Magazinrundschau - Archiv

L'Espresso

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Magazinrundschau vom 31.05.2011 - Espresso

Silvio Berlusconi ist nach den Kommunalwahlen auf dem absteigenden Ast. Reicht es zum Rücktritt? Umberto Eco versucht mit beißendem Spott nachzuhelfen. Dabei nennt er ihn im ganzen Artikel nicht einmal beim Namen. Er zitiert einfach aus Jonathan Swifts "Kunst der politischen Lüge": "Wie auch der schlechteste Autor seine Leser hat, so gibt es immer welche, die auch dem größten Lügner Glauben schenken. Oft reicht es schon, dass eine Lüge nur eine Stunde klang geglaubt wird, dann hat sie ihren Dienst getan und es braucht keine zweite (...) Wenn die Leute merken, dass sie übers Ohr gehauen wurden, ist es schon zu spät (...) die Geschichte hat das gewünschte Ergebnis gebracht." Ecco selbst bringt das Beispiel eines Autohändlers, der einem Mann ein Modell erst als rasanten Flitzer anpreist. "Als er sieht, dass die Ehefrau, Schwiegermutter und die zum Gucken dazukommen, wird er sofort bemerken, dass der Wagen andererseits sehr ruhig auf der Straße liege und andererseits so spursicher sei, dass man kaum noch lenken müsse. Und außerdem: Wenn Sie ihn kaufen, gebe ich Ihnen die Fußmatten obendrauf."

Magazinrundschau vom 03.05.2011 - Espresso

Am 13. April veröffentlichte die International Herald Tribune eine polemische Wortmeldung gegen Bernard-Henri Levy und den Krieg in Libyen, die ihnen von Umberto Eco per Mail geschickt wurde (online ist er nicht mehr, hier der Nachhall bei Twitter). Es war aber gar nicht Eco.Was ist noch wahr im Netz, fragt er sich nun in seiner Kolumne. "Es scheint dass Mister X den gefälschten Brief an die Herald Tribune unter Verwendung einer E-Mail-Adresse gesendet hat, die er vorher mit größter Leichtigkeit selbst eingerichtet hat. Allerdings hat er seine echte Mobiltelefonnummer angegeben. Kontrolliert hat die niemand. Erst ein paar Tage später haben die Zweifel eingesetzt und die Zeitung hat sich bei mir gemeldet und gefragt, ob der Brief vielleicht eine Fälschung sei. Ich sagte ja, und die Zeitung hat sofort eine Gegendarstellung veröffentlicht." Die Wahrheit ist nicht unbedingt der Normalfall im Internet, sagt Eco. "Das Internet ist zu einem anarchischen Territorium geworden, wo man alles behaupten kann, ohne Lügen gestraft zu werden. Wenn es aber so schwierig ist festzustellen, ob eine Meldung im Netz wahr ist, ist es erst einmal ratsam anzunehmen, sie sei falsch."

Magazinrundschau vom 25.01.2011 - Espresso

Umberto Eco nimmt den Diskussionsfaden auf, den Alex Ross vom New Yorker gedreht und den Alessandro Baricco vor zwei Wochen in der Repubblica weitergesponnen hat. Es geht um die Frage, warum zum Teufel der unverständliche Joyce gelesen und der unbegreifliche Pollock bewundert, der gute Arnold Schoenberg aber von allen verschmäht wird. Ist atonale Musik inkompatibel zum menschlichen Gehirn? Nein, sagt Eco, das ästhetische Empfinden ist ziemlich biegsam. "Ein Kind aus der westlichen Hemisphäre, das von Beginn an mit gegenständlicher Kunst aufgewachsen ist, wird, falls ein mutiger Lehrer ihm im Alter von sieben Jahren einen Pollock zeigt, trotzdem in der Lage sein, ihn zu schätzen und sogar nachzuahmen (Ich habe den Beweis). Warum? Weil es nicht stimmt, dass wir von Natur aus figürlich denken, wir sehen Beispiele abstrakter Darstellungen auf den Tischdecken oder auf mütterlichen Schürzen und Kopftüchern, und deshalb sind wir von Kind an in der Lage, Mondrian zu schätzen. Und Pollock? Er machte genau das, was Kinder liebend gerne machen, ein Kind liebt das zu tun, was er tat. Und warum sollte das gleiche Kind nicht Schönberg mögen? Eine Antwort ist, dass unser Gehirn nur die tonale Musik als natürlich empfindet. Aber in diesem Fall wären die meisten außereuropäischen Kinder und vor allem die Schotten falsch verdrahtet."

