Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Kunst, Ausstellungen, Architektur

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.01.2024 - Kunst

Ausstellungsansicht


In Mumbai stellt das ambitionierte Museumsprojekt Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya (CSMVS) antike Kunst aus Indien und Europa gemeinsam aus. Die unter anderem vom Getty Museum und den Staatlichen Museen Berlins organisierte Schau zeigt, wie Gina Thomas in der FAZ ausführt, unter anderem Arbeiten, die dem Artemis-Tempel in Ephesos entstammen, gemeinsam mit hinduistischen Götterfiguren. Auch die Präsentation wurde von indischen und westlichen Kuratoren gemeinsam erarbeitet. Dabei stoßen sie unter anderem auf konfligierende kulturelle Prägungen, zum Beispiel in Bezug auf Sexualität: "Eine Kultur, die Nacktheit in ihren geschmückten Götterstatuen symbolisch auffasst, tut sich auch mit der expliziten Sexualität der idealschönen griechisch-römischen Plastik schwer, wie sie der Dionysos aus dem Britischen Museum mit dem sein Geschlecht anzüglich streifenden Gewand, die Venus pudica und der muskelprotzende Torso des Apollon aus Berlin in Mumbai vertreten. Auf dem Friesfragment aus Halikarnassos ringen nackte Krieger mit bekleideten Amazonen. Dem indischen Publikum beizubringen, dass körperliche Ertüchtigung bei den zum Kampf ausgebildeten Männern mit moralischer Tugend einherging, sehen die Kuratorinnen als die wohl größte Herausforderung an."
Ilakaka Gem Fields, Madagascar. Foto: Toby Smith

Zwischen Dokumentation und Kunst angesiedelt ist die Ausstellung "Man & Mining" im Hamburger Museum der Arbeit, die Petra Schellen für die taz bespricht. Die Schau "will Asymmetrien im weltweiten Rohstoffabbau aufzeigen und dessen Auswirkungen auf Land und Menschen des globalen Südens mit dem Konsumverhalten im globalen Nordens kontrastieren" und präsentiert eine Reihe beeindruckender Arbeiten. Irritiert ist die Rezensentin allerdings durch die lückenhafte Kontextualisierung einiger Werke. Zum Beispiel betrifft das die Arbeit eines chinesischen Fotografen, der die Umweltschäden im Zuge des Kohleabbaus in den Hulunbuir/Baorixile im Bild festhält: "Was man nicht erfährt: Lu Guang, wegen des Anprangerns gesundheitlicher und ökologischer Folgen der chinesischen Industrialisierung im Visier des Regimes, wurde 2018 in Xinjiang verhaftet. Nach internationalen Protesten soll er seit 2019 wieder zu Hause sein, wohl unter Arrest: Verlässliche Nachrichten gibt es nicht."

Weitere Artikel: Pauline Herrmann unterhält sich für Monopol mit den Londoner Galeristen Angelina Volk und Leopold Thun. Im Guardian stellt Veronica Esposito kommende Höhepunkte des Ausstellungsjahrs 2024 in den USA vor.

Besprochen werden die Ausstellung "Rose, Rose, Rose à mes yeux! James Ensor und das Stillleben in Belgien" im Mu.Zee Ostende (FAZ), Stefan Marx' Schau "16 Hintergleisflächen", die (gratis) im U-Bahnhof Hansaplatz zu sehen ist (Tagesspiegel), die (ebenfalls kostenlose) Pop-Up-Ausstellung "Romanisches Café" im Europa Center (Tagesspiegel), "Die Basler Künstlergruppe Kreis 48" und insbesondere Max Kämpfs Bild "Die Hölle" im Kunstmuseum Basel (NZZ) und Kiki Smiths Ausstellung "From My Heart" in der Münchner Pinakothek der Moderne (Tagesspiegel).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 09.01.2024 - Kunst

La mort et la femme. Marevna, 1917, Huile sur bois, 107 x 134 cm. Association des Amis du Petit Palais, Genève. Photo © Studio Monique Bernaz, Genève.

