Magazinrundschau - Archiv

Gazeta Wyborcza

171 Presseschau-Absätze - Seite 7 von 18

Magazinrundschau vom 19.06.2007 - Gazeta Wyborcza

"Das ist keine persönliche Hommage", erklärt der Künstler Piotr Uklanski, der in der Danziger Werft dreitausend Soldaten das "Solidarnosc"-Logo formen ließ. "Ich suche nach Symbolen, denen jede Bedeutung abhanden gekommen ist, als ob sie in der Schwebe wären. (...) Ich glaube nicht an gute Absichten in der Kunst. Man kann mit schlechten Intentionen, zum Beispiel für Geld, Kunst machen, die genau so gut oder besser ist als die, die jemand in guter Absicht macht."

Außerdem nachzulesen: ein schöner Essay von Claudio Magris über Toleranz und Dialog.

Magazinrundschau vom 12.06.2007 - Gazeta Wyborcza

Sehr kontrovers diskutiert Witold Gadomski mit dem amerikanischen Politologen David Ost über dessen Buch "The Defeat of Solidarity", das soeben auf Polnisch erschienen ist. Die These, dass liberale Intellektuelle die Arbeiter in der "Solidarnosc" übergehen wollten, um marktwirtschaftliche Reformen durchzudrücken, missfällt Gadomski genau so wie Osts Diagnose unterschiedlicher "Klassen-Interessen", die dabei nicht berücksichtigt wurden. Dazu Ost: "Es geht hier nicht um anti-elitäre Verschwörungstheorien - die Intellektuellen waren zum Sieg verdammt. Nur haben sie nach 1989 die Aktivität der Zivilgesellschaft so klein wie möglich gehalten, um die Reformen nicht zu gefährden - sie fürchteten gesellschaftlichen Widerstand gegen die Veränderungen. Die Menschen wollten wie Partner behandelt werden, stattdessen hörten sie: 'Seid still und arbeitet, so lange ihr Arbeit habt'. Also hat sich die nationale Rechte dieser Menschen angenommen. Das war der Anfang vom Ende der Liberalen."

Magazinrundschau vom 05.06.2007 - Gazeta Wyborcza

Für einiges Aufsehen sorgte in Polen letztens der Fall eines Internetservices von Amateur-Übersetzern, die polnische Untertitel für alte und neue Filme zur Verfügung stellten. Filmverleihe, darunter die polnische Gutek-Film, klagten; jetzt wurde der Service durch rabiates Eingreifen der Polizei still gelegt. Für Jaroslaw Lipszyc reiht sich das Ereignis ein in eine weltweite Kampagne, bei der Urheberrechte immer rigider interpretiert und mit Polizeigewalt durchgesetzt werden. Außerdem offenbare der Fall "die Frontlinie im Kampf um die Gestalt der Informationsgesellschaft. Es geht hier nicht um die Einhaltung des Gesetzes, und auch nicht um die Veröffentlichung von Untertiteln - es geht um die Sprache, in der wir die Prinzipien der Informationsweitergabe formulieren werden. Die Information als solche".

Der Literaturkritiker Andrzej Werner bedauert, dass immer weniger Filme nach literarischen Werken gemacht werden: "Die Allianz von Literatur und Film ist zu Ende. Man braucht nur auf die Zahlen schauen: Filme, die von zeitgenössischer Literatur inspiriert wurden - insbesondere Filme junger Autoren, die junge Literatur verwerten - sind die Ausnahme." Den Grund dafür sieht Werner darin, dass die aktuelle polnische Prosa über die Wirklichkeit nicht viel zu sagen hat. Stattdessen geht es immer mehr um die eigene Subjektivität des Autors und um die Sprache als Ziel der Darstellung. "Natürlich soll die Literatur niemandem dienen, aber gerade ein Zusammengehen beider Erzählweisen wäre von Vorteil für die ganze Kultur. Und wenn es in der Kultur an authentischen Debatten über die Realität fehlt, was darf man dann von Politik und Gesellschaft erwarten?"

