9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Politik

2116 Presseschau-Absätze - Seite 6 von 212

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.02.2024 - Politik

Gegen alle Warnungen hält Israels Regierung an einer Militäroffensive in Rafah fest, der Vorstoß könnte auch Folgen für die regionale Stabilität haben, warnt Felix Wellisch in der taz: "Das benachbarte Ägypten erwägt laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP, im Falle einer Offensive israelischer Truppen in Rafah, den Friedensvertrag zwischen beiden Ländern auszusetzen. Ägypten hatte mit dem Camp-David-Abkommen als erster arabischer Staat Israel anerkannt und 1979 Frieden geschlossen. Dessen Aussetzung wäre ein schwerer Schlag für Israels Sicherheit. Berichten zufolge verlegte die ägyptische Armee 40 Panzer und Truppentransporter an die Grenze nach Gaza."

Die taz lässt außerdem Geflüchtete aus Rafah zu Wort kommen, etwa Hatem Medhat Ghoul: "Die Umgebung hier macht uns ganz krank: Wir haben Allergien wegen des Wassers, unsere Körper sind ausgetrocknet wegen der Unterernährung. Wir haben Glück momentan, weil es nicht mehr ganz so kalt ist. Wenn wir Decken haben, geben wir sie den Kindern, und wir Erwachsenen tragen zwei Hosen und versuchen uns mit unserer Kleidung warm zu halten. Ich bitte die Menschen von außerhalb: Schaut auf uns mit Augen der Barmherzigkeit. Wir verdienen es nicht zu sterben. Wir wollen in Gaza bleiben und nicht emigriere, und dafür bezahlen wir nun den Preis. In der ganzen arabischen Welt sind wir die einzigen Menschen, die diesen Preis bezahlen müssen."

Der neue argentinische Präsident Javier Milei will das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch für Frauen massiv einschränken, berichtet Frederik Schindler in der Welt. "Selbst vergewaltigten Frauen sollen Schwangerschaftsabbrüche verwehrt werden. Dies ist ein schlicht menschenverachtendes Vorhaben, das erneut Frauen bestraft, denen gerade die Selbstbestimmung über ihren Körper mit Gewalt genommen wurde. Sie sollen gezwungen werden, die Kinder ihrer Vergewaltiger zu gebären und sich damit permanent an ihr erlebtes Grauen zu erinnern. Ausschließlich bei einer akuten Gefahr für das Leben der Mutter wären Abtreibungen erlaubt. Die Gesetzgebung würde damit auf den Stand von 1921 zurückfallen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.02.2024 - Politik

Im Guardian denkt Daniel Levin, Leiter der Liechtenstein Foundation for State Governance, über eine Kombination aus Zwei-Staaten- und Ein-Staaten-Lösung nach. Strikte Trennung von Israelis und Palästinensern, "aber Arbeits-, Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit im gesamten Territorium, vorbehaltlich strenger Sicherheitsbestimmungen, und einer koordinierten Finanz- und Wirtschaftspolitik. Eine Konföderation würde die tiefe Verbindung jeder Nation zum gesamten Land anerkennen, aber auch klarstellen, dass keines der beiden Länder alles besitzen kann. Die Bürger jeder Nation würden nur in ihrem eigenen Staat wählen, könnten aber den anderen Staat besuchen, dort wohnen, arbeiten oder studieren. (...)  Zunächst müsste es eine harte Trennung geben, mit einer Grenze, die das Territorium beider Seiten abgrenzt, möglicherweise mit einer entmilitarisierten Zone während einer Übergangszeit. Israelische Siedler, die derzeit illegal in den besetzten palästinensischen Gebieten leben, hätten die Wahl, mit großzügigen Wohn- und Umsiedlungspaketen nach Israel zurückzukehren oder Einwohner Palästinas zu werden und palästinensischem Recht zu unterliegen."

