Bücherbrief

Genuss an der Unordnung

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
30.06.2007. "Keiner zu Hause". "Komm, gehen wir". "Vorbei". Sehr gut hört sich das alles nicht an, die Literatur dahinter aber gehört wie Tom Segevs Betrachtung von "1967" und einem opulenten "Vogue"-Bildband zu den besten Büchern im Juli.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen Bücherbrief
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"

Die besten Bücher des Frühlings finden Sie übrigens in den Büchern der Saison. Und natürlich haben wir die aktuellen Literaturbeilagen ausgewertet.


Buch des Monats

Hans Joachim Schädlich
Vorbei
Drei Erzählungen



Diese edle Zurückhaltung, jubelt die SZ. Diese musikalische Balance zwischen Dokument und Fiktion, flötet die FAZ. Ein Lehrbuch fürs Leben hat die Zeit entdeckt, während die taz "durch Vergänglichkeit verzauberte Erzählinseln" navigiert. Sogar die nüchterne NZZ wird lyrisch und erklärt die drei Erzählungen, die Joachim Schädlich um Robert Louis Stevenson, Joachim Winckelmann und Antonio Rosetti herum entwirft, zu "Metaphern für das Illusionäre allen Sehnens auf Erden". Was soll man da
noch sagen? Muss man lesen.


Literatur


Arnold Stadler
Komm, gehen wir
Roman



Die taz erlebt diese Stadler-Momente, saugt sich an Stadler-Sätzen fest und genießt ansonsten die strukturelle Anarchie. Der Genuss an der Unordnung wäre bei der taz alleine noch nicht bemerkenswert, aber auch Zeit und FR sind begeistert von dieser Geschichte eines Dreiecksverhältnisses zwischen Rosemarie, Roland und Jim im Besonderen und der Unmöglichkeit zu lieben im Allgemeinen. Ergreifend einfach schreibt dieser Stadler, findet die Zeit. Ja, und "wild und sexy, tief, traurig und zugleich berauschend komisch", ergänzt die FR.

Carlos Eugenio Lopez
Abgesoffen
Roman



Ein Dialog zwischen zwei Auftragskillern, die jede Woche einen nordafrikanischen Flüchtling töten und in der Meerenge von Gibraltar entsorgen. Die Mörder erzählen sich zwar nur Banalitäten, aber das ist Absicht, denn daraus entnimmt die FAZ einiges über die Gefühllosigkeit der Flüchtlingsdiskussion in der EU. Schwärzer, sarkastischer und scharfsinniger geht es in der spanischen Gegenwartsliteratur kaum noch, meint sie, und ist froh, dass der schwarze Humor ohne große Verluste ins Deutsche übertragen wurde.

Ror Wolf
Pfeifers Reisen
Gedichte



Ror Wolf ist nicht nur ein fröhlich-anarchischer Sprachartist, sondern dichtet auch über Angst, Leiden oder Verfall. Nur macht er das sehr lustig, und das spendet zumindest der FAZ Trost. Sie empfiehlt diesen Band mit über hundert bisher unveröffentlichten Gedichten aus den vergangenen fünfzig Jahren deshalb nicht nur Kennern, die schon lange auf das Finale der Abenteuer von Hans Waldmann warten.

Dubravka Ugresic
Keiner zu Hause
Essays



Dubravka Ugresic befindet sich in diesen Feuilletons und Essays auf der Höhe ihrer Kunst, frohlockt die NZZ. Mit einem Gespür für den Widersinn im Vertrauten das Absurde aus dem Alltag heraus destillieren, das beherrsche die kroatische Autorin wie wenige andere. Wie hartnäckig Ugresic außerdem das alte Jugoslawien verteidigt und sich gegen die Verleugnung der Geschichte wendet, das imponiert der NZZ doch sehr.


Sachbuch

Tom Segev
1967
Israels zweite Geburt



Wenn es nicht um einen Krieg mit bis heute spürbaren und dramatischen Folgen für den Nahen Osten ginge, würden die Rezensenten wohl in einhelligen Jubel ausbrechen. Die Zeit bedauert nur, dass es kein ägyptisches Pendant zu dieser schonungslosen und fundierten Anatomie des Sechstagekrieges gibt. Die erschütterte NZZ empfiehlt das Buch allen, die sich ernsthaft mit der Situation in Israel und Palästina auseinandersetzen wollen. Mit der Auswertung von neuen Dokumenten, Briefen und Augenzeugenberichten schildert Segev den Konflikt und seine Hintergründe so packend, dass die FR das Gefühl hat, das alles selbst erlebt zu haben.

Sylvia-Yvonne Kaufmann, Jens Wolfram
Die EU und ihre Verfassung
Linke Irrtümer und populäre Missverständnisse



Verfassung darf es ja nicht mehr heißen, die zentralen Punkte des hier behandelten Gesellschaftsvertrags werden die EU und damit uns alle aber weiterhin beschäftigen. Konkret, lebendig und wirklich fesselnd ist diese Darstellung laut SZ. Das ist ja schon mal erfreulich. Wirklich beeindruckend sind aber zwei andere Punkte: Dass diese spannende Lektion in Demokratie erstens von einer Politikerin geschrieben wurde und dass zweitens Sylvia-Yvonne Kaufmann sich als Europaabgeordnete der PDS nicht scheut, einige Irrtümer der Linken aufzuklären.

Michael Mann
Die dunkle Seite der Demokratie
Eine Theorie der ethnischen Säuberung



Das beste Buch über ethnische Säuberung, das derzeit in deutscher Sprache zu haben ist, versichert die NZZ. Zwar leuchtet ihr Michael Manns Behauptung von der unheilvollen Verknüpfung zwischen Demokratie und ethnischer Säuberung nicht ganz ein, aber das macht überhaupt nichts. Die überbordende Fülle an Material, die sorgfältige Typologie der Gruppengewalt, die umfassende Auswertung der Fachliteratur und nicht zuletzt Manns Erzähltalent und Urteilskraft überstrahlen alles.


Hörbuch

Milan Kundera
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
8 CDs



Wie geht man an eine Ikone der jüngeren Literatur heran? Mit einem gesunden Schuss Ironie versucht es Heikko Deutschmann, und findet sogleich die Zustimmung der FAZ. Souverän führe Deutschmann durch die immerhin zehn Stunden. Das Buch selbst, das bekanntlich von einer prekären Liebe im Prag des Jahres 1968 handelt, ist in Ehren ergraut, stellt die FAZ fest, an gewissen Stellen aber immer noch umwerfend.


Bildband


Norberto Angeletti, Alberto Oliva
Vogue



Viel sagt die SZ ja nicht zu diesem Coffee-Table-Ziegel mit der illustrierten Geschichte des wohl bekanntesten Modemagazins der Welt. Deshalb gucken wir auf die Liste der Autoren, die von Truman Capote über Aldous Huxley zu Richard Burton und Susan Sontag reicht. Auch die Fotografen können sich sehen lassen: Irving Penn, Richard Avedon, Helmut Newton, Annie Leibovitz, Mario Testino, Steven Klein, Bruce Weber, Herb Ritts. Viel kann da nicht mehr schief gehen.