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Facebook als Massenmedium betrachtet

Von Rüdiger Wischenbart
12.03.2018. Warum kein öffentliches parlamentarisches Hearing über die neue Rolle der Tech-Giganten Facebook, Twitter und Google als Massenmedien? Dann könnten neue rechtsstaatliche Regeln zum Umgang mit Hasspostings und Fake News gesucht werden, statt die Konzerne zur Zensur zu zwingen.
In der aktuellen Debatte um Soziale Medien, und insbesondere Facebook, gibt es einen Umstand, der mich mehr und mehr verblüfft: Das Fehlen eines politischen Gesprächs zwischen Gesetzgebern und den umstrittenen digitalen Plattformen.

Was sind Facebook und Twitter - mehr als alle Anderen -, wenn nicht die neueste Generation von Massenmedien? Nach Zeitungen, Radio und Fernsehen organisieren Facebook und Twitter heute einen erheblichen Teil öffentlicher Diskurse und Meinungsbildung über ihre digitalen Ökosysteme.

Die Gesetzgeber interessieren sich für Facebook und Twitter indessen vornehmlich als mögliche Steuersünder und ineffiziente Zensoren. Würde Facebook ab morgen in Deutschland satt Abgaben an den Fiskus überweisen und sogenannte Hasspostings umgehend und umfassend löschen, wäre die politische Öffentlichkeit weitgehend zufrieden, scheint es. Das ist absurd.

Die Sache mit den Hasspostings führt allerdings zielgenau zum Kern des Dilemmas. Gesetzgeber und weite Teile der Öffentlichkeit delegieren hier eine der zentralen hoheitlichen Aufgaben des Staates an einen privaten Akteur: Die Schaffung eines geregelten öffentlichen Raumes, in dem sich die Meinungsfreiheit von Bürgerinnen und Bürgern frei entfalten kann, bis zu den Grenzen, die die Gesetze ziehen.

Veröffentlicht ein traditionelles Massenmedium, egal ob Zeitung, Rundfunk oder auch ein Buchverlag, einen Beitrag, in welchem beispielsweise meine Privatsphäre, oder ein Rechtsgrundsatz wie die allgemeinen Menschenrechte verletzt werden, kann ich auf dem normalen Rechtsweg umgehend eine einstweilige Verfügung erwirken, auf die dann aber ein Gerichtsverfahren folgt, in dem verhandelt wird, was nun rechtens war und ist. Das verurteilte Medium muss für eine angemessene Richtigstellung sorgen, für die genaue Auflagen gelten. Für eine Übertretung auf der Titelseite wäre eine Richtigstellung irgendwo zwischen den Kleinanzeigen nicht ausreichend. Und, sehr wichtig, es gibt die Möglichkeit, in Berufung zu gehen.

Nichts dergleichen wollen wir offenbar auf Facebook oder Twitter anwenden. Warum nicht?

Ich vermute, dass ein sehr banaler Umstand hier eine wesentliche Rolle spielt: Es existiert bislang schlicht keine politische Gesprächsebene, auf der Gesetzgeber und Facebook, wie es so schön heißt "ergebnisoffen", miteinander in einen Austausch treten. Ein öffentliches parlamentarisches Hearing wäre ein solches Format. Die Verhandlungen um Steuerrecht oder über simplen operativen "Take down" sind dafür nicht geeignet.

Mehr noch, beide Seiten haben aktuell auch keine Akteure, um ein solches Gespräch zu initiieren. Die eine Seite agiert über Lobbyisten. Die andere über Verbotsstrategien. Beides sind keine tauglichen Instrumentarien für einen politischen Diskurs.

