Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
15.07.2002. Der New Yorker misstraut smarten Managern. Die NYT Book Review will den Papismus zähmen. Der Economist empfiehlt Bücher über die Verbrechen Josef Stalins und die Tugenden George Orwells. Im Express erinnert sich Gallimard-Verleger Jean Dutourd, wie gut sich Manuskripte als Toilettenpapier eigneten. In Espresso untersucht Umberto Eco den aufrechten Schlaumeier. Das Times Literary Supplement entdeckt Cervantes.
New Yorker (USA), 15.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q19/A3260/ny.gif)
Weitere Artikel: Ian Frazier räsoniert über neue Poesie Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Sacred Statues" von William Trevor.
Art Spiegelman bespricht eine Biografie des Zeichners Bernard Krigstein (1919-1990), Joan Acocella lobt Garry Wills' Bekenntnisbuch "Why I Am a Catholic": "Wills is an interesting specimen: liberal in his political views ... and conservative in his faith. Admittedly, he thinks that the Virgin Mary probably wasn't a virgin. Außerdem begeistert sie sich für ein Gastspiel des St. Peterburger Kirov-Balletts in der Met. John Lahr war im Theater und hat Richard Greenbergs Stück "Take Me Out" gesehen, und Alex Ross mochte Mark Adamo's Oper "Little Women" ("potent charm").
Nur in der Printausgabe: Katha Pollitt lernte offensichtlich Auto fahren und fragt sich, was ihr Ex-Lover darüber denkt, Tony Horwitz segelte auf den Spuren von Captain Cook, William Klein und Anthony Lane berichten über das "andere" Paris, und schließlich gibt es Lyrik von Henry Cole und Kenneth Koch.
Outlook India (Indien), 22.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q15/A3259/outlook.gif)
Khushwant Singh bespricht "Ignited Minds: Unleashing The Power Within India" des Selfmademannes und künftigen indischen Staatspräsidenten A.P.J. Abdul Kalam. Ein Mensch der, wie Singh schreibt, zwar keine optische Attraktion ist ("with his tousled, untidy hair and buck teeth he looks more like a character from a comic strip cartoon than the head of a state"), dessen hier dargelegte Botschaften und Visionen von einem besseren Indien aber, wie diejenigen Gandhis, die Herzen der Menschen treffen. "'Ignited Minds' will fire minds of the young to whom it is primarily addressed. It is written in very simple prose: like a school textbook the contents of each chapter are summarised in a few sentences. His editor, Krishan Chopra, has done a good job on the text. However, one hopes that like Atal Behari Vajpayee who mercifully stopped writing poetry after he became prime minister, Kalam too will stop his little attempts at versification after he takes over as President of India."
Zwei Bücher über die pogromartigen Ereignisse in Godhra und Gujarat ("Lest We Forget" und "Harvest Of Hate") stellt Harsh Mander vor. Weniger um soziologische Analysen, für die es wohl noch zu früh ist, handelt es sich, als um "Protokolle des Schreckens". "Neither volume enables us to fathom what led to so bitter and uncompromising a social divide, nor why such a large number of Dalits and tribals participated, nor indeed the active plunder and abetment to violence by middle-class urban residents. Many questions remain unanswered, such as what transforms ordinary people into savage mobs, why institutions both of the state and civil society collapse with such abject terminal complicity, what inspires legions of young men to seek anchor in ideologies of hatred?"
Weitere Artikel widmen sich der "Goan diaspora" und ihren Kindern (hier), die jetzt aus allen Erdteilen in die erste europäische Kolonie zurückkehren, um ihre Genealogie zu rekonstruieren, und Anita Pratap illustriert das hinduistische Konzept der "Loslösung" am Beispiel der selbstlosen Liebe eines Vaters zu seiner verstorbenen Tochter.
New York Times (USA), 13.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q12/A3256/nyt.gif)
Jack Miles widmet sich Gary Wills Bekenntnis "Why I am a Catholic". Wills sieht sich selbst in absolut loyaler Opposition zur katholischer Kirche, auch wenn, wie Miles schreibt, seine Ansichten über die Stellung Papstes eher denen eines Lutheraner oder Griechisch-Orthodoxen glichen: Nur zur Hälfte eine vernichtende Geschichte der katholischen Kirche, sei es vor allem ein Buch, wie Miles schreibt, "that, conceptually at least, may tame the papacy into something you can live with." (Dazu gestellt sind ein Interview mit Wills und eine Leseprobe.)
