Mord und Ratschlag

Falscher Verdacht

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
20.10.2016. Südafrikaner in Australien: In Peter Temples "Die Schuld vergangener Tage" versucht ein ausgemusteter Spitzenfahnder höchst vergeblich, als Schmied und Schafzüchter die Welt zu vergessen. Malla Nunn erzählt in ihrem historischen Krimi "Zeit der Finsternis" wie eine Gesellschaft zerschlagen wird.
Peter Temples "Die Schuld vergangener Tage" ist im englischen Original bereits 1998 erschienen. Dass Random House den Roman erst jetzt in seinem neuen, noch etwas unaufgeräumten Taschenbuch-Imprint Penguin herausgibt, sollte die Freude überhaupt nicht trüben. Der in Südafrika geborene, in Australien lebende Peter Temple ist einer der besten und aufregendsten Thrillerautoren der Welt, und er war es auch schon vor achtzehn Jahren: In diesem frühen Roman ist alles enthalten, was Temples Bücher so großartig machen: Stil, Klugheit, Menschenkenntnis, ein wahnwitziges Tempo und grandiose Szenen.

"Die Schuld vergangener Tage" spielt im kalten australischen Süden, anderthalb Autostunden von Melbourne entfernt. Hier, in der alten Schmiede seines verstorbenen Vaters, versteckt sich Mac Faraday vor der Welt und leckt die Wunden, die ihm das Leben geschlagen hat. Temple steigt allerdings gleich im ersten Satz mit Vollgas ein. Noch bevor er die Idylle auch nur angerissen hat, ist es mit ihr auch schon vorbei. "Ned ist tot."

Ned ist der alte Nachbar und Freund, sein Enkel Lew Lowey hat ihn erhängt in der Scheune gefunden. Nach Selbstmord sieht es nur auf den ersten Blick aus, wahrscheinlicher wurde der alte Mann ermordet. Mac kümmert sich um den Jungen, schüttelt den falschen Verdacht der Polizei ab und beginnt, sich einen eigenen Reim zu machen. Er entdeckt in Neds Unterlagen Zeitungsartikel über den Mord an einem jungen Mädchen, dessen Leiche zwanzig Jahre nach ihrem Verschwinden in einem alten Bergwerksschacht entdeckt wurde. Wahrscheinlich stammte das Mädchen aus Kinross Hall, einem Heim für delinquente Jugendliche. Der alte Ned hatte dort eine Zeit lang gearbeitet, wenige Tage später wird auch der frühere Arzt des Jugendheims tot aufgefunden.

Wenn junge hübsche Frauen getötet werden, haben im Krimi meist die junge reiche Männer die Hände im Spiel. Das ist auch hier nicht anders, und natürlich wollen sich die berühmten höheren Kreise nicht an die Verbrechen vergangener Tage erinnern lassen. Temple enfaltet diesen klassischen Plot jedoch mit einer Dynamik, die einem den Atem raubt. Ungeheuer geschickt hält er Informationen zurück und lässt sie leicht verzögert wie Sprengkörper mit Zeitzünder hochgehen lässt.

Die Kräfte, die er wirken lässt, zielen jedoch nie in nur eine Richtung. Je mehr Mac mit seinem alten Leben abschließen will - man ahnt, dass er Spitzenbulle bei einer Bundesbehörde war -, umso mehr holt es ihn ein, umso mehr will man wissen, was ihn zu Fall gebracht hat und umso mehr zwingt ihn die Loyalität gegenüber dem alten Ned, wieder zu ermitteln. Und umgekehrt: Je tiefer sich Mac in die neuen und alten Fälle verstrickt, je mehr machthungrige Detectives sie dezidiert nicht aufklären, umso reizvoller wird die Pampa.

Temple ist nicht nur ein großer Stilist, er ist auch ein großer Menschenkenner. Jede Figur, die bei ihm auftaucht, stimmt. Ob Schafzüchter oder Hufschmiedin, Farmer oder Bauarbeiterwitwe, Anwältin oder Cop - alle sprechen glaubwürdig und trotzdem mit Karacho: "Mac, wenn ich glaube, du hättest die Seiten gewechselt, erfährst Du es als Erster. Dann komme ich vorbei und bring dich um. Genieß den Urlaub. Und jetzt verpiss Dich."

Temple ist übrigens dem Sinnlichen nicht abgeneigt. Deshalb fragt Mac auch besonders gern Frauen im Bett aus. An einigen Stellen rutscht sein Humor dabei ins leicht Zotige ab. Aber Schwamm drüber. Er schafft tolle, vielschichtige Frauenfiguren und überlasst einer von ihnen auch die Einsicht in die Natur böser Menschen: "Ist Ihnen aufgefallen, dass böse Menschen eine Art Kraft umgibt? Eine Art von Unabhängigkeit? Das ist eine sehr mächtige Eigenschaft. Es handelt sich um eine Ruhe, um fehlende Zweifel, um eine Gleichgültigkeit gegenüber der Welt. Das lockt andere Menschen an." Die Klugheit besteht nicht nur in der Beschreibung, sondern auch darin, dass es bei Temple nicht das Böse an sich gibt. Es gibt böse Menschen und schwache Menschen, aber nichts Diabolisches.

