Magazinrundschau - Archiv

The Believer

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Magazinrundschau vom 10.09.2013 - Believer

Der niederländische Autor Arnon Grunberg ist nach Thessaloniki gefahren, die zweitgrößte Stadt Griechenlands, um mehr über die Auswirkungen der Finanzkrise zu erfahren. Griechenland erlebt in erster Linie eine soziale Krise, die finanzielle Krise ist längst nicht so bedeutend, erklärt ihm Bürgermeister Yiannis Boutaris und verweist als Beispiel auf das Müllproblem der Stadt: "'Ich habe den Bürgern von Thessaloniki gesagt: Was immer wir wegen des Mülls tun, wenn ihr nicht mithelft, wird er nicht verschwinden. Wenn ihr nicht helft, bleibt die Stadt dreckig. Wenn ihr euren Müll überall hinschmeißt, kann ich nicht viel tun.'" In dem Punkt würden ihm der Grüne Kostas, der die Bewegung "Total nackter Fahrradtrip" begründet hat, die Aktivistin Debbie, die eine Klinik für illegale Einwanderer mitbegründet hat, die Lehrerin Dora und der Guerillagärtner George, mit denen Grunberg ebenfalls gesprochen hat, wahrscheinlich zustimmen.

Magazinrundschau vom 02.07.2013 - Believer

Nicole Pasulka hat in vielen alten Musikzeitschriften gestöbert und erzählt anhand ihrer Fundstücke die Geschichte, wie aus dem Geist des Christopher Street Day und des Männerkults der schwulen Discoszene der frühen Siebziger die Village People entstanden und dabei, Tragik der Geschichte, die Mode-Codes der schwulen Szene an heterosexuelle Hipster preisgaben. Den realen Hintergrund, warum nun ausgerechnet die Vereinshäuser des Christlichen Vereins Junger Menschen (in den USA Y.M.C.A.) einen so zentralen Stellenwert in der schwulen Szene genossen, dass die Village People diesen in ihrem berühmtesten Song ein Denkmal setzten, hat Pasulka dabei auch herausgefunden: "In den Vereinshäusern galt ein trainierter, muskulöser Mann als spiritueller Mann. Der Vorstand der Organisation wollte die Häuser vor Ort als Anlaufpunkt positionieren, um junge Leute von 'negativen' Einflüssen fernzuhalten. Und hier hatten viele junge Kerle ihre ersten homosexuellen Erfahrungen. ... Homosexuelle Aufrisstouren und Gewichteheben gingen hier nach John Donal Gustav-Wrathalls akribischer historischer Darstellung Hand in Hand. Obwohl die Organisation homosexuellen Sex als 'unmoralisch' und 'pervers' verdammte, machte sie, indem sie besonderen Wert auf Fitness legte, nicht nur Sex zwischen Männern möglich, 'sondern formte das gleichgeschlechtliche sexuelle Begehren'. Indem sie Sexualkunde- und Hygieneprogramme frühzeitig aufgriff, machte Y.M.C.A. auf Homosexualität erst aufmerksam - auch wenn sie als unchristlich hingestellt werden sollte. ... In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beobachteten hier Männer einander beim Training und verbrachten viel Zeit damit, über Sex zu reden." In diesem Sinne:


Magazinrundschau vom 11.06.2013 - Believer

Peter Bebergal unterhält sich ausführlich mit dem verschrobenen Comic-Hexenmeister Alan Moore, der dafür berüchtigt ist, mit seinen wahnwitzig konstruierten Werken auch den populären Comic abseits der literarisch ambitionierten Graphic Novel auf Niveau gebracht zu haben und der Comicindustrie spinnefeind gegenüber zu stehen. Im Grunde seines Herzens versteht er sich als Magier, wobei Kunst und Magie für ihn eigentlich dasselbe sind: "Schon sehr früh merken wir, dass die Wörter, denen wir lauschen, unser Bewusstsein verändern und es an Orte bringen können, von denen wir nie geträumt hätten, an Orte, die nicht existieren. Wenn auf dieser Verzauberung die Erschaffung der Götter, der Mythologien oder eine gewisse Art praktischer Magie fußt, so glaube ich, dass man damit im Grunde Meta-Fiktionen schafft. Man schafft Fiktionen, die so komplex und so selbst-referenziell sind, dass sie fast schon lebendig scheinen. Das wäre dann eine meiner Definitionen, was ein Gott sein könnte. ... In ontologischer Hinsicht ist die Erschaffung eines metaphysischen Wesens, bis zu einem gewissen Grad, das metaphysische Wesen selbst. Wenn Götter und Entitäten erdachte Wesen sind - und das sind sie meines Erachtens offensichtlich - dann ist das Konzept eines Gottes Gott. Ein Bild eines Gottes ist der Gott."

