Magazinrundschau - Archiv

L'Espresso

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Magazinrundschau vom 20.04.2010 - Espresso

E- und U-Kultur, wer braucht eine derartige Unterscheidung, fragt Umberto Eco. Eine Beethoven-Sonate werde zum Klingelton, während Italiens erster internationaler Popstar Alberto Rabagliati mit seinem unvergesslichen "Non dimenticar le mie parole" heute etwas für Feinschmecker sei. Interessant ist auch Dwight Macdonald, den Eco zitiert, der in den 60ern zwischen Hoch- und Massenkultur eine dritte Ebene einzog; den Midcult. "Die Hochkultur, nur damit Sie es wissen, war laut Macdonald repräsentiert von Joyce, Proust, Picasso, während der 'Masscult' von Hollywood-Ausschussware dominiert wurde, von den Titelblättern der Saturday Evening Post und vom Rock (Macdonald war einer jener Intellektuellen, die keinen Fernseher besaßen. Die aufgeschlossensten hatten einen in der Küche stehen). Die dritte Ebene, der Midcult, war eine Mittelkultur, die aus Unterhaltungsware bestand, die auch Anleihen bei der Avantgarde machte, im Grunde aber Kitsch war. Zu diesen Midcult-Produkten zählt Macdonald für die Vergangenheit Alma Tadema und Rostand, für seine zeitgenössische Gegenwart Somerset Maugham, der späte Hemingway und Thornton Wilder."

Magazinrundschau vom 23.03.2010 - Espresso

Der Historiker Ernesto Galli della Loggia hat kürzlich Berlusconis Partei, die Popolo della Liberta von Ministerpräsident Silvio Berlusconi harsch kritisiert. Zwei Tage schlugen die PdL-Politiker Sandro Bondi, Ignazio La Russa und Denis Verdini zurück und warfen ihm vor, er sei nur ein nutzloser Intellektueller, der keine Ahnung habe, wie es im richtigen Leben zugeht, erzählt Umberto Eco der hier eine historische Kontinuität in der abfälligen Behandlung von Intellektuellen wittert. "Für die Gegner von Dreyfus war ein Intellektueller jemand, der zwischen Büchern und Abstraktionen lebte und keinen Bezug mehr zur Wirklichkeit hatte (und deshalb lieber schweigen sollte). Diese negative Konnotation hört man aus den Polemiken der Epoche heraus und in erstaunlicher Übereinstimmung auch aus dem offenen Brief von Bondi, La Russa, Verdini. Ich glaube nicht, dass die drei Unterzeichner, selbst wenn sie zweifellos selbst Intellektuelle sind (immerhin benutzen sie den Begriff 'selbstreferenziell'), sich mit diesen vor hundert Jahren wogenden Debatten auskennen. Sie tragen in ihren Genen einfach die Erinnerung an liebgewordene Tiraden mit sich herum, wonach zum Beispiel jeder ein dreckiger Intellektueller ist, der nicht ihre Meinung vertritt."

Magazinrundschau vom 23.02.2010 - Espresso

Umberto Eco sorgt sich um die Gesellschaft. Er hat "Porno" in Goggle eingegeben und mehr Treffer als für Jesus und Religion zusammen bekommen. Sex wird zu unserem Hauptantrieb und Ziel, fürchtet Eco. Bei Julius Cäsar, Ludwig XIV., Vittorio Emanuel II. und den Kennedys war das noch anders: "All diese großen Männer schienen die Frau als Rückzugsort des Kriegers zu betrachten: Zuerst einmal musste Baktrien erobert, Vercingetorix erniedrigt, von den Alpen bis zu den Pyramiden triumphiert und Italien vereint werden. Der Sex kam obendrauf, wie ein Martini Straight up nach einem anstrengenden Tag. Die Mächtigen von heute scheinen dagegen in erster Linie einen Abend mit einem Showsternchen anzustreben, zur Hölle mit den großen Aufgaben oder dem Lebenswerk."
Stichwörter: Eco, Umberto, Ludwig XIV, Porno

