Magazinrundschau - Archiv

L'Express

109 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 11

Magazinrundschau vom 30.09.2008 - Express

Als "Schwarzbuch Verlage" wird die Publikation "Edition, presse et pouvoir en France au XXe siecle" (Fayard) des französischen Historikers Jean-Yves Mollier annonciert. Darin blickt der Autor auf Machenschaften und hinter die Kulissen des französischen Literaturbetriebs im 20. Jahrhundert, angefangen bei der deutschen Okkupation. 1940 sei das französische Verlagswesen bis auf wenige Ausnahmen durchaus nicht nazifreundlich gewesen sei, erklärt Mollier im Gespräch. "Dennoch, die Pariser Verleger sind pragmatische Geschäftsleute und wollten den deutschen Forderungen entgegenkommen. Denn die Besatzer haben sehr bald gewünscht, eine Liste verbotener Bücher aufzustellen, die so genannte 'Otto-Liste'. Sie enthielt 1060 Titel, darunter die Werke von Gegnern des Nationalsozialismus wie Thomas Mann, Stefan Zweig, Romain Rolland, von jüdischen Autoren wie Henri Bergson oder Freud... In Wirklichkeit haben die französischen Verleger diese Liste erstellt. Ab Mai 1940 haben alle, Flammarion, Albin Michel, Grasset, Gallimard oder Payot, damit begonnen, ohne viel Federlesens eigene 'Vor-Listen' anzufertigen. Sie [diese Bücher] wurden unverzüglich eingesammelt, und zwar von den Transportunternehmen von Hachette, die den Buchvertrieb in Frankreich besorgten und riesige Lager besaßen, in denen die geächteten Werke eingestampft wurden. Die deutschen Behörden mussten nur noch eine Zensurvereinbarung mit dem Verlegerverband unterzeichnen. Man hat ihnen die Arbeit abgenommen."

Magazinrundschau vom 19.08.2008 - Express

In einem ausführlichen Interview spricht der Schriftsteller und ehemalige Präsident der Tschechischen Republik Vaclav Havel über den Prager Frühling, Europa und seinen Favoriten für die amerikanische Präsidentschaftswahl. Für Putins Russland findet er deutliche Worte: "Mit Putin offenbart sich uns ein neuer Typus der Diktatur, eine äußerst raffinierte. Es geht nicht mehr um Kommunismus, nicht mal um reinen Nationalismus. Man muss offen darüber sprechen. Man kann nicht weiter die Augen verschließen. Dieses vollständig private Regime ist verknüpft mit einem bestimmten wirtschaftlichen Aufschwung, was nicht weiter überraschend ist. Der Zerfall der Sowjetunion war traumatisierend, und Putin will dieses Ensemble wieder neu aufbauen, vielleicht in neuer Form. Er kann die Verkleinerung der Einflusssphäre der alten UdSSR sehr schlecht verwinden. Infolgedessen beruht das System, das er errichtet hat, auf einer Art politischer und wirtschaftlicher Bruderschaft. Es ist ein geschlossenes System, in dem der Erste, der die Spielregeln verletzt, nach Sibirien geschickt wird."

Magazinrundschau vom 03.06.2008 - Express

In L'Express erklärt dagegen Frederic Lefebvre, ehemaliger Berater von Sarkozy, nun Sprecher der Regierungspartei UMP und Mitglied des parlamentarischen Medienausschusses, inwiefern die Abschaffung der Werbung eine "Rettung" des französischen Staatsfernsehens darstelle, und erläutert sein Finanzierungskonzept: Verstärkung des Sponsoring für einzelne Sendungen und Produktplacement statt Gebührenerhöhung. Letzteres stellt seiner Meinung nach keinerlei Einschränkung der künstlerischen Freiheit dar. "Haben Sie den Eindruck, dass die Filmbranche in Frankreich nicht unabhängig ist? Alle Franzosen, die einen James Bond oder einen persönlicheren Kinofilm sehen, wissen, dass es immer Produktplacement gibt. Es stört sie nicht, diese oder jene Automarke zu sehen, weil sie wissen, dass sich die Filmemacher ihr Drehbuch oder den Sinngehalt der Geschichte nicht von den Inserenten vorschreiben lassen."

