Magazinrundschau - Archiv

Elet es Irodalom

577 Presseschau-Absätze - Seite 10 von 58

Magazinrundschau vom 08.06.2021 - Elet es Irodalom

Zum fünfzigsten Todestag von György Lukács schreibt der Literaturhistoriker und Mitarbeiter des Budapester Lukács-Archivs András Kardos über die Haltung Lukács' zur Ethik: "In seinem ganzen Leben schwebte ihm die Ausarbeitung einer Ethik vor und es ist kein Zufall, dass daraus lediglich Fragmente und Vorarbeiten entstanden. Doch wenn wir die Frage uns so stellen, ob es möglich sei, auch als Kommunist nach der Maxime der Einhaltung des anständigen Benehmens zu streben, dann muss die Antwort lauten, dass es möglich ist. 'Mein Interesse an Ethik führte (mich) zur Revolution', sagt Lukács am Ende seines Lebens." Kardos geht auf die Schwierigkeiten Lukács' mit der Partei ein: Dass er immer wieder Schwierigkeiten bekam, bedeute "nichts anderes, als dass Moskau und Budapest darauf aufmerksam wurden, dass sie mit Lukacs seit Jahrzehnten eine 'Schlange der Autonomie' an der Brust wärmten. Denn Lukács war einerseits ein Denker; andererseits benahm er sich aber auch in schwierigen Situationen ethisch, trotz aller taktischen Selbstkritik. Er konnte seine Ethik nicht schreiben, doch diese leben, konnte er schon. Gelebtes Denken."
Stichwörter: Lukacs, Georg, Kardos, Andras

Magazinrundschau vom 01.06.2021 - Elet es Irodalom

Der Dichter, Kritiker und Redakteur Tamás Korpa war bis vor kurzem Co-Vorsitzender des Bundes Junger Schriftsteller (FISZ) und wurde 2021 mit dem János-Sziveri-Literaturpreis ausgezeichnet. Im Interview mit József Lapis spricht er über die Beziehung seiner Texte zu Ort und Raum: "Ich orientiere mich sehr schlecht. Doch steht es außer Zweifel, dass sich der Großteil meiner Texte an gewisse Räume, Städte, Wohngemeinschaften, oder natürliche Formationen bindet. Diese verfügen über sammelnde und zerstrahlende Kräfte, seit geraumer Zeit beschäftige ich mich und träume mit ihnen, manchmal besuche ich sie, wenn ich sie gerade finde. Sie sind Erlebniskomplexe. (...) Diese Orte mit ihren Räumen, Traditionen und Erinnerungen sind typischerweise multikulturell, es muss also schon ein tapferer einheimischer Leser sein, der sich darin zurechtfindet. Noch dazu ist meine Position die des äußeren Außenstehenden, wenn ich es noch verschärfen darf, der über sprachliche, kulturelle, religiöse, weltanschauliche und geografische Distanzen verfügt, er weiß und kennt zwar ein wenig, aber anders. Er formt mindestens soviel, wie er auf dem 'Arbeitsgelände' deformiert."

Magazinrundschau vom 18.05.2021 - Elet es Irodalom

Die in Warschau lebende ungarische Politikwissenschaftlerin Edit Zgut beschreibt informelle Machtstrukturen in Ungarn und in Polen und erklärt, warum die Gegenwehr der EU so schwach ausfällt: "Die Europäische Kommission versteht weiterhin nicht die Essenz des ungarischen und polnischen Demokratieabbaus. Sie fokussiert weiterhin auf die formale Verletzung von Gesetzen, erkennt aber nicht dass für ein Verstehen das Nachvollziehen der informellen Seite der Politik in diesen Ländern notwendig ist. Während informelle Normen und Praktiken organische Bestandteile aller politischen Regierungen sind, stellen manche ihre Formen eine außerordentliche Gefahr für demokratische Institutionen dar. In Mittel-Ost-Europa schuf der Kommunismus ganz eigene Bedingungen für die Festigung informeller Institutionen. Das war nicht anders in Ungarn und in Polen, wo ironischer Weise zwei antikommunistische Gallionsfiguren der demokratischen Wende den Abbau der Rechtstaatlichkeit und der liberalen Demokratie vollzogen. (...) Das juristische Rahmensystem der EU eignet sich nicht dazu, den informellen Missbrauch zu hindern, noch weniger ihn zu eliminieren."
Stichwörter: Ungarn, Polen, Zgut, Edit

