Magazinrundschau
Schwerkraft-Wellen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.12.2010. In Eurozine suchen Tomas Kavaliauskas und Ivaylo Ditchev nach der litauischen und bulgarischen Identität. Der Economist betrachtet die Big Bangs von Roger Penrose. Elet es Irodalom erklärt, warum es letzte Woche mit leerer Titelseite erschien. OpenDemocracy erzählt, wie in Russland Persönlichkeitsrechte benutzt werden, um Geschichtsforschung zu verhindern.
Eurozine | Economist | Folio | Guardian | Elet es Irodalom | Polityka | Point | HVG | Open Democracy
Eurozine (Österreich), 29.11.2010

Kavaliauskas befasst sich dagegen mit der in Osteuropa ebenfalls noch quicklebendigen nationalromantischen Konstruktion von Identität: "Czeslaw Milosz sah die Schaffung eines litauischen Staatswesens als 'philologisches Projekt'. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert reinigten litauische Intellektuelle die litauische Sprache von Slawismen und erarbeiteten ein neues und modernes Vokabular. Dieses Projekt ist nicht beendet: Litauische Identität wird durch Sprache aufrechterhalten. In den anderen beiden baltischen Ländern, Lett- und Estland, wo fast die halbe Bevölkerung russisch ist, wird dem Sprachthema sogar noch mehr Bedeutung beigemessen."
Felix Stalder liest für Mute (übernommen in Eurozine) einen Text Julian Assanges über das, was er sich als die Mission von Wikileaks vorstellt - kurz gesagt: Institutionen, die über Geheiminformationen Herrschaft ausüben, das Leben schwer zu machen. Und er ist skeptisch: "Je mehr sich eine Organisation vor Enthüllungen schützen muss, desto mehr wird sie beherrscht von dem Widerspruch, Informationen zu teilen (und somit effizient zu sein) und Informationen zu kontrollieren (also das Geheimnis zu bewahren). Dies wird ihre Fähigkeit, ihre Tätigkeit auszuüben, vermindern. In kurzer Perspektive kommt Assange seinem Ziel nahe, aber es ist fraglich, ob die 'Kosten' der Geheimhaltung hoch genug sein werden, um die Macht von Organisationen wie der US-Armee dauerhaft einzuschränken. Vielleicht brauchen sie nur mehr Ressourcen, um wie bisher operieren zu können."
Economist (UK), 04.12.2010

Ein weiterer Artikel resümiert den Stand der Dinge bei Google - eine nicht weiter aufregende, aber umfassende und faire Bestandsaufnahme der Gegenwart sowie ein Blick auf zukünftige Chancen und Risiken für das Unternehmen im Zeitalter der sozialen Netzwerke.
Folio (Schweiz), 06.12.2010

