Magazinrundschau - Archiv

Polityka

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Magazinrundschau vom 25.01.2011 - Polityka

In seinem neuen Buch "Goldene Beute" wirft der polnisch-amerikanische Historiker Jan T. Gross den Polen vor, viele von ihnen hätten vom Holocaust materiell profitiert, indem sie sich jüdischen Besitz angeeignet hätten (mehr hier). Im Interview widerspricht der Historiker Andrzej Zbikowski: Das waren "Randerscheinungen". Aber einigen Vorwürfen kann er auch nicht widersprechen, zum Beispiel Gross' Klage über das Schweigen der Katholischen Kirche: "Das ist wirklich ein Problem. Bis auf einen kirchlichen Bericht aus dem Gebiet um Kielce - ohne Unterschrift, wie das in der Besatzungszeit üblich war, also schwer zuzuordnen -, der in Gänze die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Vernichtung akzeptiert, haben wir es nur mit dumpfem Schweigen zu tun. Es ist keine einzige Predigt bekannt oder Vorgehensweisen, die die Juden verteidigen oder sich gegen das Verhalten der Polen richten würden. Zwar gibt es den berühmten Text von Zofia Kossak-Szczucka und natürlich lobenswertes Verhalten einzelner Menschen, die zuweilen vor dem Krieg Antisemiten waren, auch vereinzelter Priester, dennoch ist das Schweigen der Kirche als Institution sehr laut zu hören."
Stichwörter: Gross, Jan T.

Magazinrundschau vom 18.01.2011 - Polityka

Andrzej Franaszek, Autor einer im Frühjahr 2011 erscheinende Czeslaw-Milosz-Biografie, erzählt Justyna Sobolewska (hier auf Deutsch), wie schwer es Milosz fiel, irgendwo heimisch zu werden, nachdem er Polen 1951 verlassen hatte. 1960 landete er in Amerika, wo er eine gut bezahlte Stelle an der Berkeley University erhielt. "Kalifornien war nicht der Ort seiner Träume; in der idyllischen, sonnigen Landschaft empfand er noch stärker, dass sein Leben 'Entsetzen, Strafe, Vernichtung' ist. Kalifornien war für ihn ein Land vollkommener Entfremdung und geistiger Leere. Hier entsteht 'Ziemia Ulro' [Das Land Ulro], ein Buch über das Verschwinden der religiösen Vorstellungskraft. 'Ich hatte nicht vermutet, wie religiös Milosz war', sagt Franaszek. 'Anfangs hatte ich den Eindruck, dass er ein Künstler ist, der Fragen der Religion von außen portätiert. Erst bei der Lektüre seiner Briefe begriff ich, dass er ein zutiefst gläubiger Mensch war. Mit der Zeit sieht man auch, dass es Milosz immer stärker nicht auf literarische Erfolge, sondern auf die eigene Erlösung ankam.'"
Stichwörter: Milosz, Czeslaw, Kalifornien

Magazinrundschau vom 21.12.2010 - Polityka

Janusz Wroblewski überlegt (hier auf Deutsch), wie Polen seine ausgepowerte Filmindustrie wieder auf die Beine bekommt und empfiehlt einen kräftigen Löffel Europudding: "Welches Land steckt Geld in ein Kunstprojekt, das nur für uns von Bedeutung und nur für uns verständlich ist? Eine gute Lösung scheint zu sein, eine Kooperation anzuregen, die mit berühmten und interessanten Künstlern arbeitet. Das Problem ist nur, dass wir nur wenige allgemein bekannte und international vermarktete Namen haben. Seit Jahren ist das der gleiche Kreis: Wajda, Zanussi, Holland, Skolimowski. Von den jungen: Andrzej Jakimowski, Dorota Kedzierzawska, vielleicht Jacek Borcuch."
Stichwörter: Filmindustrie, Geld, Holland

Magazinrundschau vom 14.12.2010 - Polityka

Adam Krzeminski erklärt (hier auf Deutsch), warum Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos in Polen keine ähnlich große Bedeutung genießt wie in der Bundesrepublik. "In Deutschland löste Brandts Geste zunächst Bestürzung und Empörung aus: Ein deutscher Kanzler kniet vor niemandem und schon gar nicht in Warschau. Mit der Zeit wurde sie jedoch zu einer der moralischen Grundlagen der Bundesrepublik. Anders in Polen. Auf die Anwesenden machte sie zwar enormen Eindruck, aber es gab nur relativ wenige Augenzeugen, und die volkspolnische Presse veröffentlichte die Aufnahme des knienden Kanzlers nur sehr sparsam. Auf der einen Seite fürchtete man einen unbequemen Ausbruch von Sympathie für Brandt und die Deutschen, und auf der anderen moserten die Journalisten der Moczar-Presse, Brandt habe vor dem falschen Denkmal gekniet. Warum nicht vor der Warschauer Nike?!" Es halft Brandts Ansehen in Polen auch nicht, dass er bei seinem zweiten Besuch in Warschau, 1985, nicht darauf bestand, Lech Walesa zu sehen.