Magazinrundschau vom 15.05.2007 - Gazeta Wyborcza

In der Montagsausgabe der Wyborcza eine Sensation! Chefredakteur Adam Michnik, der stets vehement gegen die Aufdeckung früherer Stasi-Mitarbeiter in Polen plädiert hat, sieht nur eine logische Konsequenz aus der Entscheidung des Verfassungsgerichts, die sog. Lustration zu stoppen: "Ich war immer der Ansicht, dass das Spektakel ums öffentliche Wühlen in den Geheimdienstarchiven eine Atmosphäre von Verdächtigungen und Angst hervor bringen wird. Und genau das machen heute die Leiter des Instituts für Nationales Gedenken. Man muss dieser albtraumhaften Erinnerungspolizei endlich ein Ende setzen. Heute müssen alle Unterlagen allen zugänglich gemacht werden - mit all den schrecklichen Konsequenzen. Wir müssen die Akten öffentlich machen, um ihre Herrschaft über uns zu beenden. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende."

In der Wochenendausgabe erinnert sich die Schriftstellerin Dubravka Ugresic daran, wie schwierig es war, ihren Studenten in Berlin den Kommunismus zu erklären: "Die ganze osteuropäische Kultur aus der Zeit des Kommunismus verschwindet in einem Abgrund des Vergessens." Schuld daran seien vor allem die Träger der kulturellen Vergangenheit. Ugresic schildert das am Beispiel eines kroatischen Dichters. "In Kroatien ist das Wort 'Jugoslawien' gewissermaßen verboten. Vor 15 Jahren wurden viele Bibliotheken des Landes von 'kommunistischen', 'serbischen', 'kyrillisch verfassten' und anderen 'inkorrekten' Büchern gesäubert. So wird mein zehnjähriger Neffe nie erfahren, wer Vladimir Nazor ist - Autor des klassischen kroatischen Zungenbrechers, der bis heute in der Schule gelehrt wird. In seinen späten Jahren schloss er sich 1941 Titos Partisanen an, und hat ein Gedicht auf Tito geschrieben. Das ist seine ganze Schuld... Ein hervorragendes Beispiel der Transformationsschizophrenie, der postkommunistischen Kultur".

Magazinrundschau vom 08.05.2007 - Gazeta Wyborcza

"Eines unterscheidet Amerikaner von Europäern und erklärt, warum erstere eine Nation sind, und letztere ein geografischer Terminus: Jedes Jahr ziehen 3 Prozent der Amerikaner von Staat zu Staat, während in der EU lediglich 1,7 Prozent in einem anderen als das Geburtsland leben". Für Witold Gadomski steht somit fest: "Ohne Mobilität wären die USA heute ein Mosaik aus Nationen, die ihre Ethnie zelebrieren und verschiedene Sprachen sprechen. Mobilität fördert die Dynamik und Innovation der amerikanischen Wirtschaft. Eine wirkliche Integration kann in der EU nur dann gelingen, wenn eine Völkerwanderung einsetzt, viel größer als die heutige Arbeitsmigration aus Mitteleuropa." Dafür seien aber Anstrengung seitens der EU-Institutionen und der nationalstaatlichen Regierungen - besonders Deutschlands und Frankreichs - notwendig, so Gadomski.

Und: Noch bis zum 10. Mai dauert das Warschauer Filmfestival "Jüdische Motive" an. "Das wichtigste Thema ist die jüdische Emigration aus Polen nach dem Zweiten Weltkrieg und die nicht verheilten Wunden nach der antisemitischen Kampagne von 1968. Nicht jedoch die Politik steht dabei im Vordergrund, sondern private, emotionsgeladene Geschichten der Auswanderer", schreibt Pawel T. Felis.

