Magazinrundschau - Archiv

L'Espresso

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Magazinrundschau vom 04.08.2009 - Espresso

Die Staatsanwaltschaft in der türkischen Stadt Istanbul hat Anklage gegen 52 Verdächtige erhoben, die dem kemalistischen Verschwörer-Netzwerk Ergenekon angehören und einen Staatsstreich geplant haben sollen. In der Nähe von Istanbul begann in der gleichen Affäre ein Prozess gegen 56 Angeklagte, ein erster Prozess läuft bereits seit Herbst. Der türkische Journalist Soli Özel begrüßt es, dass diese Affäre jetzt vor Gericht verhandelt wird und der politische Einfluss des türkischen Militärs, das auch Ergenekon geprägt hat, zu schwinden scheint. Aber wird die Türkei deshalb demokratischer? "Man kann sich schon fragen, ob so ein Fortschritt in Sachen Zivilgesellschaft eine hinreichende Voraussetzung für eine Demokratisierung ist. In der Vergangenheit haben sich die türkischen Politiker nicht gerade als Demokraten hervorgetan, sondern als Vertreter von Partikularinteressen. Im Falle der Menschenrechte sind sie selten über Worte hinausgekommen und allzu oft haben sie sich bei Unstimmigkeiten intolerant verhalten. Was gerade passiert, hilft jedoch enorm dabei, die Befürchtungen zu vertreiben, der Prozess sei nichts anderes als ein weiterer Machtkampf und habe nur ganz am Rande etwas mit der Verwurzelung der Demokratie im Lande zu tun. Andererseits könnten sich auch die Beobachtungen der Journalistin Sezin Öney als prophetisch erweisen, die in einem Artikel Italien und die Türkei verglich: 'Der Politiker mit militaristischem Denken und die Militärs, die sich in der politischen Sphäre herumtreiben, sind endemische Charakteristika der Flora und Fauna der türkischen Politik. Ich bezweifle, dass der Hang unserer Weltanschauung zum Faschismus und unserer Politik zum Autoritarismus aufhört, wenn sich das Militär aus der Politik zurückzieht.'"

Magazinrundschau vom 28.07.2009 - Espresso

Im Jahr 2007 schrieb Papst Benedikt XVI. einen als Brief an die chinesischen Katholiken, der zur Einheit und zum Durchhalten aufrief. Als Nachschlag hat der Vatikan nun ein Kompendium im Internet veröffentlicht (pdf), in dem der Papst noch einmal auf alle wichtigen Fragen zur Kirche in China eingeht. Gott sei Dank, sagt der emeritierte Bischof von Hongkong, Joseph Zen Zekiun auf seiner Internetseite. Denn der Brief sei in China in einer "falschen Übersetzung" im Umlauf gewesen, die "katastrophale Konsequenzen" für die Kirche gehabt habe, berichtet Sandro Magister. "Nach Auffassung des Kardinals Zen wurde vor allem die Passage mit der Frage der offiziellen Anerkennung der Untergrund-Christen in China durch die kommunistischen Autoritäten falsch dargestellt. Viele haben den Brief des Vaters als Anweisung aufgefasst, dass die Untergrundkirchen und ihre Bischöfe aus der Deckung heraus kommen und ihre offizielle Anerkennung durch den Staat beantragen sollten." In seinem Online-Kommentar macht Kardinal Zen diese "tendenziöse Übersetzung" für die Zersplitterung der katholischen Kirche in China verantwortlich. "Deshalb müssen wir so ein schmerzvolles Spektakel miterleben: Bischöfe und Priester, die glauben, sie folgen dem Heiligen Vater, versuchen sich mit der Regierung unter größten Anstrengungen zu arrangieren, viele ziehen sich angesichts der unannehmbaren Bedingungen der Regierung wieder zurück. Durch diesen Prozess hat der Klerus viel von seiner früheren Geschlossenheit verloren." Wer die fehlerhafte Version in Umlauf gebracht hat, sagt Zen nicht. Allerdings stellt er fest, dass die kommunistische Regierung die Verbeitung der richtigen Version verhindert. "Die offiziell geduldete 'Patriotische Vereinigung der katholischen Chinesen' hat die Verbreitung des [korrekt übersetzten] Briefs verboten. Mehrere Gelehrte, die ihn verbreiteten, wurden verhaftet. Die chinesischen Webseiten, die den Brief präsentierten, mussten schließen. Die vollständige Version des Briefes in Mandarin, die sich auf der chinesischen Webseite des Vatikans befindet, kann in China nicht abgerufen werden."