Magazinrundschau vom 16.11.2010 - Espresso

Was sind das für Zeiten, klagt Umberto Eco, in denen kein Italiener mehr Palmiro Togliatti von Alcide De Gasperi unterscheiden kann. (Von Nicht-Italienern ganz zu schweigen.) Oder kein Student mehr lacht, wenn die Professoren Woody Allen zitieren. Auch die Presse, ja die ganz besonders, ist geschichtsvergessen, schimpft er. "In einer Zeitung habe ich zwei Fotos gesehen, eines von einem Lastwagen mit Partisanen [des Zweiten Weltkriegs] und das andere von einer Truppe in groben Wollsachen, die den römischen Gruß zeigen und als Squadristen [Schwarzhemden] bezeichnet werden. Allerdings gab es Squadristen nur in den Zwanzigern und diese Wollkleidung trugen sie auch nicht. Was man auf dem Bild sieht, ist eine faschistische Miliz aus den dreißiger oder den frühen vierziger Jahren, was jemand meines Alters leicht erkennt. [...] Dass in den heutigen Redaktionen nur Geschichtsblinde arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen. Dennoch ist es so, und dafür verantwortlich sind nicht die Zeitungen, sondern die Geschichte selbst - oder eine Gegenwart ohne Gedächtnis."

Magazinrundschau vom 05.10.2010 - Espresso

Lautstarke Proteste bei Sakineh Ashtiani, Totenstille bei Teresa Lewis. Wenn wir schon gegen die Todesstrafe sind, dann hätten wir auch die Frau retten müssen, die den Mord an ihrem Mann und ihrem Stiefsohn beauftragte, poltert Umberto Eco in seiner Bustina. "Ich würde gerne wissen, ob die ganzen Vertreter des Abendlands, unter ihnen eine veritable französische First Lady, neben der iranischen auch gegen die amerikanische Todesstrafe protestierten. Ich würde mal schätzen: Nein. Denn die Todesurteile in den Vereinigten Staaten - von China müssen wir gar nicht reden - sind zu zahlreich und wir haben uns längst an sie gewöhnt, wohingegen die Vorstellung einer Frau die zu Tode gesteinigt wird, eine viel größere Wirkung hat. Ich muss zugeben, als ich um eine Unterschrift gebeten wurde, um die Steinigung der Iranierin zu verhindern, habe ich es sofort getan, wusste aber nicht, dass zur gleichen Zeit eine Frau aus Viriginia umgebracht wird. Hätten wir genauso protestiert, wenn die iranische Frau zu einer friedlichen Todesspritze verurteilt worden wäre? Regen wir uns über die Steinigung auf oder darüber, dass jemand getötet wird, weil er nicht das fünfte, sondern dass sechste Gebot verletzt hat? Ich weiß es nicht, nur dass unsere Reaktionen häufig instinktiv und irrational sind."
Stichwörter: Eco, Umberto, Todesstrafe

Magazinrundschau vom 14.09.2010 - Espresso

Umberto Eco ist ein bekannter Mann. So bekannt, dass auch mal der schlichte Besuch eines chinesischen Restaurants "in Anwesenheit eines unbekannten Tischgenossen" minutiös dokumentiert wird, und das in der Mailänder Tageszeitung Il Giornale. Eco fällt da gleich die Berichterstattung über einen Ermittlungsrichter ein, der in einer Nachrichtensendung des Berlusconi-eigenen Senders Canale 5 beim Besuch seines Friseurs mit versteckter Kamera gefilmt wurde. "Redete man schlecht über ihn? Nein. Aber warum ging er denn in türkisfarbenen Socken zum Barbier (wohingegegen die unbescholtenen Bürger höchstens mit amarantfarbenen Socken unterwegs sind), und warum um Gottes Willen wirkt er so als würde er dauernd eine verschlüsselte Nachricht schicken? Das Ganze ist nicht Pulitzerpreis-verdächtig, aber für Personen mit kurzen Socken reicht diese journalistische Technik aus." Eco fühlt sich gerade ähnlich behandelt. "Was soll das mit meinem 'unbekannten Tischgenossen'?. Was bilde ich mir ein, dass ich unsere Namen nicht auf Schilder drucke und aufstelle? Warum trifft man mich hier an? (nachdem man vielleicht den Monat zuvor schon Guido Rossi über den Weg lief)? Warum in einem chinesischen Restaurant, wie in einem Roman von Dashiell Hammett, warum nicht gutbürgerlich? Das macht er also, der 'Spitzenprogressive'. Auf die Wachsamkeit der Presse können wir bauen." Ach ja, Il Giornale gehört nicht Silvio Berlusconi. Sondern seinem Bruder Paolo.

Magazinrundschau vom 24.08.2010 - Espresso

Es gibt zwar ein italienisches Online-Lexikon berühmter Frauen, was aber noch fehlt, ist eines der Ehefrauen, sagt Umberto Eco. Schließlich hat jeder große Denker den einen oder anderen Partner gehabt und wurde von ihm beeinflusst. "Wenn man die zölibatären Kirchendenker einmal ausnimmt und auch die geradeheraus Homosexuellen wie Cyrano de Bergerac oder Wittgenstein, dann war wirklich nur einer der Großen wirklich überzeugter Junggeselle, und das war Kant. Man würde es nicht glauben, aber sogar Hegel war verheiratet, er war sogar ein Frauenheld, mit einem unehellichen Sohn, und ein guter Esser noch dazu. Ganz zu schweigen von Marx, der ja abhängig war von seiner Jenny von Westphalen. Ein Problem bleibt: Was war der Einfluss von Gemma auf Dante, von Helena auf Descartes, ganz zu schweigen von all den anderen Ehefrauen, von denen die Geschichte schweigt? Wenn alle Werke von Aristoteles in Wahrheit Erpilida geschrieben hat? Wir werden es nie wissen."