Rand Richards Cooper bespricht Richard Russos Erzählungen in dem Band "The Whore's Child". Ganz überzeugt scheint er nicht zu sein, dass der Pulitzer-Preisträger Russo auch die kurze Form beherrscht (wenn wir die Baseball-Regeln richtig verstanden haben): "Reading a collection of Richard Russo's stories is a bit like watching a home-run hitter try to lay down a squeeze bunt." (Hier die Leseprobe)
Weiteres: Jennifer Eagan stellt ein neues Buch aus dem Genre "books by shockingly young people about the shocking lives of young people" vor: den Roman "Twelve" des 18-jährigen Nick McDonell. Auch wenn das Buch sie doch sehr an Bret Easton Ellis' "Less than Zero" erinnert, lobt sie McDonnells "gifts of observation, empathy and humor". (Hier das erste Kapitel). Karen Karbo hält Tim Farringtons Liebesgeschichte "The Monk Downstairs" für "something of a modern-day miracle". (Leseprobe) Und Katherine Bouton staunt, wie es Alice Sebold geschafft hat, eine Tragödie aus der Nachbarschaft, - der Entführung und Ermordung eines 14-jährigen Mädchens - in Literatur zu wandeln (hier liest die Autorin das erste Kapitel).
Economist (UK), 13.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q14/A3253/economist.gif)
"Books and Arts" liefert eine beherzte Doppelempfehlung für Freunde brillanter politischer Prosa: Bücher über die Verbrechen Josef Stalins ("Koba the Dread: Laughter and the Twenty Million" von Martin Amis) beziehungsweise die Tugenden George Orwells ("Orwell's Victory" von Christopher Hitchens). Ganz und gar nichts Aufgekochtes auftischend, sondern "distinctively personal, involving filial piety, contested ideals and conversations with the dead", verknüpft Amis einen Katalog stalinistischen Terrors mit persönlicher Anklage und einem Rundumschlag gegen "utopische Ideale und das Böse an sich", während Hitchens eine "gute, kraftvoll argumentierende Einführung" zu Orwell bietet, die den Dichter zugleich von diversen "Schichten ideologischer Übermalung" befreit, "even if, as with every restoration, he adds a few of his own".
Ein anderer Kultur-Beitrag führt durch die Geschichte der U-Boot-Filme, preist das Krachen der Bootswand-Nieten in Wolfgang Petersens Klassiker und annonciert Kathryn Bigelows "K-19: The Widowmaker" über das sowjetische Atom-U-Boot, das 1961 der amerikanischen Küste gefährlich nahe kam. Ein kleine Sensation, der Film - "the first to depict what happened from a Russian perspective and it was shot with full co-operation from America's former enemy. It is also the first such film to be directed by a woman". (Mehr über Bigelow hier)
Express (Frankreich), 11.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q16/A3254/express.gif)
Michel Bouquet hat auf dem Theaterfesitval in Avignon ein Stück von Thomas Bernhard gesehen: "Minetti". Im Grunde genommen komme das Drama auch sehr gut ohne Zuschauer aus, schreibt er und zitiert Thomas Bernhard: "Ich habe immer für Schauspieler geschrieben, niemals für die Zuschauer, weil ich nicht für Idioten schreibe. Das Publikum ist der Feind jeden Geistes. Es ist und bleibt mein Feind.".
Weitere Artikel: Besprochen wird die neue Biografie des Widerstandskämpfers Jean Cavailles von Alya Aglan und Jean Pierre Azema. Der Express setzt seine kulturhistorische Reihe über die Liebe fort: Diesmal unterhält sich Dominique Simmonet mit Jacques Le Goff über die Rolle des Körpers, die Jungfräulichkeit und den moralischen Kodex des Mittelalters. Und Boris Thiolay und Emilie Trevert schildern in einer Reportage, wie sich die Ereignisse des 11. September auf die Techno-Szene in Frankreich ausgewirkt haben. Bei einer Rave-Party sind sie auf eine moderne Lebensform gestoßen: auf 'Techno-Nomaden'.
Espresso (Italien), 18.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q17/A3257/espresso.gif)
Spiegel (Deutschland), 15.07.2002
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q13/A3258/spiegel.gif)
Nach den Wirtschaftsskandalen in den USA klingt dem Spiegel das von Bush kürzlich mit großer Geste angekündigte Krisenmanagement dann doch wie Hohn. Nicht nur hätten Bush & Co selbst an den Schaltstellen des maroden amerikanischen Wirtschaftssystems gesessen, ehe sie die Macht im Land übernahmen (Bush als Direktor der texanischen Ölfirma Harken, Cheney als Chef des Öldienstleisters Halliburton), republikanische Politiker, heißt es in einem Beitrag, hätten auch mehr als andere von der Großzügigkeit jener Bosse profitiert, deren Gesetzestreue sie eigentlich hätten kontrollieren müssen. Dass solche Doppelzüngigkeit die Gunst der Wähler beeinflusst, ist klar. "Möglich, dass Bush junior einen ähnlichen Absturz erleiden könnte, wie ihn sein Vater als 41. Präsident der USA erlebte."