Laut einer Umfrage, die die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Zusammenarbeit mit dem Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) im Westjordanland und im Gazastreifen zwischen dem 22. November und dem 2. Dezember durchgeführt haben, ist die Popularität der Hamas gewachsen seit dem 7. Oktober, berichtet Maja El-Safadi, der in der FAZ allerdings von dem Politologen Khalil Shikaki erfährt, dass der Zuspruch in der Regel nach Kriegsende wieder sinke: "Im Sommer 2023 kam es zu Protesten und Versammlungen gegen die Hamas, die mit Polizeigewalt unterbunden wurden. Hier zeigt sich ein Dilemma, in dem die Hamas steckt. Einerseits will sie einen Widerstandskampf gegen Israel führen, andererseits muss sie den Gazastreifen regieren. Die Islamisten seien in dieser Hinsicht immer ambivalent gewesen, meint der Hamas-Fachmann Tareq Baconi. Sie betrachteten das Regieren als 'eine Last, als etwas, was die Widerstandsbewegung fesselte und ihre Handlungsfähigkeit einschränkte', sagte er der New York Times."

"An einem richtigen Krieg mit den USA und Israel sind Iran und seine Verbündeten in der Region nicht interessiert. Sie könnten ihn nicht gewinnen", glaubt der Politologe Renad Mansour im taz-Gespräch. Aber: "Iran spielt ein längeres Spiel, bei dem es seine Muskeln spielen lassen kann. Durch seine verschiedenen Netzwerke, bewaffnete und politische, gewinnt Iran immer mehr Einfluss in der gesamten Region. Der Einfluss der USA dagegen schwindet und sie kämpfen darum, ihren Einfluss zu erhalten. Deshalb wird eine direkte militärische Konfrontation von beiden Seiten nicht bevorzugt. Gleichzeitig werden sie in die Konfrontation hineingedrängt."

Derweil inszenieren sich die iranischen Führer "seit dem 7. Oktober noch offensiver als zuvor als 'Retter' des palästinensischen Volkes, auch wenn ihnen dessen Schicksal herzlich egal ist", schreibt Gilda Sahebi ebenfalls in der taz: "Die iranische Führung verkauft sich seinen Gefolgsleuten als die Anführerin für die 'muslimische Sache' weltweit. Das Zündeln des iranischen Regimes in der gesamten Region ist ein großes Ablenkungsmanöver von der wachsenden Repression und der immensen Wut der Menschen im Land. Der massive Anstieg an Hinrichtungen geschieht im Windschatten der außenpolitischen Aktivitäten des Regimes. Die innenpolitische Situation ist verheerend: Der Verfall der Währung, Arbeitslosigkeit und Armut, Streiks und Proteste von Arbeiter:innen wegen fehlender oder verspäteter Lohnauszahlungen, steigende Preise - und die Wut der Bevölkerung darüber, dass das Regime Millionen an Dollar in die Bewaffnung von Hisbollah, Hamas und anderen Gruppen steckt, während die eigene Bevölkerung sich nicht einmal mehr Brot leisten kann."

Von einem Angriff Chinas auf Taiwan geht der Journalist Frank Sieren, der aus seiner Begeisterung für China keinen Hehl macht, im FR-Gespräch nicht aus. Die Bevölkerung in China werde immer selbstbewusster, die Regierung gebe dem nach, glaubt er: "Die Geschichte aller Menschen zeigt: Ein autoritäres System, das auf Dauer versucht, gegen den Willen der Bevölkerung zu handeln, wird daran zerbrechen. Das ist auch der KP klar und deswegen gibt sie nach, wenn es nicht mehr anders geht: Also partiell Macht abgeben, um die Lufthoheit zu behalten. … In Chinas Wirtschaft entsteht gerade eine Art informelle wirtschaftliche Bürgerbewegung für mehr Mitbestimmung. Die Konsumenten und Investoren merken plötzlich: Der Staat kann uns ja nicht zwingen, zu konsumieren und investieren. Gleichzeitig ist der Erfolg von Pekings Wirtschaftspolitik davon abhängig, dass sie das tun. Nun sagen die selbstbewussten Konsumenten und Investoren: Wir haben das Geld, aber wir geben es nicht aus, weil uns die politischen Rahmenbedingungen nicht passen. Widerwillig und scheibchenweise gibt der Staat nach. Damit beginnt eine neue Ära in China. Denn die Menschen werden ihre neue Macht für mehr Mitbestimmung nie wieder vergessen und es wird nicht bei wirtschaftlichen Themen bleiben."

