Masha Gessen
porträtiert russische Freunde, die Russland verlassen haben, es verlassen mussten. Sie gehören zu der guten
Viertel Million, die ihr Land seit dem Krieg gegen die Ukraine verlassen haben. Es ist schwierig für sie: Viele Länder nehmen sie nicht auf, jedenfalls nicht auf Dauer. Also gehen viele nach Georgien, wo sie bis zu einem Jahr ohne Visum bleiben können. Für Russland ist es ein
schrecklicher Verlust: "Viele derjenigen, die Russland verlassen haben, sind
IT-
Fachleute; einige von ihnen scheinen, zumindest vorübergehend, in Eriwan, einem regionalen Technologiezentrum, zu bleiben. Andere sind
Journalisten,
Akademiker und
Führungskräfte der NRO, die in Berlin, Tiflis, Tallinn und Vilnius landen. Ihre Ausreise beschleunigt den seit langem andauernden Prozess der
Abschaltung der russischen Zivilgesellschaft, ohne dass der Staat die Menschen einzeln verfolgen und inhaftieren muss", erzählt Gessen. Aber auch für die Flüchtlinge, die alles verloren haben und als Russen schief angesehen werden, ist es schwer. "'Ich habe getan, was ich konnte', sagt Primakova. 'Aber ich bin keine Heldin. Ich fühle mich nicht schuldig gegenüber den Ukrainern, denn ich habe nicht das Gefühl, dass das, was in der Ukraine geschieht, in meinem Namen geschieht, aber ich fühle mich schuldig gegenüber den Menschen, die
in Moskau zurückgeblieben sind. Und jedes Mal, wenn jemand, der mir wichtig ist, abreist, atme ich erleichtert auf und merke, wie viel Angst ich um ihn hatte. Es ist ein egoistisches Gefühl, diese Erleichterung, denn es bedeutet, dass ich mich etwas weniger schuldig fühlen kann.'
Verantwortung,
Schuldgefühle,
Scham, ob individuell oder kollektiv - die vielen Abstufungen dieser Gefühle sind in jedem der neuen Exilanten nahe an der Oberfläche. 'In den ersten fünf Tagen konnte ich nicht verhindern, dass meine Hände zitterten', sagt Aleshkovsky. 'Ich wäre am liebsten buchstäblich
vor Scham verbrannt. Wir alle sind für diesen Krieg verantwortlich. Selbst diejenigen, die viel getan haben, um ihn zu verhindern, haben nicht genug getan - denn der Krieg begann.' ... Wie kann man als Russe leben, während Russland ukrainische Häuser, Schulen und Entbindungsstationen bombardiert? 'Ich weiß nicht, was ich einem Ukrainer sagen kann', sagte Babitsky. 'Ich kann nicht so tun, als sei es Putin, der die Ukraine bombardiert, und ich hätte nichts damit zu tun. Ich kann nicht um Verzeihung bitten, denn Verzeihung kann man nicht geben, während
Charkiw bombardiert wird. Was ich also sage, ist, dass ich ein riesiges Loch in mir habe, und ich bitte sie, mir zu sagen, was ich tun kann. Und das ist ihnen gegenüber nicht fair.'"
Patrick Radden Keefe
lernt aus den Büchern von
Catherine Belton (
"Putins Netz") und
Tom Burgis ("
Kleptopia: How Dirty Money Is Conquering the World") in welchem Ausmaß
Britannien russischen Oligarchen hilft, ihr Geld und ihre Reputation wäscht. Wer keine Lust zum Lesen hat, kann sich auch von dem ehemaligen Russland-Korrespondenten
Oliver Bullough auf eine "Kleptokratie-Tour" durch London mitnehmen lassen: "Bullough taucht mit einer Busladung Gaffer vor eleganten Villen und Apartmenttürmen aus Stahl und Glas in Knightsbridge und Belgravia auf und zeigt die millionenschweren Residenzen der zwielichtigen Ausländer, die dort Zuflucht gefunden haben. In seinem soeben in Großbritannien erschienenen Buch '
Butler to the World: How Britain Became the Servant of Oligarchs, Tax Dodgers, Kleptocrats, and Criminals' argumentiert er, dass England
aktiv um solche korrumpierenden Einflüsse geworben hat, indem es 'einige der schlimmsten Menschen, die es gibt', wissen ließ, dass es für Geschäfte offen ist." Bestätigt werden die Recherchen der drei von der "britischen National Crime Agency, die feststellte, dass jedes Jahr '
viele hundert Milliarden Pfund an internationalem kriminellem Geld' über britische Banken und Tochtergesellschaften gewaschen werden. Und vom Geheimdienstausschuss des Parlaments, der London als 'Waschsalon' für illegales russisches Geld bezeichnet hat. Und vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Unterhauses, der 2018 erklärte, dass die Leichtigkeit, mit der der russische Präsident und seine Verbündeten ihren Reichtum in London verstecken,
Putin geholfen hat, seine Agenda in Moskau zu verfolgen."
Weiteres: Die Musiker
Emily Richmond Pollock und
Kira Thurman diskutieren über das Canceln
russischer Musiker wie Anna Netrebko oder Alexander Malofeev, die sich nicht ausdrücklich von Putin distanzieren wollen. Becca Rothfeld
liest mehrere Bücher zum "
Shaming-
Industriekomplex". Calvin Tomkins
porträtiert die Künstlerin
Simone Leigh, die die USA auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig vertreten wird. Carrie Battan
hört Reggae von
Koffee, und Anthony Lane
sah im Kino
Graham Moores "The Outfit" mit Mark Rylance als Schneider in der Savile Row.