Bücherbrief

Simpsonologie

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
02.08.2007. Zwei große Erzähler mit ihren neuen Romanen, ein "Dorfrand mit Tankstelle", Palermo, die Autobombe und die Simpsons. Die besten Bücher im August sind eine bunte Angelegenheit.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen Bücherbrief
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"

Die besten Bücher des Frühlings finden Sie übrigens in den Büchern der Saison. Und natürlich haben wir die aktuellen Literaturbeilagen ausgewertet.


Buch des Monats

Ian McEwan
Am Strand
Roman



Das perfekte Buch, staunt die FR. Peinigend bis zur letzten Seite ist diese Vivisektion einer Hochzeitsnacht für sie schon gar kein Roman mehr, sondern die reine Psychologie. Fast schon zu gut allerdings. Die FAZ kann mit derlei Empfindlichkeiten nichts anfangen und ist gerne mit von der Partie, wenn McEwan so herrlich präzise, kühl und gnadenlos von diesem eher traumatischen als traumhaften Ereignis im spießigen England der frühen Sechziger berichtet. Mit der taz ist man sich einig, dass McEwan gut daran getan hat, nicht alles schlüssig zu beantworten. Die SZ hätte auf die Geheimniskrämerei jedoch gut verzichten können. Die Geschichte trägt auch ohne diesen Kokolores, meint sie und erfreut sich lieber an der anatomischen Präzision der Details. Die Zeit allerdings beschwert sich über zu viel "soziologischen Ballast" - und das in einem Roman über Sex!


Literatur


Richard Ford
Die Lage des Landes
Roman



Richard Ford wurde vom Kollegen McEwan knapp auf den zweiten Platz dieses Bücherbriefes verwiesen. An ihm scheiden sich die Geister. Als großen Realisten, der die USA mit dem Blick eines Ethnografen bis ins letzte schonungslose Detail beschreibt, feiert ihn die FAZ. Mit der Zeit werden die Details aber dann doch ein wenig zu zahlreich. Zeit und FR pflichten bei. Zu viel Beschreibung und zu wenig Plot stehen für sie auf der Sollseite der 700 Seiten über drei Tage zu Thanksgiving 2000. Macht nichts, frohlockt die SZ, die wie die taz von einem Roman nicht unbedingt Unterhaltung erwartet. Sondern lieber diese unerhört dichte und akkurate Beschreibung der amerikanischen Wirklichkeit goutiert.

Jürgen Becker
Dorfrand mit Tankstelle
Gedichte



Oh wie wunderschön ist schon der Titel, seufzt die taz selig. Danach gehe es um die Natur, um Naturlyrik aber nicht. Denn die Historie ist in dieser poetischen Geschichtsschreibung immer präsent, meint die taz. Die Gedichte kreisen um den Zweiten Weltkrieg und Nachkriegszeit. Eine lyrische Gedächtnisarbeit, die nie ins Sentimentale abgleite, lobt Beckers Kollege Nico Bleutge in der NZZ. Die Fremdheit der Phänomene zu bewahren, das verrate den Könner, schreibt Bleutge ohne professionellen Neid.

Roberto Alajmo
Palermo sehen und sterben




Zwiebel schälen auf Italienisch: "Palermo e una cipolla" heißt Roberto Alajmos wunderbare Hommage im Original, informiert die SZ. Nicht ohne Grund: Schicht um Schicht trage der gebürtige Palermitaner Alajmo die Vorurteile über seine Stadt ab und öffne die Sinne für die vernachlässigte kleine Schwester von Neapel. Schönheit und Grausamkeit, normannische und arabische Einflüsse, Armut und Dekadenz, all das sei hier versammelt. Es ist klar, wo die SZ ihren Herbsturlaub verbringt.