Außerdem erzählt Alex Mar die nicht minder berauschende Geschichte des iranisch-amerikanischen Transhumanisten Fereidoun M. Esfandiary (besser bekannt unter dem Namen FM-2030), dessen toter Körper seit 13 Jahren auf Eis liegt, bis sich seine Hoffnung erfüllt, eine transhumane Existenz eingehen zu können: FM-2030 zufolge sollte man "die menschliche Evolution in zwei Phasen unterteilen: Zunächst die 'kreatürlich-menschliche', in der wir uns jetzt, determiniert von 'biologischen Zufällen', die uns hervorbrachten, befinden. Und schon bald die 'post-kreatürliche', die wir erreichen, wenn wir weiterhin über unsere 'evolutionären Ursprünge hinauswachsen' und unsere biologischen Grundlagen und die Grenzen der Welt, in der wir leben, manipulieren können."

Magazinrundschau vom 14.05.2013 - Believer

Michelle Legro porträtiert den Künstler Sadakichi Hartmann, der mit Ezra Pound, Walt Whitman, John Barrymore befreundet war, als tragische und rätselhafte Figur. Hartmann, Sohn eines Beamten aus Hamburg und einer Japanerin, wurde 1869 bei Nagasaki geboren. Die Mutter starb, bevor der Junge ein Jahr alt war. Mit vier Jahren zog er mit seinem Vater nach Deutschland und mit zwölf Jahren wurde er zu einem Onkel nach Amerika geschickt. Japan sah er nie wieder, doch das Land und seine Mutter blieben zeitlebens seine Sehnsuchtsobjekte. Dafür wurde er in der Künstlerszene New Yorks schnell berühmt - weniger wegen seiner Arbeiten als wegen seines bohemehaften Lebensstils: "Ein Artikel von 1916 ernannte ihn zur 'seltsamsten Figur der amerikanischen Literatur ... Er ist Baudelaire, Gerard de Nerval, Verlaine ... Er ist ein Dichter, Künstler, Autor, Kritiker, Dozent, und professioneller Ästhet.' Er war ein Flaneur lange nach dem Ende des Flaneur-Zeitalters, und die meisten Leute wussten nicht so recht, was sie von ihm halten sollten. Wenn das Schreiben in dieser Zeit agitieren sollte, dann war Sadakichi ein weichherziger Bulle, er lieber an Blumen schnupperte als ein rotes Cape anzugreifen."

Magazinrundschau vom 29.01.2013 - Believer

Einen sehr entspannten Plausch führt Ross Simonini mit Gesangskünstler, Experimental- und Extremmusiker und Labelbetreiber Mike Patton, der sich seit seiner Zeit mit der Alternativrockband Faith No More einen idiosynkratischen Klangkosmos aus E- und U-Musik, Experimentalkrach, schmierigem Italopop, Jazz und Metal geschmiedet hat. Dass er seine in zahlreichen Kollaborationen gefertigen Soundskulpturen eher anhand eines cinephilen Referenzsystems baut statt in üblicher Notation, gibt er unumwunden zu: "In so ziemlich jeder musikalischen Situation, in der ich mich befunden habe, zum Beispiel bei Faith No More, sagten wir immer Sachen wie 'Stell Dir Harry Dean Stanton in Paris, Texas vor". Und dann nutzen wir Momente wie diesen. Oder die Szene, wie in Goodfellas einer mit einer Pistole verdroschen wird. Gerade vor ein paar Wochen habe ich mit John Zorn Musik aufgenommen und wir waren gerade dabei, uns auf eine bestimmte Art von Gesang für ein Stück zu einigen, da sagte ich zu ihm: 'Irgendwie höre ich den Erzähler in Alphaville, dem Godardfilm, in dem einer seine Stimmbänder im Krieg verloren hat und jetzt einen elektronischen Ersatz nutzt. Zorn meinte nur noch: 'Perfekt!' Es handelt sich dabei um Referenzpunkte, die man aufgreifen kann, anstatt zu sagen, 'hey, hier eine Viertelnote, eine Achtel dort und ein verminderter Septakkord...'. Nein, für mich funktioniert es besser, wenn ich sage: 'Nun stell Dir mal das vor.'" Ganz handzahm und geleckt gibt sich der Noise-Künstler unterdessen hier mit seinem Orchester Mondo Cane, mit dem er ein Stück aus Ennio Morricones plüschigem Soundtrack zu Mario Bavas "Danger Diabolik" zum Besten gibt:

