Außer Atem: Das Berlinale Blog

Gefühlte Geschichte: Neus Ballus' 'The Plague' (Forum)

Von Thekla Dannenberg
14.02.2013.


In ihrem Film "La Plaga" erzählt die junge spanische Filmemacherin Neus Ballús von einer Reihe ganz normal faszinierender Menschen, die sich am Stadtrand von Barcelona durchs Leben schlagen: Raul ist Gabelstapelfahrer und führt den Baunernhof seiner Eltern, dessen Existenz grundsätzlich bedroht ist, im Moment der großen Hitze aber besonders durch einen Schädlingsbefall. Bei der Ernte hilft der Moldawier Iurie Timbur, der nach der Arbeit als Ringkämpfer trainiert. Die Prostituierte Maribel steht jeden Tag, auch bei gleißender Sonne neben der Autobahn, aber eigentlich etwas zu weitab vom Schuss, um Kundschaft zu bekommen, meist kommt sie an einem Tag auf 20 Euro. Außerdem gibt es noch die philippinische Altenpflegerin Maribel und die wichtigste Figur des Films, die alte Bäuerin Maria. Mit ihren fast neunzig Jahren kann sie nicht mehr allein auf ihrem Hof leben und bei der Hitzewelle schon gar nicht, die Atemnot zwingt sie in das Heim und unter die Kuratel einer Pflegerin.

Die Figur der Maria ist wahrscheinlich diejenige, die die Regisseurin zu der Entscheidung bewogen hat, ihren Film auch mit denen zu besetzen, von denen er handelt. Kein Schauspielerkörper könnte so viel Spuren eines harten Lebens in sich tragen wie diese arme Bäuerin mit ihrem verwachsenen Rücken und ihren knotigen Händen. Am Anfang beobachtet man vielleicht mit etwas Unwillen, wie die Pflegerin diesen zerbrechlichen, welken Körper unter die Dusche zwingt, aber dann bewegt diese Figur einen sehr.

Die anderen tun es nicht. Meist eher unbeholfen werden Situationen gezeigt, die für das Leben der Protagonisten typisch sein sollen, die Monologe oder Dialoge sind vorgefertigt. Der Bauer blickt bang auf seine befallenen Bohnen, der Ringer trainiert auf der Matte, die Pflegerin verkündet im falschesten Krankenschwestern-Ton, dass wir jetzt alle schön zu Mittagessen. Hmm, wie gut das schmeckt, nicht? Die Prostituierte steht rauchend am Straßenrand. Es ist der erste lange Film von Neus Ballus und man hat eigentlich die ganze Zeit den Eindruck, dass die Regisseurin einfach nicht wusste, was sie für einen Film aus ihrem spannenden Material machen soll. Wenn die Menschen aus ihrem Leben erzählt hätten, wären vielleicht mehr Facetten zum Vorschein gekommen. So stellen sie auf rührende, aber unbeholfene Art die Klischees ihrer selbst dar. Das wäre alles nicht weiter der Rede wert, wenn das Forum "Plaga" nicht zusammen mit anderen Film wie Joao Vianas "A Batalha de Tabato" oder dem portugiesischen Film "Terra de ninguem" zu Paradebeispielen eines neuen Erzählens hochstilisiert hätte, zu Hybriden aus Dokumentation und Fiktion.

"A Batalha de Tabato" ist ein filmischer Essay, der tatsächlich beide Elemente miteinander verbindet, aber nie einen Zweifel an seiner künstlerischen Form aufkommen lässt. Problematischer erscheint mir Salome Lamas "Terra de ninguem", den ich aber nicht gesehen habe: In dieser Fake-Doku erzählt ein Veteran von den Gräueltaten, die er als Offizier und Geheimdienstmann angeblich begangen hat. Bei Zeitzeugen wissen wir nie, ob wir uns auf ihre Aussagen verlassen können, in diesem Film lässt uns aber die Regisseurin darüber im Unklaren. Das ist ein himmelweiter Unterschied und ich kann nicht sehen, worin der Mehrwert bestehen soll, wenn ich nicht weiß, ob Dinge tatsächlich geschehen sind oder nicht. Die Verwischung der Grenzen führt zu einem Wahrheitsbegriff, dessen Unschärfe ihn gleich ganz obsolet macht. Es gibt weder eine gefühlte Geschichte noch eine erlebte Fiktion. Aber es gibt die Mühe, Fakten zu recherchieren, und die Bequemlichkeit, Drehbücher nicht zu Ende zu denken.

Thekla Dannenberg

"La Plaga" (The Plague). Regie: Neus Ballús. Mit Raül Molist, Maria Ros, Rosemarie Abella, Iurie Timbur und Maribel Martí. Spanien 2013, 85 Minuten (alle Vorführtermine).