Außer Atem: Das Berlinale Blog
Berlinale 1. Tag
Von Ekkehard Knörer
06.02.2003. Die Berlinale eröffnet mit einem knallbunten Musical und schicken Stars: Catherine Zeta-Jones, Renee Zellweger und Richard Gere in "Chicago".
Gemeinsam singen sie das Loblied auf Regisseur Rob Marshall, der am Set vom ersten bis zum letzten Tag die Freundlichkeit in Person war, wie sie beteuern. Und Marshall schwört, dass keine Sekunde des Films gedoubelt ist: alles selbst gesungen, selbst getanzt. Noch eine Woche Probe, und er könnte das Musical mit der Filmbesetzung auf die Bühne bringen.

Schon das erste Gespräch, die Aufnahme der Beweise an der Stätte des Verbrechens, ist inszeniert als Fortsetzung von Roxies Traum, eröffnet den doppelten Schauplatz, auf dem sich "Chicago" bis zum Ende aufhalten wird. Es durchdringen sich die raue (naja, nie allzu raue) Wirklichkeit, der Streit mit Amos - gleich geht es dann ab in den Knast - und die Traumwelt der Musicalbühne, auf der das Leben nichts ist als eine rasante, bunte Show. Hier rückt Marshall beides ins selbe Bild, links die Bühne, rechts die Wirklichkeit, ähnlich geht es immer weiter.

Die Konsequenz, die dieses Ineinander hat, ist nicht, wie vielleicht zu erwarten, dass etwa das eine das andere kommentiert, so dick auch der Geschichte eine Moral auf die Stirn geschrieben steht. Die läuft darauf hinaus, dass Recht und Gesetz und Mord und Totschlag in "Chicago" einfach Teil des Showbusiness sind, ein großer Spaß, das eine führt zum andern. Ihre Verkörperung findet diese Moral in Anwalt Billy Flinn, den Richard Gere mit aller ihm zur Verfügung stehenden Großkotzigkeit gibt. Die Moral verdankt sich gewiss der Herkunft des Musicals aus den zwanziger Jahren: da war es erst ein Theaterstück, bevor es dann in Filme mutierte (einer davon, ohne Musik und Tanz übrigens, mit Ginger Rogers), um schließlich auf dem Broadway unter der Regie des legendären Bob Fosse Triumphe zu feiern.
All das aber scheint Rob Marshalls Film so herzlich egal wie die Geschichte, die er erzählt, einen Tod durch den Strang inklusive. Auch der wird schwupp-di-wupp auf die Bühne gebracht als unter Trommelwirbel vorgeführte Kunst des Verschwindens. Nein, Marshall hat nichts im Sinn als Musik und Tanz, inszeniert mit staunenswerter Eleganz seine Nummern und verschneidet sie mit dem einen oder anderen Versatzstück aus dem Frauen-Gefängnisfilm zu harmlos-bunter Unterhaltung.

Ein Jenseits dieser selbst gesteckten Grenzen schierer Unterhaltung aber gibt es nicht. Die Virtuosität ist sich genug und immer wieder, da das Tempo hoch genug ist, die Einfälle in schneller Folge überraschen, verlangt man gar nicht mehr. Kaum wagt man zu fragen, ob nicht vielleicht nur bonbonbunte Besinnungslosigkeit hinter dem Razzle-Dazzle steckt, das die Sinne verwirren will, mehr nicht. Oder ob nicht gar das ganze im Grunde ein zynisches Spiel mit einer Moral ist, die der Film sich zum Schein auf die Fahnen schreibt. Womöglich aber ist das alles gar nicht wichtig. Der Zuschauer kann "Chicago" einfach als das leckere, aber nicht sehr gehaltvolle Hors d'oeuvre nehmen, zu dem Kosslick es bestimmt hat.
"Chicago", von Rob Marshall. Mit Catherine Zeta-Jones, Rene Zellweger, Richard Gere u.a., USA 2002, 113 Minuten
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