Magazinrundschau - Archiv

Gazeta Wyborcza

171 Presseschau-Absätze - Seite 8 von 18

Magazinrundschau vom 23.01.2007 - Gazeta Wyborcza

Im Interview verwirft der Ökonom und Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz neoliberale Wirtschaftsrezepte und verteidigt den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez gegen Kritiker. "Das neoliberale Rezept wirkt nicht. In den neunziger Jahren, als die meisten lateinamerikanischen Länder die Vorgaben des IWF befolgten, war das Wirtschaftswachstum halb so groß wie in den fünfziger bis siebziger Jahren. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass in den Neunzigern nur die Oberschicht von einem Wachstum profitiert hat." Und weiter heißt es: "Chavez hat politisch und wirtschaftlich Erfolge zu vermelden. Ich sehe da keine großen Gefahren. Man kann ihm zwar vorwerfen, durch seine Politik gewisse demokratische Grundwerte zu gefährden sind, aber genau das gleiche könnte man den USA auch vorwerfen."

Magazinrundschau vom 09.01.2007 - Gazeta Wyborcza

In den Wochenendausgaben der polnischen Zeitungen gab es nur ein Thema: die Spitzelarbeit des am Sonntag zurückgetretenen Warschauer Erzbischofs Stansilaw Wielgus für den kommunistischen Geheimdienst. Für Jaroslaw Makowski, Publizist der linksliberalen Zeitschrift Krytyka Polityczna, stellt sich die Frage nach dem Wie-Weiter für die polnische Kirche und ihrem Ansehen in der Gesellschaft. Er meint: "Ob Wielgus die päpstliche Nominierung nicht hätte besser ablehnen sollen, spielt keine Rolle mehr. Wichtiger ist die Frage nach den Folgen für die katholische Kirche. Der Ansehensverlust ist immens - zynische Journalisten haben das Sensationspotenzial der Geschichten über Pfarrer-Agenten entdeckt. Es ist im Interesse der Kirche und der Gläubigen, schnellstmöglich eine historische Kommission mit der Bearbeitung aller relevanten Akten des früheren Geheimdienstes zu beauftragen. Die Kirchenoberen haben keine Alternative - entweder sie säubern ihre Reihen selbst oder diese Aufgabe übernehmen sensationslüsterne Journalisten."

Magazinrundschau vom 01.02.2007 - Gazeta Wyborcza

In Polen schaut man gespannt auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Piotr Buras, Analytiker vom Zentrum für Internationale Beziehungen in Warschau, sieht, dass man sich viel vorgenommen hat in Berlin. Vor dem Hintergrund der angespannten bilateralen Beziehungen fragt Buras nach der Rolle beider Länder in der EU: "Das kommende halbe Jahr wird für Deutschland ein Test in seiner neuen Rolle sein - als Land, das keine Angst davor hat, sich als 'Großmacht mittlerer Größe' zu begreifen, und sich gleichzeitig als Architekt der europäischen Konstruktion bezeichnet. Kann Berlin die EU durch den Dschungel von Problemen führen? Und was erwartet Polen, dass von Deutschland leider eher als Hindernis, denn als konstruktiver Partner angesehen wird?" Polen müsse seinen Nutzen als strategischer Partner in der Union erst noch beweisen, fügt Buras hinzu. "Unterschiedliche Potenziale und Erfahrungen und oft auch Vorurteile gegenüber Polen bewirken, dass sein Platz an der Seite Deutschlands in der europäischen Konstruktion gar nicht offensichtlich ist."

Magazinrundschau vom 19.12.2006 - Gazeta Wyborcza

Der Träger des Sacharow-Preises und Anführer der weißrussischen Opposition Alexander Milinkiewitsch spricht im Interview über die Folgen der Proteste nach den gefälschten Wahlen im Frühjahr und die weitere Vorgehensweise: "Eine zweite Orange Revolution ist in dieser Diktatur nicht denkbar. Aber die Menschen haben gesehen, dass man kämpfen muss. Wir werden sie auf die Straße bringen, weil nur Demonstrationen Präsident Lukaschenko zum Nachgeben zwingen können. Aber noch wissen wir nicht, wann das passieren wird. Wir arbeiten an den Bürgern und helfen ihnen, die Angst aus den Köpfen zu bekommen."

In einem lesenswerten Essay blickt der Reporter Artur Domoslawski auf Lateinamerika nach dem Tode Pinochets und denkt über den Einfluss nach, den der chilenische Diktator noch immer hat. "Sein Rezept, brutale Repressionen und neoliberale Wirtschaftsreformen, hat viele Nachahmer gefunden, die mit mehr oder weniger Geschick agiert haben. Das Erbe dieses Phänomens belastete Südamerika in den neunziger Jahren und führte zu der Gegenbewegung der letzten Zeit, mit den Siegen Chavez', Lulas, Morales und anderer. Das einzige Land, das in den Achtzigern einen anderen Weg ging, war Kuba. Fidel Castro wurde für viele Rebellen auf dem Kontinent ein Symbol. In der realen Politik aber hat er verloren - die neuen, linken Bewegungen haben die kubanischen Methoden verworfen und gehen einen neuen Weg. Ironie der Geschichte ist, dass Castros Nachfolger dem Modell Pinochets nacheifern könnten: rauher Kapitalismus plus Autoritarismus."