Auf einen Streifzug durch das avantgardistische Paris nimmt Peter Kropmanns in der NZZ mit. Das "Beste der modernen Kunst" sieht er in der Ausstellung "Le Paris de la modernité" im Petit Palais in Paris versammelt, hervorragend kuratiert von Juliette Singer: "Die räumliche Einbindung der Kunstwerke verdeutlicht Kontexte und Synergien, festgemacht an epochalen Ereignissen, die als Stationen der Moderne zu verstehen sind...Hinzu kommen die Präsentationen technischer Neuheiten, die am gleichen Ort gezeigt wurden, an dem auch die Kunst Furore machte, nämlich im Grand Palais, das dem jetzigen Ausstellungsort genau gegenüberliegt. Hier wurden als Novität erste Schauen mit Automobilen und Flugapparaten veranstaltet, die auch von Künstlern besucht wurden. Bevor Aerodynamik auch in der Kunst einzog, faszinierten die Künstlerschaft außereuropäische Masken, die in der Ausstellung eine besondere Rolle einnehmen, einschliesslich der künstlerischen Auseinandersetzung mit ihnen, wie sie etwa eine Arbeit von Amedeo Modigliani spiegelt. Einen zweiten roten Faden bildet der Kolorismus, den die Fauves neu lanciert haben und der von sogenannten Salonkubisten wie La Fresnaye oder Metzinger aufgegriffen wurde. Wie stark der Erste Weltkrieg das blühende Kunstleben unterbrach und ihm gleichzeitig neue Themen und Motive vermittelte, zeigen Arbeiten von Maria Worobjowa, genannt Marevna, Mela Muter oder Jacqueline Marval."

Mirna Funk unterhält sich in der Welt mit den Künstlerinnen Zoya Cherkassky und Noa Ironic. Der 7. Oktober hat den beiden noch einmal deutlich gezeigt, wie sehr die Kunstwelt von antiisraelischer Propaganda geprägt ist, lesen wir, schlimmer als zu Zeiten der Sowjetunion, meint Ironic. Auch hätten die Menschen Angst mit israelischen Künstlerin zu arbeiten, sagt Ironic: "Mir ist neulich auch etwas passiert mit einer Kuratorin. Sie hatte einen sehr israelischen Namen. Nach einem Künstlergespräch sagte ich zu ihr auf Hebräisch: 'Hey, wie geht es dir?', und sie guckte mich mit dem bösesten Blick an, den ich jemals erlebt habe. Sie sah mich nur an, sagte 'Ja, ja …' und ging weiter. Sie war so sauer, dass ich sie geoutet habe."

Besprochen wird die Ausstellung "Sarah Morris: All Systems Fail" im Kunstmuseen Krefeld (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.01.2024 - Kunst

Ausstellungbild "Margrit Linck: Pionierin der Keramik". Foto: Museum für Gestaltung Zürich. 

Philipp Meier bewundert in der NZZ das Werk der Schweizer Keramikkünstlerin Margrit Linck, der das Museum für Gestaltung in Zürich eine große Retrospektive widmet. Linck "dachte Keramik anders und schuf sie von Grund auf neu", staunt der Kritiker. Als erste Frau der Schweiz eröffnete sie in den dreißiger Jahren ein Töpferatelier in Bern, erzählt Meier, da waren ihre Gefäße noch ganz herkömmlich: "Bald aber brach Linck aus dem traditionellen Kanon aus und begann, surrealistisch anmutende Tier- und Menschenfiguren zu entwickeln, die sie gekonnt mit der zweckmäßigen Gefässform zu verbinden verstand. Die sogenannten Metamorphosen wurden zu einem Leitmotiv in ihrem Schaffen. Margrit Linck balancierte virtuos zwischen angewandter und freier Kunst. Wobei die funktionsbefreite Auseinandersetzung mit Ton ihre Kreationen im Bereich der Gebrauchskeramik beflügelte. Dieser schöpferische Elan, gepaart mit viel Innovationskraft, machte sie in einem damals von Männern dominierten Feld zu einer Pionierin der Schweizer Keramik."

