Virtualienmarkt

Mit dem Handy in die Röhre gucken

Die Mobilfunkbetreiber machen sich Illusionen. Von Robin Meyer-Lucht
24.05.2006. Die Geschichte des Internets wiederholt sich beim Mobilfunk: geschlossende Betreiberportale lahmen, das offene Internet beflügelt die Nutzung. Das Handy-Fernsehen allerdings wollen die Mobilfunkunternehmen ganz allein kontrollieren - die Medienanstalten folgen ihnen bereitwillig.
Vor ein paar Tagen erlebte ich die ganze Kälte des Mobilfunkgeschäfts. Ich rief bei meinem alten Mobilfunkbetreiber an und bat um die Weitergabe meiner Rufnummer an einen der neuen Discount-Anbieter: "Die Nummer gehört nicht Ihnen, sondern uns", herrschte mich der Callcenter-Mitarbeiter an und ergänzte: "Wir geben ohnehin keine Nummern an diese neuen 'Prepaid'-Anbieter weiter." Die zuständigge Presseabteilung brauchte einem Tag Bedenkzeit, um dieses dreiste Abwimmeln für völligen Unsinn zu erklären.

Fast ein halbe Dekade haben die Mobilfunkbetreiber im ihrem Oligopol vor sich hin gedöst. Die Margen waren hoch, der Wettbewerb war hart, aber nicht erbitttert. Die Lage schien stabil. Dass sie die Einführung vieler Dienste verpatzten, fiel dabei kaum auf:

Die Portale der Mobilfunkbetreiber? Werden eher versehentlich besucht.

MMS? Fristet ein Nischendasein.

Push-to-talk? (mehr hier) Versteht hierzulande kein Mensch.

Seit den Überraschungserfolgen von SMS und Klingeltönen warten die Mobilfunkbetreiber auf die nächste zündende Handy-Applikation. Besonders enttäuschend entwickelte sich bekanntlich bis heute der mobile Datenverkehr: Zwei Jahre nach UMTS-Start erreichen Datendienste beispielsweise noch immer nicht einmal fünf Prozent des Umsatzes von Vodafone Deutschland (mehr hier).

Das klassische Mobiltelefonie-Geschäft gerät nun durch neue Discount-Anbieter wie Simyo oder Easymobile zusätzlich unter Druck: 1,5 Millionen Verbraucher telefonieren inzwischen in Deutschland über Discount-Mobilanbieter; Ende des Jahres könnten es bereits 4 Millionen sein (mehr hier).

Um die Netze besser auszulasten und neue Umsatzquellen zu erschliessen, kristallisiert sich die Hoffnung der Mobilfunkbetreiber nun um etwas, was sie lange ihren Kunden vorenthalten haben: das offene Internet.

Die Mobilfunkunternehmen sehen zunehmend ein, dass es zwar sehr erträglich ausschaut, die Nutzer in geschlossenden Kommunikationsräumen mit bestens funktionierenden Abrechnungsmechanismus einzusperren - dass neue Applikationen in diesem eingezäunten Gärtchen jedoch auf der Strecke bleiben.

Die Zukunft der mobilen Datenübertragung ist das offene Internet, erklärte kürzlich auch Sony Ericsson-Chef Miles Flint. Der "walled garden"-Ansatz, wonach die Provider versuchen, alle Datendienste selbst anzubieten und allerorten mitzuverdienen, sei bei der Mobilkommunikation ebenso gescheitert wie einst bei proprietären Online-Diensten wie CompuServe.

Ganz ähnlich sieht dies in Deutschland E-Plus. "Die Kunden akzeptieren keine Sonderlösungen mehr, sondern wollen den ungehinderten Zugang zum Internet", heißt es von dort, als habe es i-mode nie gegeben. E-Plus rechnet in Deutschland mit einer Verzwanzigfachung allein des mobilen E-Mail-Verkehrs innerhalb der kommenden zwei Jahre. Die Killer-Applikation von UMTS ist zum Ungemach vieler Mobilprovider: das Internet.

