9punkt - Die Debattenrundschau

Es kommt dieses Inter

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.11.2014. In der taz glauben Gabriele Goettle und Ute Scheub parallel und unbeirrt an den Verfall des Kapitalismus. A propos: Heise.de fragt, ob die EU wirklich Google zerschlagen will. Quartz.com misst die Dialektik der Frauenabteile in der Metro von Delhi aus. Sascha Lobo und Christopher Lauer glauben in der FAZ am Sonntag: der größte Fehler der Piraten war ihre Kritik am Urheberrecht. Und Boingboing zieht Bilanz nach zwölf Jahren Creative Commons.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.11.2014 finden Sie hier

Politik

Cam Simpson berichtet in Business Week über interne Papiere der IS-Miliz, die amerikanischen Soldaten schon vor Jahren in die Hand fielen und ein Licht auf die Organisationsstruktur der Gruppe werfen, die von einer Gruppe von Forschern untersucht wurde. Demnach ist die Miliz höchst modern organisiert - ungefähr so wie Bertelsmann: "Was die Forscher in ihrem Bericht ans Verteidigungsministerium 2010 schreiben, sollte allen Business-Studenten vertraut sein. Die Gruppe war dezentralisiert, organisiert und betrieben nach dem Muster der "multidivisional-­hierarchy form", kurz "M-form". Diese Struktur fasste in der Firmenwelt in den zwanziger Jahren Fuß, nachdem Alfred Sloan General Motors neu organisiert hatte."

Von Saulus zu Paulus? In der FAS diskutieren Sascha Lobo und Christopher Lauer über den Totalverfall der Piratenpartei. Lobo macht der Partei ausgerechnet die Kritik am Urheberrecht zum Vorwurf - Lauer sieht"s genauso: "Ich bin beim Schreiben des Buchs noch mal richtig aggressiv geworden wegen dieses Irrsinns der Urheberrechtsdebatte und des Unverständnisses, das die Piraten kunst- und kulturschaffenden Menschen entgegengebracht haben, die sich in ihrer Existenz ernsthaft bedroht gefühlt haben. All das hat uns viel Sympathie gekostet."
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Internet

(Via Netzwertig) Ryan Merkley von der Creative-Commons-Bewegung zieht auf Boingboing nach zwölf Jahren Bilanz: "Unsere Daten zeigen 900 Millionen Werke mit offener Lizenz, 200 Millionen Fotos auf Flickr, 34 Millionen Artikel der Wikipedia, zehn Milllionen Videos auf Youtube und vieles mehr - alle unter einer Lizenz, die dem Publikum die Möglichkeit der Nutzung und des Teilens geben."

Will die EU Google zerschlagen, fragt heise.de unter Bezug auf einen Artikel der Financial Times und einen Bericht des Guardian. Offenbar bereiten Abgeordnete einen entsprechenden Antrag vor: "In dem der Financial Times vorliegenden Entwurf wird angesichts der Dominanz von Google die "Entflechtung von Suchmaschinen von anderen kommerziellen Diensten" erwogen. Das Papier würde nach Ansicht von Insidern von einer breiten Koalition aus Europäischer Volkspartei und Sozialdemokraten unterstützt. Die EU-Kommission untersucht seit längerem das Verhalten von Google wegen möglicher Wettbewerbsverstöße. " Der Guardian vermutet den Einfluss des Springer Verlags, der zu der Allianz mit dem witzigen Namen "Open Internet Project" gehört - einem Zusammenschluss großer Zeitungskonzerne.

Und Netzpolitik meldet, dass es jetzt eine Software gibt, die Staatstrojaner erkennt.
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Gesellschaft

Metro in Delhi, gemischtes Abteil. Eric Parkers Foto findet sich unter CC-Lizenz bei Flickr.