Magazinrundschau vom 12.12.2006 - Gazeta Wyborcza

Für Waclaw Radziwinowicz besteht ein Zusammenhang zwischen den Morden an Anna Politkowskaja und Alexander Litwinenko und dem Ende der Putin-Ära 2008. "'Putins Gefolgsleute wollen ihn nicht gehen lassen', kolportiert Alexander Pumpianski, Redakteur der bekannten Wochenzeitung Nowoje Wremja, eine unter Mokauer Beobachtern kreisende Spekulationen. Sie seien sogar bereit zu töten, damit die Welt glaubt, Putin sei ein neuer Lukaschenko. Denn dann gäbe es für Putin nur eine Möglichkeit - sich krampfhaft an der Macht zu halten. Sie sind bereit, Chaos im Land heraufzubeschwören, um seinen Abgang unmöglich zu machen."

Weitere Artikel: Wilhelm Sasnal ist der momentan angesagteste polnische Maler und Zeichner. Im Interview verrät er, wie seine Werke entstehen: "Sampeln. Ich kann keine Fiktion, keine Abstraktion produzieren. Vielleicht male ich dokumentarische Bilder? Oder will keine neuen Vorstellungen hinzufügen zu dem, was schon da ist? Wozu auch?" Abdruckt ist schließlich eine Rede, die Jurij Andruchowytsch auf einer Konferenz zur Bedeutung Jerzy Giedroycs hielt. Es geht dabei um die ewige Frage nach den Grenzen Europas, den Platz der Ukraine und die Rolle der EU, die der Schriftsteller als "eine Art psychologischer Ersatz: eine Ansammlung postimperialer Loser, die es nicht im Alleingang geschafft haben, Supermacht zu werden" definiert.

Magazinrundschau vom 05.12.2006 - Gazeta Wyborcza

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind festgefahren, viele Reformbestrebungen im Land waren aber auf eine baldige Mitgliedschaft ausgerichtet. Was wird jetzt aus der Demokratie am Bosporus?, fragt sich Adam Balcer. "Das türkische Paradox besteht darin, dass die konservativ-islamische AKP die führende proeuropäische Partei des Landes ist. Ihre Umformung in eine Art muslimische Christdemokratie und die volle Demokratisierung der Türkei sind ohne europäische Perspektive aber zweifelhaft." Die Fortschritte in Sachen Rechtsstaat, Minderheitenrechte und Meinungsrecht findet Balcer offensichtlich. Ein Hindernis stelle immer noch die Armee dar - "die Generäle glauben, sie müssen autonom neben der Regierung stehen, weil eine 'unsichere' Partei an der Macht ist. Diese Ansicht teilen viele Politiker in Europa - die Angst vor einer Islamisierung der Türkei verdeckt die tatsächlichen Erfolge in der Entwicklung der Zivilgesellschaft des Beitrittskandidaten."

Dorota Maslowska hat ein Theaterstück geschrieben. Im Interview mit dem Publizisten Slawomir Sierakowski spricht sie über soziale Schichten, vergeblichen Aufstieg und gewollten Abstieg, über Rollen und Kostüme und ihr erstes Drama. "Drama ist wie Mathe, denn das, was die Helden sagen, beinhaltet das, was sie tun, und das, was sie denken, und das, was passiert ist, und das, was passieren wird und noch das Etwas, das es etwas verkompliziert, damit alles nicht zu offensichtlich ist."

Magazinrundschau vom 21.11.2006 - Gazeta Wyborcza

In der Wochenendausgabe drehte sich (fast) alles um Wirtschaft und Globalisierung. Im Interview erklärt der in den USA lehrende französische Soziologe Loic Wacquant, warum "Law & Order"-Strategien so viel Zuspruch finden (auch in Polen): "Programme wie 'Null Toleranz' in Amerika führen zur Kriminalisierung von sozialen Problemen. Man hat der linken, helfenden Hand des Staates die Instrumente aus der Hand genommen, und sie der rechten gegeben, der strafenden. Durch 'Null Toleranz' wird Sicherheit auf Kriminalitätsbekämpfung reduziert. So werden die wahren Probleme verdeckt: die soziale Degradierung in Folge der neoliberalen Revolution. Im übrigen waren es der Wirtschaftsboom und der geringere Anteil der jungen Bevölkerung, die Anfang der 90-er die Kriminalitätsrate reduzieren halfen, und nicht repressive Massnahmen a la Rudolfo Giuliani."

Gewohnt skeptisch gibt sich in seinem neuen Buch der Soziologe Zygmunt Bauman, schreibt Adam Leszczynski. "Das Buch 'Arbeit, Konsumdenken und die neuen Armen' liest sich wie eine lange Antwort auf die Frage: Ist soziale Gerechtigkeit in Zeiten des postmodernen Spätkapitalismus möglich? Bauman beantwortet sie klar mit 'Nein'!". Für Bauman habe die Linke ideologisch kapituliert, ein Gegenentwurf zum Konsumdenken zeichne sich nicht ab, jedenfalls nicht im Westen. "Man kann die Arbeit auch religiös lesen", meint Leszczynski, "wie die Geschichte des Sündenfalls, beschrieben in der Sprache der Soziologie".