Magazinrundschau vom 22.04.2008 - Express

In einem Gespräch erklärt Maurice Levy, eine der einflussreichsten Führungspersönlichkeiten in der Werbebranche, weshalb Kriterien und Funktionsweisen der Werbung von Grund auf revidiert werden müsse. Richtiges Gespür alleine genüge nicht mehr, der Konsument sei nicht mehr passiv und habe die Macht übernommen, deshalb gehe es um eine neue Ethik. "Die Marktwirtschaft kann zum Exzess führen, daher ist es notwendig, dass die Unternehmenswelt in der Lage ist, sich zu korrigieren und Kriterien Rechnung zu tragen, die nichts mit Ökonomie zu tun haben. Deshalb war ich sowohl Bürgerrechts- als auch ethischen Fragen gegenüber immer aufmerksam. Heute sind diese Fragen beherrschend geworden. (...) Es genügt nicht, zu verkünden, Produkte zu einem korrekten Preis zu verkaufen: Man muss sich vergewissern, dass sie auch unter besten Bedingungen hergestellt werden. Das heißt, weder den Beschäftigten noch die Umwelt zu zerstören. Ein Industrieller, der eine rein gewinnorientierte Haltung einnimmt, indem er sich nicht um nichts kümmert als seinen Profit, wird mit Sicherheit scheitern."
Stichwörter: Bürgerrechte, Exzess

Magazinrundschau vom 20.11.2007 - Express

Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow, scharfer Putin-Kritiker und einer der Gründer des oppositionellen Bündnisses Das andere Russland, wird im März 2008 als dessen Kandidat bei den russischen Präsidentschaftswahlen antreten. In einem Interview spricht er über seine politischen Ziele, die Gründe für die Angst der Eliten vor freien Wahlen und das Problem der Korruption in seinem Land. "Die Frage, ob Putin korrupt ist oder nicht, läuft auf die Frage hinaus, ob Stalin etwas für den Terror, die Exekutionen, den Gulag konnte... Der an der Spitze der Pyramide ist verantwortlich für das, was von oben bis unten geschieht. Und Putin steht an der Spitze der Korruption. Glauben Sie, dass er noch über einen Rest an unfehlbarer Integrität verfügt, wenn seine engsten Freunde und Verbündeten, die alle wie er aus St. Petersburg kommen, den größten Teil der russischen Wirtschaft kontrollieren? Im Westen existiert eine längst veraltete Liste von Oligarchen. Ein gewisser Gennadi Timtschenko, Boss der Ölhandelsgesellschaft Gunvor mit Sitz in Genf, hat erheblich mehr gestohlen als ein Boris Berezowsky. Er kontrolliert ein Drittel der russischen Ölexporte. Und er ist ein Vertrauter von Putin, genau wie die Brüder Michail und Juri Kowaltschuk, denen die Bank Rossija gehört. Diese Leute haben sich in einem Tempo bereichert, das beispiellos ist."

Magazinrundschau vom 24.10.2006 - Express

In einem seiner eher seltenen Interviews gibt Prince ausführlich Auskunft über seine Herkunft, die Gründe für seine Verwandlung in den "Hermaphroditen" The Artist und die "Gangster" in seiner Plattenfirma Warner. Die gibt dieser Tage eine DVD mit bisher unveröffentlichten Videos von Stücken seines Albums "Diamonds and Pearls" von 1991 heraus. Sehr hübsch ist der Beginn des Interviews. Prince erkundigt sich zunächst, ob die Interviewerin vereinbarungsgemäß weder Fotoapparat, Handy noch Aufnahmegerät dabei habe. Auf die Gegenfrage, ob sie wenigstens mitschreiben dürfe, erzählt er ihr von einem Interviewtermin in den USA. "Ich habe neulich einem amerikanischen Journalisten ein zweistündiges Interview zugestanden, unter der Bedingung, dass er sich keinerlei Notizen macht. Alle zehn Minuten ist er aufgestanden, um zur Toilette zu gehen. Er hat mir was von einem Nierenleiden erzählt. In Wahrheit hat er dort aus Angst, alles zu vergessen, meine Antworten auf Klopapier geschrieben... Ich musste lachen, als er, bevor er gegangen ist, lauter vollgekritzelte Papierknäuel aus seinen Taschen beförderte und seine Sünde beichtete."
Stichwörter: Prince, Toilette