Magazinrundschau vom 02.02.2010 - Espresso

Umberto Eco liebt Gottes großen Zoo. Am meisten die exotischen, etwas schrägen Exemplare. Zum Beispiel jene Gruppe von Besserwissern, die sich auch lange nach Kopernikus nicht mit der Erde als Kugel und der Sonne als Zentrum abfinden wollen. "Wer die kopernikanische These bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ablehnte, war in guter Gesellschaft, oft Seite an Seite mit renommierten Gelehrten. Die meisten Abhandlungen erschienen aber erst im 19. und 20. Jahrhundert und sind außerordentlich interessant. Da gibt es etwa den Abt Matalene, der im Jahr 1842 nachwies, dass die Sonne einen Durchmesser von 32 Zentimetern besitzt (das hat im übrigen schon Epikur behauptet, nur 22 Jahrhunderte früher), oder Victor Marcucci, für den die Erde flach war, und zwar mit Korsika in der Mitte (...) Im Jahr 1956 gründete ein Mitglied der Royal Astronomical Society, Samuel Shenton, die Flat Earth Society (die immerhin einen Twitter-Account hat). In den Sechzigern hatte die Nasa Bilder mit der Ansicht der Erde vom Weltraum aus veröffentlicht und nun konnte keiner mehr behaupten, sie sei nicht rund. Doch Shenton meinte, dass diese Bilder nur den Laien täuschen könnten: Das gesamte Weltraumprogramm sei eine Montage, und die Mondlandung ein cineastisches Kabinettstückchen, das die Öffentlichkeit dazu bringen soll, an eine runde Erde zu glauben." Shentons Nachfolger, Charles Kenneth Johnson, glaubte, "dass im Falle einer runden Erde ja eine größere Wasseransammlung auch gebogen sein müsste. Er aber habe die Oberflächen des Lake Tahoe und der Salton Sea überprüft und nicht die Spur einer Krümmung entdeckt."

Magazinrundschau vom 12.01.2010 - Espresso

In Italien führt die Attacke auf Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu tiefgreifenden Feuilletondebatten über die Rolle der Medien als Unruhestifter und Aufpeitscher der Massen. Das Interesse an den Niederungen des Menschlichen ist nichts Neues, meint Umberto Eco, allerdings seien die Zeitungen heute viel zu aufgebläht. Ein Thema werde im Blatt auf zehn verschiedene Arten abgefeiert, Unwichtiges weit über das Maß aufgeblasen. "Der Sieg der Tageszeitungen über die wöchentlichen Magazine, die sogenannte 'Verwöchentlichung' (ebenfalls ein Problem des Zuviel, das daher rührt, dass das Fernsehen den Tageszeitungen das Privileg der puren Berichterstattung weggenommen hat), hat einerseits die wöchentlichen Magazine in eine Krise gebracht, andererseits die Tageszeitungen unlesbar gemacht."

Magazinrundschau vom 05.01.2010 - Espresso

Italien denkt immer noch über das Statuetten-Attentat auf Ministerpräsident Silvio Berlusconi nach. Die Rede ist von Hass und Gegenhass, den die politischen Gegner schüren, aber ist es wirklich das, fragt sich Umberto Eco in seiner Bustina di Minerva. "Was charakterisiert also die italienische Politik der Gegenwart? Die schäbige Art, in der Rivalität (ja, Hass ist hier oft dabei) zu einer Manifestation des Zivilisationsverlustes führt. Denn es ist ein Unterschied, ob man allen Ernstes den Kopf von Danton fordert oder ob man im Parlament Mortadella mampft, Schweine neben muslimischen Kultstätten grasen lässt, politische Urteile von sexuellen Gewohnheiten abhängig macht oder lieber Vulgäres als Geistreiches von sich gibt (wenn wir einen Politiker befragen, zeigt sich, dass er mehrere Dialektausdrücke für den kleinen Freund des Mannes kennt, aber sonst nichts Substanzielles parat hat). Hier sind wir, wie es der Guardian ausdrückte, bei einer 'Politik nach Hurenart' angekommen." Und Eco schließt. "Der Hass mag nach wie vor eine starke Leidenschaft sein, doch wir leiden an einem Dünnschiss der guten Manieren."

Magazinrundschau vom 22.12.2009 - Espresso

Nach der Attacke auf Silvio Berlusconi polemisieren Regierungsmitglieder gegen angebliche Anti-Berlusconi-Hasskampagnen im Internet. Andrea Botta ruft seine Landsleute zum Sit-In-auf: Einen Tag vor Weihnachten soll in Rom gegen die Pläne der Mitte-Rechts-Parteien protestiert werden, das Internet zu kontrollieren und zu beschneiden. "Schon in den vergangenen Monaten haben einige Abgeordnete des Mitte-Rechts-Blocks versucht, neue Regelungen einzuführen, die die Freiheit im Netz beschneiden würden (...) Noch weiß niemand, wie die Regelungen aussehen, die im Gesetzentwurf enthalten sind, den Innenminister Roberto Maroni als Reaktion auf den Fall Tartaglia angedroht hat." Massimo Tartaglia hatte Premierminister Silvio Berlusconi am 13. Dezember mit einer Statuette geschlagen und ihm die Nase gebrochen. "Die Schließung einiger Facebook-Gruppen nach dem Fall Tartaglia sorgt weiter für Aufruhr. Einige Hassseiten gegen Berlusconi mögen tatsächlich geschlossen worden sein, aber Dutzende weitere bleiben bestehen (zum Beispiel: 'Lasst uns Balotelli töten'), gegen die die italienische Regierung noch nicht vorgegangen ist. Man überlegt offenbar, neben der Einführung neuer Beschränkungen, mit den Betreibern der Seiten direkt zu verhandeln (von Google bis YouTube, und natürlich Facebook), um die Entfernung ungewünschter Seiten zu erlangen. Weiterhin wird ein Vorschlag des Vizeministers Paolo Romani diskutiert, Livestream-Inhalte für genehmigungspflichtig erklären zu lassen und sie damit den gleichen Regelungen wie Privatfernsehen zu unterwerfen. Diese Regelung, die Hunderten von Blogs und Websites die Flügel stutzen würde, offenbart auch noch einen Interessenkonflikt des Premiers, da sie die großen Unternehmen bevorzugen würde, die in Zukunft Inhalte auch übers Internet anbieten wollen: wie etwa Mediaset, das eine Seite in der Art des amerikanischen Videodienstes Hulu vorbereitet."
Stichwörter: Berlusconi, Silvio, Flügel