Weitere Artikel: Harry Nutt präsentiert in der Berliner Zeitung einen spannenden Netzfund: Rob Stoner, ein Begleitmusiker von Bob Dylan, hat per Facebook auf das Werk seines Vaters verwiesen, des amerikanischen Fotografen Arthur Rothstein: Dessen Fotos aus dem New York, der dreißiger und vierziger Jahre findet Nutt höchst faszinierend. Bernhard Schulz empfiehlt im Tagesspiegel, sich die Bodenreliefs des Bildhauers Ulrich Rückriem in der Neuen Nationalgalerie anzusehen, die anlässlich seines 85. Geburtstags vorübergehend neu installiert wurden.

Besprochen werden die Ausstellung "Zoom auf Van Eyck. Meisterwerke im Detail" in der Gemäldegalerie am Berliner Kulturforum (FAZ), die Gruppenausstellung "Hope" im Museion Bozen in Südtirol (taz) und die Ausstellung "16 Hintergleisflächen", mit Werken von Stefan Marx, die unter anderem hinter den Gleisen im U-Bahnhof Hansaplatz stattfindet (BlZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.01.2024 - Kunst

Anu Põder, Composition with Plastic and Synthetic Wool, 1986. Art Museum of Estonia

In der FAZ empfiehlt Stefan Trinks wärmstens einen Besuch im Engadiner Muzeum Susch, das gerade eine Ausstellung der 2013 gestorbenen estnischen Bildhauerin Anu Põder zeigt. Mit westlicher Pop Art und feministischer Kunst der Sechziger haben die kopflosen Körper Põders nichts zu tun, versichert der Kritiker: "Am wichtigsten ist der neutrale Blick bei einem von Põders Hauptwerken, 'Rot.Blau-Blau.Rot', einem Gipshochrelief mit einem gespiegelten nackten Frauenkörper Rücken an Rücken, in die vier grellen Farbfelder des Titels aufgeteilt. Wo der schnelle Blick mit der Datierung 1978 nur ein verspätetes Nachbeten der Pop-Art erkennen würde, kann angesichts der militärisch streng an die Hüfte gelegten Hände und des kahlgeschorenen Hauptes der Frau durchaus an erzwungenes Strammstehen und Zugerichtet-Werden gedacht werden, insbesondere weil die roten Farbfelder dem intensiven Ton der Sowjetflagge ähneln und das Blau - das wiederum dem der estnischen Flagge nahekommt - bedrängen."

Ausschnitt aus van Eycks "Brunnen des Lebens", ca. 1432. Foto: Prado/Wikipedia

Bernhard Schulz hat für monopol eine Ausstellung im Prado besucht, die die Diskriminierung und Zwangschristianisierung der Juden im Spanien des Spätmittelalters beleuchtet. Juden, lernt er am Beispiel von Gemälden und bebilderten Handschriften, "sind zunächst nur 'anders', dann gelten sie als 'verstockt', weil sie die christliche Heilslehre nicht annehmen. Sie werden durch entsprechende Kleidervorschriften als 'fremd' gekennzeichnet und zunehmend wegen ritueller Vergehen denunziert. ... Künstlerisch wohl das Hauptwerk der Ausstellung ist eine großformatige Altartafel aus der Werkstatt des am spanischen Hof hochgeschätzten Flamen Jan van Eyck. Der 'Brunnen des Lebens' zeigt unter anderem die 'Blindheit' der Juden gegenüber dem rechten Glauben in einer ausgefeilten Rhetorik von Bildmotiven, von fratzenhaften Gesichtszügen ebenso wie von auffälliger Kleidung und sinnlosen, weil unlesbaren Schriftrollen."