In der "10 nach 8"-Serie von Zeit Online erzählt eine anonyme Afghanin vom Druck, Kinder bekommen zu müssen. Afghanische Frauen bekommen im Schnitt vier bis fünf Kinder, bleiben sie kinderlos, erleben sie Demütigungen: "Afghanistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Mütter- und Säuglingssterblichkeitsrate weltweit, UN-Statistiken zufolge stirbt in Afghanistan alle zwei Stunden eine Frau während der Schwangerschaft oder bei der Geburt. Für die Behandlung von komplizierten Fällen sowie Risikoschwangerschaften und -geburten fehlt es in den meisten Städten an der notwendigen Fachkompetenz und Ausstattung. In den Dörfern der meisten Provinzen des Landes finden Geburten zu Hause, ohne Zugang zu medizinischen Einrichtungen und mithilfe älterer Frauen statt, die entweder aus demselben Haushalt oder aus der Nachbarschaft stammen. All das erhöht das Risiko von Infektionen, Blutungen und sogar des Todes von Säugling und Mutter. Und trotzdem bleibt es dabei: Der Wert einer Frau bestimmt sich nach wie vor über die Anzahl ihrer Kinder. Der Druck auf die afghanischen Frauen bestand auch vor der Taliban-Herrschaft schon, unter ihr hat er sich jedoch enorm verstärkt. … Verhütung gilt den Taliban als westliche Verschwörung, um die Anzahl der Muslime auf der Welt zu kontrollieren."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.02.2024 - Politik

Seit 20 Jahren regiert in Aserbaidschan Ilham Alijew - und wird dies nach vorgezogenen Wahlen auch die nächsten sieben Jahre tun. Dabei ist die Wahl eine "Farce" - und Europa schaut angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan weg, notiert bei Spon die inzwischen im Exil in Berlin lebende, in Baku geborene Journalistin Fatima Karimova: "Gegenwärtig verfolgen wir die Inhaftierung unserer Kollegen, vieler Journalisten. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wurde für bis zu vier Monate in Untersuchungshaft genommen, die Behörden leiteten eine strafrechtliche Untersuchung gegen sie ein." Aber: "Es wird sich nichts in meinem Land ändern, solange die Diskussion über Menschenrechtsverletzungen nur ein Randthema ist bei Treffen mit Alijew. Seit Europa noch abhängiger ist von Aserbaidschans Gaslieferungen, hat Ilham Alijew immer weniger Kritik aus Europa zu fürchten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte den aserbaidschanischen Präsidenten unlängst gar als 'verlässlichen Partner'."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.02.2024 - Politik

Erica Zhinger berichtet in der taz von einer israelischen Delegation, die in Berlin über die Gewalt der Hamas gegen Frauen informiert. Es wird immer klarer, dass Frauen während des 7. Oktobers nicht nur Opfer grausamster Gewaltverbrechen waren, sondern auch, dass es sich dabei um eine gezielte Strategie handelte, so Zhinger. Die Israelin Shari Mendes erzählt ihr "von Terroristen der Hamas, die in ihren Verhören keine Reue zeigten und die zugaben, nach Israel geschickt worden zu sein, um die Frauen 'zu beschmutzen', sie zu vergewaltigen. Doch auch wenn die bisherigen Ermittlungen unzählige Beweise sichern konnten, solche, die darauf hindeuten, dass sich die Gewalt vom 7. Oktober auch gezielt gegen Israelinnen richteten und der Staat Israel auf diese Weise gedemütigt werden sollte, haben Frauenrechtsorganisationen diese spezifische Gewalt noch nicht ausreichend verurteilt - so die Kritik aus Israel. Über zwei Monate versäumten es allein die Vereinten Nationen und ihre Frauenrechtsorganisation UN Women, die Taten anzuerkennen. Erst Mitte vergangener Woche reiste die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, nach Israel. Sie forderte, 115 Tage nach dem Massaker, Opfer und Zeugen auf, nicht mehr zu schweigen."

