9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

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2007 Presseschau-Absätze - Seite 10 von 201

9punkt - Die Debattenrundschau vom 24.08.2023 - Medien

"Ein neuer Typ Content-Manager" setzt in den Anstalten der ARD zum Kahlschlag an, warnt Hannes Hintermeier, der in der FAZ die Programmreform beim Bayerischen Rundfunk unter die Lupe nimmt. Dem bisherigen Sendeschema im Radio geht's an den Kragen. Die ARD will Kompetenzzentren gründen, um Redundanzen zu reduzieren, das ganze wird dann als Podcast bei Spotify platziert, so scheint deren Vision: "In einem anonymen Aufruf wird Stefan Maier, der Programmbereichsleiter von Bayern 2, zitiert, der die Frage aufgeworfen habe, ob ein Film oder ein Buch von neun Landesrundfunkanstalten besprochen werden müsse. Die Antwort, dass ein interessantes Kunstwerk mehr als eine Kritik verträgt und benötigt, scheint nicht mehr selbstverständlich. Gibt es künftig die eine, in der ganzen ARD gesendete Meinung zum neuen Roman von Clemens J. Setz, zum neuen Film von Maren Ade, zur Personale von Neo Rauch? Das täte dem kulturellen Föderalismus einen Tort an."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.08.2023 - Medien

Der Springer-Konzern und Julian Reichelt haben sich im Streit um vertrauliche Informationen, die der ehemalige Bild-Chef der Berliner Zeitung zugespielt hat (unsere Resümees), überraschend außergerichtlich geeinigt. Anna Ernst vermutet in der SZ, dass Springer-Chef Mathias Döpfner bei der Vorstellung, was Reichelt noch alles über ihre interne Kommunikation hätte auspacken können, kalte Füße bekommen hat: "Schon beim Gütetermin im Juni hatte Reichelts Anwalt Stephan Pötters einen kleinen Vorgeschmack auf das gegeben, was er und sein Mandant womöglich in der Hinterhand hatten... Man ahnt: Da hätte womöglich noch eine Menge Material auf Reichelts Smartphone geschlummert, das vor Gericht hätte Erwähnung finden können. Und man ahnt auch: Es könnte Döpfner und seinem Unternehmen nun womöglich doch zwei Millionen Euro wert gewesen sein, das alles unter der Decke zu halten."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.08.2023 - Medien

Die Medien machen derzeit wieder den gleichen Fehler, den sie in der Gründungsphase der AfD gemacht haben: Sie fallen auf die Provokationen der AfD rein und setzen sich zu wenig mit den "multifaktoriellen Ursachen des AfD-Aufstiegs" auseinander, meint der Politikberater Johannes Hillje, der in seinem Buch "Das 'Wir' der AfD" die Kommunikationsstrategien der Rechtspopulisten untersucht, im Tagesspiegel-Gespräch: "Es gibt … Studien, die eine Korrelation zwischen medialer Aufmerksamkeit und demoskopischem Aufstieg der AfD zeigen. Es ist auch plausibel, dass die zahlreichen Berichte über 'Rekordwerte' und 'Höhenflug' der AfD zu einem zusätzlichen Ansteckungseffekt führen. Das bedeutet, dass Menschen, die bisher nicht zur AfD tendierten, den Eindruck bekommen, dass sich diese zwanzig Prozent in den Umfragen ja nicht täuschen können, die AfD also normaler und wählbarer erscheint. Im Übrigen: Nicht zu lesen sind derzeit Schlagzeilen über das Ende des Aufstieg der AfD, der bei den meisten Instituten mittlerweile längst eingesetzt hat."
Stichwörter: Hillje, Johannes, AfD