Sachbuch

Nico Stehr
Die Moralisierung der Märkte
Eine Gesellschaftstheorie



Die Moral infiltriert den Markt, das ist die überraschende These von Nico Stehr. In den Wirtschaftskreisläufen der heutigen Wohlstandsgesellschaften gelten all die ökonomischen Thesen nicht mehr, die zu einer Zeit des Mangels entworfen wurden. Beispiel für einen moralischen Markt sei die Nachfrage nach ökologisch unbedenklichen Produkten. Das findet die SZ bemerkenswert, und zusammen mit der FR lobt sie Stehr für seine Abkehr von ökonomischem Determinismus wie Werteverfallslamento. Stehr kehre zurück zu Adam Smith, der Wirtschaft und Moralphilosophie schon damals zu vereinen versucht habe.

Mike Davis
Eine Geschichte der Autobombe
Israels zweite Geburt



Gleich zwei Bücher des Stadtsoziologen und Historikers Mike Davis sind jetzt auf Deutsch erschienen. Beide sind gut angekommen. Die Geschichte der Autobombe als Luftwaffe des kleinen Mannes wird sowohl von FR als auch FAZ mit Interesse konsumiert. Allgemeine Bestürzung ruft Davis' apokalyptische Vorausschau auf den Planeten der Slums hervor. Der Staat zieht sich wegen Einsparungen aus vielen Gebieten der Planung und Fürsorge zurück, beklagt Davis, was zu urbaner Verelendung auf breiter Front führt. Erschreckenderweise widerspricht kein einziger Kritiker. Schöne neue Welt.

William Irwin, Mark T. Conard und Aeon J. Skoble (Hrsg.)
Die Simpsons und die Philosophie
Schlauer werden mit der berühmtesten Fernsehfamilie der Welt



Man muss kein Simpsons-Fan sein, um mit diesem Buch etwas anfangen zu können, verspricht die SZ. Denn die gelbe Familie ist nur der Aufhänger zu Überlegungen von einiger Tiefe. Darunter angeblich auch der Beweis, dass Bart Simpson in etwa wie Heidegger denkt. Trivial geht es nie zu, zu ernst und langweilig aber auch nicht, bekundet die durchaus eingenommene SZ fröhlich.

Kurt Schwitters
Catalogue raisonne
Band 3: 1937 bis 1948



Der jetzt erschienene Abschlussband ist ein guter Anlass, um auf dieses von der FAZ als Monument kunstwissenschaftlicher Präzisionsarbeit gepriesene Unternehmen hinzuweisen. In den vergangenen zehn Jahren haben die Herausgeber Ordnung ins Chaos gebracht und zum ersten Mal Schwitters ganzes Werk erschlossen. 3800 sind erfasst, 400 Fälschungen wurden aussortiert. Quellenkritisch und reproduktionstechnisch verlässlich, so lautet das sonore Urteil der NZZ, dem nichts hinzuzufügen ist.


Hörbuch

Alexandre Dumas
Kapitän Pamphile
7 CDs



Die SZ musste zuallererst die Stereoanlage herunterdimmen, als Peter Matics gewaltige und schneidende Stimme aus dem Lautsprecher erklang. Matic ist Kapitän Pamphile, ein sehr wirtschaftsinteressierter Pirat. Für den jungen Alexandre Dumas bedeutete diese relativ unbekannte Satire einst den Durchbruch. Zu Recht, befindet die FAZ, die in der Geschichte von dem Pirat, der von den Überfallenen nicht mehr als den Mehrwertsteuersatz fordert, neben einem unterhaltsamen Plot ein Lehrstück aus der Kulturgeschichte des europäischen Imperialismus erblickt. Lesebegierige können auch den dazugehörigen Roman


Bildband


Pamela Roberts
100 Jahre Farbfotografie



Die Autorin ist eine Expertin auf dem Gebiet der Farbfotografie, konzediert die SZ. Diese ausführliche historische Darstellung schließt endlich auch eine schmerzlich große Forschungslücke. Missfallen erregt allerdings die hier vorgetragene Fortschrittsgläubigkeit. Das Alte sei nicht per se nur eine Vorstufe der Gegenwart, sondern hat seine eigene Existenzberechtigung, gibt die SZ zu bedenken. Wer das theoretische Auge aber zudrückt und sich aufs Deskriptive beschränkt, kann hier offenbar eine kenntnisreiche Geschichte der Farbfotografie erhalten.