9punkt - Die Debattenrundschau

Wer ist im Besitz der Leitkultur?

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.09.2016. In Deutschland gibt es keine richtige Trennung von Staat und Religion, und das ist auch gut so, meint der  Kirchenrechtler Hans Michael Heinig in der FAZ.  Überall wird über ARD und ZDF diskutiert: In Irights.info fordert die Grünen-Politikerin Tabea Rößner eine Debatte über die Öffentlich-Rechtlichen im Zeitalter des Medienwandels. Die taz weiß, was die ARD für Fußball bezahlt. Die FAZ kennt den Hintergrund zu Horst Seehofers Vorschlag, ARD und ZDF zusammenzulegen.  Die extremistischen Siedler sind nicht die bestimmenden Akteure im Nahostkonflikt, hält die Jüdische Allgemeine fest.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.09.2016 finden Sie hier

Religion

Luxemburg schafft den Religionsunterricht ab und führt statt dessen Ethikklassen ein, in denen über die großen religiösen und ethischen Fragen diskutiert werden soll, berichtet Hélène Maillasson in der Saarbrücker Zeitung und kommentiert: "Von einem neuen Fach, in dem alle Schüler - unabhängig von ihrer Konfession - über große Fragen des Lebens debattieren, profitiert auch die Klasse als Gemeinschaft. Und Schüler, die mehr über eine bestimmte Religion lernen möchten, können das nach wie vor tun - außerhalb der Schulzeit."

Eine wirkliche Trennung von Staat und Religion gibt es in Deutschland nicht, meint im politischen Teil der FAZ der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig, der dies auch bejaht und mit dem Bundesverfassungsgericht eine "fördernde Haltung" zu den Religionen fordert: "Deshalb dürfen Studenten auch in ihren Hochschulen öffentlich sichtbar beten oder religiös konnotierte Kleidung tragen. Sie dürfen sogar für ihren Glauben werben und sich mit Gleichgesinnten zusammentun. Eine Grenze ist erst dann erreicht, wenn Rechte Dritter oder der eigentliche Zweck der Hochschule, wissenschaftliche Forschung und Lehre, gefährdet werden."
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Gesellschaft

Inna Hartwich ist als Zwölfjährige mit ihrer Familie aus der russischen Provinz nach Deutschland ausgewandert und erklärt in der NZZ angesichts der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft, warum sie sich hier diskriminiert fühlt: "Warum müssen sich Kinder aus der dritten Generation von Eingewanderten immer noch dafür rechtfertigen, dass sie 'doch, ja!' Deutsche sind, auch wenn ihre Eltern das womöglich nicht sind?"

In der Zeit erklärt Jens Jessen, warum eine "Leitkultur" jeden Deutschen in seiner Lebensweise einschränken würde. Denn: "Wer ist im Besitz der Leitkultur? Wer darf definieren, was gilt? Mein Nachbar oder ich?"
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Europa

Die AfD ist nicht einfach eine White-Trash-Partei, insistiert Sabine am Orde in der taz: "Auch Angestellte, Selbstständige und Rentner wählen heute in beträchtlicher Anzahl rechtspopulistisch. Sie sind es auch, die man gewöhnlich auf AfD-Veranstaltungen antrifft - wo ohnehin wenig von Solidarität mit Hartz-IV-Anhängern oder von Armut bedrohten Alleinerziehenden die Rede ist. Im Gegenteil."
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Stichwörter: AfD, Trash, Alleinerziehend

Medien

Mit Vokabeln wie "presseähnlich" lassen sich Grenzen zwischen Medien im Netz nicht mehr ziehen, meint die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner in einem Essay für irights.info. Im Zeitalter der Medienkonvergenz sei viel mehr ein ganz neuer Denkprozess gefordert, um die Idee der öffentlich-rechtlichen Information im Netz zu definieren: "Wichtig wäre dabei, dass dieser nicht von Ministerpräsidenten und Staatskanzleibediensteten hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird, sondern unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer, die Zuhörerinnen und Zuhörer sind diejenigen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren. Sie haben ein Anrecht darauf, an der Diskussion darüber beteiligt zu werden, wie dieser Rundfunk sich im Netz neu aufstellen soll."

Jürn Kruse von der taz ist an die Zahlen herangekommen: "Für die Zusammenfassungen der Fußball-Bundesliga im Fernsehen zahlt die ARD ab der Saison 2017/18 bis zur Saison 2020/21 jährlich knapp 127,1 Millionen Euro brutto. Dazu kommen 6,73 Millionen Euro für die Radioübertragungen. Macht zusammen: 133,83 Millionen Euro pro Jahr für Bundesligafußball in der ARD."

Der Seehofer-Vorschlag ARD und ZDF zusammenzulegen, kam nicht aus dem Nichts, sondern ist nur vor dem Hintergrund drohender Gebührensteigerungen zu vestehen, meint Michael Hanfeld. Den Sendern rät er zu Bescheidenheit, denn sie "haben den Auftrag zur 'Grundversorgung' mit Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung längst hinter sich gelassen. Sie machen alles, was ihnen lieb und teuer ist, und versorgen vor allem sich selbst."
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Ideen

Hildegard Stausberg würdigt in der Welt den Politologen Karl Dietrich Bracher, der im Alter von 94 Jahren gestorben ist: "Den Grundstein für seinen - sehr früh erworbenen - Ruhm legte Bracher durch seine fulminante Habilitationsschrift von 1955: 'Die Auflösung der Weimarer Republik: Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie'. Detailliert recherchiert und gut geschrieben, prägte diese die Interpretation der Weimarer Republik ganzer Generationen auf das Nachhaltigste." In der FAZ schreibt Ludger Kühnhardt, in der SZ Jens Hacke.
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Politik

Die SZ bringt nach den Panama Papers nun die "Bahama Papers" mit neuen Enthüllungen über Briefkastenfirmen, an denen auch europäische Politikerinnen wie die frühere EU-Kommissarin Neelie Kroes beteiligt sind. Interessant eine Erläuterung zur Rolle der USA: "Die Vereinigten Staaten haben maßgeblich das Ende des Bankgeheimnisses durchgesetzt. Die großen Erfolge im internationalen Kampf gegen Steuerhinterziehung gehen auf die Initiative der USA zur Einführung des automatischen Informationsaustauschs über Kontendaten zurück. Beim Lüften von Steuergeheimnissen sieht es anders aus. Die USA haben sich bisher nicht zum automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten bekannt."

Shimon Dotans Dokumentarfilm "Die Siedler der Westbank", der demnächst auf Arte und in der ARD läuft, wirft zwar einen beunruhigenden Blick auf die extremistischen israelischen Siedler in den besetzten Gebieten, gibt ihnen aber politisch ein viel zu hohes Gewicht, meint Michael Wuliger in der Jüdischen Allgemeinen: "In der Dokumentation ..  erscheinen die Siedler als die bestimmenden Akteure im Konflikt, die Gewalt der Palästinenser, etwa in den beiden Intifadas, als bloße Reaktion auf jüdische Landnahme und Repression im Westjordanland. Das wird der Realität nicht gerecht. Den Arabern sind nicht nur die Siedlungen im Westjordanland ein Stachel im Fleisch. Für die allermeisten von ihnen sind auch die israelischen Kerngebiete jenseits der Grünen Linie besetztes Land, das es wiederzugewinnen gilt, ob friedlich oder mit Gewalt."
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