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.08.2023 - Medien

Und so geht's zu in Österreich. Die ORF-Hauptnachrichtensendung "Zib" sendete zwei russische Fake-Videos, berichtet Florian Bayer in der taz. Angeblich zeigten die Videos, wie die Ukrainer Soldaten zwangsrekrutieren, aber in Wirklichkeit handelte es sich um die Festnahme russischer Spione. Darauf angesprochen, reagierte ORF so: "Dem ORF russische Propaganda zu unterstellen, ist absurd und richtet sich von selbst." Erst auf Druck räumte der Sender ein, einen Fehler gemacht zu haben. "Der Macher des Beitrags, Christian Wehrschütz, twitterte dazu inzwischen: 'Der Fehler wird mir eine Lehre sein, der erste in 23 Jahren Korrespondent. An der Richtigkeit des Beitrags ändert der Fehler nichts!' Wehrschütz ist seit 2013 der alleinige Ukrainekorrespondent des ORF. Bis 1983 schrieb er für die rechtsextreme Zeitschrift Aula. Seit 1991 ist er beim zur Objektivität verpflichteten ORF. Bis 2002 war er Mitglied der prorussisch auftretenden FPÖ."

Die ARD will ihre Talkshows reformieren, berichtet Aurelie von Blazekovic in der SZ. Anne Will soll sich demnach bald an ein jugendliches Publikum richten. Das könnte auch die Austauschbarkeit der verschiedenen Sendungen beenden, im Moment gibt es nicht allzu viel Variation. "Auch in der Themenauswahl geht es nicht überschneidungsfrei. 2022 war es 46 Mal der Ukraine-Krieg, 19 Mal die Energiekrise und elf Mal Corona. Die Themen der Sendungen leiten sich vom aktuellen Geschehen ab - so weit ist das verständlich. Doch muss man es so machen - fünf Talkshows, die sich im Grunde nur durch ihren Moderator auseinanderhalten lassen?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.08.2023 - Medien

In der SZ resümiert Claudia Tieschky einen Bericht von Business Insider über die Vertuschung der Kosten beim geplanten Digitalen Medienhaus des RBB: Chefredakteur David Biesinger soll tiefer verstrickt sein als angenommen: "Konkret geht es um eine Beschlussvorlage für den Verwaltungsrat vom März 2022, in der Informationen über die wahren Kosten, die der Geschäftsleitung vorgelegen haben soll, verschleiert worden seien. Statt 185 Millionen Euro soll dem Gremium nur eine Teilsumme von 125 Millionen genannt worden sein. (…) Biesinger weist im BI den Vorwurf, er habe Kosten verschleiert, als 'falsch' und 'rufschädigend' zurück, auf SZ-Anfrage äußerte er sich nicht weiter. Der RBB weist die Vorwürfe gegen Biesinger ebenfalls zurück. (…) Trotzdem - da wird es in Sachen Verantwortlichkeit endgültig entwirrungsbedürftig - war Biesinger am Bauprojekt 'an verantwortlicher Stelle' beteiligt, wie der RBB mitteilt - er führte gemeinsam mit der Leiterin der Intendanz den Vorsitz im erwähnten Lenkungsausschuss zum Bau. Er habe sich um redaktionelle Fragen bei der Planung gekümmert, sie um Bau- und Finanzfragen, so der RBB."

Die öffentlich-rechtlichen Sender der ARD produzieren mittlerweise eine Flut von Podcasts, die man über Dienste wie Spotify der Youtube abonnieren kann. Darüber beschweren sich jetzt die selbst eher nicht durch journalistische Relevanz brillierenden Privatradios, berichtet Helmut Hartung in der FAZ. Aber offenbar haben die Podcasts für die ARD-Sender noch ein ganz anderes Potenzial: "Seit einiger Zeit geht die Tochtergesellschaft des durch Krisen gebeutelten RBB, die RBB Media, sowie der Werbevermarkter der ARD, die ARD Media, noch einen Schritt weiter und bestücken Podcasts, die auf nicht öffentlich-rechtlichen Plattformen zu finden sind, mit selbst akquirierten Reklamespots. Der Gewinn fließt in die Kassen der Anstaltstöchter. Die RBB-Podcasts werden zudem von der eigenen Vermarktungstochter produziert. Auf ihrer Onlineseite preist die ARD Media ihre Leistungsfähigkeit: 'Werbung in Podcasts schafft eine ganz neue Möglichkeit von Kommunikation.'"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.08.2023 - Medien

