschrieben, die auch von BDS-Mitgliedern unterschrieben wurden. Man muss dazusagen, dass Ernaux Französin ist. Dort hat BDS in der Israel-Palästina-Debatte die Diskurshoheit, so ähnlich, wie in Deutschland und Österreich eher die politische Rechte das Thema an sich gezogen hat. Beide Instrumentalisierungen finde ich extrem bedenklich. In Frankreich und Belgien behängen Bürgermeister ihre Parlamente mit Palästina-Flaggen, jeder zweite Künstler ist dort bei BDS. Als Intendant in Belgien wurden viele meiner Kollaborationen mit israelischen Institutionen vom BDS zerstört. Genereller Boykott ist genauso schädlich wie generelles Kritikverbot."

Weitere Artikel: In der taz blickt Ekkehard Knörer düster in die Zukunft der Volksbühne nach René Polleschs Tod: "Vieles ist denkbar, von Interimsintendant Wuttke bis Produktions- oder Tanzhaus. Nichts liegt auf der Hand. Was ganz sicher nicht hilft: der gerade allzu beachtete Text, in dem der Kritiker Peter Laudenbach in der SZ einerseits schmutzige Wäsche wäscht und andererseits seine persönlichen Vorlieben (Nicolas Stemann ja, Sebastian Hartmann nein) als der Weisheit letzten Schluss unterbreitet. (Unser Resümee) Was es vor allem bräuchte: die Einsicht, dass die alten Zeiten für immer vorbei sind."

Besprochen werden Friederike Hellers Inszenierung von Rainald Goetz' Roman "Johann Holtrop" am Staatstheater Mainz (nachtkritik), Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" am Zürcher Schauspielhaus, das der scheidende Intendant Nicolas Stegmann zum Abschied inszeniert (nachtkritik, SZ), Omar Abusaadas Inszenierung von Mohammad Al Attars Stück "Die Begegnung von gestern" am Theater Freiburg (nachtkritik), Kieran Joels "Parzival" nach Wolfram von Eschenbach am Staatstheater Nürnberg (nachtkritik) und die Stücke "Cabraqimera" der portugiesischen Choreografin Catarina Miranda und das Stück "Tarab" der Gruppe Atash beim Festival Spring Forward am Staatstheater Darmstadt (FR) und das Festival "Update #4" am Staatstheater Mainz (FR).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.03.2024 - Bühne

Im Theater Heidelberg wird "Die Reise des G. Mastorna" aufgeführt, ursprünglich mal ein Drehbuch von Federico Fellini, er konnte es nicht mehr verfilmen, Bernadette Sonnenbichler hat nun eine Bühnenfassung vorgelegt, über die sich Nachtkritiker Michael Laages freut. Der Cellist Mastorna muss mit dem Flugzeug notlanden und findet sich in einer angenehm verwirrten Welt wieder, bei der er auch nicht weiß, ob er nicht doch im Flugzeug verbrannt ist, erklärt Laages. In den räumlichen Besonderheiten des Heidelberger Theaters mit seinen gleich zwei Bühnen "entfesselt die Regisseurin mit kleinem Ensemble und großer Statisterie ein zauberhaft verstörendes Pandämonium aus Erinnerung, Alptraum und Traum - eine religiös verzückte Prozession driftet durch den Raum und um die Cafehaus-Tischchen herum; Mastorna sieht sich den alten Ausbildern beim Militär genau so gegenüber wie alten Freunden, die längst tot sind; das zugemüllte einstige Liebes- und Lotterbett rollt eine frühere holländische Geliebte mit monströsem Kunst-Busen herein, und im Bett ist noch eine jüngere Frau versteckt, umwickelt von einer monströsen Schlangen-Attrappe. Aus dem Schnürboden rauscht ein verkokelter Flugzeug-Sitz herab: Ist Mastorna im Flugzeug verbrannt?"

Szene aus "Saul". Foto: Miklos Szabo.