Magazinrundschau vom 07.12.2010 - Polityka

Ruslands Präsident Dmitri Medwedjew besucht zum ersten Mal Polen, Marek Ostrowski plädiert (hier auf Deutsch) für mehr polnisch-russischen Diaolog, denn in Bezug auf die Pipelines oder Nato-Beitritt beurteilt er die Lage so skeptisch wie die Aufarbeitung von Katyn: "In der für Polen heiligen Angelegenheit - dem Gedenken an das Verbrechen von Katyn - spricht Russland mit vielen Stimmen. Da war Jelzins Stimme, der am Denkmal auf dem Powazki-Friedhof um Vergebung bat und eine Träne vergoss. Da war Medwedew, der offen die stalinistischen Verbrechen verurteilte. Wajdas Film wurde im russischen Fernsehen zur Primetime gezeigt. Die Staatsduma hatte in Sachen Katyn einen Beschluss vorbereitet. Aber da ist auch die Haltung der Militärstaatsanwaltschaft, die vor dem Gericht in Straßburg die Rehabilitierung der Ermordeten verweigerte und so tut, als wüsste sie nicht, was mit dem polnischen Kriegsgefangenen wirklich passiert ist, und als sähe sie keinen Grund, sich damit in besonderer Form zu befassen. Wie lässt sich das erklären?"

Magazinrundschau vom 23.11.2010 - Polityka

Der Soziologen Radoslaw Markowski machte kürzlich den - an die Ideen von Arend Lijphart angelehnten - Vorschlag, den lähmenden Streit zwischen dem von Donald Tusks PO vertretenen aufklärerisch-weltlichen Polen und dem von Jaroslaw Kaczynskis PiS vertretenen katholisch-nationalen Polen aufzulösen, indem jeder Bürger sich für eins der beiden entscheidet und dann dort seine Steuern zahlt, zum Arzt geht, seine Kinder zur Schule schickt. Jacek Zakowski kann dem (hier auf Deutsch) einiges abgewinnen: "Wenn es - um die Sache zum Extrem zu treiben - gelingen würde, das Land in territoriale Autonomien oder nur locker miteinander verbundene Staaten aufzuteilen (das würde sicherlich nicht ohne Wanderungsbewegungen abgehen), könnten die Unterschiede noch größer werden. PiS könnte seine Russland- und Deutschlandfeindlichkeit pflegen, indem es beleidigende Noten schickt, in jedem Ort würde ein Lech-Kaczynski-Denkmal stehen und ein autonomer Bericht zur Katastrophe in Smolensk würde verabschiedet, der in PiSland, und nur dort, offiziell und verbindlich wäre. Wie viele Probleme würde das lösen! Vor allem würde das Hauptmerkmal des heutigen polnischen Konfliktes wegfallen: dass eine Seite der anderen etwas aufdrücken will, dass unbedingt eine Ideologie siegen muss, gegen den prinzipiellen und unverzichtbaren Widerstand der anderen. Es würde die Bundesrepublik Polen entstehen."

Magazinrundschau vom 09.11.2010 - Polityka

Mariusz Janicki schildert recht drastisch (hier auf Deutsch) die immer aggressiver werdenden politischen Auseinandersetzungen in Polen, besonders zwischen den einstigen konsverativen Verbündeten, Donald Tusks Bürgerplattform (PO) und Jaroslaws Kaczynskis Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS): "Das Ziel bleibt stets dasselbe - den Gegner in Bedrängnis zu bringen. Ein 'Versöhnungskitsch', von dem Tusk gesprochen hat, droht mit Sicherheit nicht. Den will im Grunde genommen auch niemand. Dieses Spiel ist zu fesselnd und im Wettbewerb um die Macht zu wichtig. Das ist kein Konflikt um den Haushalt, das Gesundheitswesen oder das Rentensystem, sondern eine Auseinandersetzung darüber, wie man sich auf Jahre hinaus das Land vorstellt, darüber, wem Polen gehören wird. Dieser Krieg wird erst mit der endgültigen Niederlage einer der Seiten beendet sein. Zwei Armeen ringen miteinander - ohne Möglichkeit zum Remis, ohne Waffenstillstand."