Magazinrundschau vom 04.05.2021 - Elet es Irodalom

In der vergangenen Woche wurde nicht nur die Umwandlung weiterer Universitäten in private Stiftungen beschlossen, sondern auch die Übertragung staatlichen Vermögens an die Universitätskuratorien, die ausschließlich von aktiven Politikern der Regierungspartei oder dem Ministerpräsidenten ergebenen Wirtschaftsakteuren bestehen (Ministerpräsident Orbán betonte in seiner wöchentlichen Radioansprache, dass "internationalistisch-globalistische" Vertreter keinen Platz in den Universitätskuratorien erhalten werden.) Beobachter meinten, dass Orbán - die kommenden Wahlen im Blick - versuche, sich auf eine mögliche Niederlage vorzubereiten und so einen Parallelstaat aufzubauen, der eine Regierung durch die Opposition unmöglich machen würde. Der Publizist János Széky zweifelt daran, dass es überhaupt zu einer Wahlniederlage von Orbán kommen kann: "In Ungarn entscheidet für unabsehbare Zeit eine Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur über die Wirtschaft, sondern auch über Schlüsselpositionen der Staatsmacht, von der 'Wahl' des Generalstaatsanwalts über das Nationale Wahlkomitee bis zum Medienrat. Meiner Meinung nach ist Demokratie etwas anderes. (...) Ja, Ungarn wurde in den vergangenen Jahren aus Mitteleuropa in jene Region verschoben, wo eine bunte Revolution nicht mehr auszuschließen ist. Doch wenn wir uns die bunten Revolutionen anschauen, brachten die romantischen Ereignisse überall bereits existierende starke Parteien an die Macht. In Ungarn fehlt aber der politische Wettbewerb, der geeignete Politiker und charakterliche Parteien entstehen lässt. Dass die Opposition nun versucht, ja dazu gezwungen wird, sich wie 'eine Partei' zu benehmen und zu agieren, soll einem nur vorgaukeln, es könne in den nächsten vierzig Jahren Freiheit geben."
Stichwörter: Ungarn

Magazinrundschau vom 20.04.2021 - Elet es Irodalom

Máté Gáspár, gegenwärtig der Direktor des Budapester Frühlingsfestivals, ist einer der wichtigsten Kulturmanager Ungarns. Im Interview mit Júlia Váradi spricht er über eine für das Land verlorene Generation von Kulturschaffenden. "Die Entwicklung des Theaters zeigt wie in einem Brennglas die gesamte gesellschaftliche Veränderungen. (...) Ich denke nicht nur an West-Europäer, sondern auch an Litauen oder Polen, die ebenfalls umsichtiger und bewusster mit ihren Talenten umgegangen sind. Eine beispiellose Blindheit, Konzeptionslosigkeit, Werteverschwendung herrscht bei uns, was dazu führte, dass man es hinbekommen hat, die Generation der Regisseure und Theaterleiter um vierzig entweder aus dem Lande zu verjagen oder in die Ecke zu drängen. Dies gefährdet sowohl die Tradierung als auch die Erneuerung von Kultur."
Stichwörter: Ungarn, Litauen

Magazinrundschau vom 13.04.2021 - Elet es Irodalom

Der Soziologe Péter Bodor (Universität ELTE Budapest) kritisiert scharf die Umwandlung der ungarischen Universitäten in private Stiftungen mit Kuratoriumsmitgliedern, die aus der Regierungspartei Fidesz kommen oder ihr geschäftlich nahe stehen: "In diesen Monaten werden den ungarischen Universitäten von außen neue Regularien aufgezwungen, für die sich nicht die Bürger der Universitäten, also nicht die Hörer, die Professoren und der akademische Mittelbau entschieden haben. Es steht außer Zweifel, dass diese Regularien das Funktionieren der Institutionen, ihr Alltagsleben und ihre Mikrosoziologie verändern werden. Die Erfinder und Überwacher der Regularien sind keine Vertreter der Bürger der Universitäten, sie sind ihnen keine Rechenschaft schuldig. Grundlage ihrer Macht ist nicht die Wahl und die Verantwortung, sondern die Spende und die Loyalität zum Orban-System (...). Es entstehen so streng kontrollierte Universitäten: Orte, an denen nicht die ausgewogene Dynamik der Innovation und Tradition, nicht die Dialektik der Disziplin und der Kreativität, nicht die aus dem Spiel des Nützlichen und Nutzlosem entstehende Fruchtbarkeit, nicht die Vereinigung von Würde und Verdienst im Vordergrund stehen, sondern Disziplin, Kontrolle und Ergebenheit."

Magazinrundschau vom 23.03.2021 - Elet es Irodalom

Nach dem Austritt der ungarischen Europaabgeordneten der Regierungspartei Fidesz aus der Fraktion der EVP, trat nun auch die Fidesz als Partei aus der EVP aus (und kam damit einem Verweis zuvor). Kurzer Zeit später verkündete der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, dass er nun bemüht sei, eine "neue europäische Rechte" aufzubauen. János Széky meint dazu: "Und da haben wir auch gleich das Problem, denn was die ungarische Regierungspropaganda als 'neue demokratische Rechte' bezeichnet ist weder neu noch demokratisch, vielmehr die Aufwärmung der katholisch gefärbten faschistischen und faschistoiden Versuche der 1930er und frühen 40er Jahre (Salazar, Dollfuß und Schuschnigg, Franco und das Vichy-Regime). ... Es kann zwar als Deckungsideologie durchgehen, doch ihre Strahlkraft wird kaum ausreichen, zumal wenn die Erfinder selbst an dem Ideenkonstrukt nicht glauben. (...) Was allerdings gelingen kann, ist ein auf das politische Machtmonopol basierender Wirtschaftserfolg und die innenpolitische Ausschaltung jeglicher Feinde."