Magazinrundschau vom 01.05.2007 - Gazeta Wyborcza

"Nach 1989 war die Kenntnis deutscher Geschichte und Gegenwart und der deutschen Gesellschaft ein wichtiger Vorteil Polens in den gegenseitigen Beziehungen. Heute wird dieses Wissen aus politischen Gründen hinterfragt. Tiefe Gräben, die durch Verunglimpfungen und falsche Anschuldigungen entstanden sind, erschweren die notwendige Debatte über die Zukunft der deutsch-polnischen Nachbarschaft", sorgt sich die Politologin Anna Wolff-Poweska. Besonders Besorgnis erregend sei dabei die Stigmatisierung des Teils der liberalen Elite, der Träger der gegenseitigen Versöhnung und Verständigung war.

Auch Polen hat seine Debatte über den Umgang mit den Hinterlassenschaften des Kommunismus. Aufgrund eines entsprechenden Gesetzes wird eine neuerliche Welle von Straßenumbenenungen erwartet, aber auch einige anerkannte Gestalten der polnischen Kultur könnten ihre Denkmäler und Patronate zum Beispiel für Schulen verlieren - wegen ihrer anfänglichen Nähe zu den Kommunisten oder ihrer Herkunft. Pawel Smolenski spricht von einer "Säuberung der Landschaft", die die Revolution der Konservativen zu Ende führen wird. Dabei hatte man schon 1990 bei der Entfernung des zentralen Dscherschinski-Denkmals in Warschau gespottet, dass man lediglich den Kopf entfernen müsse, und ein neues Sienkiewicz-Denkmal wäre fast fertig.

Magazinrundschau vom 03.04.2007 - Gazeta Wyborcza

In einem Interview erklärt der polnischste unter den britischen Historikern, Norman Davies, wie ein gemeinsames europäisches Geschichtsbuch aussehen könnte: "Wir sollten mit einem Vademecum anfangen, um die Fakten zu kennen, bevor wir über die verschiedenen Interpretationen diskutieren. Überhaupt können Historiker selten ihre Geschichte anderen Nationen verkaufen. Sie wissen zu viel und denken zu wenig darüber nach, wie dieses Wissen im Ausland aufgenommen werden könnte. Jemand sagte mir mal, nur ein Chinese könnte eine echte Geschichte Polens schreiben, weil die Angelegenheit sonst wieder in Streit um die Ehre ausrastet. Ein Polen könnte dafür die Geschichte Portugals schreiben."
Stichwörter: Davies, Norman, Portugal

Magazinrundschau vom 20.03.2007 - Gazeta Wyborcza

Im Vorfeld des Besuches von Angela Merkel in Polen analysierte Piotr Buras neue Entwicklungen im Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert. "Bis vor kurzem endete für die Deutschen die Geschichte 1945. Alles was danach kam, war Teil einer breit verstandenen Gegenwart. Nach dem Abgang der 68-er Generation, mit dem Regierungsantritt von Angela Merkel, setzte eine entscheidende Zäsur ein: auch die Nachkriegs- Bundesrepublik wird Geschichte. Was vor nicht allzu langer Zeit politisch war, verliert an Aktualität. Deutschland betritt die Nach-Nachkriegszeit." Mit einer "Neuschreibung der Geschichte", wie es in Polen oft verstanden wird, habe das alles wenig zu tun, meint Buras. Das Wichtigste an diesem neuen Diskurs sei der "für deutsche Verhältnisse schockierend unpolitische Blick auf die Vergangenheit"; die sinnstiftende Rolle der jüngsten Geschichte habe ausgedient.