Diese Woche warnte Frank Überall, Vorsitzender der Deutschen Journalistenunion deutsche Journalistinnen vor einer Reise in die Türkei. Vielleicht sollten erinnern wir uns auch mal wieder an die schlimmen Bedingungen der türkischen Kollegen erinnern, meint Wolf Wittenfeld in der taz: "Die meisten inhaftierten JournalistInnen, die von den Behörden in aller Regel gar nicht als JournalistInnen anerkannt werden, arbeiten für kleine pro-kurdische Nachrichtenportale, die im Westen der Türkei kaum jemand kennt. Sie verschwinden als PKK-UnterstützerInnen im Gefängnis, was außerhalb der kurdischen Community kaum noch wahrgenommen wird. Seit der großen Kampagne gegen die Schließung der prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem 2015, wo prominente JournalistInnen und linke Intellektuelle wie die Schriftstellerin Aslı Erdoğan sich tageweise als ChefredakteurInnen zur Verfügung gestellt hatten, sind kurdische Medien aus der türkischen Öffentlichkeit praktisch verschwunden."

In der FAZ will Thomas Hestermann, Professor für Journalismus, die von Ex-Anchor-Man und Ex-Intendant Peter Voss und Dramaturg Bernd Stegemann ebenda erhobenen Vorwürfe, die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen sei tendenziös, nicht bestätigen. (Unser Resümee) Hier werden "Empfindung und Eindruck" bemüht, doch der empirische Nachweis fehlt, meint er und verweist auf eine an der Hochschule Macromedia durchgeführte Analyse, die seit 2007 "zweijährlich die Hauptnachrichten und Boulevardmagazine der acht reichweitenstärksten bundesweiten Fernsehsender und seit 2019 fünf auflagenstarke überregionale Tageszeitungen (darunter die FAZ), zunächst zur Gewaltberichterstattung, seit 2019 auch zur Berichterstattung über Menschen nichtdeutscher Herkunft, die in Deutschland leben" untersucht: "Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Eingewanderte und Geflüchtete besonders wohlwollend darstellte, lässt sich nicht bestätigen. Tatsächlich zeigt 2023 die Analyse von 506 Beiträgen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Risiken der Migration ähnlich wie die privatrechtlichen Sender und deutlich stärker als die untersuchten Zeitungen gewichten."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.08.2023 - Medien

RTL setzt seinen "Kahlschlag" beim Verlag Gruner und Jahr derweil fort und sucht Käufer für das Kunst-Magazin Art, schreibt Anna Ernst in der SZ. Das Fleisch-Magazin für Besserverdienende Beef! stelle man direkt ein: Der Verkauf scheiterte und es entspricht wohl auch nicht mehr dem Zeitgeist: "Schon in früheren Jahren soll es redaktionsintern Debatten gegeben haben, ob man das Heft an neue Essgewohnheiten anpassen und modernisieren könne. Artgerechte Tierhaltung etwa war immer ein Thema, doch generell galt bei Beef!, dass Fleisch das Gemüse der Leserschaft ist und bleibt. Trotz vereinzelter Themen zu neuen Ernährungsgewohnheiten hat sich bei der Ansprache und Aufmachung wenig verändert. Auch Frauen wurden nicht zur Zielgruppe. Ob das der Auflage schadete?" Wie wäre es mit einer Umbenennung in Hafermilch?
Stichwörter: Gruner und Jahr