In El Salvador ging Präsident Nayib Bukele durch die Erklärung des Ausnahmezustandes und Aufhebung von Grundrechten gegen die Bandenkriminalität im Land vor und erklärte sich jüngst wieder zum Präsidenten des Landes, obwohl noch nicht alle Stimmen ausgezählt waren, schreibt Nicole Anliker in der NZZ. "Auch wenn dieses Prozedere bis zum Himmel stinkt: Der Mann ist beliebt. (...) Vieles deutet darauf hin, dass er seine Herrschaft ausbauen und den Ausnahmezustand zum Dauerzustand machen könnte. Schließlich basiert sein erfolgreicher Kampf gegen die Kriminalität darauf, mit dem Gesetz zu brechen. Es gibt keinen Grund, weshalb er den Rückwärtsgang einlegen sollte. Vor einem Herrscher, der die Grundrechte aussetzt, ist niemand sicher - auch jene nicht, die ihm einen Wahlsieg bescherten und sich nun in falscher Sicherheit wiegen. Es genügt, anderer Meinung zu sein, um in sein Visier zu geraten. Schon jetzt werden kritische Journalisten oder Oppositionelle verfolgt, ins Exil gezwungen oder ins Gefängnis gesteckt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.02.2024 - Politik

Tomas Avenarius hält es in der SZ für möglich, dass die "radikalen" Politiker im Kabinett um Benjamin Netanjahu eine "schleichende Vertreibung" der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen anvisieren: "Nun aber wird in den Umrissen eine Art neue Nakba vorstellbar. Denn eine Vertreibung muss nicht mit vorgehaltener Waffe vollzogen werden. Sie kann schleichend kommen. Etwa, indem Israel die Lebensbedingungen so verschlechtert, dass ein Teil der Gaza-Palästinenser gehen müsste, um des Überlebens willen. Noch weigert sich Ägypten, seine Grenze zu öffnen. Aber der Druck steigt. Und Israel tut wenig, um den 2,3 Millionen Ausgebombten in Gaza ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die Massivität der Bombardements, die Zerstörung von etwa 50 Prozent des Wohnraumes und vieler landwirtschaftlicher Flächen sprechen für sich. Ein Leben in Gaza wird so de facto unmöglich gemacht."

Nordkorea "scheint den Weg der DDR" einschlagen zu wollen, berichtet Hoo Nam Seelmann in der NZZ. Bisher war eine Wiedervereinigung immer noch eine Option, obwohl das wirtschaftliche und ideologische Gefälle zwischen Nord und Süd immer größer wurde: "Nun hat die nordkoreanische Seite bekanntgegeben, dass sie keine Wiedervereinigung mehr mit dem Süden wolle. Ganz offiziell wurde dies verkündet. Neu wird auch bestritten, dass die Koreaner ein gemeinsames Volk bilden würden. Das Wort 'Wiedervereinigung" ist aus der Verfassung gestrichen worden und soll auch aus dem offiziellen Sprachgebrauch verschwinden. Alle Institutionen und offiziellen Kommunikationskanäle, die mit dem Thema zu tun hatten, wurden geschlossen. Sogar ein Monument, das dem gemeinsamen Wunsch nach Wiedervereinigung Ausdruck gab, wurde im Januar abmontiert."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.02.2024 - Politik