Ein aktuelles Thema greift auch Piotr Pacewicz auf: die Homophobie in Polen. Zwar unterstützt Premierminister Kaczynski nicht die Ankündigung des stellvertretenden Bildungsministers Orzechowski, homosexuelle Lehrer zu entlassen. Er will ihre Bürgerrechte respektieren, nur reden sollen sie nicht über ihre sexuelle Orientierung. "Leider geht es dabei um mehr als das Werben um konservative Wähler", schreibt Pacewicz. "Die Regierenden teilen die Auffassung, dass die Existenz von Homosexuellen in Polen eine partielle Nicht-Existenz sein soll - sie genießen danach volle Rechte, nur nicht in dem Bereich, der ihre Andersartigkeit ausmacht." Leider unterstützen ca. vierzig Prozent der Polen diese Haltung, so Pacewicz, was vor allem an der Tabuisierung des Sexuellen insgesamt in der Gesellschaft liege.

"Genau 80 Jahre nachdem im Warschauer Hotel 'Polonia' eine Ausstellung mit Werken Malewitschs gezeigt wurde, stellt das Hotel jetzt sechs Zeichnungen des Malers und Fotografien aus dieser Zeit aus. Es ist eine Ausstellung für Kenner, die Freude an Details haben." Zusätzlicher Reiz hat für Dorota Jarecka der Ausblick aus dem Ausstellungsraum auf den Kulturpalast, "die degenerierte Version der Visionen russischer Konstruktivisten."

Magazinrundschau vom 27.02.2007 - Gazeta Wyborcza

Filmkritiker Tadeusz Sobolewski sieht in Volker Schlöndorffs "Strajk - die Heldin von Danzig", der diese Woche in Polen Premiere feierte und Kontroversen auslöste, auch Positives: "Die Legende der 'Solidarnosc' hat ein Eigenleben, und es geht ihr ausgesprochen gut. Im Film und der Diskussion über ihn stoßen zwei Versionen davon aufeinander: die polnische, romantisch-patriotische und die der westlichen Linken. Schlöndorff schafft es, die positive Utopie der 'Solidarnosc', den Mythos der Weltverbesserung und des Dritten Weges, in unsere Zeiten zu retten, jenseits unserer verbissenen Debatten über das Erbe der Bewegung und jenseits der Konflikte. Der Film ist ein Geschenk, ein Blick auf die hellen Momente unserer Geschichte."

Aktuelle Meldung: nachdem letzten Montag der Siegerentwurf des Schweizer Architekten Christian Kerez für das neue Museum für Zeitgenössische Kunst in Warschau präsentiert worden war, ging ein Schrei der Empörung durch die Öffentlichkeit. Am Samstag wurde die Entscheidung wieder rückgängig gemacht - Kerez' geometrischer Entwurf "negiert die programmatische Ausrichtung des Museums und die daraus resultierenden funktionalen Lösungen des Gebäudes", heißt es in der Begründung.

Magazinrundschau vom 06.02.2007 - Gazeta Wyborcza

Das Gesicht der alten Textilmetropole Lodz in Zentralpolen verwandelt sich. Vor kurzem wurde entschieden, dass der luxemburgische Architekt Rob Krier ein 90 Hektar großes Areal im Zentrum der 800.000-Einwohner-Stadt neu bebauen soll. Vorgesehen sind u.a. ein Museum für Zeitgenössische Kunst und ein Haus, in dem das unlängst von David Lynch gegründete Kulturzentrum für Weltkunst untergebracht werden soll. Im Interview stellt Krier seine Ideen für Lodz vor: "Ein Stadtorganismus ist wie ein menschlicher Körper, er muss atmen, denken und ruhen. Das muss wieder hergestellt werden. Die vorhandenen Gebäude werden für kulturelle Zwecke hergerichtet und mit neuen Gebäuden komplettiert. Es gibt hier zu viel aufgeblasene großbürgerliche Architektur." Auf die Frage, ob Star-Kollegen wie Frank Gehry oder Daniel Libeskind (der in Lodz geboren wurde) zugezogen werden sollten, antwortet Krier: "Ihre Kunst ist fantasievoll, aber agiert gegen die Stadt. Aber wenn Libeskind sich an den Rahmen halten würde, warum nicht? Daniel, du musst disziplinierter werden, dann kannst du mitmachen!"