Efeu - Die Kulturrundschau

Monströses Behagen

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.05.2014. Die Feuilletons atmen auf: Jörg Albrecht konnte gestern Abu Dhabi verlassen. Ansonsten geht es eher düster zu. Colson Whitehead erklärt im Freitag, warum ihm auf unsere Gegenwart nur Zombies einfallen. Die Filmkritiker ergötzen sich an der Monsterromantik in "Godzilla". Und alle nehmen Abschied von H.R. Giger, dessen Verschmelzung von organischen und industriellen Formen stilbildend für die Ästhetik unserer Alpträume geworden ist.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 14.05.2014 finden Sie hier

Kunst

In der FR schreibt Daniel Kothenschulte den Nachruf auf den Schweizer Künstler H.R. Giger, dessen berühmteste Kreation, das Alien aus Ridley Scotts gleichnamigem Film, Filmgeschichte geschrieben hat. Gigers Kunst beschreibt er so: "Antropomorphe Formen schälen sich aus industriellen Artefakten, deren Infrastrukturen Schläuche oder auch Gedärme bilden - alles lebt und ist doch auch tot, Süßliches mischt sich mit Abstoßendem und ist doch stets verlockend in seinem Schrecken. Für die museale Hochkultur erschien seine Kunst lange zu populär, galt mal als vulgärer Surrealismus, mal als Heavy-Metal-Kitsch - und blieb doch stets im Gedächtnis haften." Giger, schreibt in der FAZ Dietmar Dath, "war der Max Ernst für Fledermäuse, der A. Paul Weber der Höllenkloake, der Hans Bellmer des Kunstledersex". In der Welt ernennt Jan Küveler Giger zum "Hieronymus Bosch der Moderne". Im Tages-Anzeiger beschreibt Christoph Schneider Gigers schwieriges Verhältnis zu Hollywood, und Philippe Zweifel unterhält sich mit dem Metal-Musiker Tom Fischer, der zuletzt als Gigers Assistent arbeitete. Beim DeutschlandradioKultur sprechen Carsten Probst und Dieter Kassel über den verstorbenen Künstler. Weitere Nachrufe gibt es In der Berliner Zeitung, der Presse und dem Kurier. Bildstrecken zu Ehren Gigers gibt es bei der Süddeutschen, in der NZZ, bei Intro und in der Zeit. (Foto: F. Essers)

Torben Ibs von der taz war in Jena, um eine Ausstellung der Arbeiten des New Yorker Künstlers Peter Halley zu besuchen: "Bei ihm gerinnt Foucault zu Kunst. ... [Halley stellt] die Prämisse der Neutralität der Geometrie infrage, indem er die angeblich reinen Formen des Quadrats und Rechtecks zu Symbolen der dieser Gesellschaft inhärenten Repression gestaltet. Hier wandelt er auf den Spuren der französischen Philosophie, denn erst die geometrische Anordnung der Elemente ordnet den Raum dem Effizienz- und Kontrollgedanken unter."

Außerdem: In der FR stöhnt Robert Kaltenbrunner darüber, wie Filialisierung und anspruchslose Architektur die Innenstädte veröden und standardisieren. Im Gespräch mit Anna Helfer von Monopol erklärt Thorsten Wiedemann vom Festival A Maze den möglichen Kunstcharakter von Videogames. Stella Reinhold hat sich für den Kurier mit Marina Abramovic unterhalten, die in Wien einen Vortrag über ihre Arbeiten gehalten hat. Und Gesine Borcherdt begrüßt in der Welt die Entscheidung für Yilmaz Dziewior als neuen Direktor des Museums Ludwig in Köln.

Besprochen werden die 100 Werke versammelnde Jubiläumsausstellung zum 250-jährigen Bestehen der Albertina in Wien (Tagesspiegel), Anne-Marie Bonnets "Buch Albrecht Dürer - Die Erfindung des Aktes" (FR) und eine Ausstellung von Carl Spitzwegs Bildern im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt (SZ).
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Bühne

Michaela Schlagenwerth bringt in der Berliner Zeitung Hintergründe zu den Vorwürfen, dass es sich beim Bühnenbild der beim Berliner Theatertreffen präsentierten "Tauberbach"-Aufführung um ein Plagiat handeln soll. Dass damit nun schon der zweite Plagiatsfall beim Theatertreffen diskutiert wird - gerade erst musste eine Jurorin zurücktreten, da ihre Begründung einem Programmtext entnommen war -, wundert Mounia Meiborg von der Zeit ganz und gar nicht: "Nirgends sonst ist in der Theaterszene der Erregungspegel so hoch."

Für den Freitag besucht Thomas Irmer das dänische Odin Theater von Eugenio Barba, das als ältestes Freies Theater Europas in diesen Tagen sein 50-jähriges Bestehen feiert.