Außerdem: Christian Seiler warnt vor den miesen Absichten, die hinter großen Geschenken stecken: "Wie es der Ethnologe Marcel Mauss sagte: 'Geben heißt, seine Überlegenheit beweisen, zeigen, dass man mehr ist und höher steht.'" Barbara Klingbach beschreibt ethnologische Feldforschung in Vorstandsetagen. Und Luca Turin besingt die Originalität britischer Büros: "Mit ihren eigenwilligen Formen und Proportionen wirken die Büros wie die Koffer längst ausgestorbener, riesenhafter Musikinstrumente. Und die Seelen der Menschen, die in diesen Räumen arbeiten, neigen eher dem Kontrafagott zu als dem quäkenden Kazoo eines Großraumbüros."
Guardian (UK), 04.12.2010
"'The End' ist in jeder Hinsicht eine herausragende Arbeit", verkündet Annie Proulx über den Debütroman des 35-jährigen amerikanischen Autors Salvatore Scibona. "Ab dem ersten Dutzend Wörter weiß der Leser, dies ist nicht noch ein Roman über eine zerrüttete, zeitgenössische, amerikanische Familie. Es geht statt dessen um den Wirrwarr einer zerrütteten, noch nicht amerikanischen Familie. Die Personen sind zumeist sizilianische Einwanderer im frühen 20. Jahrhundert in Ohio. Ihr Leben klebt am Fliegenpapier ihrer Vergangenheit, ihre Sprache ist eine Kombination aus den privaten Dialekten ihrer heimischen Dörfer, mühsam korrektem Italienisch und unsicherem Englisch. Es gibt dem Buch ein fremdländisches Flair, als wäre es nicht ganz flüssig übersetzt worden - gesprenkelt mit archaischen Phrasen und Überzeugungen, durchsetzt mit Joyceschen Obskuritäten, die dem Leser das starke Gefühl geben, er stehe auf der Schwelle der wechselnden Welten der Personen."
Besprochen wird außerdem Robert Darntons Buch "Poesie und die Polizei" über Spottlieder in den Straßen von Paris im 18. Jahrhundert und die "Affäre der vierzehn", die den Comte de Maurepas ins Exil führte: "Zum Glück gibt es in der Musikabteilung der Bibliotheque Nationale noch Noten zu diesen Titeln. Helene Delavault, eine Pariser Kabarettsängerin, war so freundlich, ein Dutzend der populärsten Lieder, die mit der Affäre der Vierzehn verknüpft sind, aufzunehmen." Man kann sie hier hören.
Besprochen wird außerdem Robert Darntons Buch "Poesie und die Polizei" über Spottlieder in den Straßen von Paris im 18. Jahrhundert und die "Affäre der vierzehn", die den Comte de Maurepas ins Exil führte: "Zum Glück gibt es in der Musikabteilung der Bibliotheque Nationale noch Noten zu diesen Titeln. Helene Delavault, eine Pariser Kabarettsängerin, war so freundlich, ein Dutzend der populärsten Lieder, die mit der Affäre der Vierzehn verknüpft sind, aufzunehmen." Man kann sie hier hören.
Elet es Irodalom (Ungarn), 03.12.2010

Fidesz-Abgeordnete verteidigten letzte Woche das Gesetz im Parlament und sprachen von einem "gesunden Gleichgewicht" zwischen der Freiheit der Medien und den "Interessen der Öffentlichkeit". Istvan Vancsa erinnert dieser Ausdruck an vergangene Zeiten, als die Pressefreiheit laut Verfassung der Volksrepublik Ungarn zwar garantiert war, sich aber am "Interesse der arbeitenden Klasse" zu orientieren hatte: "Allerdings diktierte damals der Parteistaat den staatlichen Zeitungen, worüber sie schreiben durften. Er konnte bei allen ein Liedchen bestellen, weil er alle bezahlt hatte. Ein Chefredakteur musste sich damals weder mit Druckereirechnungen noch mit Auflagenzahlen, Remittenden und ähnlichem beschäftigen, sondern nur mit der ideologischen Richtungsweisung von oben - alles andere wurde von dem damaligen Rechtsvorgänger der Medienaufsichtsbehörde erledigt. Es gab ein ordentliches Gehalt, eine geräumige, beheizte Redaktion, einen stabilen Druckerei-Hintergrund und auch eine Gewinnprämie, einmal im Jahr. Natürlich hat das alles Geld gekostet, aber die Diktatur ist ein kostspieliges Unterfangen. Eigentlich ist es schade, dass der heutige Staat keine Diktatur gründen will, sondern im Gegenteil, sich um die Festigung der Pressefreiheit bemüht. Im Gesetzesentwurf steht beispielsweise, dass die Medienaufsichtsbehörde 'die Pressefreiheit kontrolliert und garantiert'. Das ist, als würde die Verteidigung des Angeklagten von der kompetentesten Instanz, nämlich der Staatsanwaltschaft übernommen. Das Ergebnis wird sicherlich dasselbe sein."
Polityka (Polen), 03.12.2010

Point (Frankreich), 02.12.2010

HVG (Ungarn), 27.11.2010

Open Democracy (UK), 01.12.2010

Außerdem in OpenDemocracy: Grigorii Golosov erzählt eine grausame Kriminalgeschichte aus der Region Krasnodar im Süden Russlands, das heute von großen Landbesitzern dominiert wird - demnächst finden dort die olympischen Spiele von Sotschi statt. Und Bill Thompson antwortet auf einen Artikel des Guardian-Chefredakteurs Alan Rusbridger über die Zukunft des Journalismus
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