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Gespür für Physiognomien: Jeff Nichols 'Midnight Special' (Wettbewerb)

Von Lukas Foerster
13.02.2016. Jeff Nichols Wettbewerbsbeitrag "Midnight Special" sucht nach einem Geburtshelfer für das Licht.


Aus der Dunkelheit zum Licht. Am Anfang des Films fahren Roy und Lucas, zwei Männer mittleren Alters mit durchaus schon furchigen Gesichtern (Michael Shannon und Joel Edgerton), in einem Chevrolet durch die Nacht. Irgendwann löschen sie sogar die Scheinwerfer. Auf der Rückbank sitzt Roys Sohn, der junge Alton, braune Haare, Topfschnitt, blasses Gesicht. Er hat eine Schwimmbrille mit dunklen Gläsern auf und liest mithilfe einer Taschenlampe Comics. Bis sein Vater ihn bittet, auch dieses Licht auszuschalten.

Die drei sind auf der Flucht. Einerseits haben es diverse Staatsapparate auf sie abgesehen, andererseits eine Sekte, die dem kommenden Weltuntergang huldigt. Schuld daran ist Alton, der für die einen ein potentieller Geheimnisverräter ist, der auf undurchschaubare Weise verschlüsselte Radiosignale auzuschnappen scheint, für die anderen eine Art Messias, der das Wort Gottes empfängt. Auch Roy hat mit seinem Sohn und dessen geheimnisvollen Fähigkeiten etwas vor. Aber vorläufig fährt er erst einmal nur mit ihm durch die Nacht. Einen tollen, wuchtigen, von einem ausgezeichneten Soundtrack untermalten Drive hat der Film in diesem ersten Teil. Auf der einen Seite die drei Verschwörer im dunklen Auto, wortkarg, entschlossen; auf der anderen Seite die finsteren religiösen und polizeilichen Banden, Evakuierungen mit vorgehaltener Maschinenpistole, schleichender Notstand, der über das Land (beziehungsweise die amerikanischen Südstaaten) verhängt wird.

Das Licht bricht zunächst durch Altons Augen in den Film. Weiße Strahlen schießen aus seinem Gesicht, während sein Körper konvulsivisch zuckt. Wenn er sich wieder beruhigt und die Augen schließt, leuchten die Lider von innen. Das Licht ist in ihm und will heraus. Der restliche Film macht eigentlich nicht viel mehr, als nach den richtigen Geburtshelfern zu suchen. Roy und Lucas bekommen bald Unterstützung von einer blond bezopften Kirsten Dunst, die Verfolgerseite reduziert sich auf zwei Sektenkiller und einen NSA-Agenten (Adam Driver), der zu den schönsten Figuren des Films gehört: ein tappsiger, schüchterner Jüngling, der zunächst noch zaghaft der Staatsraison das Wort redet, dann aber schnell von seinem inneren Nerd übermannt wird und sich auf die Seite des unheimlichen Bengels mit den Leuchtaugen schlägt.



Irgendwann geht dann die Sonne auf; und zu diesem Zeitpunkt weiß man bereits, dass das nur der Anfang sein kann, weil der Film unweigerlich und mit beharrlicher (auch durchweg: motorisierter) Wucht auf einen jener Exzesse der Sichtbarkeit zuläuft, auf die das Science-Fiction-Kino, zumindest in Mainstreamnähe, einfach nicht verzichten kann. Und die einen schon fast zwangsläufig ein wenig enttäuscht zurücklassen, weil das Unvorstellbare, sobald es zu einer festen Form geronnen ist, eben nicht mehr unvorstellbar ist.

Regisseur Jeff Nichols hatte sich schon in "Take Shelter" (2011) am Science-Fiction-Kino versucht, allerdings war das Genre da eher einer von mehreren Fluchtpunkten eines zuallererst psychologischen Dramas. Der neue Film verschreibt sich dagegen mit Haut und Haaren seiner fantastischen Prämisse, beziehungsweise: Am Ende stellt er sie einfach kurzerhand in die "echte Welt" hinein. "Midnight Special" ist dennoch kein reines Popcornkino; sondern eher so etwas wie der (weitgehend gelungene) Versuch, die Spielberg'sche Lust am Fantastischen in ein anderes, nicht direkt realistischeres, aber doch ernsthafteres Register zu übertragen; den durchaus geläufigen (und technisch ausgezeichnet umgesetzten) Attraktionen einen anderen, emotional tiefer einschlagenden Widerhall zu verleihen.

Ähnliche Versuche gibt es im amerikanischen Kino natürlich durchaus immer mal wieder. Aber normalerweise setzen die dann auf rabiate Härte, oder, siehe Chris Nolans Batman-Filme, auf schwergewichtige Mythensoße. In "Midnight Special" dagegen fliegen nur sehr gelegentlich die Fetzen, und selbst dann tragen zumeist alle Figuren Schutzwesten. Stattdessen setzt der Film auf fein modulierte Stimmungen, auf den Sog seiner sorgfältig und reduziert komponierten, immer wieder effektiv in Bewegung versetzten Cinemascope-Aufnahmen; und, wie schon in "Shelter", auf Nichols' Gespür für Physiognomien. Insbesondere Shannons Gesicht verwandelt sich mit der Zeit in einen affektiven Spezialeffekt, der es locker mit jeder außerirdischen Präsenz aufnimmt.

Midnight Special. Regie: Jeff Nichols. Mit Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Jaeden Lieberher, Adam Driver. USA 2015, 112 Minuten. (Vorführtermine)