9punkt - Die Debattenrundschau vom 14.08.2023 - Medien

Es gibt eine neue Debatte über die Öffentlich-Rechtlichen, die in der FAZ angestoßen wurde: Der Ex-Anchor Man und Ex-Intendant Peter Voss hatte tendenziöse Berichterstattung kritisiert, der Dramaturg und Wagenknecht-Verbündete Bernd Stegemann griff das auf und kritisierte einen angeblich manipulativen "heute-"Beitrag, wogegen sich der "heute-journal"-Chef Wulf Schmiese am Samstag vehement wehrte. In der NZZ platzt jetzt auch Claudia Schwartz der Kragen angesichts eines Instagram-Accounts der Sendung "Monitor": "Die Belehrung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist mittlerweile Programm. Das 'Monitor'-Magazin des WDR präsentiert derzeit auf Instagram 'verharmlosende Klimasprache' und liefert 'Alternativbegriffe'. 'Klimawandel' etwa klingt nach Meinung der dortigen Redaktion zu sehr wie ein 'sanfter, natürlicher Prozess' und nicht so 'heftig, gefährlich und menschengemacht' wie 'Klimakrise'. 'Erderwärmung' hört sich zu 'angenehm und positiv' an, wie wäre es also mit 'Erderhitzung'? Und der 'Klimaleugner' ist dem 'Klimaskeptiker' vorzuziehen, weil dieser - man muss das jetzt nicht verstehen - 'Nachdenken' suggeriere. Bitte nicht nachdenken, sondern nachplappern?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.08.2023 - Medien

Spätestens der RBB-Skandal um Patricia Schlesinger hat bewiesen, dass öffentlich-rechtliche nicht unbedingt moralische Anstalten sind. Schlesinger war in ihrer bräsigen Unverschämtheit nur die Spitze des Eisbergs, resümiert Caspar Shaller in der taz. Darunter kam ein ganzes System von Ruhegeldern und und komfortablen Abfindungen für unfähige Hierarchen zum Vorschein, das Höhlenforscher bis heute nicht erschlossen haben. Und auch beim RBB ist mit der Wahl Ulrike Demmers nur die Ratlosigkeit der Instanzen deutlich geworden. Spätestens jetzt wisse man, "dass der Filz damit nicht vorbei ist. Demmer war Regierungssprecherin unter Angela Merkel und hat zwei hagiografische Bücher über Ursula von der Leyen geschrieben, in der die gescheiterte Verteidigungsministerin als nächste Kanzlerin gehandelt wurde. Demmers Verstrickung mit der CDU scheint indes kein Ausschlusskriterium zu sein. Die oft beschworene Staatsferne erscheint so wie ein Hohn. Mittlerweile haben das Missmanagement und die Selbstbedienungsmentalität ein riesiges Loch in die Kassen gerissen. Vernau verkündete im Frühjahr, der Sender müsse 50 Millionen Euro sparen. Hundert Stellen sollen langfristig gestrichen und mehrere Sendungen eingestellt werden."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.08.2023 - Medien

Giovanni Di Lorenzo ist ein Mann von heroischer Konsequenz: Die Leser der Printausgabe werden vor der peinlichsten Affäre der Zeit seit Jahren nach wie vor geschützt: Kein Wort über Fabian Wolff schon in der zweiten Ausgabe. Was ahnen die Damen und Herren Leser schon vom Proletariat in der Online-Garage, das die Affäre verursachte!

In der Jungle World sucht Larissa Schober nach einer psychologischen Erklärung für Wolff und allgemeiner das Wilkomirski-Syndrom: Es wird  für sie möglich durch eine Erinnerung an den Holocaust, die vor allem auf Empathie setze. Sie bedeute auch ein "Ausblenden deutscher Täterschaft ": "Wir erinnern uns lieber an erfahrenes Leid als an angetanes - denn Letzteres wirft die Frage nach der Verantwortung und nach Gegenstrategien auf. Die Identifikation mit den Opfern stellt gerade in einer Täter:innengesellschaft wie der deutschen ein Problem dar, da sie sich gut zur moralischen Entlastung eignet. Damit einher geht die Gefahr der Übernahme von Erinnerung: Durch die Identifikation mit Opfern können sich Betrachter:innen die moralische Überlegenheit, die der Opferstatus auch bedeutet, sozusagen leihen, ohne mit dem tatsächlichen Leid konfrontiert zu sein."