Magazinrundschau vom 14.07.2009 - Espresso

Der Espresso sorgt sich um die Pressefreiheit und widmet diese Ausgabe der in Italien so arg bedrohten Spezies. Auch Umberto Eco wurde gedrängt, was zu schreiben. Er wollte erst gar nicht, weil es sowieso nichts bringt, wie er meint. "Das italienische Problem ist nicht Silvio Berlusconi. Die Geschichte - das geht seit Catilina so - ist überreich an Abenteurern, denen es nicht an Charisma fehlte und die den Staat nicht so wichtig nahmen, ganz im Gegensatz zu sich selbst. Ihnen ging es um die eigene Macht, für die sie über Parlamente, Gerichte und Verfassungen hinwegschritten, für die sie Gefälligkeiten an ihre Günstlinge und manchmal auch an ihre Kurtisanen verteilten. Ihr eigenes Vergnügen war ja schließlich im Interesse der Gemeinschaft. Aber diese Männer waren in ihrem Willen zur Macht nicht immer erfolgreich, weil die Gesellschaft es ihnen nicht immer erlaubte. Falls die Gesellschaft das aber tat, warum dann diese Männer beschuldigen und nicht die Leute, die es ihnen erlaubten? Warum also sollte man was gegen Berlusconi und sein Gängeln der Presse sagen?"

Magazinrundschau vom 07.07.2009 - Espresso

Der Espresso und Silvio Berlusconi gehen offen auf Konfrontationskurs. Wegen der Berichterstattung der Tageszeitung Repubblica hat der italienische Premier vor kurzem öffentlich dazu aufgerufen, in den Blättern des Repubblica-Verlags, zu dem auch der Espresso gehört, keine Anzeigen mehr zu schalten. "Ein Klassiker", meint Jean-Marie Colombani, ehemaliger Chefredakteur von Le Monde und jetzt bei Slate.fr, im Interview mit Gigi Riva. "Das ist schon in Spanien und Frankreich passiert. Interessant daran ist, dass Berlusconi hier wie der Chef einer Firma und nicht wie ein Politiker reagiert hat. So machen es alle weniger gewieften Bosse, wenn sie sich einer feindlichen Presse gegenüber wähnen. Wenn ich zum Beispiel in einem Automagazin verkünde, dass es ein bestimmtes Modell aus der Kurve trägt, fragt der Chef des Herstellers nicht nach der Wahrheit, sondern droht mit dem Wegfall der Anzeigen. Die Politiker, die sich gegen die Presse wenden, kommen jedoch nie sehr weit. Das beweist die jüngste europäische Geschichte."