Magazinrundschau vom 15.12.2009 - Espresso

In Italien geht es hoch her, Umberto Eco muss gar nichts mehr erfinden, um seine Bustina di Minerva zu füllen. Silvio Berlusconi wurde mit einer Miniaturausgabe des Mailänder Doms die Nase gebrochen, während sein Minister für öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, allen Moderatoren der öffentlich-rechtlichen Sender künftig nur noch ein Einheitsgehalt bezahlen will. Eco erinnert das an Stalin, Lenin und Pol Pot gleichzeitig. Was würde passieren? "Die Rai würde alle gleich bezahlen und natürlich würde der Sender auf Grund laufen. Mit den abgewürgten Gehältern bei Rai könnte auch Mediaset seine Löhne senken, dabei aber immer noch einen ausreichenden Abstand einhalten, damit keiner der besseren Moderatoren in die Versuchung gerät, zu Rai zu wechseln. Die erfolgreicheren Moderatoren von Rai dagegen haben allen Grund, mit wehenden Fahnen zu Mediaset überzulaufen. Bei der Rai bleiben nur die weniger beliebten. Und genau an diesem Punkt würde ich, falls ich Berlusconiu wäre, Brunetta seine Datscha spendieren, denn sein Plan zur Vernichtung von Rai ist bewundernswert und und virtuos. Ach was, zwei Datschen!"

Magazinrundschau vom 01.12.2009 - Espresso

Umberto Eco hat es ja nicht so mit der Kirche, aber seinen Moses sollte man schon von seinem Matthäus unterscheiden sollen, meint er. Ansonsten hat man im Museum nicht viel Freude. "Drei Viertel der westlichen Kunst sind überhaupt nicht zu verstehen wenn man nicht weiß um was im Alten und im Neuen Testament gegangen ist und in den Geschichten der Heiligen. Wer ist die Frau mit den Augen auf einem Teller, kommt sie direkt aus der Nacht der lebenden Toten? Und der Ritter, der einen Mantel entzwei schneidet, fährt der eine Anti-Armani-Kampagne? In vielen kulturellen Situationen lernen die Schüler und Schülerinnen alles über den Tod des Hektor, aber nichts über den Tod des Heiligen Sebastian, alles vielleicht über Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia und nichts über die Hochzeit zu Kana? In einigen Ländern gibt es eine starke Tradition der Biblellektüre, und die Kinder wissen alles über das Goldene Kalb, aber nichts über den Wolf des Franziskus von Assisi." Gut, dass es das Internet gibt, wo man schnell nachschlagen kann.

Magazinrundschau vom 24.11.2009 - Espresso

Die Presse in der Türkei ist alles andere als frei. In der aktuellen Rangliste der "Reporter ohne Grenzen" belegt das Land den 122. von 175 Plätzen. Demnächst könnte es noch weiter abrutschen, glaubt man Soli Ozel, der heftig gegen Premier Recep Tayyip Erdogan wettert. Der scheint nämlich den Krieg gegen den Medienkonzern von Aydin Dogan sogar schon vor dem Fälligwerden der kürzlich verhängten Milliarden-Steuerstrafen gewonnen zu haben. "Dem Premierminister ist es gelungen, Dogans Kontrolle über die Zeitungsgruppe zu schwächen, indem er es einigen Geschäftsleuten in seinem Umkreis nahe gelegt und ermöglicht hat, einige der Zeitungen und Fernsehkanäle der Dogan-Gruppe aufzukaufen. Die türkische Medienlandschaft ist demzufolge heute vielfältiger, zumindest in Bezug auf die Eigentümer. Aber die neuen Käufer sind tatsächlich unkritische Unterstützer der regierenden Politiker. Die Zeitungen und Fernsehsender der Dogan-Gruppe stellen die wichtigsten - wenn nicht die einzigen - Plattformen dar, um eine Kritik und Opposition bezüglich der Aktionen und politischen Weichenstellungen der Regierung zu formulieren. Diesem Sprachrohr mit Hilfe der Staatsmacht einen Knebel zu verpassen ist ein Akt der puren Unterdrückung und Einschüchterung nicht nur der Verleger, sondern der ganzen Wirtschaft."