Magazinrundschau vom 14.11.2006 - Gazeta Wyborcza

Nachdem die Abrechnung mit der Vergangenheit zu einem zentralen Motiv der politischen Debatte geworden ist, zieht die Kunst nach - schreibt Roman Pawlowski. "Noch nie wurden in Polen so viele historische Filme gedreht, wie 2006: Von Andrzej Wajdas Film "Post mortem. Die Geschichte von Katyn" (mehr hier und hier), über eine Popieluszko-Biografie und verschiedene Geschichten über polnische und sowjetische Geheimdienste bis hin zu Schlöndorffs 'Solidarnosc'-Epos. Das alles haben wir nicht nur der politischen Konjunktur zu verdanken - seit die Mittel für den staatlichen Filmfonds erhöht wurden, können Geschichtsfilme, die von Natur aus teurer sind, vermehrt realisiert werden."

Im westukrainischen Drohobytsch beginnt das Internationale Bruno-Schulz-Festival, bei dem der polnisch-jüdische Schriftsteller geehrt wird. "Erst langsam entsteht in der Stadt ein Kreis von ukrainischen Schulz-Forschern. Die bisherige Vernachlässigung des Erbes führte unter anderem dazu, dass einzigartige Wandgemälde des Künstlers durch Mitarbeiter des Yad Vashem illegal entfernt wurden. Während des Festivals wird endlich eine Gedenktafel für Bruno Schulz enthüllt - an der Stelle, wo er vor 64 Jahren von einem Gestapo-Offizier erschossen wurde."

Magazinrundschau vom 07.11.2006 - Gazeta Wyborcza

Die polnische Demokratie erinnert den Philosophen Leszek Koczanowicz "an ein ausgeblasenes Ei: Augenscheinlich stimmt alles - Wahlen finden statt, Regierungsparteien wechseln sich ab. In Wirklichkeit jedoch schlittert das politische Leben auf der Oberfläche entlang, interessiert immer weniger Menschen und erweckt immer weniger Hoffnung, dass irgend etwas verändert werden kann. Die Eliten scheinen auch kein Interesse daran zu haben, diesen prinzipiellen Makel zu beseitigen. Das politische Spektakel scheint jedenfalls immer weniger Zuschauer anzuziehen."

Der Theaterregisseur Krystian Lupa, der gerade Thomas Bernhards "Über allen Gipfeln ist Ruh" inszeniert, erzählt im Interview, warum ihn der österreichische Autor so fasziniert. "Bernhard lässt unseren inneren Trottel sprechen. Wenn wir müde sind, fangen wir an zu jammern, es ist ein Stammeln, wie das eines Bettlers in der Unterführung, ein Mantra, das wir unterdrücken, um gute Europäer zu sein." Es ist auch von der Initiation und vom Reifen die Rede: "Erwachsen werden bedeutet eine totale Enttäuschung. Ein Kind denkt, dass Erwachsensein ein tolles Spielzeug ist, das ihm bisher vorenthalten wurde. Dann stellt sich heraus, dass dieses Spielzeug nur Müll ist und Weiß-der-Teufel-was. Und dieses Weiß-der-Teufel-was ist unser Leben."

Magazinrundschau vom 31.10.2006 - Gazeta Wyborcza

"Die ungarische Revolution hatte, wie jede Revolution, zwei Gesichter: das fröhliche - der kurzzeitige Triumph der Freiheit und der Wahrhheit; und das hässliche - die Explosion des Hasses und der Grausamkeit." Zum Jahrestag des Ungarn-Aufstands erinnert Adam Michnik daran, dass es damals die Polen waren, die auf Heroismus verzichteten und einige Konzessionen seitens des Regimes verzeichneten. Später jedoch hat der als Held gefeierte Parteichef Gomulka die Schraube angezogen, so dass der "Gulaschkommunismus" unter Kadar sich als das liberalere System entpuppte. Obendrauf gibt es noch persönliche Erinnerungen von Michnik: "Als die Revolution ausbrach, war ich zehn. Ich kann mich gut an die Trauer in meinem Elternhaus erinnern, die mich dazu veranlasst hat, mein ganzes angespartes Taschengeld für die Ungarn zu spenden. Das war die erste politische Aktion meines Lebens."

Im Interview vergleicht der ehemalige Knesset-Vorsitzende und Botschafter in Polen, Schewach Weiss, die Situation im Nahen Osten mit der in Mitteleuropa: "Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge ist so unrealistisch wie die Rückkehr der Deutschen nach Schlesien und Pommern. Für Israel käme das einer Selbstzerschlagung gleich". Weiss hält es für "sicherlich besser, politische Großmachtträume aufzugeben und sich mit den Nachbarn zu arrangieren. Den Polen hat das Jerzy Giedroyc erklärt, in Israel gibt es so jemanden nicht."
Stichwörter: Michnik, Adam, Mitteleuropa