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Außer Atem: Das Berlinale Blog
Stichwort: Forum 2012 - 15 Artikel
Außer Atem: Das Berlinale Blog 18.02.2012 Emin Alpers Erstlingsfilm "Tepenin Ard? - Beyond the Hill" (Forum) beginnt vielversprechend enigmatisch. Ein alter Patriarch verteidigt sein Anwesen in den anatolischen Bergen gegen Nomaden, die ihre Tiere auf sein Weideland führen. Der Kleinkrieg zwischen dem alten Mann, der mit einem seiner Söhne und dessen Familie in einer Talsenke lebt, und den angeblichen Aggressoren, tobt schon eine ganze Weile, als der zweite Sohn zu Besuch kommt. Geschickt relegiert der Film die wahrgenommene Bedrohung ins Off, hinter den Hügel, wo die Nomaden sich aufhalten sollen. Sie sind jedoch nie direkt zu sehen, sondern lediglich in der Phantomgestalt von Gegenschüssen aus dem umliegenden Gebirge, unauffällige Landschaftsaufnahmen jeder für sich, die sich nach und nach zu einer Triangulation des Geschehens im Tal addieren, und so die Frage aufwerfen, wessen Betrachterstandpunkt sich hier mitteilt. Es ist zu bedauern, dass Emin Alper den Konflikt am Ende zur Implosion bringt, indem er die Nomaden als selbstgemachtes, gleichsam kollektiv halluziniertes Feindbild offenbart. Alles betörend Rätselhafte an "Tepenin Ard?" wird so gebändigt zur - allzu didaktischen - politischen Allegorie der türkischen Kurdenpolitik an der ungenau definierten anatolischen Außengrenze. Die umständlich plumpe Tagline des Films: "Scapegoating may unify, but could you control the
Von
Nikolaus Perneczky
Außer Atem: Das Berlinale Blog 16.02.2012
Alles beginnt mit einem halbstündigen Prolog, der nach sozialem Realismus aussieht - ein trunksüchtiges Ekelpaket von einem Mann, seine geschundene, aber wunderschöne Frau und das gemeinsame Kind in einer ärmlichen Hütte am Waldesrand -, wäre da nicht die sprechende Schlange, mit der die Frau in Abwesenheit ihres brutalen Gatten eine Liebesbeziehung anfängt. Es sei zwar eine Schlange, schaltet sich an dieser Stelle ein Erzähler ein, der Sex aber allemal besser als mit ihrem Mann. Bald kommt der Gehörnte der Schlange auf die Schliche und hackt ihr den Kopf ab. Als er im Zorn dann auch seine schwangere Frau richtet, indem er ihr den Unterleib aufschneidet, quillt eine ganze Schlangenbrut aus ihrem Uterus. Nur eine von ihnen überlebt und verwandelt sich, etliche Jahre später, in den Schlangenmann. Von
Nikolaus Perneczky
Außer Atem: Das Berlinale Blog 12.02.2012 Anfangs schaut man Kunststudenten über die Schulter: Wie sie mit mal schnellen, mal vorsichtigen Strichen ein ausgestopftes Tier abzeichnen, das in ihrer Mitte steht. Dasselbe Tier, unterschiedliche Bilder. Wo das Tier herstammt, sieht man im späteren Verlauf in "Bestiaire", wenn Denis Côté bei einem Erkundungszug durch den Parc Safari in Quebec auch die taxidermische Abteilung in den Blick nimmt. Dieser ist zugewandt, aber gerade insoweit interesselos, dass sich eine Sphäre zwischen Emphase und kritisch-analytischer Distanz aufbaut. Ganz ohne Kommentar oder ersichtlichen Eingriff in das Geschehen zeigt Côté, was in dem Safari-Erlebnispark geschieht: Tierfütterung, Tierbehandlung, gesunde Tiere, kranke Tiere, verkrüppelte Tiere. Mittendrin dann bald, selbst ein bisschen wie possierliche Tiere: mal jauchzende, mal interessiert um sich schauende, fotografierende Parkbesucher, die irgendwann wieder im Auto sitzen, womit der Film dann schließt. Ein etwas rigoroseres Strukturkonzept - man wäre bei James Benning. Ein etwas genauerer Blick auf die Arbeitsabläufe im Park - man wäre bei Frederick Wiseman. Zwischen diesen beiden Protagonisten des vorsichtig beobachtenden Dokumentarfilms - überdies keine Unbekannten im Internationalen Forum - richtet sich Denis Côté gut und für den Zuschauer mit Gewinn ein. Von
Thomas Groh
Außer Atem: Das Berlinale Blog 11.02.2012 Noch nicht einmal ein Jahr ist vergangen seit Fukushima oder '3/11', wie die Ereigniskette aus Erdbeben, Tsunami und atomarem Super-GAU vom 11. März 2011 in Japan mittlerweile genannt wird. Aus den deutschen Nachrichten zumindest ist Fukushima mittlerweile so gut wie verschwunden, was bleibt, ist kaum mehr als die Erinnerung an verwüstete Küstenstreifen und einen Regierungssprecher im blauen Arbeitsanzug. Drei Filme im Forum versuchen jetzt, über die kurzlebigen Fernsehbilder hinaus ein Bild der Lage zu liefern; als erstes läuft Funahashi Atsushis Dokumentarfilm "Nuclear Nation" an. Im Mittelpunkt von Funahashis Film steht Futaba, eine Kleinstadt in der Provinz Fukushima, im Nordosten Japans, an der Pazifikküste – die Stadt, in der der Reaktor Fukushima Dai-ichi liegt. Futaba wurde im März 2011 nicht nur fast vollständig durch Erdbeben und Tsunami zerstört, sondern auch vom radioaktiven Fallout kontaminiert. Heute ist Futaba Sperrgebiet, niemand darf sich dort aufhalten. 1400 Bewohner der Stadt wurden evakuiert und in eine Schule umgesiedelt, wo sie seitdem unter widrigen Umständen leben, ohne zu wissen, wie lange dieser Zustand andauern wird und ob sie je in ihre Heimatstadt zurückkehren können. Von
Elena Meilicke
Außer Atem: Das Berlinale Blog 10.02.2012 Nichts Spektakuläres passiert in diesem Film. Es geht um eine Frau in Montevideo, eine Mutter, die mit ihrem Leiharbeitergehalt mit Mühe ihre drei Kinder ernähren kann, die dann auch noch ihren Vater versorgen muss (gleich am Anfang wäscht sie ihn, in der Dusche, das ist eine schöne Szene, wie es überhaupt schön ist, wenn sich das Kino dafür interessiert, wie ein Mensch einen anderen pflegt, schon, weil das Berührungen sind, die weniger "gespielt" erscheinen als zum Beispiel in Sex- oder Prügelszenen), die versucht, wenigstens diesen einen Teil des Terrors, der der Alltag für sie ist, von sich weg zu halten, die vom staatlichen Altersheim abgewiesen wird und auch von ihrer Schwester und die den alten, geistig verwirrten Mann dann einfach auf einer Bank neben einem Mietshaus sitzen lässt, ohne jeden Identitätsnachweis, in der Hoffnung, dass sich die offiziellen Stellen nun doch um ihn kümmern werden. Von
Lukas Foerster