Putin scheint einen Trump-Sieg abzuwarten, schreibt der amerikanische Politologe Graham Allison in der NZZ. Währenddessen sind die europäischen Verbündeten der Ukraine "auf einen 'Trump-Hedge' aus. Sie versuchen sich für den Fall einer weiteren Amtszeit des ehemaligen Präsidenten abzusichern. Nach zwei Jahren Krieg sind die Illusionen von ewigem Frieden auf dem Kontinent nachhaltig erschüttert. Die Europäer haben darauf - das durfte man erwarten - mit neu erwachter Begeisterung für die Nato reagiert. Mit Bidens schlechten Umfragewerten wächst bei den Verbündeten allerdings die Angst. Gerade die Deutschen werden sich an den Schluss erinnern, den Angela Merkel nach einer Begegnungen mit Trump gezogen hat. Die damalige Bundeskanzlerin sagte 2017: 'Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.' (…) Gegenwärtig fordert Trump im Wahlkampf eine 'grundlegende Neubewertung' der Nato. Eine Folge solcher Rhetorik ist, dass sich in Europa Zögerlichkeit bei den Hilfen für die Ukraine breitmacht. Manche Länder dürften sich fragen, ob sie das Material und die Waffen im Falle einer zweiten Amtszeit Trumps für die eigene Verteidigung benötigten."

Eine komplette Zerstörung der Hamas hält Ibrahim Dalalsha, Direktor des palästinensischen Think-Tanks Horizon Center, im NZZ-Gespräch für ebenso unwahrscheinlich wie ein baldiges Ende des Krieges. Die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung gibt er dennoch nicht auf - mit einer "Technokratenregierung" auf palästinensischer Seite: "Es gibt viele fähige Leute in Parteien, NGO, Think-Tanks, akademischen Kreisen. Wir leben in einer Autokratie, das bedeutet aber nicht, dass es keine besseren Führungsfiguren gäbe. Wir brauchen eine unabhängige Übergangsregierung, nicht die Hamas, nicht die Fatah, nicht die PLO. Sie könnte in einer Abkühlungsperiode den Boden für Neuwahlen bereiten, die internationale Hilfe und den Wiederaufbau im Gazastreifen koordinieren und neue rechtsstaatliche Mechanismen schaffen. Wir brauchen innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde radikale Reformen, um Meinungsäußerungsfreiheit und Demokratie zurückzubringen. Nach dem 7. Oktober können wir keine Hamas-Leute mehr in eine Regierung einbinden. Wir brauchen finanzielle und politische Unterstützung der USA und der Europäer, und die werden keine Extremisten mehr akzeptieren. Wir sollten aber nicht nur die Hamas, sondern auch die Fatah fernhalten und nur unabhängige Technokraten akzeptieren."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.02.2024 - Politik

In schärfsten Worten prangert Zeruya Shalev im Gespräch mit Thorsten Schmitz von der SZ die Mitverantwortung der Regierung Netanjahu am Möglichwerden des 7. Oktober an. "Wir haben geahnt, dass Netanjahu uns in eine Katastrophe führt. Generäle und Geheimdienstchefs haben schon im Sommer gewarnt, dass es Hinweise gebe für einen großen Hamas-Angriff, aber Bibi weigerte sich, diese Leute überhaupt zu treffen. In dieser Zeit, als Hunderttausende Menschen auf die Straße gingen und gegen Bibis Justizreform demonstrierten, habe ich mich gefragt: Wie kann Bibi es wagen, mit unserem Schicksal zu spielen, ein ganzes Land zu spalten, zu schwächen mit dem Versuch, die Demokratie abzuschaffen?"

Tanja Tricarico will in der taz den Anschuldigungen gegen die UNRWA nicht ganz glauben, nicht zwölf, sondern nur sechs Mitarbeiter seien in die Hamas-Pogrome vom 7. Oktober verwickelt, und überhaupt: "Der Einsatz von Hilfsorganisationen in Krisengebieten ist bedingungslos zu akzeptieren. Das gebietet die Menschlichkeit. Und zugleich birgt die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern immer auch ein Restrisiko. So auch im Gazastreifen, in dem das UNRWA einer der größten Arbeitgeber ist. Wohin fließen Gelder? Wer unterstützt welche Milizen? Natürlich muss es Kontrollmechanismen geben, um einen Missbrauch der Hilfsgelder auszuschließen.