Magazinrundschau vom 19.10.2010 - Polityka

Der Bialowieza Nationalpark ist der letzte Urwald Europas, die Jagd auf die in ihm lebenden Bisons ist zwar verboten, aber um den Park herum ist die Jagd erlaubt, die Hochsitze stehen zum Teil dierekt an der Grenze. Nun haben Umweltschützer angefangen, die oft international organisierten Jagden zu stören, berichten Joanna Podgorska und Maciej Perzanowski (hier auf Deutsch) nach Gesprächen mit dem Forstdirektor Piotr Wawrzyniak: "Laut seines Berichtes waren die ausländischen Jäger, die für die Teilnahme an dieser Jagd hohe Summen gezahlt und sich auf eine Begegnung mir der Urwaldnatur eingestellt hatten, sehr enttäuscht. Sie waren geradezu empört. Die Ökologen waren auf Hochstände geklettert, die zur ausschließlichen Benutzung durch den Forstdienst gekennzeichnet sind, und hatten die Jäger davon abgehalten, sich auf ihr eigentliches Ziel zu konzentrieren. Laut Jaroslaw Krawczyk, dem Sprecher der Regionaldirektion der Staatlichen Wälder, lief ein Teil der Jagden ohne Störungen ab, aber bei dem anderen Teil mussten Jäger aus Dänemark und Deutschland finanzielle Verluste in Kauf nehmen, weil die erwarteten Trophäen ausblieben."
Stichwörter: Dänemark, Umweltschutz, Jagd

Magazinrundschau vom 28.09.2010 - Polityka

Justyna Sobolewska hat bei der Lektüre von Slawomir Mrozeks jüngst erschienenen Tagebüchern aus den Jahren 1962-1969 ganz neue Seiten an dem polnischen Schriftsteller entdeckt (hier auf Deutsch), die in seinen Theaterstücken nie zum Vorschein kamen. Denn Mrozeks Tagebücher sind vor allem eine "innere Auseinandersetzung": Warum bin ich immer auf der Flucht? Wo ist Heimat? Was ist ein Pole? Ab 1962 lebte er in Italien und dort versuchte er sich von seiner polnischen Identität zu lösen, die ihm unsympathisch war: "'Die Polen erinnern an durchnässte Hühner, die sich auf der Stange aneinanderschmiegen, während außerhalb des Hühnerstalls Zeit und Geschichte wüten.' Mrożek klammert sich an den Gedanken, dem Polen in sich entfliehen zu können dank ? seiner großen und gleichsam jüdischen Nase. Er möchte 'durch die Möglichkeit des Juden den Polen in sich schwächen, doch ohne dabei zum Juden zu werden'. Er ergreift nicht das Wort zu polnischen Themen, selbst im März 1968, als auf die Studenten eingeschlagen wird, hat er nicht die Absicht, seine Unterstützung zu demonstrieren. Er möchte nicht so tun - wie er schreibt -, als ob er leide. Doch nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei veröffentlicht er auf Zureden, aber auch der Stimme seines Herzens folgend, einen Protestbrief an die polnischen Machthaber. 'Die polnischen Machthaber lassen über mich schreiben, ich sei ein Verräter. Aber mich kümmern die polnischen Machthaber einen Dreck.'"
Stichwörter: Tschechoslowakei

Magazinrundschau vom 21.09.2010 - Polityka

Nach einem großen internationalen Germanistentreffen in Warschau konstatiert Adam Krzeminski mit Erleichterung (hier auf Deutsch), dass die Nationalphilologien nicht mehr ihren Sinn darin sehen, nationale Identitäten zu propagieren. Gleichzeitig aber konstatiert er einen parallelen Niedergang der Geisteswissenschaften: Die "literarische öffentliche Meinung existiert nicht mehr. Die traditionellen Schriftstellerhierarchien zerfallen. Zerschlagen ist der nationale literarische Kanon; die Demokratisierung der Hochschulen und die Verflachung der Lehrprogramme fallen mit der elektronischen Revolution in den Medien zusammen. Für geisteswissenschaftliche Studiengänge schreibt sich die Wikipedia-Generation ein, kaum beschlagen in der klassischen Analyse von Texten und der Lektüre von mehreren hundert Seiten langen literaturtheoretischen Arbeiten."