Die Buchmacher

Die Buchmacher

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
06.01.2003. Heute lesen Sie: Welcher Klassiker sich 2002 noch besser verkauft hat als Dieter Bohlens "Nichts als die Wahrheit". Warum Sigrid Löffler einen Kanon für unter aller Kanone hält. Wer Jürgen Möllemanns Geständnisse verkaufen würde, dann aber am Hauptbahnhof ein Bier trinken müsste." Und an wen Springer seine Buchverlage verkaufen könnte. Von Hubertus Volmer

Börsenblatt

Neues Jahr, neues Börsenblatt. Farbiger ist das Heft, "weniger Ausgewogenheit, mehr Spannung" soll drin sein, schreibt Chefredakteur Hendrik Markgraf im Editorial; das Magazin des Börsenvereins will jetzt auch äußerlich kein Verlautbarungsorgan mehr sein. Neue Rubriken sollen das "börsenblatt" - es schreibt sich nun mit kleinem "b" - übersichtlicher machen: Markt, Management, Medien, Menschen heißen die Rubriken, und Debatte, Börsenverein, Service sowie Wochenschau. Letztere ist vom privaten Konkurrenzblatt Buchreport abgekupfert, der diese Rubrik bei seinem jüngsten Re-Relaunch eingeführt hat. Und noch etwas hat sich beim Börsenblatt verändert: Er erscheint nur noch einmal pro Woche, donnerstags. Insgesamt macht das neue Börsenblatt einen sehr guten Eindruck: Wie eine richtige Zeitschrift sieht es jetzt aus. Vor allem auf der letzten Seite: Der Rausschmeißer ist eine Karrikatur von Greser & Lenz. Auch der Internetauftritt ist neu. Die Artikel des Heftes sind dort jedoch leider nicht zu finden.

Unter dem Stichwort "Zahl der Woche" weist das Börsenblatt darauf hin, dass nicht Dieter Bohlens Bekenntnisse oder Jonathan Franzens "Korrekturen" der Top-Seller des vergangenen Jahres war. Sondern die Bibel. "Allein die Deutsche Bibelgesellschaft (die auch eine Online-Bibel anbietet), die Verlage Katholisches Bibelwerk (ebenfalls mit Online-Bibel), Brunnen und Herder haben zusammen mehr als 600.000 Exemplare abgesetzt. Dieses Jahr greift Bohlen mit seiner zweiten Lebensbeichte an. Wahrscheinlich wieder ohne Chance gegen die Heilige Schrift. 2003 ist das Jahr der Bibel. Das sagt schon alles."

Im Kommentar erklärt Sigrid Löffler, Leselisten seien Schwachsinn: "Jede Art von Bücherliste, auf der verzeichnet ist, was der Gebildete gelesen haben muss, sei eine Form von höherem Schwachsinn. Das stellte Hermann Hesse schon 1927 fest." Der aktuelle Drang zur Kanon-Setzung missfällt der Literaturen-Chefredakteurin: "Der autoritäre Gestus ist so unüberhörbar wie aufdringlich, hinter der lesepädagogischen Drohgebärde stecken unverhohlen diktatorische Gelüste. (...) Der Verdacht drängt sich auf, dass manche Zeitgenossen vielleicht nur von irgendeiner Instanz bestätigt bekommen wollen, wie unzählig viele Bücher sie ohne Skrupel weglassen und sich trotzdem noch gebildet fühlen dürfen. (...) Wer einen Kanon dekretieren will, ohne die Macht zu haben, ihn durchzusetzen, macht sich lächerlich. Und niemand hat heute mehr die Macht, einen Kanon zu dekretieren, nicht die Schule oder Hochschule, nicht die Kirche und erst recht nicht die Medien und ihre Lautsprecher." Dennoch existiere "der wahre Kanon": Dies seien "jene Bücher, die die Dichter am Leben erhalten, indem sie sich darauf beziehen. Um das zu erkennen, muss man sie freilich erst einmal lesen."

Buchmessedirektor Volker Neumann gibt im Interview mit Hendrik Markgraf eine überraschende Einschätzung ab: "Der Deutsche, so möchte ich verallgemeinern, sieht eher das halb leere als das halb volle Glas. Erfreulicherweise ist diese Sichtweise in unserer Branche derzeit nicht verbreitet - trotz schwieriger Zeiten. (...) Sorgen bereitet mir allerdings die Entwicklung der Zeitungsverlage." Neumann hofft, dass es auch in Zukunft ausreichend Platz für das Buch im Feuilleton geben wird. Angesichts der Medienkrise warnt er die Verlage davor, die Werbeetats zu kürzen. Statt dessen sollten die Verlage "einfach nur weniger Bücher machen - nicht nur fünf oder sieben Prozent, sondern mindestens 15 oder 20".

Der Exodus bei Eichborn hält nach Informationen des Börsenblatts an. Nach Programmchef Wolfgang Ferchl (der den Zeichner und Schriftsteller Walter Moers bei seinem Wechsel an die Piper-Spitze gleich mitnahm) und Pressechefin Susanne Klein wolle "offenbar" auch der langjährige Vertriebsleiter Andreas Horn das Haus verlassen. "Hintergrund der Auseinandersetzung soll der wachsende Einfluss der Investorengruppe um den Unternehmer Ludwig Fresenius sein; die Gruppe halte inzwischen mehr als 40 Prozent an der Eichborn AG, heißt es." Die Mitarbeiter des Eichborn Verlags hatten nach einer Meldung der Süddeutschen Zeitung in einem Brief an den Aufsichtsrat gefordert, den kaufmännischen Vorstand Matthias Kierzek ab- und durch Horn zu ersetzen. "Die Mitarbeiter des Verlags dürfte ein Weggang Horns hart treffen", so das Börsenblatt.