Magazinrundschau vom 26.05.2009 - Espresso

Casa Pound, das Haus Pound, so nennt sich eine intellektuell verbrämte rechtsradikale italienische Bewegung, die sich als die Faschisten des dritten Jahrtausends sehen. Ihr Hauptquartier ist in Rom, von dort aus missionieren sie Italien. Jetzt gibt es mit "OltreNero" eine große Bildreportage (einige Fotos hier) über die Gruppierung, die sich unter anderem auf Ezra Pound beruft. Gianluca Di Feo schreibt dazu: "Alles ist ihnen Faschismus. Einige leben ihn nach nostalgischen Werten. 'Für uns ist Mussolini immer noch eine Referenz, ein Beispiel. Wir sind heute der Beweis für die Aktualität dieser historischen und politischen Periode. Wir zeigen, dass es den Faschismus heute immer noch gibt.' Andere versuchen ihn derweil in moderneren und angepassten Tönen zu beschreiben. 'Die Sprache muss sich ändern, vom keltischen Kreuz sind wir beim Schildkrötensymbol der Casa Pound angekommen, aber es besteht nach wie vor die Dringlichkeit, den Neofaschismus zu verjüngen, und da ist die Sprache das Manifest, die Aktion, sie ist alles. Marinetti hat uns das gelehrt.' Sie fühlen sich als Sieger, überzeugt dass sie rechts von sich keine Rivalen mehr haben. 'Casa Pound ist die Kirche aller Ketzer, denn wir wollen, dass der Faschismus als große kulturelle Bewegung wahrgenommen wird.'"
Stichwörter: Faschismus, Pound, Ezra

Magazinrundschau vom 05.05.2009 - Espresso

Wie inzwischen jeder weiß, will sich Silvio Berlusconis Frau Veronica Lario scheiden lassen. Die mit dem Espresso verbandelte Tageszeitung Repubblica rühmt sich, die Trennung mit einem Artikel vom 28. April ausgelöst zu haben. Der enthüllte, "wie der Premierminister in der Nacht zum Sonntag eine Villa in Casoria besucht hat, wo man den 18. Geburtstag von Noemi Letizia feierte. Sie ist schön, blond, studiert Werbedesign an der Universität von Neapel und träumt von einer Fernsehkarriere, und zwar so sehr, dass sie ein 'Buch' mit Fotos von sich an den Premierminister persönlich schickte. Das Fotoalbum hat den Funken überspringen lassen. Das Mädchen nennt Berlusconi 'Papi'. Zu den Journalisten sagte sie später, dass sie ihn seit längerem kenne und immer wieder mal in Mailand oder Rom treffe, 'weil der Arme so viel arbeitet und nicht immer nach Neapel kommen kann'. Der Cavaliere schenkte ihr eine Kette aus gelbem und weißem Gold mit einem Brillantanhänger." Veronica Lario reagierte recht trocken auf die nächtlichen Ausflüge ihres 72-jährigen Noch-Ehegatten: "Das hat mich wirklich erstaunt, denn er kam nie zu irgendeinem 18. Geburtstag seiner Kinder, obwohl er eingeladen war", sagte sie La Stampa.
Stichwörter: Neapel, Berlusconi, Silvio

Magazinrundschau vom 21.04.2009 - Espresso

Der in New York lebende Autor und Journalist Suketu Mehta appelliert an den eigenen Berufsstand, die Welt vor den Bankern zu retten. Wir müssen uns die Begriffe zurückerobern, erklärt Mehta. "Wenn der Wirtschaftsteil einer Zeitung so unverständlich wird wie eine wissenschaftliche Publikation, dann sollte uns das stutzig machen. George Orwell hat in 'Politics and the English Language' auf die Ausbreitung des Fachjargons hingewiesen, der benutzt wird, um Übeltaten und Tyrannei zu verschleiern. 'In der heutigen Zeit werden politische Diskurse vor allem dazu benutzt, das Unhaltbare zu verteidigen', schreibt Orwell. Wenn wir heute das Wort 'politisch' durch finanziell' ersetzen, erhalten wir eine Analyse der Sprache unserer modernen Wirtschaft (...). Wie Tolstoi über die napoleonischen Kriege geschrieben hat, so müssen unsere heutigen Romane die Finanzkriege des 20. Jahrhunderts verstehen und vermitteln. Unsere Demokratie hängt davon ab, dass normale Leute die Sprache der Elite verstehen."