Jan Brachmann verliert sich in der FAZ ein bisschen in der Freude darüber, dass das dänische Königspaar die Aufführung von Georg Friedrich Händels "Saul" an der Königlichen Oper Kopenhagen, inszeniert von Barrie Kosky, besucht. Es ist, betrachtet man die Menge an Instrumenten, wohl die aufwendigste Händel-Oper: "Das Glockenspiel zum Sieg Davids über Goliath übersteigert den Gesang des Frauenchors zu enthemmter Frivolität. Die Harfe verstärkt die balsamische Wirkung des Countertenors von Morten Grove Frandsen als David. Die Kriegspauken und Posaunen geben dem berühmten Trauermarsch, mit dem jüngst auch Wolfgang Schäuble zu Grabe getragen wurde, Größe im Kargen, Herbheit und Wärme", weiß Brachmann zum musikalischen Teil des Abends zu berichten. Koskys Inszenierung "erzählt das Schicksal Sauls als Konflikt zwischen Davids Humanität und der Dekadenz einer Hofgesellschaft, die Katrin Lea Tag in Kostüme des achtzehnten Jahrhunderts gesteckt hat. Die patriotische Identifikation mit Gottes auserwähltem Volk Israel gönnt Kosky den Briten nicht. Er liest Händels 'Saul' als historisches Vorspiel zur 'Madness of King George', der Regierungskrise des geisteskranken Königs Georg III. in den Jahren 1788/89."

Weiteres: Manuel Brug stellt in der Welt den Wagner-"Tenor der Stunde" vor: Michael Spyres. Nadja Loschky, Intendantin in Bielefeld, wird anlässlich ihres Regiedebüts in "Giulio Cesare in Egitto" an der Oper Frankfurt von Guido Holze in der FAZ porträtiert. In der SZ interviewt Peter Laudenbach den Intendanten des Theaters Koblenz, Markus Dietze, zu den immer wieder in der Kritik stehenden Arbeitsbedingungen an den deutschen Theatern (unser Resümee). Lola Arias, eng mit dem Gorki-Theater verbunden, erhält den Internationalen Ibsen-Preis, meldet die Berliner Zeitung.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.03.2024 - Bühne

Bild: Szene aus "Pique Dame". Foto: Jean Louis Fernandez / Opéra de Lyon

Schlicht sensationell findet Jan Brachmann (FAZ) die Inszenierung, die der russische Regisseur Timofej Kuljabin mit Tschaikowskys "Pique Dame" auf die Bühne der Opéra de Lyon gebracht hat. Kuljabin erzählt die "Geschichte Russlands als Militarisierung der Bevölkerung im Dienst eines Imperiums, dessen Wachstum auf einer projizierten Landkarte gezeigt wird. (…) Man hat diesen Zusammenhang von Militarismus, Imperialismus und Okkultismus, den Tschaikowsky ja mit größter Präzision beschreibt, kaum einmal derart klar auf der Szene durchgearbeitet gesehen wie hier." Aber leicht ist es nicht für Richard Brunel, Intendant der Opéra de Lyon, sein Haus in der "europäischen Spitzenliga" zu halten, meint Brachmann: Trotz gestiegener Kosten muss er seit 2013 mit Subventionskürzungen klarkommen: "Der elitenfeindlichen Zangenbewegung aus Grünen und Rechtspopulisten in Frankreich hat er aktuelle Kürzungen um je eine halbe Million Euro durch das Regionalpräsidium und die Stadtverwaltung zu verdanken, die Brunel zwar durch Sponsoren und Mäzene kompensieren konnte, was ihm aber nur Planungssicherheit für drei Jahre gewährt."

Vergangenes Jahr hat das Chamäleon Berlin, das sich auf Zeitgenössischen Zirkus spezialisiert hat, den Theaterpreis des Bundes erhalten. Erwächst den Theatern von Seiten des Zirkus ein neuer Konkurrent, fragt Nachtkritikerin Elena Philipp. Möglich wäre es, trotz Förderung mit nur einem Bruchteil des Berliner Kulturetats, meint Philipp nicht nur mit Blick auf die Inszenierung "Show Pony" des Frauenkollektivs "Still Hungry", das sich der Frage stellt, wie es ist, auf offener Bühne zu altern: "Romy Seibt erinnert, wie sie als Turmspringerin ihre Kindheit in nassen Badeanzügen verbrachte, um als DDR-Athletin ihren Vater stolz zu machen. Dabei ging ihre innere Stimme verloren: bis sie sich kürzlich wieder meldete und ihr riet, eine lang schon nicht mehr funktionierende Ehe hinter sich zu lassen. Fremdbestimmung, Trauma, Scheidung: Keine guten Inhalte für eine Show, die positiv wirken und sich verkaufen soll. Absolute Tabus für den Zirkus, in dem alles glänzende Oberfläche ist. Oder?"

Besprochen werden Antú Romero Nunes' Ilias-Inszenierung "Achilles - ein Stück mit Fersen" am Theater Basel (SZ), Sheena McGrandles' Oper "Mint - An Opera about Money" am Berliner HAU (taz), Marie Schwesingers Stück "LebensWert" über Täter und Mitwisser der Euthansie am Theater Kiel (taz) und Alice Aspers Stück "Ein Stück Illusion. Stlopersteine" im Berliner Theater im Palais (Tsp).