Magazinrundschau vom 09.03.2021 - Elet es Irodalom

Im Interview mit Ádám Galambos erklärt der Maler Ákos Matzon, einer der bedeutendsten Vertreter der abstrakten Kunst in Ungarn, warum er den Begriff der Kunst oder Kultur eher eng fassen möchte: "Wenn wir von der Wurstfüllung bis Beethoven alles zur Kultur zählen, dann verwischen wir die Dinge. Zur Kultur gehören dann die klassischen griechischen Ideale ebenso wie die heutigen populistischen Ideen. Kultur ist in ihrer Gesamtheit die Voraussetzung für die Veredelung des Menschen. Es reicht nicht aus, sie bloß ästhetisch zu definieren, die ethische Annäherung ist ebenfalls sehr wichtig. (…) Jede Ära und jede Ideologie braucht Provokation. Dies ist aber eine sehr heikle Sache. Denn wenn heute etwas im Interesse einer Gruppe steht, wird dies nicht durch durch Argumente untermauert oder konstruktiv kritisch formuliert, sondern mit Geschrei verkündet, so dass andere Gruppen und Interessen direkt verletzt werden. Dies müssten wir irgendwie hinter uns lassen, damit wir unsere Beziehungen normalisieren können. Hier kann nur Kultur helfen, indem sie dem Publikum Normalität bietet."

Magazinrundschau vom 02.03.2021 - Elet es Irodalom

Der Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler László F. Földényi leitete bis Ende Februar den Lehrstuhl für Kunsttheorie an der Universität für Theater- und Filmkünste (SZFE). Mit Ende Februar kündigte er seine Stelle mit weiteren 25 Hochschullehrern aufgrund der vor sechs Monaten von der Regierung verordneten Umwandlung der SZFE in eine regierungsnahe Stiftungsuniversität (mehr dazu hier). Földényi nimmt nun auf den Seiten von Élet és Irodalom Abschied von der SZFE. "Die Zerschlagung der SZFE und das Einverleiben der Ruinen ist ein trauriges Kapitel in der ungarischen Theatergeschichte. Doch ist es lediglich ein Baustein in einem System, das auch in anderen Bereichen systematisch zerstört. Sei es den Denkmalschutz, die Landwirtschaft, Umweltschutz, den Plattensee, das Bau- oder das Gesundheitswesen, das Netzwerk der öffentlichen Kulturinstitutionen, die Selbstverwaltungen, das Vereinswesen, den sozialen Schutz, die CEU, das Bildungswesen, die Kirchenförderung - die Reihe kann beliebig fortgesetzt werden. Überall passiert, was an der SZFE geschah. Nach der Logik: 'Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns' hält die gegenwärtige Regierung Zerstörung für Aufbau. Und schlägt erbarmungslos dort zu, wo es noch eine Lücke aufspürt. Es gibt keinen Kompromiss, keine Verhandlungsbereitschaft, keine Flexibilität. Es gibt nur alles oder nichts."

Magazinrundschau vom 23.02.2021 - Elet es Irodalom

Im Interview mit László J Győri spricht der Schriftsteller László Krasznahorkai über seinen neuen Roman mit dem Titel "Herscht 07769", der in einer Siedlung in Thüringen spielt und in dem der Bach-Kult auf Neonazis trifft. Bei knapp 440 Seiten besteht der Roman - nicht untypisch für Krasznahorkai - aus einem einzigen Satz, "jedoch nicht im herkömmlichen Sinne, wie auch in meinen früheren Büchern folgte ich nicht der Schreibweise, die üblichweise für einen Satz gilt. In meinen Romanen und Erzählungen verwende ich Schreibweisen, die keine Rücksicht nehmen auf die Tradition der letzten paar hundert Jahre. Der Grund dafür ist, dass ich mich nicht verpflichtet fühle, einen Filter zu verwenden oder die auf mich einströmenden Monologe in irgendeine disziplinierende Form zu zwingen. Die strömenden Dinge und die Gespräche der Personen erreichen mich mit einer überwältigenden Kraft, wer bin ich denn, dass ich diesen unüberwindbaren Kräfte Hindernisse entgegenstelle? Ich schreibe die Monologe genauso auf, wie diese in mein Gehirn donnern, ich schneide sie nicht in kleine, nette Teilchen. Habe ich zu viele Kommata und nur einen Punkt? Nun, ich denke, dass man sich an meine Kommata gewöhnen kann, so wie man sich an das Atmen gewöhnen kann, das die lebendige Kraft der aufrechterhaltenden Mitteilung nicht anhalten und erträglicher machen will, sondern eben aufrechterhalten und schwungvoll weiterleiten. Die Musik von Bach ist ebenfalls sehr komplex, doch wir hören sie uns an, ohne sie an den Taktgrenzen anzuhalten, nur weil wir so die Zeit hätten zu überdenken, wo wir uns eigentlich befinden."