Weiter mit den USA: Gerhard Spörl untersucht die merkwürdige, von der Regierung Bush aus wahltaktischen Gründen besonders gepflegte Symbiose zwischen Hollywood und den Militärs in Washington. Seit dem 11. September sei diese "so eng wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, als John Huston, Frank Capra oder William Wyler dem Patriotismus ihren Tribut zollten". Tröstlich, dass "Militainment made in Washingwood", dessen obskure Funktionsweise aus Sponsoring (von Kriegsgerät) und patriotischer Zensur durch das Pentagon Spörl offenlegt, doch nicht komplett harmonisch ist: "Das notorisch geschichtsklitternde Hollywood ist da gelegentlich geschichtsbewusster als die Filmfreunde im Pentagon."
Weitere Artikel über den "postatomar-grazilen High-End-Fun", den der japanische Modedesigner Yohji Yamamoto neuerdings für Adidas kreiert (mehr hier) und über die fragwürdigen Medienkunst-Projekte der Münchner Kulturreferentin Lydia Hartl. Nur im Print finden Sie ein Porträt des Dirigenten Christian Thielemann, Star der diesjährigen Bayreuther Festspiele.
Times Literary Supplement (UK), 13.07.2002
Caspar Fithen stellt "The Devil that Danced on the Water? von Arminatta Forna vor. Die Tochter des 1975 in Sierra Leone ermordeten Politikers Mohammed Sorie Forna hat sich dafür noch einmal in die Heimat ihrer Kindheit (inzwischen das ärmste Länd der Welt) begeben, um Leben und Sterben ihres Vaters nachzuzeichnen. Im zweiten Text, den man ganz lesen darf, rät Sheila Hale davon ab, seine Zeit mit David Leavitts Buch "Florence" zu verschwenden: es strotze vor Ignoranz, Plagiaten und Fehlern.
In Auszügen zu lesen: Eine Umfrage des Norwegischen Buchclubs unter 100 Schriftsteller (darunter Ben Okri, Doris Lessing, Salman Rushdie, Seamus Heaney) hat Cervantes' "Don Quixote" zum bedeutendsten Buch aller Zeiten erklärt, weit vor Homers Epen oder Shakespeares Dramen. A. J. Close bekennt, bisher nie erkannt zu haben, wie gut das Buch tatsächlich sei. Einen Hinweis darauf, dass Cervantes mehr als ein grandioser Geschichtenerzähler und Erfinder legendärer Charaktere war, hat er bei Milan Kundera gefunden, der meint, "that when Don Quixote stepped into the world, it ceased to be an objective given, and became a problem, adding that it has been the subsequent destiny of the novel to present the world in just that light." (Mehr über Cervantes finden Sie hier, hier und hier)
Jeremy Treglown blickt auf das Leben des Schriftstellers V. S. Pritchett zurück, der auch lange als Korrespondent aus Spanien berichtet hatte: "No one publishing in the English language in the 1930s knew Spain better"). Dass sich ausgerechnet Pritchett trotz seiner Sympathien nicht in die illustre Reihe der Unterstützer des republikanischen Spanien einreihte, hatte laut Treglown zwei sehr verständliche Gründe: "He knew too much about Spain not to find most other writers opinion and actions in relation to it simplistic." Und: "He was in love" - und zwar mit einer Minderjährigen, mit der er England nicht verlassen durfte. (Mehr zu Pritchett hier und hier)
In Auszügen zu lesen: Eine Umfrage des Norwegischen Buchclubs unter 100 Schriftsteller (darunter Ben Okri, Doris Lessing, Salman Rushdie, Seamus Heaney) hat Cervantes' "Don Quixote" zum bedeutendsten Buch aller Zeiten erklärt, weit vor Homers Epen oder Shakespeares Dramen. A. J. Close bekennt, bisher nie erkannt zu haben, wie gut das Buch tatsächlich sei. Einen Hinweis darauf, dass Cervantes mehr als ein grandioser Geschichtenerzähler und Erfinder legendärer Charaktere war, hat er bei Milan Kundera gefunden, der meint, "that when Don Quixote stepped into the world, it ceased to be an objective given, and became a problem, adding that it has been the subsequent destiny of the novel to present the world in just that light." (Mehr über Cervantes finden Sie hier, hier und hier)
Jeremy Treglown blickt auf das Leben des Schriftstellers V. S. Pritchett zurück, der auch lange als Korrespondent aus Spanien berichtet hatte: "No one publishing in the English language in the 1930s knew Spain better"). Dass sich ausgerechnet Pritchett trotz seiner Sympathien nicht in die illustre Reihe der Unterstützer des republikanischen Spanien einreihte, hatte laut Treglown zwei sehr verständliche Gründe: "He knew too much about Spain not to find most other writers opinion and actions in relation to it simplistic." Und: "He was in love" - und zwar mit einer Minderjährigen, mit der er England nicht verlassen durfte. (Mehr zu Pritchett hier und hier)