Eine stichprobenartige Umfrage des Börsenblatts unter mehr als 40 Buchhandlungen in Deutschland hat ergeben, dass die meisten Sortimente im Weihnachtsgeschäft um rund fünf Prozent unter dem Vorjahresumsatz geblieben sind. "Große Buchhandlungen wie Thalia oder Heymann konnten nur durch die Eröffnung neuer Filialen einen Umsatzzuwachs erzielen. Dagegen wurde bei den Online-Shops der Weltbild-Gruppe etwa 40 Prozent mehr bestellt als Weihnachten 2001." Am besten verkauften sich der Umfrage zufolge "Leben, um davon zu erzählen" von Gabriel Garcia Marquez, "Die Rückkehr des Tanzlehrers" von Henning Mankell und in Ostdeutschland "Zonenkinder" von Jana Hensel.

Auch Reclam hat sich einen Imagewechsel verpasst: "Die Mehrzahl der Sachbuch-Hardcover wurde zwei neuen Reihen zugeordnet. Titel wie 'Kleine Geschichte Polens' erscheinen künftig im Format der Universalbibliothek, Nachschlagewerke wie 'Reclams Filmführer' in einer großformatigen Reihe."

Das Börsenblatt hat einige Buchmacher gefragt, wessen Geständnisse sie 2003 nicht lesen wollen. Ganz oben auf der Liste: Möllemanns mögliche Ausflüsse. Der Frankfurter Literaturagent Georg Simader schreibt: "Möllemann, Jürgen W.: 'Last exit Wörthersee'. Das will ich 2003 nun wirklich nicht lesen. Andererseits: Her mit dem Manuskript! Irgendeiner kauft's immer, vielleicht sogar für viel Geld. Ganz leise sag' ich mir dann 'Mischkalkulation, Mischkalkulation!' Und trink ein Bier am Hauptbahnhof." Nicht lieber einen Magenbitter?

Während Weltbild-Chef Carel Halff meint, Bücher müssten billiger sein, sagt Hoffmann-und-Campe-Verleger Rainer Moritz, Bücher würden schon seit Jahren unter Wert verkauft. Bei Büchern herrsche "Schnäppchenmentalität", so Moritz. Und die (das sagt Moritz allerdings nicht) nutzt nur Ramschläden wie Weltbild. Halff: "Fünf bis 15 Prozent Preisdifferenz beeinflussen die verkaufte Menge um 30 bis 300 Prozent. Das wichtigste Rationalisierungsmittel für einen Verlag ist die Erhöhung der durchschnittlich verkauften Auflage. Das wichtigste Rationalisierungsmittel für Buchhandlungen ist eine Erhöhung des Umsatzes. Der Weg dorthin führt über den Preis." Moritz: "Eine Karte fürs Marianne-Faithfull-Konzert kostete in Hamburg 30 Euro an der Abendkasse. Würde sich ein deutscher Verleger trauen, Frau Faithfulls Autobiografie zum gleichen Preis anzubieten?"

In einem längeren Artikel geht es um den Marktführer Thalia, Tochter des Douglas-Konzerns. "Gleich eine ganze Abteilung in der Hagener Douglas-Zentrale beobachtet die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt. Haben die Scouts ein interessantes Angebot ausfindig gemacht, braucht Könnecke nur zuzugreifen - wenn er denn will", schreibt Sybille Fuhrmann. Jürgen Könnecke führt die Buchhandelskette zusammen mit Michael Busch. Der kommt aus dem Hause Douglas; Könnecke war bis zur Fusion Chef der Hamburger Buchhandlung Thalia.

Weitere Meldungen: Bei Baedeker in Essen soll es die ersten Kündigungen gegeben haben. Der bisherige Eigentümer, die Sutter-Gruppe, wollte die fünf Buchhandlungen noch im vergangenen Jahr verkaufen, voraussichtlich an die Dresdener Buchhandelskette Buch & Kunst. Außerdem wird weiter über einen Verkauf der Springer-Verlage spekuliert: "2003 könnte mit einem großen Paukenschlag beginnen. Sollte auch Christian Strasser die lang gehegten Träume vom Verlagsimperium aufgegeben haben und nur die Verlage List und Claassen behalten wollen?", fragt Sybille Fuhrmann. Den "ganzen großen Rest" könnte dann Bertelsmann übernehmen. Weitere Themen sind der BDK Bücherdienst ("Totgesagte leben länger"), die Neue Juristische Wochenschrift, steigende Steuern, sinkende Posttarife, der CD-ROM-Markt und das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, seit 150 Jahren betreut vom S. Hirzel Verlag. Stefan Hauck schreibt über die Zusammenarbeit von Autoren und Illustratoren, Holger Heimann zeigt sich sehr begeistert über den neuen Fischer-Programmgeschäftsführer Jörg Bong ("Bong, der Eindruck verfestigt sich im Verlauf des Gesprächs, könnte ein Glücksfall für den Verlag sein") und Stefan Hauck hat mit der Schriftstellerin und Übersetzerin Mirjam Pressler über die Hörbuchfassung ihres Romans "Malka Mai" gesprochen (der Titel wurde von Börsenblatt und Hessischem Rundfunk zum "Hörbuch des Jahres" gewählt).

Der erste Buchreport des Jahres 2003 erscheint am 9. Januar.
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