Magazinrundschau vom 07.04.2009 - Espresso

Nach zwanzig Jahren ist es vielleicht endlich soweit: In Italien denkt man ernsthaft darüber nach, dass Berufungssystem für Professoren zu entstauben, das bisher mehr auf Beziehungen als auf Qualifikation angelegt war. Eine offene Liste einer nationalen Jury, von der sich die Unis bedienen können, soll die Vetternwirtschaft verringern. Gute Idee, kommentiert Umberto Eco mit sichtlicher Genugtuung. Er war schon vor zwanzig Jahren dafür. "Was spricht dagegen? Dass eine offene Liste intriganten oder debilen Funktionären die Möglichkeit geben würde, auch Kretins zuzulassen. Sicherlich, kein menschliches Gesetz hat es je vermocht, Kretins davon abzuhalten, verantwortungsvolle Positionen zu erlangen. Aber die offene Liste würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Guten weiterkommen, denn ein Funktionär, der behauptet, sagen wir Pascal oder Descartes wären unwürdig, auf die Liste zu kommen, müsste diese Ansicht öffentlich begründen. Und jeder weiß, dass es ihm so ergehen könnte wie dem Kritiker im 19. Jahrhundert, der Beethovens Fünfte als 'Orgie des Lärms und der Vulgarität' abkanzelte."

Magazinrundschau vom 31.03.2009 - Espresso

Europa haben sie bereits erobert, jetzt kommen Afrika und vor allem die USA dran: Für die kalabrische Mafia, die 'Ndrangheta, sind Krisenzeiten gute Zeiten, schreibt Antonio Nicaso. Jetzt können sie expandieren. Vor Ort sind sie schon lange. "Heute herrscht die 'Ndrangheta in den Vereinigten Staaten, ohne dass sie Befehle geben. Und sie kommunizieren, ohne zu reden. Wie kürzlich in Manhattan: Ein Broker der 'Ndrine wurde am Tisch eines Restaurants beobachtet, in Begleitung von drei Drogenhändlern. Der kalabrische Broker und die drei mexikanischen Drogentypen haben erstmal Fisch bestellt und dann begonnen, mit ihren Blackberrys Textnachrichten per ptt - push to talk - auszutauschen. Eines der wenigen Systeme, das man ebenso wie Skype nicht abhören kann. Sie blieben praktisch das ganze Essen lang stumm, von der Languste bis zum Krabbencocktail, und schickten sich Textnachrichten, um ihre Geschäfte abzuwickeln. High Tech und Blutsbande - die Kraft der 'Ndrangheta liegt genau darin: sich an jede Situation anzupassen ohne ihre Wurzeln zu verraten, ohne vom Vorbild der 'ehrenwerten' Gesellschaft mit Regeln und Werten abzuweichen, wie sie von der Mitte des 19. Jahrhunderts an von Vater zu Sohn weitergegeben wurde."
Stichwörter: Mafia, Ndrangheta, Blackberry

Magazinrundschau vom 24.03.2009 - Espresso

Umberto Eco attestiert seinem Lieblingsfeind Silvio Berlusconi eine Obsession für den eigenen Körper. Eco erinnert der Körperkult an frühere und zum Glück längst vergangene Zeiten. "Wenn es eine Ähnlichkeit zwischen Berlusconi und Mussolini gibt (um niemanden auf die Barrikaden zu bringen, wir glauben nicht, dass Berlusconi faschistisch ist, sondern dass er wie Mussolini eine populistische Beziehung mit der Masse eingehen will und die parlamentarischen Institutionen schleift, sie in einem Fall abschaffen lässt und in einem anderen Fall abwertet), dann liegt sie in der fast schon manischen Kontrolle des eigenen Bildes (...) Der fundamentale Unterschied zwischen Mussolini und Berlusconi ist, dass erster seinen eigenen Körper einsetzte, die nackte Brust inbegriffen, wie Mama ihn geschaffen hatte. Seinen kahlen Kopf betonte er sogar. Bei Berlusconi dagegen überwiegt das Element des Cyborgs; die moderne Veränderung der eigenen Natur erlaubt es ihm, von der Transplantation der Haare bis zum Lifting, sich seinen Anhängern als mineralisiertes, alterloses Bild zu präsentieren."