Peter Temple: Die Schuld vergangener Tage. Roman. Aus dem Englischen von Hans. M. Herzog. Penguin Verlag. München 2016, 331 Seiten, 10 Euro. (Bestellen)

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Auch Malla Nunn ist eine südafrikanische Autorin, die in Australien lebt. Ihre feinsinnigen Romane sind ganz anders gestrickt als Peter Temples Zeit und Raum souverän durchkreuzende Thriller, aber nicht weniger lesenswert. Sie führen zurück in die dunklen fünfziger Jahre Südafrikas, jene Jahre also, in denen die Apartheidsgesetze mit aller Macht durchgesetzt wurden: Gemischte Ehen wurden verboten, das Land aufgeteilt, Stadtgebiete getrennt und jede Bewegung kontrolliert. Für alles und jeden wurden Kategorien geschaffen, Grenzen gezogen und Definitionen gesetzt: Gruppen, Zugehörigkeiten und Identitäten.

Malla Nunn ist selbst als Kind einer gemischten Familie im südafrikanischen Bergkönigreich Swasiland aufgewachsen, bevor sie mit ihren Eltern nach Australien ging. Von ihrer Schulzeit hat sie sich außer dem vornehmen Queen's English jede Menge bittere Erfahrungen bewahrt. Zynismus liegt ihr daher so fern wie Koketterie. Bei einer ihrer Lesungen brachte sie in Berlin sehr einschlägig auf den Punkt, was Unfreiheit bedeutet: "Wenn die Menschen die Wahl zwischen Stock und Messer haben, dann entscheiden sie sich für den Stock."

In "Zeit der Finsternis" erzählt Nunn vor allem davon, wie eine Gesellschaft mit Schlagstock und Gewehr auseinandergetrieben wurde, wie Zusammenhalt zerstört, Familien zerrissen und Freundschaften verraten wurden. Wer sich den Reinheitsgeboten widersetzen wollte, musste in Lüge und Heimlichkeit abtauchen. Besonders berüchtigt war der "Mangel an Hygiene" in Sophiatown, Johannesburgs bunt-gemischtem Township. Aus Sophiatown stammt auch Detective Sergeant Emmanuel Cooper, den seine Vorgesetzten mal als Weißen klassifizieren, mal als Farbigen, je nachdem wie zufrieden sie mit ihm sind. Nunn versetzt für diesen etwas kompliziert konstruierten Roman ihren Ermittler aus Durban zurück nach Johannesburg, denn hier möchte er mit seiner farbigen Geliebten und dem gemeinsamen Kind leben. Schönheit ist ungerecht verteilt, Schönheit hält sich nicht an Gesetze.

Ein Schuldirektor und seine Frau werden ermordet. Ian Brewer war ein aufgeklärter Geist, der auf seinem College in Sophiatown auch schwarze Studenten zugelassen hatte. Zwei von ihnen werden prompt der grausamen Tat beschuldigt, darunter ausgerechnet der Sohn von Coopers Freund Samuel Shabalala, dem Constable der Native Detective Branch aus Durban, der sofort herbeieilt. Auch der deutsch-jüdische Arzt Daniel Zweigman wird wieder gebraucht, schon um all die Opfer zu behandeln, die in diesem sehr vertrackten Fall zu beklagen sind und für die nicht einmal die "Eingeborenenambulanz" genügend Zeit und Mittel hat.

Zu dritt treten Cooper, Shabalala und Zweigman an, um die Morde aufzuklären und die eindeutig unschuldigen Jungen zu entlasten: Sie treten an gegen den Polizeiapparat von Johannesburg, der mit zwei Unschuldigen kurzen Prozess machen will, der die Macht vor das Recht setzt und im Zweifel den eigenen Interessen dient. Auf der Seite der Gesetzesvertreter stehen die drei Außenseiter also ganz und gar nicht. Sie bilden das idealistische Dreigestirn in einer Welt des Unrechts. Eine seltene Konstellation, aber nicht unmöglich. Und auch wenn Malla Nunn in diesem Roman ihren Figuren viel aufbürdet, ist sie doch als Erzählerin und Mensch viel zu erfahren, um die Realitäten aus dem Blick verlieren. Ihrem eleganten Erzählen und ihren feinen Beobachtungen kann man sich eh nicht entziehen.

Malla Nunn: Zeit der Finsternis. Roman. Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski. Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2016, 295 Seiten, 13 Euro. (Bestellen)