Magazinrundschau vom 17.10.2006 - Express

In regelmäßigen Abständen diskutiert man in Frankreich Stellenwert und Bedeutung der Philosophie. Anlass ist diesmal die Diagnose einer zunehmenden Popularisierung der Disziplin und ihrer Themen, in der "Puristen" bereits eine "Vulgarisierung" wittern. Ein Artikel untersucht diese Einschätzung und den "neuen Hunger nach Sinn und Orientierungspunkten" und stellt ein neues Buch des Philosophen und ehemaligen französischen Bildungsministers Luc Ferry vor: "Vaincre les peurs" (Odile Jacob). Ferry erklärt in einem Interview, weshalb dies für ihn nur eine "Rückkehr zur Normalität" ist, die alle die französischen Philosophen, die international so viel bekannter sind als er, für kurze Zeit untergraben hatten: "Der Charme der Dekonstruktion oder des Poststrukturalismus um Deleuze, Derrida, Foucault, die die sechziger und siebziger Jahre dominiert haben, lag in ihrem Avantgardismus, der sie zu einer Sache der Eliten machte. Dieses ultrakritische 68er-Denken wollte den Triumph der westlichen Tradition, den klassischen Rationalismus, dekonstruieren. Es ist esoterisch, absichtlich obskur, marginal aus Lust an der Sache, daher seine Verführungskraft."

Magazinrundschau vom 03.10.2006 - Express

In Frankreich wird wieder heftig über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit debattiert. Auslöser ist dieses Mal der Film "Indigenes" des algerischen Regisseurs Rachid Bouchareb, dessen fünf Hauptdarsteller in Cannes den Schauspielpreis erhielten. Es geht darin um die Beteiligung von Soldaten aus den Kolonien Nord- und Schwarzafrikas an der Befreiung des besetzten Frankreich, die im kollektiven Gedächtnis Landes bis heute eine große Rolle spielt. Allerdings wurde gerade diese Beteiligung lange Jahre totgeschwiegen, den Soldaten wurden sogar die Pensionen gestrichen - "ein Unrecht und ein Skandal erster Güte", wie viele befinden. L'Express widmet dem Thema ein ganzes Dossier.

So erzählt Chrostophe Carriere die turbulente Entstehungsgeschichte des Films. Er weiß von der "mühsamen Schlacht" des Regisseurs Rachid Bouchareb um die Realisierung und Finanzierung des Projekts zu berichten, an der sich Produzenten, Schauspieler und Politiker bis hinauf in den Regierungspalast Elysee beteiligt haben. Zu lesen ist außerdem eine Besprechung des Films, die seine "Zeugenschaft" in Bezug auf ein vergessenes Kapitel französischer Geschichte ebenso lobt wie seine Kinoqualitäten.

Unter der Überschrift "Muss man sich schämen, Franzose zu sein?" unternimmt Eric Conan schließlich einen breit angelegten Versuch der Auflistung der unterschiedlichen Positionen zur kolonialen Vergangenheit. Besondere Beachtung findet dabei die Reaktion der Intellektuellen, die das "ständige Mea culpa" anprangerten. Beispielhaft dafür sei das neue Buch des Romanciers und Essayisten Pascal Bruckner, in dem er mit diesem "nationalen Masochismus" abrechne ("Tyrannie de la penitence", Grasset). "Er will Schluss machen mit dieser Tyrannei der Buße... Er sieht darin eine Form der Anmaßung: 'Längst hat uns die Entkolonialisierung unserer Macht und wirtschaftlichen Bedeutung beraubt, doch in einer kolossalen Selbstüberschätzung sehen wir uns noch immer als das unheilvolle Zentrum des Kraftfelds, dem das Universum untersteht.'"