Anders sieht es Erica Zingher, ebenfalls in der taz: "Während Kinder in Gaza in UNRWA-Schulen zum Hass auf Juden erzogen wurden, weil der in Schulbüchern gepredigt wurde, erzählte sich die Weltgemeinschaft lieber die alte Mär von den armen palästinensischen Opfern; Opfern, die angeblich niemals Täter sein konnten, weil sie schließlich Flüchtlinge waren; Opfern, da dieser Status unter Palästinensern über Generationen weitergegeben werde."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 01.02.2024 - Politik

Südafrika handelt nicht mehr im Sinne Mandelas, wenn es Israel vor Gericht zerrt, ruft uns Ulrich Schmid in der NZZ zu. Dieser respektierte nämlich Juden als Kampfgefährten und auch die Existenz eines jüdischen Staates. "Der Hinweis, dass nur Länder - und keine Gruppen wie die Hamas - beim IGH angeklagt werden können, läuft ins Leere. Pretoria interessiert sich in offener Nonchalance weder für die Hamas noch für ein Kriegsverbrechen, das jedem jemals aufgeschriebenen Recht hohnspricht. Nein, Pretoria betreibt einfach Politik. Hier geht es nicht eine Sekunde um Recht oder Gerechtigkeit, sondern einzig und allein darum, Israel zu dämonisieren, zu isolieren und an den Pranger zu stellen. Das ist Verrat am Erbe Mandelas. Zur Erklärung der südafrikanischen Klage bleibt einzig das sinistere Hobby südlicher, meist autokratischer Nationen übrig: der Postkolonialismus, das neue linke Eilverfahren, das Täter und Opfer stets schon kennt, bevor zu Gericht gesessen wird."

In der NZZ erinnert der Historiker Edward Luttwak, dass Israel 1967 und 1973 international isoliert war, als es von arabischen Staaten attackiert wurde. "Heute, fünfzig Jahre später, ist alles anders. Die USA, das Vereinigte Königreich und die Europäische Union haben keinen Versuch unternommen, die israelische Gegenoffensive gegen die Hamas zu stoppen. Die USA lieferten Militärgüter, und die italienische Regierung unterstützte das Vorgehen der IDF in Gaza uneingeschränkt."

Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann forderte im Spiegel-Interview, dass die Deutschen immer auch an die "Nakba" denken sollten, wenn sie des Holocaust gedenken (unser Resümee), weil sie gewissermaßen indirekt auch am Leid der Palästinenser schuld seien. Dem widerspricht Alan Posener in der Welt scharf: "1948 haben die arabischen Staaten den gerade erst von den Vereinten Nationen etablierten Staat Israel überfallen, um 'die Juden ins Meer zu treiben'. Die arabische Bevölkerung Israels forderten diese Möchtegern-Judenvernichter auf, ihre Dörfer zu verlassen, bis der Krieg gewonnen wäre. Einige Hunderttausend folgten der Aufforderung, die Mehrheit nicht. Einige wurden im Verlauf der Kampfhandlungen von israelischen Truppen vertrieben. Am Ende konnte sich der jüdische Staat gegen seine Feinde behaupten. Dieses Scheitern eines Angriffs- und Vernichtungskriegs bezeichnen die Araber als 'Nakba': Katastrophe. Es gibt nicht den geringsten Grund, dafür ausgerechnet in Deutschland, wo wir die Niederlage von 1945 als Tag der Befreiung begehen, Verständnis aufzubringen."

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Im Spiegel ermahnt sich Richard C. Schneider, lange Zeit Israel-Korrespondent der ARD und Autor des Buchs "Die Sache mit Israel", selbst: Krieg polarisiert wie nichts sonst, gerade darum muss Empathie für die andere Seite bleiben. "Wir stehen vor der Gefahr zu verrohen und uns vom Kriegsgeschehen emotional davontragen zu lassen. Atavistische Emotionen kochen schnell in jedem von uns hoch. Noch schlimmer aber ist es, wenn man zum Zyniker wird."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 31.01.2024 - Politik