Mirna Funk hat sich für die Welt mit zwei israelische Künstlerinnen über den 7. Oktober und ihre Erfahrungen mit dem internationalen Kunstbetrieb unterhalten: "Ich glaube, viele Ausstellungsmacher haben Angst davor, mit Israelis zu arbeiten", sagt Zoya Cherkassy-Nnadi, und Noa Ironic ergänzt: "Es ist nach dem 7. Oktober nur sichtbarer geworden. Vor dem 7. Oktober haben mir Galerien geschrieben: Wir mögen deine Arbeit sehr, schick uns doch bitte deinen Lebenslauf. Und dann schicke ich meinen Lebenslauf, und dann sagen sie auf einmal, oh mein Gott, es tut uns so leid, aber wir sind bis Ende 2025 voll." (Funks Text ist Teil eines ganzen Dossiers in der Welt mit Stimmen israelischer Künstler und Aktivisten.)

Besprochen werden außerdem die Ausstellungen "Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR" im Albertinum Dresden (taz), Munch in der Berlinischen Galerie und dem Potsdamer Museum Barberini (NZZ), Camila Sposatis "Atemstücke" in der Berliner ifa-Galerie (BlZ) und "David Hockney: Drawing from Life" in der National Portrait Gallery in London (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.01.2024 - Kunst

Martin van Meytens: Knieende Nonne (Vorder- und Rückseite). Bild: Nationalmuseum Stockholm.


Dass die Rückseiten berühmter Gemälde manchmal ebenso spannende Geschichten zu erzählen haben wie ihre Vorderseiten, lernt FAZ-Kritiker Hans-Christian Rößler in der Ausstellung "Reversos" im Madrider Museo Nacional del Prado. Gebrauchsspuren, Farbtests und Stempel finden sich auf den "B-Seiten", aber auch ganze Zwillingsgemälde, verrät der angetane Kritiker: "Ernst Ludwig Kirchner übermalte oft, was ihm nicht gefiel, oder spannte die Leinwand rückseitig wieder auf. So schuf er rund 135 solcher doppelseitigen Kunstwerke, was die Kuratoren immer wieder vor die Frage stellte, was denn die Schauseite sein soll. Andere Künstler wollten, dass die bemalte Rückseite nur ihren Auftraggebern zu Gesicht kam. Auf Martin van Meytens' 'Kniender Nonne' betet auf der Vorderseite eine züchtig gekleidete Nonne unter den strengen Augen einer älteren Klosterschwester; die Rückseite zeigt ihr nacktes Hinterteil. Der damalige schwedische Botschafter in Paris hielt den erotischen Teil versteckt, den er höchstens ausgewählten Gästen zeigte. In Madrid enthüllt ein Spiegel den frivolen Teil des Bildes aus dem Jahr 1731. Er führte dazu, dass sich sogar die Bild-Zeitung für eine Prado-Ausstellung interessierte."

Gottfried Helnwein: Realität und Fiktion. Ausstellungsansicht. Foto: Robert Bodnar.


"Ist es eine Ironie, dass der, der sich das Malerei gewordene Bedauern über eine gefühlsarme Welt an die Wand hängen will, heute richtig reich sein muss?", fragt sich Paul Jandl in der NZZ bei der Betrachtung von Gottfried Helnweins Ausstellung "Realität und Fiktion" in der Wiener Albertina, wohlwissend, wie teuer die Originale sind. Helnwein war mal ein ziemlicher Bürgerschreck, weiß er, doch vielleicht nutzt sich der Schockeffekt von Hitlerporträts auch irgendwann mal ab: "In dreiundvierzig Werken kann man die menschliche Grausamkeit bestaunen und bleibt mit diesen Erfahrungen allein. Gottfried Helnweins Bilder geben keine Moral vor, aber die Kunstfertigkeit ihres Schockmoments erzeugt eine Gewöhnung, mit der sich das Werk selbst zu sabotieren droht. Die assoziative Offenheit hat bisweilen etwas Beliebiges und Repetitives. Und es gibt eine fatale Nebenwirkung der gegenwärtigen globalen Lage, wenn Helnweins gemalter Schrecken plötzlich wie Dekor wirkt."