Durch einen Zufall konnte ich selbst ein kleines Experiment dazu durchführen. Es ergab sich, dass ich meine Gedanken einem hochrangigen Vertreter einer zwischenstaatlichen Organisation vortragen konnte, in der Medienangelegenheiten eine zentrale Agenda darstellen. Der Anstoß traf auf offene Ohren, ich schrieb eine kurze Abhandlung. Es folgte Schweigen, und schließlich nichts mehr außer der Beteuerung, man habe sich mit solchen Themen schon früher beschäftigt. Zum Ausdruck kam hier nicht Desinteresse. Vielmehr passte der Zugang nicht zu den Prozessen der Organisation, bei denen Staaten mit Staaten verkehren, und nicht mit privaten Akteuren.

Was aber wäre ein solches politisches Gespräch zwischen beispielsweise der Bundesregierung, dem Bundestag, oder dem Europäischen Rat, und Facebook plus Twitter plus Google?

Ein paar hoch gesteckte, aber wohl plausible wie auch richtungsweisende Vorstellungen hat in dieser aufgeladenen Angelegenheit ausgerechnet Alex Karp unlängst formuliert, der Gründer von Palantir (mehr hier), einem führenden Silicon Valley Konzern im Bereich Big Data Analyse, dessen Kunden von diversen privaten Unternehmen bis zu Geheimdiensten wie der amerikanischen NSA reichen.

Aus Konzernsicht, argumentierte Karp vorigen Herbst bei einem Vortrag in Wien (mehr hier), sei die herrschende Unklarheit der rechtlichen Rahmenbedingungen in den digitalen Plattformen die denkbar schlechteste Situation. Der Imageschaden, mit dem sich Facebook spätestens seit den russischen Fake Accounts und Bot-Attacken im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf herumschlägt, ist ein anschaulicher Beleg für diesen Befund.

Bei einem politisch ausbalancierten Regelwerk, welches durchaus komplex sein könne - und auch komplex sein muss, um all die heiklen Anforderungen zu erfüllen - könne Technologie - von Machine Learning in der Aufarbeitung bis zu künstlicher Intelligenz in der Analyse - einen bedeutenden Beitrag leisten, damit auf sozialen Medienplattformen wieder geordnete rechtsstaatliche Zustände einziehen, so Alex Karp.

Ich will hier nicht als ein naiver Träumer auftreten, der meint, man müsse nur den Bock zum Gärtner machen, und alles, was an gesellschaftspolitischem Chaos entstanden ist, würde umgehend wieder in blühende vielfältige Gärten verwandelt werden, wenn nur gute Bots gegen die Bösen antreten. Keinesfalls. Aber Alex Karp verweist, vor dem Hintergrund seiner eigenen Agenda, auf einen grundsätzlichen Punkt.

Die neue Generation von Massenmedien, welche heute Facebook oder Twitter, und Verknüpfungsdienste wie Google repräsentieren, wird nicht verschwinden. Und sie wird sich nicht sinnvoll oder gar angemessen dadurch regulieren lassen, dass die Gesellschaft - also die Gesetzgeber, aber auch wir alle als demokratische Öffentlichkeit - es uns fein und einfach machen, indem wir bequem sagen: Facebook, mach das weg!

Wir müssen schon eintreten in den mühseligen demokratiepolitischen Prozess, und präzisieren, was da genau "weg" soll, und wie dies mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang zu bringen ist. Siehe einstweilige Verfügung plus Prozess plus Berufungsinstanz.

Bei der Umsetzung dieses neuen Regelwerks für digitale Medien aber werden Big Data Analysen, also Machine Learning und künstliche Intelligenz, die Instrumente sein, um erst einmal das umfangreiche täglich anfallende Roh-Material an Medieninhalten zu sichten. Dessen Bewertung ist dann den Menschen vorbehalten.

Für den Einstieg ins politisches Gespräch, welches überfällig ist, werden die Gesetzgeber viel Neuland zu kartieren haben - und die neuen Medienkonzerne wie Facebook, neben ihren Lobbyisten, endlich auch politische Köpfe an Bord nehmen müssen. Das wird nicht einfach. Aber darunter wird es nicht gehen.

Rüdiger Wischenbart

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