Magazinrundschau vom 10.08.2010 - Espresso

Wie schon vor dreißig Jahren - das wird mit nicht geringem Stolz vermerkt - sieht Umberto Eco auch 2010 keinen Anlass, den Tod des Buches auszurufen. Jetzt hat er aber neue demografische Argumente: Es werden immer mehr Leser, und das vor allem in Low-Tech-Gebieten. "Es wird eine Doppelherrschaft des Geschriebenen geben, auf dem Schirm und auf Papier, auf jeden Fall wird die Zahl derer, die lesen lernen, astronomisch in die Höhe schnellen - man muss sich nur mal vor Augen führen, dass sogar die SMS mächtige Alphabetisierungsinstrumente sind. Und falls sich der Analphabetismus im dekadenten und malthusianischen Alteuropa tasächlich erhöhen sollte, gibt es Milliarden neue Leser in Asien und Afrika. Und wer rittlings auf einem Baumstamm im subtropischen Regenwald sitzt, der nimmt vielleicht besser ein Buch aus Papier als aus Schaltkreisen zur Hand." Die Frage ist allerdings, ob es in den neuen Megastädten Afrikas und Asiens noch so viele Baumstämme gibt.

Magazinrundschau vom 15.06.2010 - Espresso

Inspiriert durch einen Artikel von Angelo Panebianco im Corriere della Sera überlegt Umberto Eco, ob die Wissenschaft voller Dogmen beziehungsweise Paradigmen steckt, die das Aufdecken der Wahrheit behindern. Paradigmen haben auch ihr Gutes, sagt Eco mit Blick aufs Internet. "Alle denkbaren Inhalte sind ungeordnet verfügbar, und so kann sich jeder seine eigene persönliche Enzyklopädie zusammenstellen, mit einem eigenen frei wählbaren System aus Glaubenssätzen, Feststellungen und Werten. In dieser Enzyklopädie könnte stehen, wie es bei vielen menschlichen Wesen der Fall ist, dass Wasser H2O ist oder aber dass die Sonne sich um die Erde dreht. In der Theorie könnte man also bei sechs Milliarden verschiedenen Enzyklopädien anlangen, und die menschliche Gesellschaft könnte aus sechs Milliarden Indviduen bestehen, die alle eine verschiedene Sprache sprechen, die nur der Sprecher selbst versteht. Das ist nur ein Gedankenspiel, aber genau deswegen unterhält die Wissenschaft eine gemeinsame Sprache, in dem Bewusstsein, dass ein Paradigma erst dann umgeworfen werden kann, wenn es überhaupt ein gemeinsames Paradigma gibt, dass man umwerfen kann. Paradigmen zu verteidigen birgt sicherlich die Gefahr des Dogmatismus, aber auf diesem Widespruch gründet unser Wissen. Um voreilige Schlussfolgerungen zu vermeiden, halte ich es mit dem Wissenschaftler, der am Ende von Panebianco zitiert wird: 'Keine Ahnung, ein komplexes Phänomen, das muss ich mir anschauen.'"

Magazinrundschau vom 25.05.2010 - Espresso

Aus den USA kommt eine Kampagne, die dazu aufruft, wegen der militärischen Vorgehensweise der israelischen Regierung die akademischen Kontakte zu Israel abzubrechen. Der italienische Ableger dieser Aktion bringt Umberto Eco in seiner Bustina di Minerva auf die Palme. "Ich habe gesehen, dass mein Freund Gianni Vattimo bei der Neuauflage des Boykottaufrufs mitmacht. Nehmen wir einfach mal an (nur so zum Spaß!), dass in einigen Ländern davon geredet wird, dass die Regierung Berlusconi das heilige Prinzip der Demokratie und der Gewaltenteilung angreifen will, indem es die Justiz entmachtet, und dass sie dabei auf die Unterstützung einer eindeutig rassistischen uund xenophoben Partei baut. Wie würde es Vattimo gefallen, wenn ihn die amerikanischen Universitäten aus Protest gegen diese Regierung nicht mehr als Visiting Professor einladen würden und spezielle Komitees seine Publikationen aus den amerikanischen Bibliotheken verbannen würden? Ich glaube, er würde Foul schreien und bestätigen, dass dieses Vorgehen das Gleiche ist, als würde man alle Juden für den Gottesmord verantwortlich machen, bloß weil der Sanhedrin an diesem heiligen Freitag ausnehmend übel gelaunt war. Es stimmt nicht, dass alle Rumänen Vergewaltiger sind, alle Priester Pädophile und alle Heidegger-Exegeten Nazis."