Indien gilt noch als Demokratie und wird vom Westen als Gegengewicht zu China umworben. Aber der indische Ministerpräsident Narendra Modi hat den Säkularismus seiner Vorgänger fallen lassen, wie die Einweihung eines gigantischen Tempels in Ayodhya auf dem Gelände einer ehemaligen Moschee (mehr in der Magazinrundschau) zeigt. "Modi kann sich derweil wie ein Guru feiern lassen", schreibt FAZ-Korrespondent Till Fähnders. "Er ist populär, und die Ideologie seiner Partei findet immer mehr Anhänger. Sie glauben, dass in Ayodhya einst ein Tempel den Ort markiert hat, an dem ihr Gott Ram geboren wurde. Dort stand von 1528 an eine Moschee. Als das Gebäude im Jahr 1992 illegal von einem Mob fanatischer Hindus abgerissen wurde, verurteilten viele Inder die Tat. Heute schaut das ganze Land zu, wie auf dem Grundstück ein gigantischer Hindu-Tempel eröffnet wird. Für die 200 Millionen indischen Muslime ist das eine Demütigung."

Die Israelis sind gespalten und "mit den Nerven am Ende", schreibt Steffi Hentschke auf Zeit Online. Umfragen zeigen, wie sehr die Meinungen auseinandergehen: "Nach der jüngsten Friedensindex-Umfrage der Universität Tel Aviv sind 43 Prozent der Befragten der Meinung, dass Israels Armee mehr Feuerkraft in Gaza einsetzen solle. Zudem unterstützen nur 27 Prozent der jüdischen Befragten aktuell eine Zweistaatenlösung, während innerhalb der arabischen Minderheit Israels zwei Drittel dafür sind." Was die Bevölkerung bräuchte, wäre eine politische Führung, die Perspektiven schafft: "Das Ende des Kriegs, ein Ende der Angst um die Geiseln und die Soldaten, hängt aber nicht von ihrer Meinung, sondern von den politischen Entscheidungen ab. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weigert sich weiterhin, seinem Land, den Verbündeten und den Menschen in Gaza einen Plan für die Zeit nach dem Krieg zu bieten. Während Verteidigungsminister Joaw Galant, Mitglied in Netanjahus Likud-Partei, öffentlich erklärt, keine jüdischen Siedlungen in Gaza zu wollen, fordern die rechtsextremen Koalitionspartner genau das."

Zehn Prozent der UNRWA-Mitarbeiter sollen Hamas-Mitglieder gewesen sein (unser Resümee). Die Enthüllungen schockieren - und dann doch wieder nicht, denn die Nähe der UN-Organisation zur Terrororganisation war längst bekannt, schreibt Michael Thaidigsmann in der Jüdischen Allgemeinen: "Die UNRWA betreibt in Gaza 288 Schulen, beschäftigt dort mehr als 9.000 Lehrer. Es liegt daher auf der Hand, dass zahlreiche der am Massaker Beteiligten einst dort unterrichtet wurden. Mehr als 76 Millionen Euro bekam die UNRWA 2023 allein aus Deutschland. An eine solche Organisation sollten aber keine Gelder fließen, deutsche schon gar nicht."

Der amerikanische Kongress hat immerhin eine Anhörung zum Thema gemacht, die hier dokumentiert ist - schade, dass der Bundestag diese Form öffentlicher Auseinandersetzung nicht übernimmt! Hier sprach auch Hillel Neuer von der NGO UN Watch, der die Sache mit Berichten über eine Telegram-Gruppe von Hamas-Lehrern ins Rollen gebracht hatte. 3.000 Lehrer: "Keiner von ihnen hat je widersprochen und gesagt: 'Das ist falsch'". Wer auch immer sich zu diesem Thema geäußert hat, hat Terroranschläge bejubelt. Das sind UN-Lehrer."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.01.2024 - Politik