Weiteres: Die FR feiert vierzig Jahre Fotografie-Forum Frankfurt. Besprochen werden die Ausstellungen "Ulrich Rückriem. 40 Bodenreliefs" in der Neuen Nationalgalerie (monopol), "Dialektik der Präsenz" in der DZ Bank Kunststiftung (FAZ) und "Mein Mann malt auch" von Sibylle Springer in der Galerie K-Strich in Bremen (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.01.2024 - Kunst

Bild: Shakuru, Shinkichi and Tanéa Tajiri at the iron works (2001), Courtesy of Kim Zwarts.

Tief bewegt kommt Max Florian Kühlem (FAZ) aus dem Bonnefanten-Museum in Maastricht, wo die Enkel ihrem 2009 verstorbenen Großvater Shinkichi Tajiri, niederländisch-amerikanischer Künstler japanischer Abstammung, die Ausstellung "The Restless Wanderer" widmen. Tajiri, der während des Angriffs von Pearl Harbour in einem Lager interniert war, wurde vor allem für seine Skulpturen berühmt, die immer auch Aspekte der Weltgeschichte enthalten, so Kühlem: "Die Skulpturen sind hauptsächlich in vier Gruppen unterteilt, die man alle biografisch herleiten kann: Es gibt die Warriors, Krieger, die Machines (Maschinen), Seeds (Samen) und Knots (Knoten), alle haben meist übermenschliche oder mindestens menschliche Maße. Mit den Warriors und Machines hat Shinkichi Tajiri seine Zeit im Krieg verarbeitet - über die er auch Gespräche nie gescheut hat. Seine Krieger-Statuen sind allerdings, obwohl aus Stahl formiert, weniger martialisch als friedlich und still. In Venlo heißen sie 'Wächter' - und man kann sie als Wächter des Friedens sehen. Mit ihren Flügeln oder Hörnern sehen sie aus wie Fabelwesen oder Figuren aus Martial-Arts-Filmen."

Die von dem Architekten Eyal Weizman gegründete Agentur "Forensic Architecture" ist eine Mischung aus Rechercheagentur und künstlerischer Intervention, die Kunstwelt feiert die meist von NGOs beauftragten Arbeiten, Ausstellungen finden sich vom Berliner HKW über die Frankfurter Schirn bis zur Whitney Biennial. Wenn es um Israel geht, hat die Agentur aber eine deutliche politische Schlagseite, das Ziel ist, einen palästinensischen Opfer- und israelischen Täterstatus aufrechtzuerhalten, kritisiert Mira Anneli Nass in der taz. Ein Beispiel ist für sie die Arbeit der Gruppe zum Raketeneinschlag am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza am 17. Oktober, den sogar die nicht gerade israelfreundliche NGO Human Rights Watch der Hamas zugeschrieben hat. Forensic Architecture beziehe sich kritiklos auf Hamas-Quellen und versuche die israelischen Beweise zu "falsifizieren", so Nass: "Auch für 'Destruction of Medical Infrastructure' bezieht sich das Kollektiv unter anderem auf die Hamas-nahe Nachrichtenagentur Shehab News. Um Evidenzen zu schaffen und öffentlichkeitswirksame Gegennarrative zu etablieren, unterlässt es die Gruppe, eine Kritik ihrer Quellen selbst zu formulieren. Im US-Magazin Art in America schrieb die Kritikerin Emily Watlington im März, die Gruppe bewege sich so an der Grenze zu Fake News und Halbwahrheiten."