Mit dem offenen mobilen Internet wird das Tor für neue Anbieter und Applikationen weit aufgestoßen. Andere können nun einführen, was bislang an überhöhten Preisvorstellungen und mangelndem Durchsetzungswillen der Mobilfunkbetreiber scheiterte. Die Internetökonomie erreicht die mobilen Netze.

Ganz und gar entgegensetzt entwickelt sich allerdings in diesen Tagen die Anbieterstruktur beim Handy-Fernsehen. Zusätzliche TV-Signale (DVB-H) sollen in Zukunft die bekannten TV-Kanäle direkt aufs Handy bringen. Die entsprechenden Frequenzen werden in diesen Tagen vergeben.

Die Mobilfunkbetreiber wollen Handy-TV zu einem Premium-Angebot in ihrem eigenen Vertrieb machen. Sie wollen Nutzungsgebühren erheben, Endgeräte, Abrechnung und weitgehend auch die Programmstruktur kontrollieren. Die Programmanbieter werden zwar als "Kooperationspartner" eingebunden - letztlich aber streben die Mobilfunkbetreiber die alleinige Kontrolle der Plattform Handy-TV an.

Das Argument der Mobilfunkbetreiber für die stille Machtübernahme des Mobilfernsehens: Nur sie als könnten die teure neue Sende-Infrastruktur vorfinanzieren, die Endgeräte durch Subventionierung populär machen und monatliche Nutzungsgebühren eintreiben (mehr in einem Artikel der FAZ). Wer, zu welchem Preis und wie Mobil-TV anbieten darf, wollen sie - im Interesse der Durschsetzung der neuen Technik - allein bestimmen.

Die Frequenzen dafür erhalten sie - ganz im Gegensatz zu den UMTS-Frequenzen - übrigens gratis: TV-Sendelizenzen gelten, anders als Mobilfunklizenzen, hierzulande nicht als Wirtschaftsgut.

Statt Angebot, Distribution, Abrechung und Gerätevertrieb beim Handy-TV wettbewerbsfördernd auf mehrere Unternehmen zu verteilen, wird hier ein neuer, hermetisch geschlossener Garten geschaffen. Die Medienanstalten geben bereitwillig ihren Segen dazu. In einer ersten Presse-Erklärung der Medienanstalt Berlin-Branchenburg wird den Mobilfunkunternehmen eine "Schlüsselrolle" bei der Einführung des Handy-TV zugebilligt.

Nutzerengelte und weitreichende Kooperationen seien für den Erfolg des Angebots unerlässlich, so die Aufsichtsbehörde. Die Zahlen, die diese Annahmen stützen, nennt sie nicht. Bedenken, dass das Konsortium der Mobilfunkbetreiber einen Distributionskanal von vorne bis hinten beherrschen wird, nennt sie offiziell nicht. Ganz anders beim Kabelfernsehen: Wenn die Kabelbetreiber anfangen, Programm zu machen, läuten allerorten die medienpolitischen Alarmsignale.

Die Landesmedienstalt sorgt sich, Handy-TV könnte in der "DAB-Falle" enden: zu teure Endgeräte, kein Programm - kein Programm, zu teure Endgeräte. Sie scheut sich zu intervenieren, weil sie befürchtet, dann bei einem eventuellen Scheitern der Technologie verantwortlich gemacht zu werden. Stattdessen folgt sie lieber willfährig den Ausführungen der Branchen-Mächtigen.

Zu sehr aufregen über den geschlossenen DVB-H-Garten sollte man sich allerdings vorerst nicht: Erstens wird das Bundeskartellamt auch hier dem medienpolitischen Gekungel die notwendige ordnungspolitische Vernunft und präzise Argumentation verordnen. Zweitens spricht vieles dafür, dass sich DVB-H ohnehin nicht durchsetzen wird. In ein paar Jahren könnte sich mobiles IPTV ohne hin als überlegen erweisen. Hier ist der Garten weit offen.