Magazinrundschau vom 15.01.2013 - Believer

Colin Asher schreibt ein Porträt des Schriftstellers Nelson Algren als großen Unangepassten. "Algren glaubte an die Gleichheit von Ideen - nicht, dass alle Ideen gleich sind, aber dass der Wert einer Idee nicht vom sozialen Status der Person abhängt, die sie formuliert. Dieser Glaube formt die Erzählung von 'Nonconformity'. Algren entwickelt und hinterfragt diese Vorstellung, indem er seine eigene Stimme benutzt und die Stimmen dutzender anderer - darunter Dostojewski, Fitzgerald, Carpentier, Dooley, de Beauvoir und Durocher - bevor er am Ende zu dem Schluss kommt, dass die einzige Perspektive, von der aus man über Amerika schreiben kann, die Perspektive der Armen ist. 'Wir haben so viele Mythen, unsere Visionen sind so schwach, unser Selbstbetrug so tief und unsere Selbstgefälligkeit so ekelhaft, dass es heute kaum mehr einen anderen Ort gibt, um über das amerikanische Jahrhundert zu schreiben, als hinter den Reklametafeln', schrieb er. Das war 1953 eine einzigartige Vision und ist es heute immer noch. Ihre Unterdrückung hat unsere literarische Tradition geschwächt."

Magazinrundschau vom 06.11.2012 - Believer

Letztes Jahr, wenige Monate vor seinem Tod, besuchte Emma Brockes den 83-jährigen Kinderbuchautor Maurice Sendak (Bilder) in Conneticut. In einem wundervollen Interview spricht er über Leben, Tod, Rupert Murdoch, seinen perversen Hund und seine Familie, für die er sich lange schämte: "Ich will nicht übertreiben, wie schlimm es war. Sie waren gut zu mir. Sie bemühten sich. Sie hatten keine Erziehung, keine Lebenserfahrung. Sie kamen aus kleinen Shtetls in Polen und lebten in Amerika, was das merkwürdigste überhaupt war. Wie kommst du mit den Menschen klar? Du sprichst kein Englisch, du warst nie in der Schule. Deine Kinder werden durch die Gesellschaft von dir weggezogen. Ihr Leben war unaussprechlich."

Magazinrundschau vom 18.09.2012 - Believer

Anhand der Lebensgeschichte des legendären Surfers Eddie Aikau wirft Nicole Pasulka einen Blick auf die Widersprüche und Konflikte in der Geschichte und Gesellschaft Hawaiis, die in der Außendarstellung des Landes erfolgreich kaschiert werden. Am Bild vom "polynesischen Disneyland" hat Pasulka selbst mitgewirkt, als sie noch Audiotouren für eine Tourismusfirma schrieb: "In der Geschichte Hawaiis, die wir produzierten, ist nie etwas Schlimmes passiert - ausgenommen höchstens Pearl Harbor, aber auch das haben wir heruntergespielt. Immerhin kamen im Jahr 2010 1,2 Millionen Japaner nach Hawaii und gaben dort fast zwei Milliarden Dollar aus. Das Standard-Tourismusnarrativ klammert Epidemien, Gewalt gegen Ureinwohner und Bewegungen für staatliche Souveränität aus. Wer möchte schon daran erinnert werden, dass er in einem illegal annektierten Land Urlaub macht?"

In einem koreanischen Restaurant in Los Angeles lässt sich Andrew Simmons vom pulitzerprämierten Restaurantkritiker Jonathan Gold sieben Lektionen über das Kochen, das Essen und das Schreiben über Essen erteilen. Lektion 7: Essen ist der beste Weg, eine fremde Umgebung kennenzulernen: "Wenn du Journalist bist und versuchst, dich mit einer Stadt vertraut zu machen, werden die Leute nicht mit dir reden. Sie wollen deine Fragen nicht beantworten. Aber wenn du in einem Restaurant bist, wird bei allen das Gastfreundschafts-Gen aktiv. Das war ja sogar über Bin Laden zu lesen. Selbst wenn der israelische Premierminister in seinem Camp aufgekreuzt wäre, hätte er ihm einen Platz angeboten und Wasser und Datteln gebracht. So sind wir einfach programmiert."

