Außer Atem: Das Berlinale Blog

Über alle Maßen pessimistisch: "El bar" von Alex de la Iglesia

Von Katrin Doerksen
15.02.2017.
Millionenfach vergrößerte Zellen, Milben, Bakterien und Viren schieben sich in den Opening Credits von "El bar" über die Leinwand. Im letzten Bild der Sequenz erblühen weiße Sporen aus dem Schwarz. Als der Name des Regisseurs erscheint, versetzt sich die Kamera in eine Rückwärtsbewegung und offenbart: sein Name, von Schimmelblüten umrankt, ist nichts anderes als ein Plakat an einer über und über beklebten Werbewand, an der die Leute vorbeirennen, ohne Notiz zu nehmen. Álex de la Iglesia verortet sich mit dieser beiläufigen Geste selbst in der Welt, die er in seinem Gewaltakt von einem Film durch den Dreck zieht. Er ist zunächst einmal genauso ein geringer Teil von ihr wie Elena (Blanca Suárez), die auf dem Weg zu einem Date eigentlich nur in einer Bar Halt macht, weil sie ihr Handy aufladen muss. Eine von diesen kleinen spanischen Kneipen, in denen man alles bekommt: Kaffee und Whisky, Churros und Sandwiches.



Die alltägliche Szenerie findet bald ihr jähes Ende. Finstere Bässe erzittern, als Elena den Laden betritt. Alles scheint noch für einen Augenblick seinen geregelten Gang zu gehen, als ein Geschäftsmann aufsteht, seinen Toast bezahlt - und auf der Straße eine Kugel in den Kopf bekommt. Innerhalb von Sekunden fliehen die Passanten und die Menschen in der Bar - darunter die mürrische Wirtin, ein Obdachloser, ein Hipster mit Bart, ein ehemaliger Polizist, das gemeine Volk in a nutshell quasi, sitzen fest. Als eine Inspiration für "El bar" nennt Álex de la Iglesia Luis Buñuels 1962er Surrealismusdrama "Der Würgeengel", in dem eine Gruppe Feiernder nach einer Party ohne ersichtliche Gründe den Raum nicht mehr verlassen kann. Die Lösung des Problems lautete damals: Rekonstruktion. Nachdem die Gäste alle Gespräche und Bewegungen des Abends noch einmal durchgespielt hatten, waren sie frei, fürs Erste.

Im Jahr 2017 scheint es für Álex de la Iglesia keine so einfachen Lösungen mehr zu geben, nicht einmal mehr Surreale. "El bar" ist ein moralischer und zivilisatorischer Abstieg in drei Akten, das über alle Maßen pessimistische Abbild einer paranoiden Gesellschaft. Die Bedrohung, die sie fürchtet, ist nicht ohne Weiteres erklärbar, aber durchaus irden: die Kugel im Kopf. Von einem Unbekannten abgefeuert, wahrscheinlich von einem der umliegenden Dächer, stellt sie sofort eindeutige Assoziationen her. Von Paris und dem Moskauer Theater reden die aufgeschreckten Festsitzenden, und auch Álex de la Iglesias Bilder wirken grausam vertraut: flüchtende Menschen, später eine Luftaufnahme in der Live-Fernsehübertragung, die eine schwarze Rauchwolke über Madrid zeigt. Natürlich wäre es zu einfach, wenn das schon alles wäre. Der Regisseur beweist gehässige Präzision, wenn es darum geht Westeuropäern all ihre potentiellen Furcht-Erreger unter die Nase zu reiben: nicht nur die Terrorangst, auch die Panik vor Pandemien, vor Überwachung und Verschwörungen von ganz oben, vor sozialem Abstieg und Einsamkeit brechen nach und nach auf das Hässlichste aus den Menschen heraus. Der unbedingte Drang, die eigene Haut zu retten, auch auf die Gefahr hin sich dabei selbst zu zerlegen. Es ist ein buchstäbliches Waten durch die Scheiße.

Horrorkonventionen wollen es, dass sich die Figuren in "El bar" gegenseitig dezimieren. Unterhaltsame Typen fallen so der Grausamkeit ihrer Mitgefangenen oder den undurchsichtigen Umständen zum Opfer. Die immer abgeschlosseneren Settings schnüren die temporeiche Situationskomik ab, die sich anfangs noch aus der Spannung unter den aufeinander treffenden Figuren ergeben hatte, aus Impulsen der Außenwelt und der Medien. Die den Iglesia-Filmen eigene groteske Körperlichkeit löst sich vor allem im dritten Akt im generischen Look unzähliger Horrorstandardszenen auf. Und so, während er engagiert seine Metapher auf die Spitze treibt, manövriert sich "El bar" zum Ende hin gründlich selbst in die Falle.

Katrin Doerksen

El bar - The Bar. Regie: Álex de la Iglesia. Mit Blanca Suárez, Mario Casas, Carmen Machi, Secun de la Rosa, Jaime Ordóñez. Spanien 2017. 102 Minuten. (Termine)