Auch in der polnischen Kunstwelt gibt es nach dem Regierungswechsel allen Grund zum Aufatmen, schreibt Viktoria Großmann, die in der SZ schildert, wie der neue Kulturminister Polens, Bartlomiej Sienkiewicz, Polens Kulturwelt umkrempelt. So wird nun etwa das Bild "Nord Stream 2" des Künstlers Ignacy Czwartos, das Merkel und Putin durch eine Swastika verbunden zeigt, nicht auf der Biennale in Venedig zu sehen sein, sondern das Projekt eines polnisch-ukrainischen Künstlerkollektivs: "Statt Gemälden von Nazis und Rote-Armee-Soldaten sollen im polnischen Pavillon in Venedig nun Filme über ukrainische Kriegsflüchtlinge zu sehen sein. Statt um das im Zweiten Weltkrieg von zwei Seiten überfallene Polen soll es um den aktuellen Krieg in Polens Nachbarland gehen. 'Repeat after me' lautet der englische Titel der Video-Installation, also in etwa 'Sprich mir nach'." Für einen neuen Wettbewerb reichte die Zeit nicht, erklärt die ehemalige Kuratorin des polnischen Pavillons Joanna Warsza, die im Monopol Magazin auch erzählt, wie der rechtsgerichtete Maler Ignacy Czwartos den Wettbewerb überhaupt gewinnen konnte: "Unter der rechtsgerichteten PiS Regierung erfolgte eine brutale Übernahme der Institutionen, aber erst jetzt sollte das, was als 'guter Wechsel' bezeichnet wurde, auch in Venedig ankommen."

Weitere Artikel: In der taz läutet Bernd Müllender in einem von Visit Flanders unterstützten Text das James-Ensor-Jahr in Belgien ein, wo unter anderem Ausstellungen im Brüsseler Bozar, im FOMU in Antwerpen und im Mu.Zee in Ostende zu sehen sein werden. Jens Malling (FAZ) rät zu einem Besuch im Schaudepot im brandenburgischen Beeskow, wo eine der größten Sammlungen mit überwiegend regimetreuer DDR-Kunst zu sehen ist. Im NZZ-Interview spricht Jürgen Teller, dem das Grand Palais Éphémère in Paris derzeit eine Retrospektive widmet, über seine Anfänge und Shootings mit Kate Moss, Victoria Beckham und Björk.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.01.2024 - Kunst

Neues Jahr, altes Thema: die Documenta. In der Welt liest sich Hans-Joachim Müller ziemlich entgeistert durch einen Verhaltenscodex, den eine Consulting-Firma der Kunstschau aufs Auge drücken will. Wenn das, was da gefordert Schule macht, kann man das Ganze auch gleich lassen, so sein Fazit: "Man reibt sich die Augen, wenn man die Kasseler Compliance-Regel liest. Seit wann müssen verantwortliche Kuratoren und Kuratorinnen für 'Formen der Diskriminierung' sensibilisiert werden? Seit wann müssen Künstlerinnen und Künstler ermahnt werden, die Menschenwürde nicht zu verletzen? Weit über ein halbes Jahrhundert lang haben die Documenta-Teams Ausstellungen organisiert, auf denen es mitunter heftig zuging, leidenschaftlich, kämpferisch, problematisch im Ton und der Argumentation. Aber von den strammen Alt-Nazis Werner Haftmann und Kurt Martin in den frühen Fünfzigerjahren bis zum meinungsverschlossen-agierenden Adam Szymczyk des Documenta-Jahres 2017 hat sich niemand, der mit der Regie betraut gewesen war, vor einer Grundwertekommission verteidigen müssen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie eine Documenta aussehen könnte, auf der künstlerischen Zugang nur hat, wer ein tadelloses zionistisches Leumundszeugnis nebst beglaubigter BDS-Abstinenz vorweisen kann - und dazu die Formeln des postkolonialen Diskurses mit der gedämpften Emphase einer Parole aufzusagen versteht."

Sylvia Sleigh, Paul Rosano, liegend (Paul Rosano Reclining), 1974 Tate. Purchased with the support of the Estate of Sylvia Sleigh 2015, Foto und ©: Tate

Insgesamt durchaus angetan ist Luca Vazgez in der FAZ von der Ausstellung "Nudes" im LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster. Die Schau widmet sich, der Titel legt es nahe, der Darstellung von Nacktheit in der Kunst und sie spürt ihrem Thema vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach. Es gelingt der Ausstellung oft, kohärente Argumentationslinien aufzuzeigen, so Vazgez. Allerdings: "Der Beigeschmack eines identitären Aktivismus verschwindet nie ganz. Er ist mal provokant verdienstvoll, wenn er Motive zu enttabuisieren sucht, die ins Pornografische zielen, die individuelle Verletzlichkeit zum Sujet haben oder keinen konventionellen Schönheitsidealen entsprechen. Oder wenn er einst als unzivilisiert gescholtene Werke von schwarzen Künstlern zur Geltung bringt wie Bhupen Khakhars monumentales Gemälde 'You Can't Please All' von 1981, in dem die Figur vom Balkon auf eine surreale Stadtszene blickt - was Gregor Samsa das Käfersein war, ist ihr die Nacktheit. (...) Bisweilen aber wird der Aktivismus zur identitären Pose."