Magazinrundschau vom 10.03.2009 - Believer

Der Autor und Filmemacher C.S. Leigh denkt über die Zukunft des Kinos und vor allem des Cinephilen nach. Das ist sehr ehrenwert, aber nicht recht überzeugend. Laut Leigh machen Regisseure wie Michel Gondry, Paul Thomas Anderson, Charlie Kaufman oder Sofia Coppola "Filme, die man sich [zu Hause] ansehen und dabei viele Dinge tun kann, die wir heute so tun, während wir uns Filme angucken, die aber dennoch unsere Aufmerksamkeit erfordern." Hm. Früher soll alles besser gewesen sein, damals in den Kellerkinos: "Wir strömten in Scharen dorthin. Manchmal musste man drei Treppen zum Kino hochgehen und hatte immer noch das Gefühl, man sei im Souterrain. Man konnte Süßigkeiten und Getränke kaufen und es gab immer eine Raucherecke. Es war eine stinkende menschliche Erfahrung. Man konnte auch eine sehr unterschiedliche Beziehung zu einem Film entwickeln, je nachdem, wo und mit wem man ihn sah. Das Publikum in einem Universitätskino in L.A. reagierte feierlich, fast begräbnishaft auf Pasolinis 'Salo' (sie schienen sich unsicher zu sein, ob sie gerade Zeuge eines Films oder einer Straftat geworden waren); später sah ich denselben Film im Pariser Accatone mit einem Publikum, das nicht aufhören konnte zu lachen."

Außerdem: Der britische Filmemacher Mike Leigh spricht im Interview über seine Arbeit mit Schauspielern und ein Projekt, das er wahrscheinlich nie verwirklichen kann, weil er dafür nie genug Geld zusammenbekommen wird: ein Film über den Maler William Turner, der teure Außenaufnahmen erfordern würde. "Wir reden hier von einem Mann, der sich an den Mast eines Schiffes gebunden hat, um einen Sturm zu malen."

Magazinrundschau vom 08.07.2008 - Believer

Die Juli-August-Ausgabe ist ganz der Musik gewidmet. Brandon Stosuy gibt eine sehr informierte Einführung in die Black Metal-Szene der USA - er ist aber auch an den Entstehungsort dieser Musikrichtung gereist, nach Norwegen. Hier die wichtigen Informationen zu einer Stilbestimmung: "Ein von nicht eingeweihten Hörern oft gemachter Fehler besteht darin, nicht zwischen Death Metal und Black Metal zu unterscheiden... Wenn ich die Differenz erläutern soll, versuche ich immer erst einmal einen Blast Beat zu erklären und dann Beispiele typischen Death-Metal-Gesangs (dunkles, tiefes, gutturales Knurren) im Gegensatz zu typischem Black-Metal-Gesang (ein geisterhaftes Kreischen in hohen Tonlagen). Gut, manchmal ist es Haarspalterei... In der Frühphase klang Black Metal im übrigen noch einmal speziell unheimlich und lo-fi. Mit der Entwicklung der Szene lernten jüngere Musiker, ihre Instrumente besser zu beherrschen und die Strukturen wurden komplexer. Black Metal ist in der Regel nicht so ausgesprochen technisch wie Death Metal; und für gewöhnlich ist Black Metal auf klassischere Weise sinfonisch." (Hier die MySpace-Seite der US-Black-Metal-Band Profanatica mit Songbeispielen, hier die Seiten der einflussreichen Death-Metal-Formation Obituary.)

Außerdem: Haruki Murakami schreibt drei kurze Essay über Jazz (online ist nur der über Billie Holiday), Rick Moody verteidigt den Prog Rock, Andie Beta interviewt den Begründer des Weltmusiklabels Sublime Frequencies. Ange Mlinko geht dem obskuren Vaudeville-Charme von Bree Benton nach. Und Davy Rothbart singt ein Loblied auf Rap-CDs, die er auf der Straße kauft.