Besprochen werden Romeo Castelluccis bei den Wiener Festwochen aufgeführte Inszenierung von "Orfeu ed Euridice" (Christian Wildhagen von der FAZ bescheinigt eine "große, stellenweise existentiell erschütternde Wirkung" - mehr dazu in unserer gestrigen Kulturrundschau), das Anne-Frank-Musical von Jessica Durlacher und Leon de Winter in Amsterdam (NZZ) und ein Doppelabend mit der "Marquise von O" und Christoph Heins "Drachenblut" am Schauspiel Stuttgart (FR).
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Literatur

Im Freitag erklärt der Autor Colson Whitehead im Gespräch mit Jan Pfaff, warum er sich in seinem neuesten Roman "Zone One" dem Zombie-Horrorgenre zugewendet hat: "Es soll eine Satire auf unsere Gegenwart sein. Wobei die Kritik an Kapitalismus und Konsum natürlich ein fester Bestandteil der Zombietradition ist. Spätestens seit den frühen Achtzigern und 'Dawn of the Dead' - einem der wichtigsten Filme des Genres."

Außerdem: Jörg Albrecht konnte gestern aus Abu Dhabi ausreisen, meldet ein erleichterter Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (mehr dazu in unserer gestrigen Kulturrundschau). Sonja Vogel hat sich für die taz mit dem Schriftsteller David Albahari getroffen, der darauf besteht, dass sein Roman "Kontrollpunkt", anders als viele Kritiker behaupten, nicht vom Bosnienkrieg, sondern vom Krieg allgemein handelt. In der FAZ berichtet Julia Encke von einer Abendveranstaltung mit der Autorin Yasmina Reza an der Berliner Schaubühne. Ebenfalls in der FAZ gratuliert Hannes Hintermeier dem Verleger Klaus Schöffling zum 60. Geburtstag. Im Standard gratuliert Klaus Zeyringer Karl-Markus Gauß ebenfalls zum 60. Geburtstag.

Besprochen werden unter anderem Jörg Buttgereits Trash-Comic "Captain Berlin" (Tagesspiegel), Maurizio Ferraris' "Manifest des neuen Realismus" (NZZ), Alison Bechdels autobiografischer Comic "Wer ist hier die Mutter" (Zeit) und Dieter Hildebrandts posthum veröffentlichte "Letzte Zugabe" (SZ). Mehr heute ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau des Tages.
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Film

Godzilla hält die Feuilletons in Atem. Dietmar Dath durchströmt in der FAZ "monströses Behagen" bei dieser Giganten-Gaudi, auch wenn Godzilla immer noch aussehe "wie ein ungeschlachter Mensch, der in einem Gummikostüm steckt, das ein Irrer entworfen hat, der einen Stegosaurus nicht von einem Tyrannosaurus und beide nicht von einem Flammenwerfer unterscheiden kann." Michael Kienzl von critic.de konnte sich gar nicht satt sehen an den Monstern, die überdies auch noch wahre Romantiker sind: "Selten sehen CGI-Effekte so organisch und überzeugend aus wie in der dunkelgrauen Dystopie von Godzilla. In einer so finsteren Welt, in der die Menschen ihre eigenen Dämonen nähren, wundert es auch nicht, dass sogar die Monster lieben müssen." Bei EpdFilm applaudiert Monsterfilm-Experte Jörg Buttgereit: Regisseur Gareth Edwards sei "mit dieser brachialen Erlösungsfantasie ein ungewöhnlich schöner und versöhnlicher Monsterfilm gelungen." Weitere Besprechungen finden sich in der taz, in der Presse, auf kino-zeit.de, im Standard, im Tagesspiegel und in der SZ.

Weitere Artikel: Der Tages-Anzeiger meldet, dass der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul, der für seinen großartigen Dokumentarfilm "Searching For Sugar Man" 2013 einen Oscar erhielt, in Stockholm tot aufgefunden wurde. Dietmar Dath gratuliert in der FAZ George Lucas zum 70. Geburtstag.

Außerdem beginnen heute Abend die 67. Filmfestspiele von Cannes. Cristina Nord stimmt in der taz auf das Festival ein: Die Filmauswahl hält sie in diesem Jahr für "gediegen". In der FR führt Daniel Kothenschulte durch das Cannes-Programm und freut sich vor allem auf Neues von Mike Leigh und Ken Loach. "An der Croisette richten in diesem Jahr überwiegend Frauen über Filme vor allem von Männern", fasst Susanne Ostwald in der NZZ den diesjährigen Wettbewerb zusammen. In der Welt unterhält sich Rüdiger Sturm mit Olivier Dahan, dem Regisseur des Eröffnungsfilms "Grace of Monaco". Und im Standard porträtiert Dominik Kamalzadeh die Wiener Regisseurin Jessica Hausner, die mit ihrem neuen Film "Amour Fou" zum dritten Mal in Cannes vertreten ist.
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Musik

Nach dem Triumph von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest erwägen Russland und Weißrussland, einen eigenen Musikwettbewerb zu gründen, berichtet der Tages-Anzeiger. An Popularität scheint es Wurst im Osten jedoch nicht zu mangeln: wie die Presse meldet, liegt der Siegersong "Rise like a Phoenix" auf Platz 2 der russischen iTunes-Charts. Besprochen wird außerdem ein Konzert der Sisters of Mercy (Berliner Zeitung).
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