Weitere Artikel: Peter Geimer bespricht in der FAZ Oskar Bätschmanns Buch "Das Kunstpublikum - Eine kurze Geschichte". Daniel Lampert plädiert in der NZZ dafür, in der Schweizer Debatte um Kunst, die während der NS-Zeit den Besitzer wechselte, den Begriff "Fluchtgut" zu erhalten. Die neue polnische Regierung zieht eine umstrittene Einreichung zur Biennale di Venezia zurück, die auf die nationalistische Vorgängerregierung zurückgeht, berichtet der Guardian.

Besprochen werden die Ausstellung "Sieh Dir Die Menschen an!" im Kunstmuseum Stuttgart (Tagesspiegel) (siehe auch hier), eine Schau der Künstlerin Karen Kilimnik in der Berliner Galerie Sprüth Magers (taz Berlin) sowie die Schau "The Bad Mother" im Haus am Lützowplatz, Berlin (Monopol).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.01.2024 - Kunst

Rudolf Schlichter: Hausvogteiplatz, um 1926. Sammlung Christina und Volker Huber, Offenbach am Main. © Viola Roehr von Alvensleben, München. 

"Ästhetisch ein Genuss", lautet die Meinung von FAZ-Kritikerin Katinka Fischer über die Ausstellung "Sieh Dir die Menschen an", die gerade im Kunstmuseum Stuttgart stattfindet. Inhaltlich sind die neusachlichen Typenporträts aus der Weimarer Zeit aber eine durchaus ambivalente Angelegenheit, meint Fischer. So wird unter anderem der Zwiespalt deutlich, in dem sich die Frauen der Zeit befanden: "Zwar durften die Frauen der Weimarer Republik nun öffentlich trinken, rauchen, Hosen tragen und ihre Bubiköpfe auf bis eine dahin den Männern vorbehaltene Haarlänge bringen. Sogar wählen ließ man sie. Trotzdem waren sie zerrissen zwischen gelebter Moderne und überwunden geglaubten Geschlechterrollen. Dass jedenfalls Hanna Nagel diese leidvolle Erfahrung machen musste, dokumentiert ein Selbstbildnis von 1929. Es zeigt die Künstlerin als bekümmert dreinblickende junge Mutter mit zweckmäßiger Kleidung und ebensolcher Frisur. Ihre molligen Arme legt sie schützend um ein Embryo, das sich rätselhafterweise außerhalb ihres Körpers in einem transparenten Zylinder befindet. Ihre Geschlechtsgenossinnen, die sich zahlreich hinter ihr aufgereiht haben und alle die stilbildende Unabhängigkeit und Extravaganz der sogenannten Neuen Frau verkörpern, geben ein ganz anderes Bild ab."

In der Welt ist Alan Posener genervt davon, wie die Kuratoren der Ausstellung "Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit" in der Hamburger Kunsthalle den Besuchern ihre Interpretation der Werke aufdrängen wollen: "Friedrichs Gemälde 'Das Eismeer' etwa zeigt riesige Eisschollen, die ein Schiff zerquetscht haben. Das Bild ist Symbol für den Winter der Restauration, in der die Hoffnungen der Revolution zerdrückt wurden. In einem anderen Bild Friedrichs mit dem gleichen Thema trägt das Schiff sogar den Namen 'Hoffnung'. In Hamburg aber wird das Werk 'angesichts der Klimakrise', wie Kunsthallendirektor Alexander Klar schreibt, zum Sinnbild der 'Zerbrechlichkeit und der Gewalt der Natur' verfälscht."