Magazinrundschau vom 12.09.2006 - Express

L'Express bringt ein Interview mit Milana Terloeva, von der dieser Tage der Erinnerungsband "Danser sur les ruines" über ihre Kindheit und Jugend in Tschetschenien erscheint. Die heute 26-Jährige aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Grosny war vor drei Jahren über ein studentisches Austauschprogramm nach Paris gekommen, will aber demnächst wieder zurückkehren. Im Interview spricht sie darüber, wie sie den Kommunismus und den Krieg in ihrem Land erlebt hat und wie wenig man in Frankreich über ihr Land wusste. Über ihre Erfahrungen im Westen sagt sie: "In der ehemaligen Sowjetunion hat man weder über Europa, noch über die Gulags oder die Shoah gesprochen. Erst in Frankreich habe ich 'Die Nacht' von Elie Wiesel und die Bücher von Primo Levi entdeckt... Ich bin zwischen den beiden Ländern hin- und hergerissen. In Paris habe ich für mein Leben wesentliche Bindungen geschlossen. Aber Tschetschenien ist mein Heimatland, meine eigene Hölle. Ich will dort berichten, dass man uns in Frankreich nicht aufgibt. Es ist wichtig, dass die Tschetschenen wissen, dass sie nicht allein auf der Welt sind. Ich möchte eine unabhängige Jugendzeitschrift gründen. Und dann ist schließlich meine Familie dort. Ich weiß, dass ich sie in Gefahr bringe. Aber kann ich bleiben und nichts tun?"

Magazinrundschau vom 29.08.2006 - Express

In einem wunderbaren Interview spricht der Jazz-Saxofonist Ornette Coleman über die Entwicklung seiner Musik. Der inzwischen 76-Jährige, der am 30. August das Pariser Jazzfestival eröffnen wird, erzählt viele Anekdoten, darunter über seine ersten New Yorker Auftritte im Five Spot im November 1959. Am ersten Abend mussten er und seine Mitspieler nach empörten Zuhörerprotesten die Bühne verlassen, am nächsten Tag brach in den Zeitungen eine Debatte über seine Musik los. "Man warf mir vor, falsch zu spielen, keine Ahnung von Noten oder Harmonie und den Regeln des Bebpo zu haben. Man gab meiner Musik den Beinamen 'Freejazz', was so viel hieß wie 'bedeutungslos'. Am dritten Abend bemerkte ich zu meiner großen Überraschung Leonard Bernstein: Er kam auf die Bühne, umarmte mich, nahm das Mikro und erklärte, unsere Musik sei das Interessanteste, was er seit Charlie Parker und Thelonious Monk in den Vierzigern gehört habe. Er flüsterte mir ins Ohr: 'Es ist viel besser, gekreuzigt zu werden als sich zu langweilen, mein Lieber. Übrigens wird die Kreuzigung dich unsterblich machen.' Und so wurden meine Konzerte zum Treffpunkt der New Yorker Intelligenzija."

In einem weiteren Interview gibt Bob Dylan ausführlich Auskunft über sein neues Album "Modern Times". Sein Stimmeinsatz darauf sei bewusst gedämpfter als gewohnt, nicht so nasal ausgefallen und er habe sich bei einigen Stücken um eine "Retroatmosphäre" bemüht. Auf die Frage nach den Gründen, antwortet er: "Die eigene Identität kann sich in der Musik auflösen. Ich meine damit: Man kann zum Beispiel glauben, man sei ein Bluesman oder ein Rocker oder ein Songwriter... Und trotzdem, wenn man wirklich aufmerksam eine andere Musik hört, entdeckt man, dass es noch andere Dinge in einem gibt. Man ist jemand, den man nicht mehr kennt. Es ist normal, dass mein Stil sich entwickelt: Der Großteil der Kompositionen auf diesem Album sind Bluesstücke, jazzige Balladen und natürlich Folksongs, langsam oder in einem Cowboy-Rhythmus. Das ist normal, weil ich mir meine Platten wie Filme vorstelle, die von der amerikanischen Identität erzählen. In Amerika will man uns immer glauben machen, wir seien Erfinder! Klar, aber Amerika vergisst oft, dass alles, was man erfindet Teil einer Vergangenheit, alter Einflüsse ist... Wenn meine persönlichen Einflüsse von Pete Seeger, Woody Guthrie, Allen Ginsberg und Jack Kerouac kommen, dann auch vom Jazz und vom Blues der Schwarzen!"