Ankita Rao denkt bei Quartz.com über die Dialektik des Frauenabteils in der Metro von Delhi nach: "Als alleinstehende in Indien arbeitende Frau finde ich die Trennung nach Geschlechtern in diesem öffentlichen Raum nicht nur restriktiv, sondern rückschrittlich für die Sicherheit der Frauen auf lange Sicht. In einem säkularen und demokratischen Staat wie Indien, der manchmal etwas schwerfällig die Lücke zwischen tief verwurzeltem patriarchischem Denken und der Gleichheit der Geschlechter ausmisst, sendet die Trennung nach Geschlechtern eine falsche Botschaft an das Publikum: dass Frauen getrennt leben sollen, um sicher zu sein, und dass indische Männer keine Selbstkontrolle haben."

In der taz ist heute Gabriele-Goettle-Tag. Die Reporterin besucht ihre frühere Kollegin, die Autorin Ute Scheub, die den Kapitalismus in einem ähnlichen Verfallsstadium sieht wie die Sowjetunion Ende der der achtziger Jahre: "Also in meinen Augen kommt eine neue Phase, es kommt dieses Inter, das Leben in einem Verbund. Also "Wir, Ich, Inter". Neue Formen der Ökonomie, der Ökologie. Auch die Wiederbelebung alter Formen, die entwickeln sich ja schon seit geraumer Weile überall auf der Welt. Sozusagen parallel und unbeirrt."

Weiteres: Das gesamte Feuilleton der FAZ widmet sich heute in allen denkbaren Aspekten der Sehnsucht nach dem Landleben.
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Kulturpolitik

In der NZZ beschreibt Samuel Herzog, worauf sich deutsche und Schweizer Behörden im Fall Gurlitt wohl geeinigt haben dürften: "Bern wird aller Wahrscheinlichkeit nach jenes Drittel aus dem rund 1600 Werke umfassenden Konvolut Gurlitt bekommen, das einst als "entartete Kunst" aus den Museen des damaligen Deutschland entfernt wurde, um im Ausland in Devisen umgewandelt zu werden - durch Kunsthändler eben wie zum Beispiel Cornelius" Vater Hildebrand Gurlitt. Die weiteren Kunstwerke, die im Verdacht stehen, etwa als Zwangsverkäufe aus jüdischen Sammlungen zu stammen, bleiben in Deutschland, und ihre Geschichte wird wie bis anhin von einer Task-Force untersucht, bis sie im Idealfall den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben werden können."

In der SZ erklärt Kia Vahland, warum viele deutsche Museen gar nicht glücklich sind über Jutta Limbachs Vorschlag, die von den Nazis verfemte und beschlagnahmte Kunst auch an Museen zurückzugeben. "Länder und Kommunen investierten viel Geld, um diese Kunst zu kaufen, die nun teurer war als vor dem Krieg. Nicht selten erstanden sie Werke, die bis 1937 anderen deutschen Museen gehört hatten. Die Kuratoren und politischen Verantwortlichen wussten, was sie taten - und hielten dies für eine noble Geste des Antifaschismus. In all den Jahrzehnten wagte es niemand, am unausgesprochenen Stillhalteabkommen unter deutschen Museen zu rütteln."
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Medien

In der SZ ergänzt Willi Winkler ein wenig die großen Enthüllungen der Bildzeitung vom Samstag, nach denen Axel Springer vom BND ausspähen ließ. Denn bei dem betreffenden Agenten handelt es sich um den notorischen Horst Mahnke, den ehemaligen SS-Mann, aber ewigen Rechtsradikalen und Antisemiten, der zuvor schon beim Spiegel sein Unwesen getrieben hatte: "Mahnke wurde einer der engsten Berater Springers und zog sogar, wie sich der Historiker Hans-Peter Schwarz in einer dem Verleger sehr gewogenen Biografie ausdrückt, "eine Art Spionageapparat" auf, mit dem er wie in alten Zeiten Freund und Feind ausspähte. Dass er als "Klostermann" auch über Interna des Hauses an den BND berichtete, war dabei fast unvermeidlich."
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Stichwörter: Springer, Axel, BND, Internat