Besprochen werden die Ausstellung "African Studies" mit Werken des Fotografen Edward Burtynsky in der Galerie Springer in Berlin (taz) und im Vergleich die Ausstellung "Herlinde Koelbl: Metamorphosen" im Grassi-Museum für Angewandte Kunst und die Ausstellung "Evelyn Richter: Ein Fotografinnenleben" im Museum der bildenden Künste, beide in Leipzig (tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.12.2023 - Kunst

FAS-Kritikerin Tal Sterngast lässt sich in der Fondation Louis Vuitton von Mark Rothkos "Farbwolken" umhüllen, die dort in einer großen Retrospektive zu sehen sind. Spannend findet die Kritikerin aber vor allem, dass die Ausstellung die lange Entwicklung zeigt, die Rothko durchlief, bis er die figurative Malerei und "das Unterirdische und das Unbewusste verlassen" konnte und "in den Himmel der Abstraktion" aufstieg, wie Sterngast beobachtet: "Rothko brauchte mehr als zwanzig Jahre, um sich von Figuren, Linien und Körpern zu befreien und die radikale Auflösung der Bildgrenzen und die metaphysische Abstraktion vibrierender Farbflächen zu erreichen, für die er später berühmt wurde. Die chronologisch konzipierte Ausstellung, die sich über vier Stockwerke und elf Säle erstreckt, lädt dazu ein, nachzuvollziehen, an welchem Punkt es Rothko gelingt, dass, wie er es ausdrückte, die Malerei 'Wunder vollbringt'...Auf dem Weg durch den vierten und fünften Saal - etwa Mitte der 1950er-Jahre - beginnen sich die Farbwolken in den Gemälden zu verdichten. In den meisten Gemälden sind zwei oder mehr mit dem Pinsel aufgeriebene Farbblöcke oder -streifen mit subtil variierendem Glanz übereinander angeordnet, der Kontrast zu ihrem Hintergrund trennt sie voneinander. Die Farbe erfüllt den Raum."

Frans Hals, 'The Lute Player', before 1623-4. Musée du Louvre, Paris © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Mathieu Rabeau 


So lebensnah erscheinen Welt-Kritiker Boris Pofalla die Figuren von Frans Hals, dass er glaubt, ihr Lachen in den Sälen der National Gallery in London widerhallen zu hören. Spezifisch für das Werk des niederländischen Maler ist, weiß der Kritiker, dass er nicht nur angesehene Bürger malte, sondern sich auch in den schummrigeren Ecken der Gesellschaft umsah: "Recht bekannt ist sein Bild 'Malle Babbe'...Es zeigt aller Wahrscheinlichkeit nach eine geistig behinderte Frau, die in Haarlem stadtbekannt war. Wie malte nun Frans Hals diese Person, die am unteren Ende der sozialen Leiter stand? Mit genau derselben Individualität und Hingabe wie seine Auftragsporträts. Die Eule auf ihrer Schulter kann für das niederländische Sprichwort stehen, betrunken wie eine Eule zu sein, oder aber für Weisheit (eindeutig lesbare Symbole sind selten bei Hals). Das Lachen der 'verrückten Barbara' ist auf dem Bild direkt assoziiert mit dem geöffneten Zinnkrug, aus dem sie eben noch getrunken zu haben scheint."

Besprochen werden die Ausstellung Juergen Teller: "I need to live" im Grand Palais Éphémère Paris (FAS) und die Ausstellung "James Gillray: Charakters in Caricature" im Gainsborough's House in Sudbury (FR).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.12.2023 - Kunst

Weiteres: FAZ und SZ trauern um den Kunsthistoriker Alexander Perrig, der sich besonders um die Erforschung des Werks Michelangelos verdient gemacht hat. Greifswald bereitet sich auf das Caspar-David-Friedrich-Jubiläumsjahr vor, berichtet die FR, rund 200 Veranstaltungen sind geplant.

Besprochen wird: Die Ausstellung "Lyonel Feiniger. Retrospektive" in der Kunsthalle Schirn (taz).