Das "Flüchtlingshilfswerk" UNRWA scheint völlig durchsetzt von Hamas-Sympathisanten oder sogar aktiven Hamas-Terroristen. Angefangen hatten die Enthüllungen mit einem Twitter-Thread von Hillel Neuer, der die Arbeit der UN schon lange kritisch begleitet. Er hatte nach dem 7. Oktober die Jubel-Posts einer dreitausendköpfigen UNRWA-Lehrergruppe auf Telegram ausgewertet. Weitere Enthüllungen kamen von der Israelischen Regierung (mindestens zwölf UNRWA-Mitarbeiter unter den Terroristen vom 7. Oktober) und der New York Times (hier). Tanja Tricarico resümiert in der taz und nennt weitere Berichte etwa des Wall Street Journal: "Demnach sind rund 1.200 UNRWA-Mitarbeiter Teil der Hamas oder des Islamischen Dschihads im Gazastreifen. Laut Bericht sind zudem rund 23 Prozent aller männlichen Mitarbeiter der UN-Organisation aktiver Teil verschiedenster Hamas-Strukturen. Die Informationen der israelischen Geheimdienste kommen aus Verhören gefangener Hamas-Terroristen, beziehen sich auf Dokumente von toten Terroristen oder auf Mobilfunkdaten."

Ebenfalls in der taz der große Bericht von Mirco Keilberth und Judith Poppe über rechtsextreme israelische Siedler, die den Gazastreifen neu okkupieren wollen.

Schon lange gab es Vorwürfe gegen die UNRWA und ihre Kumpelei mit der Hamas. Die Bundesregierung, die zu den treuesten Finanziers des Hilfswerks gehört, hat nun vorerst weitere Zahlungen ausgesetzt. Und das sollte auch so bleiben, meint Sebastian Leber im Tagesspiegel: "Das einzig Unmenschliche an diesem Zahlungsstopp ist, dass er um Jahre zu spät kommt. Das Zögern dürfte, man muss es so hart formulieren, Menschenleben gekostet haben. Das UN-Hilfswerk hat sich in der Region schon lange zum Komplizen gemacht - sowohl der Terroristen der Hamas als auch der korrupten Autonomiebehörde im Westjordanland. UNRWA-Gebäude in Gaza wurden und werden von der Hamas mitgenutzt, ohne dass die Helfer dagegen vorgingen. Im Gegenteil: Sie bestritten das Offensichtliche und logen damit ihre Geldgeber an." Sehr viel zögernder reagiert Bernd Dörries in der SZ. Wieder einmal leide vor allem die Zivilbevölkerung durch Zahlungsstopps an die UNRWA. "Rechtfertigt die in Details bislang nicht geklärte Beteiligung von 0,1 Prozent ihrer Mitarbeiter einen solch dramatischen Schritt?"

Zeit online hat die Vorwürfe gegen die UNRWA zusammengefasst. Dabei werden einem auch die Dimensionen dieses Hilfswerks klar: Es ist auf inzwischen 30.000 Mitarbeiter angewachsen, was damit zu tun hat, dass bei den Palästinensern der Flüchtlingsstatus vererbt wird. Und das hat Folgen: Statt 750.000 Menschen, wie zum Zeitpunkt der Gründung der UNRWA, gelten jetzt 5,9 Millionen Menschen als palästinensische Flüchtlinge.

Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass Kritik an Israel in Deutschland mit irgendwelchen Tabus belegt ist, meint der Politikwissenschaftler Lothar Probst in der taz - dieses Argument wird von Postkolonialisten gern vorgebracht, Masha Gessen meinte in ihrem notorischen New Yorker-Essay (unsere Resümees) gar, dieses deutsche "Tabu" verstelle der Weltöffentlichkeit die Sicht auf israelische Verbrechen. "Überhaupt stellt sich die Frage, ob es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft jene 'Täterschuld' gibt, von der behauptet wird, dass sie Kritik an Israel verhindere. Viele Deutsche sind vielmehr gegenüber den Juden und deren Schicksal ziemlich desinteressiert und gleichgültig, wie vor kurzem eine Umfrage von Forsa gezeigt hat: 59 Prozent der Befragten sagten, dass ihnen Israel fremd sei, nur 23 Prozent empfanden eine 'Nähe' zu Israel. Auch die Anteilnahme der deutschen Öffentlichkeit am Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 fiel erschreckend gering aus."